SOZIALDEMOKRATEN IN DER POLIZEI

In unregelmäßigen Abständen haben wir bereits in früheren Ausgaben Berufsorganisationen der Polizei vorgestellt bzw. zu Worte kommen lassen. Die Vielfalt an Berufsorganisationen (Gewerkschaften, Parteiarbeitsgemeinschaften in der Polizei, unabhängige Gruppen wie das Hamburger Signal) zeigen an, daß die Polizei kein monolithisch geschlossener Block ist, sondern unterschiedlichste politische Strömungen und Berufsverständnisse in der Polizei um Einfluß streiten. Der folgende Text ist eine Selbstdarstellung der „Sozialdemokraten in der Polizei“.

Der Vorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA) haben im Frühjahr 1986 die Anregung einiger engagierter Sozialdemokraten im Polizeibereich einhellig aufgenommen, einen bundesweiten Zusammenschluß aller sozialdemokratischen Polizeiangehörigen zu fördern.

Die rund 40.000 Sozialdemokraten, die in unterschiedlichsten Funktionen in den Polizeien des Bundes und der Länder beschäftigt sind, waren seit jeher in den für die Betriebsorganisation der SPD typischen Berufsgruppen der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen zusammengefaßt. Anfang 1986 wurden in den verschiedenen Bundesländern sowie im Bundesgrenzschutz und im Bundeskriminalamt etwa 100 Polizei-Betriebsgruppen gezählt. Sie vermitteln einer wachsenden Zahl von Polizeiangehörigen sozialdemokratische Ziele und Grundwerte und gewinnen sie vereinzelt auch für eine Mitarbeit in der Partei. Darüber hinaus öffnen sie den sozialdemokratischen Arbeitnehmern im Polizeibereich Wege, die in die Entscheidungsgremien sozialdemokratischer Politik führen.

Bereits im April des Vorjahres trafen 35 sozialdemokratische Vertreter der 11 Länderpolizeien, des BKA, des BGS sowie der Gewerkschaft der Polizei in Bad Honnef mit Vorstandsmitgliedern der Parteigremien zu einem Vorgespräch zusammen. Ein Gründungsausschuß formulierte einen „Leitfaden zur wirkungsvollen Betriebsgruppenarbeit in der Polizei“ und bereitete die Gründungsversammlung für einen „Zentralen Betriebsgruppenausschuß Polizei in der AfA“ vor.

Sinn und Zweck einer Zusammenarbeit auf Bundesebene sollten u.a. sein:
* Förderung und Koordinierung der Betriebsarbeit im Polizeibereich
* Erarbeitung eines neuen „Berufsbildes der Polizei in der demokratischen Gesellschaft“
* Beteiligung bei der Erarbeitung eines „Sozialdemokratischen Programms zum inneren Frieden“
* Beratung der Partei- und Fraktionsgremien in allen die Polizei betreffenden Fragen
* Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Sozialdemokraten in der Polizei (SIP), der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ), der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und anderer fortschrittlicher Gruppen, die sich mit rechts- und innenpolitischen Themen befassen.

Im September 1986 fand in Düsseldorf in Anwesenheit des nordrheinwestfälischen Innenministers, Herbert Schnoor, und des Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Günter Schröder, sowie der Vertreter aus allen Bundesländern, des BGS und des BKA die konstituierende Sitzung des „Zentralen Betriebsgrupppenausschusses der Polizei in der AfA“ statt. Der Verabschiedung der „Leitlinien“ folgte die Wahl eines „Sprecherrats“ und eines Vorsitzenden. Der Zusammenschluß fand in den Medien bundesweit Beachtung.

Mehr noch wurde die am Tage nach der Konstituierung durchgeführte und von etwa 500 Polizeiangehörigen aus dem ganzen Bundesgebiet besuchte „Innenpolitische Fachtagung der SPD“ in Essen mit Lob und Aufmerksamkeit bedacht. Sie stand unter dem Motto „Innerer Frieden, Minderheitenschutz, kulturelle Freiheit“ und umriß damit bereits die neuen Wege, die die bundesweit agierenden sozialdemokratischen Polizeiangehörigen künftig zu gehen gedachten. Arbeitsgruppen zu den Themenbereichen „Ist die Demonstrationsfreiheit in Gefahr?“, „Sicherheit durch Überwachungsgesetze?“, „Leben mit Minderheiten – Asylfragen, Ausländerfragen, Roma und Sinti“ sowie „Kulturpolitik nach der Wende“ wurden gebildet und kamen in Podiumsdiskussionen zu – für einzelne Polizeibeamte – doch überraschenden Ergebnissen. Politiker (Herta Däubler-Gmelin, Herbert Schnoor, Andreas von Schoeler, Jürgen Schmude, Anke Martiny u.a.), Gewerkschafter (Günter Schröder, Alfred Dietel, Kurt Gintzel, Klaus Steffenhagen u.a.), Künstler (Klaus Staeck, Lore Lorenz, Stefan Wald u.a.), Psychologen, Pfarrer, Juristen und Vertreter von Minderheiten diskutierten einen ganzen Tag lang mit Polizeiangehörigen, was auf beiden Seiten zu völlig neuen Erkenntnissen und zum Abbau vieler Vorurteile führte.

