Archiv der Kategorie: Rezensionen

Besprechungen ausgewählter Bücher oder Aufsätze zum Schwerpunkt des jeweiligen Heftes und auch außerhalb. Gibt es für alle Ausgaben online.

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„Abolitionismus“, so die allgemeine Definition von Sebastian Scheerer im „Handwörterbuch der Kriminologie“ von 1998, „bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen“. In unseren Kontext übersetzt bedeutet das die „Aufhebung“ der (Institution) Polizei und die mit ihr verbundenen Zuständigkeiten (Aufgaben) und Befugnisse sowie des damit verbundenen bzw. „nachgelagerten“ strafrechtlichen Bestrafungssystems. Der abolitionistische Diskurs – in der Öffentlichkeit, in der Wissenschaft, als politische Bewegung – entstand als kriminalpolitische Bewegung in den 1970er Jahren im Kontext der Kritik an (anderen) Institutionen des staatlichen Zwangs (Psychiatrie, Heimunterbringung …). Literatur weiterlesen

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„Welche Bedeutung hat der (ingenieur)wissenschaftliche Fortschritt für die Arbeit der Polizei?“ Um diese Frage beantworten zu können, müssten vorgelagerte Fragen geklärt sein: Im Hinblick auf welche polizeilichen Aufgaben und Tätigkeiten bieten wissenschaftliche Innovationen Lösungen? Und: Auf welchen Wegen werden diese Potenziale in welchem Umfang implementiert? Ein Blick in die aktuelle deutschsprachige Literatur zeigt schnell, dass diese Fragen überraschend selten gestellt werden, weshalb nur Bruchstücke für Antworten auffindbar sind. Dabei ist es durchaus trivial zu behaupten, dass die Fähigkeiten einer Institution ohne die Kenntnis ihrer „Instrumente“ – von den „Hilfsmitteln körperlicher Gewalt“ bis zu Einsatzkonzepten, die von Algorithmen gesteuert werden – kaum zureichend erfasst werden können.

Die Literaturlage ist durch zwei weitere Merkmale gekennzeichnet: Erstens mangelt es an der Offenheit der Akteure. Jenseits der vollmundigen Selbstdarstellungen der Innenministerien gibt es kaum sachliche Informationen über die materiell-technische Ausstattung der Polizeien. Zweitens hat die Aufmerksamkeit gegenüber der „Polizeitechnik“ im letzten Jahrzehnt deutlich nachgelassen. Allein die „Digitalisierung“ der Polizeiarbeit hat externe Aufmerksamkeit auf sich gezogen – und damit die anderen Technikfelder (und deren Folgen) in den Schatten gestellt. Literatur weiterlesen

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„Kontrolle im Kapitalismus“ ist keine exklusiv polizeiliche Domäne. Eher im Gegenteil wurde der traditionelle Ort der Polizei (gemeint ist die Vollzugspolizei) an jenen Linien verortet, an denen die herkömmlichen Institutionen der Kontrolle versagten. Als herkömmlich in diesem Verständnis konnten die großen Einrichtungen gelten, die die Erfordernisse einer sich entwickelnden kapitalistischen Gesellschaft in die Gewohnheiten, den Alltag, die Erwartungen der Menschen umsetzten – von der Gewöhnung an die Lohnarbeit bis zur Anerkennung gottgegebener und gleichzeitig wettbewerbsvermittelter sozialer Ungleichheit. Nur an den gesellschaftlichen Rändern, an denen frühneuzeitliche Sozialintegration scheitert, kommt die Polizei in der Durchsetzung des Gewaltmonopols ins Spiel. Landstreicher, Bettler*innen und alle, die sich dem Verkauf ihrer Arbeitskraft entziehen; Kinder, denen es an Fleiß und Folgsamkeit mangelt; Diebe, die die herrschende Eigentumsordnung ablehnen; Protestierende gegen Verelendung, kapitalistische Ausbeutung und deren Aufrechterhaltung durch den Staat: Die von der kapitalistischen Vergesellschaftung Ausgeschiedenen, die an den Rändern der Gesellschaft die „gefährliche Klasse“ bilden, deren „Polizierung“ die zentrale Aufgabe der Polizeien (und teilweise des Militärs) bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bildet.

