Schlagwort-Archive: Terrorismus

Terrorismus ohne Terroristen? Die Europaratskonvention zur „Terrorismus-Prävention“

von Tony Bunyan

Mit der Schaffung eines Straftatbestandes der „Verherrlichung“ will die britische Regierung die Europaratskonvention „zur Prävention des Terrorismus“ umsetzen: ein gefährlicher Schritt zur Kriminalisierung von Meinungen.

Die gute Nachricht vorweg: In der Debatte über den neuesten Anti-Terror-Gesetzentwurf seiner Regierung hat Premierminister Tony Blair am 9. November 2005 erstmals in seiner nunmehr achtjährigen Amtszeit eine Abstimmung im Unterhaus verloren. Mit 322 zu 291 Stimmen lehnten es die „Commons“ ab, die Dauer der Haft ohne Anklage für Terrorismusverdächtige von derzeit 14 auf 90 Tage heraufzusetzen. Anfang der 90er Jahre lag diese Frist noch bei 48 Stunden. Das Unterhaus akzeptierte jetzt einen Kompromiss von „nur“ 28 Tagen.[1] Terrorismus ohne Terroristen? Die Europaratskonvention zur „Terrorismus-Prävention“ weiterlesen

Terrorismusbekämpfung in der EU – Ein Jahr nach dem 11. September

von Mark Holzberger und Heiner Busch

Die Terrorismusbekämpfung hat der Innen- und Justizpolitik der EU neuen Treibstoff zugeführt. Wohin die Reise gehen soll, ist einem 64 Punkte umfassenden „Fahrplan“ zu entnehmen, der seit Oktober 2001 ständig aktualisiert wird.[1]

Der Entwurf für eine gemeinsame Terrorismus-Definition hat offenbar bereits vor den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer Schublade der EU-Kommission gelegen, denn präsentiert wurde er bereits acht Tage danach. Am 22. Juni 2002 trat der entsprechende Rahmenbeschluss in Kraft.[2] Die Mitgliedstaaten haben ihn nun in ihr Strafrecht zu übernehmen; d.h. unter anderem, dass sie entweder einen Straftatbestand der „terroristischen Vereinigung“ neu einführen oder – wie Deutschland und fünf weitere EU-Staaten – bereits bestehende Regelungen anpassen müssen. Terrorismusbekämpfung in der EU – Ein Jahr nach dem 11. September weiterlesen

Kriminelle Organisation? Die schweizerischen Behörden gegen die Tamil Tigers

von Johannes Wartenweiler

Nadarajah Muralitharan, seinerzeit Chef der Tamil Tigers in der Schweiz, war im April 1996 unter dem Verdacht der Schutzgelderpressung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verhaftet worden und hatte mehrere Monate in Untersuchungshaft verbracht. Vier Jahre nach der spektakulären Polizeiaktion ist das Verfahren immer noch nicht offiziell eingestellt. Das Vorgehen der Behörden dürfte vor allem dazu gedient haben, sich gegenüber der Regierung Sri Lankas erkenntlich zu zeigen. Diese hatte kurz zuvor ein Rückübernahmeabkommen mit der Schweiz unterzeichnet.

Seit Beginn der 90er Jahre war die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) die stärkste politische Kraft innerhalb der tamilischen Gemeinschaft in der Schweiz. Ihre herausragende Stellung war auf den andauernden Bürgerkrieg in Sri Lanka zurückzuführen sowie auf die veränderte soziale Zusammensetzung der in der Schweiz ansässigen TamilInnen. Vermehrt waren Ende der 80er Jahre Flüchtlinge aus unteren sozialen Schichten eingereist, die für die PR-Arbeit der LTTE empfänglicher waren als die früheren ImmigrantInnen. Kriminelle Organisation? Die schweizerischen Behörden gegen die Tamil Tigers weiterlesen

Einmal verdächtig, immer verdächtig – Göttinger Spudok-Skandal: BürgerInnen unter Dauerverdacht

von Rolf Gössner

In der Nacht zum 7. November 1997 brannte das Arbeitsamt in Göttingen. Brandstifter hatten im Eingangsbereich Benzin ausgekippt und angezündet. Sie waren unerkannt verschwunden. Alarmstufe 1 für die ermittelnde Polizei, die aufgrund eines „Bekennerschreibens“ von einem „terroristischen“ Anschlag ausging. Routiniert hielt sie sich an die üblichen Verdächtigen aus der linken Göttinger Szene. Dabei geriet auch eine ganze Reihe angesehener Bürgerinnen und Bürger ins Fahndungsvisier, unter ihnen Rechtsanwälte und Ärzte, Journalisten und Pfarrer, ein Stadtarchivar und ein Baudezernent, Stadträte und Fotografen, Fraktionsmitarbeiter und Ministerialbeamte, Angestellte und Hausfrauen.

Auch eine 68jährige Ehrenbürgerin der Stadt Göttingen, die seit ihrer Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wird von der Sonderkommission 413 des Landeskriminalamtes und der Göttinger Polizei auf der Verdächtigenliste geführt. Insgesamt 105 Personen sind dort mit Namen, Geburtsdaten und Adressen verzeichnet. Die Fahnder legten diese Liste auch dem brandgeschädigten Arbeitsamt vor, das per Datenabgleich (Rasterfahndung) prüfen sollte, „ob diesen Personen Leistungen versagt, gekürzt oder gestrichen wurden“ – für die Ermittler ein mögliches Motiv der Brandstifter.[1] Der Brand, der einen Schaden von einer halben Mio. DM anrichtete, konnte rasch gelöscht werden, die personenbezogenen Daten, die für die Ermittlungen genutzt wurden, jedoch bis heute nicht, obwohl dies nach Datenschutzrecht längst hätte geschehen müssen. Der entstandene Schaden ist nicht bezifferbar. Wie kamen die 105 Männer und Frauen, die zumeist in den 80er Jahren als StudentInnen politisch aktiv gewesen waren, in den schweren Verdacht der Brandstiftung und der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“? Einmal verdächtig, immer verdächtig – Göttinger Spudok-Skandal: BürgerInnen unter Dauerverdacht weiterlesen