Schlagwort-Archive: Verfassungsschutz

Nur die halbe Wahrheit – In den Hamburger al-Qaida-Verfahren wurde die gerichtliche Aufklärung staatlicherseits behindert

von Stefan Waterkamp

Der Kampf gegen den Terrorismus wird seit dem 11. Sep­tember 2001 militärisch, polizeilich, politisch und juristisch geführt. Dabei bleiben Bürger- und Menschenrechte regelmäßig auf der Strecke. Die bisherigen Strafverfahren gegen mutmaßliche Terrorhelfer in Deutschland sind keine Ausnahme.

Wahrheit und Gerechtigkeit sind die Leitprinzipien des Strafverfahrens. Straf- und Strafverfahrensrecht tragen diesen Grundsätzen Rechnung, indem sie die Ermittlung des Sachverhalts der richterlichen Aufklärungspflicht, dem „Gebot bestmöglicher Sachaufklärung“, unterstellen (§ 244 Abs. 2 StPO).[1] Den Gerichten wird die „bestmögliche Sachaufklärung“ allerdings nicht immer leicht gemacht. Nur die halbe Wahrheit – In den Hamburger al-Qaida-Verfahren wurde die gerichtliche Aufklärung staatlicherseits behindert weiterlesen

Und schon bist Du ein Verfassungsfeind – JungdemokratInnen als LinksextremistInnen?

von Udo Kauß

Verfassungsschutzberichte sind öffentliche Verrufserklärungen, die für die Betroffenen erhebliche Folgen haben können. Im Falle der JungdemokratInnen/Junge Linke zeigt sich exemplarisch, wie willkürlich die Bewertungen der Ämter sind und wie schlampig sie mit Informationen umgehen.

Verfassungsschutzberichte sind keine bloße Meinungsäußerung über die von einer politischen Organisation vertretenen Ziele. Schon die interne Erfassung in Akten oder Daten kann für eine Person gefährlich sein und beispielsweise die Nicht-Einstellung oder Entlassung aus dem öffentlichen Dienst nach sich ziehen. Die öffentliche Benennung als „extremistisch“ impliziert darüber hinaus eine Handlungsanweisung, einen Aufruf zur Ausgrenzung an die Verwaltung und die Gesellschaft insgesamt. Und schon bist Du ein Verfassungsfeind – JungdemokratInnen als LinksextremistInnen? weiterlesen

Mit Schlapphüten gegen die Mafia – OK-Beobachtung durch den Verfassungsschutz

von Fredrik Roggan

Verfassungsschutzbehörden unterliegen nicht dem Legalitätsprinzip. Sie haben zudem jahrzehntelange Erfahrung im Auskundschaften ganzer Szenen und verfügen über umfängliche Befugnisse und geheimdienstliche Instrumentarien. Das alles spricht nach Ansicht einiger Landesgesetzgeber dafür, die Dienste auch mit der Beobachtung der „Organisierten Kriminalität“ (kurz: OK) zu betrauen.

Inzwischen haben vier Bundesländer ihre Verfassungsschutzbehörden mit der Beobachtung der OK beauftragt. Bayern machte bereits 1994 den Anfang. Nachdem in der Folge andere Bundesländer auf die in Bayern gemachten Erfahrungen warteten, zogen Hessen, Thüringen, Sachsen und das Saarland ab Ende der 90er Jahre nach. 1997 legte das Bayerische Innenministerium einen als „Bilanz nach drei Jahren“ bezeichneten Bericht vor. Darin präsentiert das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Beispiele seiner angeblich erfolgreichen Arbeit und erläutert die rechtlichen Hintergründe – aus seiner ganz eigenen Sicht. So habe man u.a. mehrere Rauschgifthändler erkannt, die später verurteilt wurden. Der Geheimdienst habe zudem verschiedentlich Hinweise auf Autoschiebereien und Waffenhandel erhalten. In die „Erfolgsbilanz“ aufgenommen wurde auch die Festnahme eines Bankräubers, obgleich überhaupt kein Zusammenhang mit OK-verdächtigen Straftaten erkennbar ist.[1] Tatsächlich bedeuten die neuen Aufgaben eine Abkehr von rechtsstaatlicher Strafverfolgung. Sie stellen eine Verschmelzung von geheimdienstlicher und polizeilicher Aufgabenerfüllung dar. Mit Schlapphüten gegen die Mafia – OK-Beobachtung durch den Verfassungsschutz weiterlesen

Staatsschützerische Großbaustelle – Mehr Platz für die Geheimdienste im Gebäude der Macht

von Heiner Busch

Die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus zwinge den Staat zur Überprüfung seiner „Sicherheitsarchitektur“, so tönt es aus allen Sprachrohren der etablierten Parteien. Die BauplanerInnen diskutieren über noch mehr Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Polizei sowie eine Zentralisierung der „Sicherheitsbehörden“.