Sehr allgemein formuliert: Im Laufe des 19. Jahrhunderts treten in den industrialisierten Ländern Europas an die Seite des Polizei- und Obrigkeitsstaates wohlfahrtsstaatliche Arrangements. Die großen gesellschaftlichen Konfliktlinien (Kapital und Arbeit, Arm und Reich) werden durch neue Einrichtungen entschärft. Von den Sozialversicherungen über die allgemeine Schulpflicht bis zur Gleichheit vor dem Gesetz – die Konflikte werden so bearbeitet, dass sie zugleich die kapitalistische Akkumulation befördern. Das Gewaltmonopol tritt kontrollierend/sanktionierend in Erscheinung, wenn diese Instanzen versagen. Dieses „wohlfahrtsstaatlich-fordistische“ Arrangement löst sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf. Wir befinden uns in einer nachfolgenden Phase, die meist unter der Überschrift „Neoliberalismus“ zu fassen versucht wird; wobei gegenwärtig unklar ist, ob nicht diese bereits durch ein neues Leitmuster abgelöst wird. Im Folgenden können nur einige Hinweise auf jüngere Veröffentlichungen gegeben werden, die Aspekte des Dreiecks von Kapitalismus, Kontrolle und Polizei darstellen. Literatur weiterlesen

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Wie reagiert die Polizei auf sozialen Protest? Wie kommt sie ihren Aufgaben nach, Sicherheit oder Ordnung – Chiffren für die dominanten Interessen in Ökonomie, Gesellschaft und Politik – zu bewahren? Welchen Einfluss hat die Institution Polizei auf kollektive politische Aktionen, auf deren Verlauf und deren Wirkungen in und für die Öffentlichkeit? Antworten auf diese Fragen sucht CILIP seit seiner Gründung. Die Beschäftigung mit dem, was heute Protest Policing genannt wird, ist deshalb dauerhaft in CILIP präsent; allerdings ist es auch zwei Jahrzehnte her, dass wir zuletzt einen Schwerpunkt diesem Thema widmeten (CILIP 72, H. 2/2002). Die Demonstrationen, Versammlungen, Blockaden und andere Formen des zivilen Ungehorsams – einschließlich der „begleitenden“ Polizeieinsätze – wurden und werden von nachbereitenden Darstellungen und wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet. An dieser Stelle sei nur auf die Demonstrationsbeobachtungen des Komitees für Grundrechte und Demokratie (www.grundrechtekomitee.de) hingewiesen, die einen Fundus für alle diejenigen darstellen, die sich ein Bild von konkreten Protestereignissen und den polizeilichen Einsatzstrategien machen wollen. Auf wissenschaftliche Würdigungen des Polizei-Protest-Geschehens wird in den Beiträgen des Schwerpunkts Bezug genommen. An dieser Stelle soll deshalb nur auf zwei Sammelbände und eine umfangreiche Studie zum Thema hingewiesen werden. Literatur weiterlesen

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Die fortgeschrittenen Technologien der Grenzkontrollen scheinen in mehrfacher Hinsicht entfernt. Das klassische Bild einer physisch gesicherten und nur an Kontrollstellen durchlässigen Grenze ist für Europäer*innen erst an den Schengen-Außengrenzen erfahrbar. Werden diese in ihrem teilweise und zunehmend befestigten Formen in den Blick genommen, so sehen wir regelmäßig nur die durch Zäune, Mauern, Gräben, Wachtürmen errichteten Grenzen. Kaum bis gar nicht wahrnehmbar sind hingegen die mit den Potenzialen der Digitalisierung aufgerüsteten Formen der Überwachung des Grenzraums, der Kontrolle von Einreisewilligen sowie der präventiven Durchleuchtung der Grenzgeschehens. Der Wandel staatlicher Grenzen seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert ist verbunden mit der Etablierung neuer Grenzkontrolltechnologien. Wer letztere verstehen will, muss zugleich in Rechnung stellen, dass Funktionen, Formen und Orte von (staatlichen) Grenzen sich verändert haben.

