Zu Demonstrationen waren die BürgerInnen der DDR seit 40 Jahren verpflichtet: am 1. Mai, bei Staatsbesuchen, noch bei den Jubelfeiern am 7.10. zum 40jährigen Bestehen der „Republik“. Doch Demonstrationen, nicht als staatlich organisierte Zurschaustellung des Volkes, sondern als Form der unmittelbaren Artikulation von BürgerInnen sind eine neue Errungenschaft. Sie wurde nicht gewährt, sondern hart erkämpft, von hunderttausenden von Menschen in allen größeren Städten, gegen die Partei- und Staatsführung, gegen Volkspolizei und Stasi. Die Vorgehensweisen der Polizei und vieles, was dabei erlitten wurde, klingt uns durchaus vertraut. Vereint gegen Bürgerprotest: Staatssicherheit, Volkspolizei und SED-Führung weiterlesen
Berlin (O.): Erlebnisbericht vom 7./8.10.89
„Wir wurden am 7.10. gegen 22.30 Uhr auf der Greifswalder Str. Nähe Mollstr. zusammen mit etwa 30 Leuten von Polizei eingekreist. Wir wurden ohne Auffor-derung, den Ort zu verlassen oder uns zu zerstreuen, mit Stößen, Tritten und Gummiknüppeln zusammengetrieben, auf LOs verladen und in die Strafvollzugsan-stalt Rummelsburg zugeführt. Auf dem Weg dorthin wurden wir von Polizisten beschimpft mit: „Ihr seid zu doof zum ficken.“ In Rummelsburg standen wir etwa anderthalb Stunden in der Kälte auf dem Hof. Wir sahen Leute in offenen Gara-gen, die dort mit dem Gesicht zur Wand stehen mußten. Berlin (O.): Erlebnisbericht vom 7./8.10.89 weiterlesen
Demonstrationsstatistik – Die Legende vom Anwachsen gewalttätiger Demonstrationen
von Roland Appel*/ Dieter Hummel**
„How to lie with statistics“ – so der Titel eines bekannten Buches der amerikanischen Soziologie. Die jüngste Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der Grünen im Bundestag zur vom BMI jährlich veröffentlichten Statistik des Demonstrationsgeschehens macht deutlich, daß die in jenem Buch beschriebenen politischen Chancen des Umgangs mit Zahlen – insbesondere was die Erfassung sogenannter „unfriedlicher“ Kundgebungsformen des Bürger(un)willens angeht – auch vom Bundesinnenministerium virtuos beherrscht werden. Demonstrationsstatistik – Die Legende vom Anwachsen gewalttätiger Demonstrationen weiterlesen
Vertraute Bilder, Nachrichten und Betroffenenberichte, die in den letzten Monaten aus der DDR zu uns kommen:
Provokateure, die zu Gewalttätigkeiten animieren,
polizeilicher Kessel,
Suche nach Rädelsführern,
Greifkommandos,
ED-Behandlung festgenommener DemonstrantInnen,
Urteile im Schnellverfahren,
Polizeiliche Dokumentationstrupps mit Videogeräten und selbstverständlich die direkte Prügel mit dem Knüppel oder des Polizisten Faust.
Man gewinnt den Eindruck, als hätten wenigstens die Vopos und Stasi-Leute, wenn schon ansonsten niemand mehr willens war, von Schnitzlers montägliche Schreckensbilder aus dem realen Kapitalismus anzuschauen, mit professionellem Interesse die Einsätze ihrer westlichen Kollegen im Schwarzen Kanal, im ZDF oder in der ARD verfolgt – mit sichtbarem Lernerfolg!
Denn, ob im Berliner „Häuserkampf“ oder bei Brokdorf-Demonstrationen, ob in Wackersdorf oder bei Polizeiaktionen während der Berliner IWF-Tagung etc. – wir kennen dieser Bilder. CILIP hat hinreichend oft vergleichbare Be-troffenenberichte und Einsatztaktiken „unserer“ Polizei dokumentieren müssen.