„Schily will Kampf gegen den Terror an sich ziehen“, titelte die „Süddeutsche“ am 18. Juni dieses Jahres. Der Bundesinnenminister habe in einem Brief an seine Kollegin vom Justizressort gefordert, das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit „einem klaren Weisungsrecht gegenüber den bisher autonom arbeitenden Länderbehörden“ auszustatten, um „Überschneidungen, Doppelarbeit, Reibungsverluste und Informationsdefizite“ in der Terrorismusbekämpfung zu vermeiden. Die Übernahme der rund 2.800 Bediensteten der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) würde den Bund jährlich 200 Millionen Euro kosten, ließ der Minister errechnen. Staatsschützerische Großbaustelle – Mehr Platz für die Geheimdienste im Gebäude der Macht weiterlesen

Wendland ohne Demonstrationsrecht – Erfahrungen aus sieben Jahren Castortransporten

von Elke Steven

Seit dem ersten Transport von hochradioaktivem Müll in das Zwischenlager Gorleben im April 1995 wird der Verlust demokratischer Grundrechte der Bevölkerung im Wendland immer neu anschaulich. Wochen vor jedem Transport beginnt ein Ausnahmezustand, der den Alltag einer ganzen Region lahm legt. Grundrechte sind aufgehoben, und die Polizei wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als Besatzungsmacht erlebt.

Fünfmal wurde in den letzten sieben Jahren hochradioaktiver Müll in das Zwischenlager nach Gorleben transportiert. Für AtomkraftgegnerInnen sind diese Transporte Anlass, öffentlich gegen die Produktion von Atomenergie zu protestieren und den Ausstieg aus ihr zu fordern. Dabei ist eine ihrer Protestformen die gewaltfreie Behinderung des Transportes und die Verzögerung seiner Ankunft im Zwischenlager. Diesen besorgten BürgerInnen stehen Politik und Polizei gegenüber. Die Politik hat es völlig versäumt, die Ängste und Anliegen ernst zu nehmen. Stattdessen hat sie mit den Atomkraftbetreibern – ohne die AtomkraftgegnerInnen und ihre kompetenten VertreterInnen einzubeziehen – einen sogenannten Kompromiss ausgehandelt. Der Polizei kämen in diesem Zusammenhang theoretisch zwei unterschiedliche und schwer zu verbindende Aufgaben zu: den Protest der BürgerInnen zu schützen und zugleich den Transport zu ermöglichen. Praktisch stellt sie sich immer stärker auf die Seite der Betreiber und der Transportunternehmen.

Im Laufe dieser Transport-Jahre haben sich die Eingriffsmöglichkeiten der Polizei erweitert und verändert. Immer deutlicher ist das Handeln der Polizei auf die Zerschlagung der Proteststrukturen gerichtet. Auf Seiten der BürgerInnen hat sich eine große Selbstverständlichkeit im Aufruf zu gewaltfreiem zivilen Ungehorsam entwickelt. Gleichzeitig geraten – angesichts der Behinderungen des breiten Protestes – immer stärker kleine (und manchmal geheime) Aktionen in den Vordergrund. Wendland ohne Demonstrationsrecht – Erfahrungen aus sieben Jahren Castortransporten weiterlesen

Polizeirecht nach Landgrafenart – Über den Versuch des thüringischen Gesetzgebers, alle Überwachungslücken zu schließen

von Martin Kutscha

Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2001 pries Thüringens Innenminister Christian Köckert (CDU) sein Bundesland wegen der alljährlich sinkenden Fallzahlen noch als eines der sichersten der Republik. Dennoch meinte die regierende CDU, auf der allgemeinen Verschärfungswelle reiten zu müssen und gewährte der Polizei und dem Verfassungsschutz mit dem „Gesetz zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts“ weitreichende neue Befugnisse. Am 28. Juni 2002 trat die Novelle in Kraft.[1]

Die ursprüngliche Fassung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes (PAG) stammt von 1992 und folgte dem Vorbild Baden-Württembergs. Schon damals befand man sich in der Gruppe der Länder mit dem „schärfsten“ Polizeirecht. 1997 und 1999 sorgten Novellen dafür, dass der Anschluss an diese Spitzengruppe erhalten blieb:[2] Die „Schleierfahndung“ wurde eingeführt, die gesetzlichen Voraussetzungen des „Unterbindungsgewahrsams“ sowie des Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen wurden gelockert. Auch ein Teil der jetzt neu eingeführten Bestimmungen knüpft an ähnliche Regelungen in anderen Bundesländern an, geht punktuell aber darüber hinaus.