Seither sind zwei Jahre vergangen. Sie wurden von den „Sozialdemokraten im Polizeibereich“ (SIP), wie sich der Zentrale Betriebsgruppenausschuß Polizei seit Mitte 1987 nennt, vor allem zur Konsolidierung der Betriebsgruppenorganisation in allen Bundesländern (vor allem in den „Südstaaten“) genutzt. SIP ist in der „Kommission Inneres und Recht“ beim Parteivorstand ebenso vertreten wie in den entsprechenden Arbeitskreisen der Länder. Dort bringen sie ihre Vorstellungen ein und setzen sich für deren Umsetzung in den Fraktionen des Bundes und der Länder ein.

In einem „Manifest“ formulierten sie zur Jahrewende 1986/87 ihre „Thesen zum Inneren Frieden“. Darin setzen sie sich für eine „bessere und effektivere Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten“ ebenso ein, wie für eine „vorurteilsfreie und vertrauensvolle Bürgernähe“. Sie wehren sich gegen eine „Lösung politischer Konflikte durch die Polizei“ ebenso, wie sie sich „für eine Sicherung der Demonstrationsfreiheit“ einsetzen. Sie wenden sich „gegen staatliche Überreaktionen“ gleichermaßen, wie „gegen eine Diffamierung des Datenschutzes“. Schließlich mahnen sie eine „Neubelebung der Friedens- und Entspannungspolitik, ein Umsteuern zu ungefährlicheren Energien, eine aktive Politik gegen Massenarbeitslosigkeit, mehr soziale Gerechtigkeit, größere Teilhabe unserer ausländischen Mitbürger, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und die Achtung von Minderheiten“ an. Das Manifest endet in dem Satz: „Die Freiheitsordnung unseres Grundgesetzes braucht dieses Engagement, nicht eine Zuschauerdemokratie.“.

Während eines SIP-Seminars im Juni 1987 in Löf/Mosel diskutierten die sozialdemokratischen Polizeiangehörigen, die sich als äußerst kritikfähig und -willig gegenüber herkömmlichen Überlegungen zu Fragen der inneren Sicherheit verstehen und auch nach Alternativen suchen, mit dem Bundesvorsitzenden der AsJ, Horst Isola, mit dem eben pensionierten Polizeipraktikter aus Nordrhein-Westfalen, Dr. Kurt Gintzel sowie mit dem Vorsitzenden des Bundestagsinnenausschusses, Hans- Gottfried Bernrath, Fragen des „Gewaltmonopols in der Demokratie“, der „Funktion der Polizei im Rechtsstaat“ und des „Verhältnisses Bürger/Polizei“. Die Arbeitsergebnisse können über die u.a. Adressen bezogen werden.

Im Februar 1988 fand in Stuttgart die Jahrestagung der SIP mit Neuwahlen statt. Hier kritisierten die Delegierten die geplanten Gesetze der Bonner Regierungskoalition zur inneren Sicherheit. Insbesondere lehnten sie die Umwandlung des Vermummungsverbots zu einem Straftatbestand, die Kronzeugenregelung, die Einführung des alten Landfriedensbruchtatbestandes und das Zusammenarbeitsgesetz mit den Geheimdiensten ab. Statt dessen forderten sie die Gesetzgeber im Bund und in den Ländern auf, endlich der Forderung des Bundesverfassungsgerichtes nachzukommen und Ermächtigungsgrundlagen für staatliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu schaffen.

Auf Anregung der SIP veranstaltete die SPD-Bundestagsfraktion am 4./5. Mai 1988 in Bonn eine „Konferenz zur Inneren Sicherheit“, an der ca. 250 Polizistinnen und Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet teilnahmen. Neben grundsätzlichen Fragen der inneren Sicherheit standen vor allem die sozialen Probleme der Beschäftigten bei den Polizeien des Bundes und der Länder sowie die Ausbildung und eine qualitativ verbesserte Nachwuchswerbung im Vordergrund und wurden engagiert und z.T. kontrovers diskutiert.

Auf dem Jahres-Seminar der SIP, das Ende Mai in Saarbrücken durchgeführt wurde, diskutierten 35 Delegierte aus den Ländern die Folgen des Wegfalls der Grenzkontrollen an den EG-Binnengrenzen und erarbeiteten ein Stufenkonzept zur Neuorientierung im Bereich der inneren Sicherheit. Auch die Ergebnisse dieses Seminars liegen schriftlich vor und können über die u.a. Adressen bezogen werden.

Wer nähere Informationen wünscht oder Interesse an einer Mitarbeit im SIP hat, kann sich an folgende Adressen wenden:

Jörg Kramer, Karl-Marx-Straße 12, 1000 Berlin 44, 030/622 47 24 oder 030/777 61 240
(Vorsitzender der SIP)

Hans-J. Braun, Zum Landgraben 1g, 2406 Stockelsdorf
(Stellv. Vorsitzender der SIP)

Adolf Gutmann, Kurze Straße 9, 7056 Weinstadt
(Stellv. Vorsitzender der SIP)

Erhard Krause, Osterweder Straße 30, 2742 Gnarrenburg-Brillit
(Sprecher der SIP)

Armin Hofschulte, Karthäuserhofweg 88, 5400 Koblenz
(Beisitzer im Vorstand der SIP)

Ulrich Krüger, Am Täufling 1, 4600 Dortmund
(Beisitzer im Vorstand der SIP)

Heiko Loesing, Weimarer Straße 6, 6200 Wiesbaden
(Beisitzer im Vorstand der SIP)

Walter Edenhofer, Ollenhauerstr. 1, 5300 Bonn 1
(SPD-Parteivorstand, Referat für Arbeitnehmerfragen)