Mit der Europäisierung des Außengrenzgeschehens hängt vermutlich zusammen, dass zu diesem Thema nur wenige Text in Deutsch vorliegen. Wir geben im Folgenden eher Hinweise auf wenige leicht oder kostenlos zugängliche Veröffentlichungen, die einen exemplarischen Zugang zum Thema ermöglichen. Damit werden wir weder der umfänglichen Diskussion über den Form- und Bedeutungswandel von Grenzen gerecht, noch den vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die kritische Öffentlichkeit herstellen, Protest und Solidarität mit durch Grenzen Ausgeschlossenen praktizieren. In den Beiträgen des Schwerpunktes finden sich entsprechende Hinweise. Literatur weiterlesen

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In dem Jahrzehnt seit unserem letzten Schwerpunkt zur „Kontrolle der Polizei“ (CILIP 99) sind Fortschritte zu verzeichnen: Einige Bundesländer haben immerhin eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen eingeführt, andere haben neue Kontrolleinrichtungen geschaffen. Die Phalanx derjenigen, die in persönlicher Verantwortlichkeit und institutioneller Transparenz eine Bedrohung für den Staat sehen, ist brüchig geworden. Gleichwohl bleiben die Formen und Chancen zur Kontrolle der Polizei hinter dem Möglichen und demokratisch Gebotenen zurück. Die nicht genutzten Möglichkeiten zeigen sich im Vergleich zu den Kontrollmechanismen, die in anderen liberalen Demokratien bestehen. Das Gebotene ergibt sich aus dem Umstand, dass Auftrag, Tätigkeitsfelder, Instrumente, institutionelle und rechtliche Entgrenzungen dazu geführt haben, dass unter „Kontrolle der Polizei“ mehr verstanden werden muss als die der handelnden Polizist*innen, in die sich häufig das „Kontrollproblem“ zu erschöpfen scheint. Dass eine Polizei, die mit verdeckten Methoden arbeitet, die in hybriden Formen mit den Geheimdiensten kooperiert, die eingebunden ist in internationale Operationen und beteiligt ist an EU-Polizeiagenturen anders kontrolliert werden muss, als es das herkömmliche liberal-demokratische Ideal vorsieht, diese mehrfache Herausforderung hat sich in der aktuellen deutschen Diskussion kaum niedergeschlagen. Literatur weiterlesen

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Kann man zugleich vor den Gefahren des Feuers warnen und selbst neues Brennholz zur Verfügung stellen? Eindeutig „ja“, wenn der Blick auf die Innen- gleich Polizeiminister*innen, auf die Polizeipräsident*innen und -funktio­när*innen fällt: Vormittags warnen sie öffentlichkeitswirksam vor den Gefahren, die der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ und einer liberalen Gesellschaft durch Extremismen und „Fremdenfeindlichkeit“ drohen. Und am Nachmittag haben sie kein Problem damit, mit dem Kampf gegen die „Clankriminalität“ einen rassistischen Diskurs mit quasi staatsoffiziellen Würden zu versehen. Dass dieser Begriff weder kriminologisch noch einen kriminalistischen Sinn macht, ist offenkundig. Inwiefern er wenigstens geeignet ist, einzelne Phänomene kriminellen Verhaltens beschreibend „auf den Begriff“ zu bringen, darf bezweifelt werden. Eindeutig ist hingegen: „Clankriminalität“ ist von hohem inszenatorischem Wert: Der Feind, das sind die „Fremden“ – arabisch-libanesische Groß- bzw. Riesenfamilien mit undurchschaubaren Verflechtungen, abgeschottet von „uns“, deren Freiheit und Reichtum sie durch ihr skrupellos-raffiniertes kriminelles Handeln bedrohen. „Die“ und „Wir“, unterschieden durch ethnische Zuschreibungen: das ist die klassische Dichotomie des Rassismus. Die, die sie nutzen, haben auch kein Problem damit, dass ihre Verwendung notwendig alle jene trifft, die dem ethnisch definierten „Die“ zugerechnet werden. So werden nicht nur gesellschaftlich wirkmächtige Feindbilder erzeugt, sondern zugleich werden die vermeintlichen „Clanmilieus“ zum Objekt besonderer staatlicher Überwachung und Schikane. Bereits die Razzia (nicht deren Ergebnis) bestätigt das Feindbild aufgrund dessen sie initiiert wurde. Die verheerenden Folgen derartiger Feinderklärungen – für die Integration, für das friedliche Zusammenleben, für eine vor ungerechtfertigten und unverhältnismäßigen Staatseingriffen geschützte Gesellschaft – nehmen die Propagandist*innen der „Clankriminalität“ sehenden Auges in Kauf. Zu nützlich scheint das Konzept, die je eigenen  Interessen zu befördern. Literatur weiterlesen