So haben inzwischen mehrere Länder nach dem Vorbild von Niedersachsen (1996) das polizeirechtliche Instrument des Aufenthaltsverbots neben der nur kurzfristigen Maßnahme der Platzverweisung eingeführt. Das Verbot, einen bestimmten örtlichen Bereich für einen längeren Zeitraum – im thüringischen Fall bis zu drei Monaten – zu betreten, stellt einen gravierenden Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Grundgesetz, GG) dar. Polizeirecht nach Landgrafenart – Über den Versuch des thüringischen Gesetzgebers, alle Überwachungslücken zu schließen weiterlesen

Die arme Verfassung – Verfassungsschutz, V-Leute und NPD-Verbot

Seit Mitte Januar wird über sie geredet: Zuerst war’s einer. Dann wurden es zwei, drei, schließlich fünf. Gemeint sind die V-Leute, die angeblich strikt im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes die NPD ausspähten. Dazu waren und sind diese in der Wolle gefärbten NPD-Schafe trefflich geeignet.

In der Zwischenzeit weiß man eines ganz genau: dass nämlich niemand die Zahl der doppelten Lottchen, der gleichzeitigen V- und NPD-Leutchen ganz genau kennt. Und niemand scheint mehr genau zu wissen, worin nun der Skandal besteht. Darin, dass V-Leute als ‚gestandene‘ NPD-Leute „enttarnt“ wurden; darin, dass dem Verfassungsgericht diese ‚beiläufige‘ Information nicht weitergeben wurde; darin, dass selbst der zuständige Innenminister keine Ahnung hatte; darin, dass V-Leute im amtlichen Verfassungsschutz eine solche Rolle spielen; darin, dass NPD und Verfassungsschutz V-Leute-kräftig zusammenarbeiten; darin, dass ein solcher in seinen V-Leuten und nationaldemokratischen Verflechtungen unübersichtlicher „Verfassungsschutz“ die Verfassung als demokratisch grundrechtliche nicht schützen kann; oder darin – das ist die größte Sorge der BefürworterInnen und BetreiberInnen des NPD-Ver­botsantrags –, dass das Verbot der NPD durch diese Affäre gefährdet werden könnte? Die arme Verfassung – Verfassungsschutz, V-Leute und NPD-Verbot weiterlesen

Geheimdienste aufrüsten? Elemente einer abschreckenden Bilanz

von Norbert Pütter

Zu den reflexartigen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September gehörte der Ruf nach einem Ausbau der Nachrichtendienste und nach mehr geheimdienstlichen Kompetenzen. Die das fordern, gehen dabei regelmäßig der naheliegenden Frage aus dem Weg, welche Erfolge des geheimdienstlichen „Kampfes gegen den Terrorismus“ dafür sprechen, (wieder) in die Dienste zu investieren.

Die lange und gut vorbereiteten Anschläge in den USA sind mit Recht als ein Indiz für das Versagen der Nachrichtendienste bewertet worden. Das gilt nicht allein für die deutschen, sondern auch für die angeblich führenden Geheimdienste CIA und Mossad. Der Vorwurf wiegt um so schwerer, wenn man berücksichtigt, dass seit Ende des Kalten Krieges die Sicherheitsexperten des Westens die größten Gefahren für die „freie Welt“ im Extremismus und Terrorismus islamisch motivierter Gruppen verortet haben. Vor diesem Hintergrund lässt der 11. September nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder haben die Dienste ihren eigenen Feindbildern nicht getraut, d.h. die Szenarien der islamistischen Bedrohung waren für die Öffentlichkeit gedachte Inszenierungen. Oder die Dienste haben sich schlicht als unfähig erwiesen, auf ihre eigene Diagnose zu reagieren. Keine dieser Alternativen wäre ein zureichender Grund, umstandslos gerade auf diese Behörden zu setzen, die am offenkundigsten versagt haben. Ein Blick auf den Anti-Terrorismus der deutschen Geheimdienste zeigt, dass diese Skepsis jenseits des Einzelfalles für jede Form nachrichtendienstlicher „Terrorbekämpfung“ gilt. Geheimdienste aufrüsten? Elemente einer abschreckenden Bilanz weiterlesen