„Vom Westen lernen heißt siegen lernen“ – die östlichen „Staatssicherer“ haben sich diese Parole bereits zu eigen gemacht, noch bevor sie zur halbwegs generellen Devise in der DDR wurde, die Ausrüstung mit westl. „riot control“-Gerät eingeschlossen. Vertraute Bilder, Nachrichten und Betroffenenberichte, die in den letzten Monaten aus der DDR zu uns kommen: weiterlesen
Gedächtnisprotokoll
„Wir zwei Mädels aus Prenzlauer Berg waren am 7. Oktober auf der Demo vom Alex bis Schönhauser Allee. Als die Polizei versuchte, die Demo auf der Schönhauser Allee aufzulösen, rannten wir in Todesangst auf die Dänenstraße, und dort gerieten wir in einen Kessel von der Polizei, die uns mit Gummiknüppeln jagte. Eine Freundin von uns wohnt in der Dänenstraße. Sie war nicht bei der Demo dabei, hat uns aber rennen sehen und hat uns zugerufen, daß wir nach oben kommen sollen. Als wir dort angelangt waren (wir waren ca. 10 Mann), schlossen wir uns ein und beobachteten die Sache vom Fenster aus. Wir wurden fotografiert. Nach etwa einer halben Stunde klopfte und klingelte es Sturm, wir öffneten nicht. Dann bin ich mit meiner Freundin in eine Nachbarwohnung telefonieren gegangen. In den zwei Minuten, wo wir weg waren, hat die Polizei die Wohnungstür eingetreten und hat alle Leute verhaftet, darunter den Vater des Mädchens und die Tochter auch. Sie ist 15 Jahre und bis jetzt vermißt. Alle, die sich in der Wohnung aufhielten, wurden mit Gummiknüppeln runtergejagt, sie durften nicht ihre Jacken mitnehmen oder den PA. Die Mutter mit dem 12jährigen Sohn wollten sie auch mitnehmen, die Mutter weigerte sich aber, die Bullen ließen sie da. Bis jetzt wissen wir nicht, was mit S. ist (…)“.
Aus: Tage und Nächte nach dem 7.Okt. ’89
Hg.: Evang. Stadtjugendpfarramt Berlin,
Kontakttelefongruppe
Alles aufgeklärt? Erhebliche Zweifel am staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnis aus Anlaß tödlicher Polizeischüsse auf einen 13jährigen Schüler in Essen
von Johannes Meyer-Ingversen *
Am 30.6.89 eskaliert in Essen ein Bagatellunfall zu einem Großeinsatz der Polizei, in dessen Verlauf der 13jährige türkische Schüler Kemal C. von der Polizei erschossen wird. Der mit der rechtlichen Überprüfung und Aufklärung des Ablaufs beauftragte Staatsanwalt stellt am 8.9.89 das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Todesschützen ein. Die Beamten hätten in Notwehr gehandelt.
Der Einstellungsbescheid widerspricht in wichtigen Punkten den von anderer Seite ermittelten Tatsachen – so vom Anwalt der Familie Kemals und vom „Arbeitskreis zur Unterstützung der Ermittlungen im Fall Kemal C.“, der eigene Recherchen anstellte und der Polizei die Ergebnisse und Zeugen präsentierte. Der Anwalt hat inzwischen Beschwerde beim Generalstaatsanwalt eingelegt. Vertreter der „Bundesarbeitsgemeinschaft kritische PolizistInnen“ haben Strafanzeige gegen den Staatsanwalt wegen Strafvereitelung im Amt erstattet. Zugleich ist gegen die Todesschützen Anzeige wegen Totschlags erfolgt. Alles aufgeklärt? Erhebliche Zweifel am staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnis aus Anlaß tödlicher Polizeischüsse auf einen 13jährigen Schüler in Essen weiterlesen
Lex Gambia
Maßnahmen Ausländer- und Asylrecht;
Zusammenarbeit mit der Polizei bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen Rauschgifttäter
Die Polizei führt die tatverdächtigen Ausländer den zuständigen Ausländerbehörden zu. Dabei ist sichergestellt, daß von der Polizei auch am Wochenende über die zuständige Feuerwehr-Einsatz-Leitstelle (Lagezentrum) ein Ansprechpartner erreichbar ist. Die Bezirksregierungen werden von der Polizei parallel informiert. Lex Gambia weiterlesen
„Drogenkrieg“ in Hannover – Eine Inszenierung für dritte Ziele ?
von Katharina Kümpel*
Nach einer nicht enden wollenden Kette von Skandalen steht die niedersächsische Polizei unter starkem Legitimationsdruck. Erfolge an der „Drogenfront“ sollen offensichtlich dazu dienen, ihr angeschlagenes Image wieder aufzubessern. Zugleich hat der „Krieg gegen die Drogen“ und die mit dem Drogenhandel verbundene „organisierte Kriminalität“ bundesweit die Funktion zugeschrieben bekommen, die Forderung nach weiteren personellen Ressourcen und neuen Eingriffsbefugnissen der Polizei publikumswirksam zu begründen. Zu erinnern ist etwa an den jüngst vom Bundeskanzler angekündigten „Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan“ (Tsp, 23.10.89). Diese Gemengelage an Interessen zeigt sich exemplarisch am „Drogenkrieg“ in Hannover, der im Ergebnis nur einen Effekt zeitigte: die Verschärfung einer ausländerfeindlichen Politik. „Drogenkrieg“ in Hannover – Eine Inszenierung für dritte Ziele ? weiterlesen