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Ungewiss, was aus der Europäischen Union wird. Zweifellos ist das „Europäische Projekt“ seit anderthalb Jahrzehnten in einen Zustand der Dauerkrise verfallen, der größere Schritte der „Vergemeinschaftung“ verhindert, der aber gleichzeitig durch den permanenten, emsigen und vieldimensionalen Ausbau europäischer Verflechtungen gekennzeichnet ist. Diese „Inkrementalismus“, das vorsichtige Austasten und Ausbauen neuer Felder, Strategien und Instrumente kennzeichnet auch und insbesondere den Bereich der „polizeilichen und (straf)justiziellen Zusammenarbeit“. Das Gebilde „sui generis“, das die Union jenseits von Bundesstaat und Staatenbund darstellen soll, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass das Mischungsverhältnis zwischen europäisierten und mitgliedstaatlichen Politikbereichen dauerhaft umstritten ist – und dass sich im dauerhaften Krisenmodus in dem Maße Konsens zwischen den Akteuren erzielen lässt, wie es gelingt, Themen, Fragen, Probleme als solche der Inneren Sicherheit zu adressieren. Polizei- und Strafverfolgungskooperationen – so die Vermutung – haben das Potential, zum Kern dieser neuen Art von „Europäisierung“ zu werden. Es folgt ein Blick auf ausgewählte deutschsprachige Veröffentlichungen der jüngeren Vergangenheit. Literatur weiterlesen

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Gesetze werden nicht für die Ewigkeit geschaffen. Dass sie geändert werden, wenn die Dinge, die sie regeln sollen, sich ändern, das ist trivial und gilt selbstverständlich auch für die Polizeigesetze in Deutschland. Was hingegen bemerkenswert ist, sind zwei Umstände: Erstens wird das Polizeirecht seit fünf Jahrzehnten einer unendlich scheinenden Zahl von Novellierungen unterworfen; kaum ist eine Neuerung etabliert, wird die nächste bereits vorbereitet. Zweitens kennt das Polizeirecht nur eine Entwicklung: Immer geht es um die Erweiterung von Befugnissen, um die Legalisierung neuer Polizeimethoden, um die Einschränkung von Grund- oder den Abbau von Schutzrechten (nur sehr vereinzelt gab/gibt es temporäre Abweichungen von diesem Trend). Hinzu kommt der Umstand, dass die deutsche „Polizeiverfassung“ neben den beiden Bundesgesetzen zum Bundeskriminalamt (BKA) und zur Bundespolizei (und zum Zoll als aufstrebender Quasi-Polizei) sechzehn Landespolizeigesetze kennt, über die die Novellierungswellen in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität hinwegrollen. Ein im Detail unübersichtliches Feld, in ständiger Bewegung. Literatur weiterlesen

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Das Thema Sexualität und Gender lässt sich nicht ohne weitere Herrschaftsverhältnisse betrachten. Wir verweisen daher einerseits auf unsere ausführliche Literaturbesprechung feministischer Perspektiven auf Alternativen zu Polizei im Sinne von #BlackLivesMatter in unserer letzten CILIP-Ausgabe (Nr. 125, April 2021, S. 104-108). Zum anderen widmen wir die folgende Rezensionssektion dem Thema Intersektionalität. Literatur weiterlesen