Archiv der Kategorie: Editorials

Das Editorial der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
Für alle Ausgaben online verfügbar.

Redaktionsmitteilung

Mit dem Auftreten der „Black Lives Matter“-Bewegung und der folgenden Debatte über rassistische Polizeigewalt wurde auch die Rolle der Polizei in den Kolonien thematisiert. Anlass auch für die CILIP-Redaktion, sich dieses Themas anzunehmen. Das deutsche Kolonialreich hatte eine Ausdehnung von immerhin 2,9 Mio. Quadratkilometern, in denen damals ca. 12.3 Mio. Menschen lebten. Es reichte vom heutigen Namibia (Deutsch-Südwestafrika) bis nach Ozeanien (Deutsch-Samoa). Dennoch spielt es in der öffentlichen Gedenkpolitik fast keine Rolle – oder wird auf den Genozid an den Herero und Nama sowie den Raub historischer Artefakte und kulturellen Eigentums reduziert. Völkermorde gedenkpolitisch einzuhegen, damit kennt man sich aus in Deutschland. Aber dass das Verbrechen bereits mit der Enteignung und Ausbeutung, mit alltäglicher Gewalt und Entmenschlichung der indigenen Bevölkerung begann, gerät dabei aus dem Blick.

Gewalt im modernen Staat ist auch immer Sache der Polizei: weil sie private Gewalt duldet und stützt oder weil sie selbst Gewalt anwendet. Nirgendwo wurde diese doppelte Verflechtung deutlicher als in den Kolonien. Imperialistisch motiviert und rassistisch unterlegt stützten die Polizeien die Herrschaft des Kolonialstaats und der weißen Siedler, auch mit den Mitteln brutaler und entgrenzter Gewalt. Das vorliegende Heft wirft aus unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf die Geschichte der Polizei im Kolonialismus in Europa und den USA und damit auch auf die Geschichte der Polizei insgesamt. Dabei wird es auch um die Spuren gehen, die die Ausübung der Staatsgewalt in annektierten und besetzten Ländern, aber auch in den Zentren der Kolonialreiche hinterlassen hat. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Seit 1978 finden sich in Bürgerrechte & Polizei/CILIP wissenschaftliche, akademische, journalistische und aktivistische Texte. Seitdem wollte CILIP nicht nur selbst dokumentieren und analysieren, sondern auch eine Plattform für diejenigen sein, die Polizei – und die Geheimdienste – aus bürgerrechtlicher Sicht kritisieren. Mit dem Schwerpunkt dieser Ausgabe haben wir versucht, diesen Anspruch auf besondere Weise umzusetzen.

Bereits mit Heft 125 (April 2021) mit dem Titel „Lieber ohne Polizei?“ hatten wir die Forderungen nach „defund the police“ aufgegriffen, die durch den gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA auch in Deutschland viel Zuspruch fanden. Im Kontext der „Black Lives Matter“-Bewegung wurde nicht allein die Kürzung und Umverteilung der Mittel für die Polizei gefordert, sondern auch deren Abschaffung. „Abolish the police“ war für uns der Anlass, uns verstärkt mit dem Thema Abolitionismus auseinanderzusetzen. Dazu haben wir uns 2023 an dem Kongress „Abolitionismus Jetzt“ in Berlin beteiligt und haben dort Aktivist*innen von Ihr seid keine Sicherheit (ISKS) kennengelernt. Im Austausch reifte die Idee, ISKS als externe Redaktion für ein Heft zum Schwerpunkt Abolitionismus zu gewinnen. Die Idee trug Früchte; Ergebnis ist das vorliegende Heft. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Vorwort von ISKS

Es war nicht einfach, dieses Heft zusammenzustellen. Während wir Beiträge sammeln und bearbeiten, erleben wir gleichzeitig einen repressiven und autoritären Staat wie schon lange nicht mehr. Ge-noss*innen werden täglich von der Polizei verprügelt, aus ihren Uni-versitäten geschmissen, ihre Arbeitsstellen werden von einem Tag auf den anderen gekündigt.

In diesem Kontext fundierte Texte zu schreiben scheint manchmal nebensächlich und oft unmöglich, das ist auch die Erfahrung vieler unserer Beitragenden, die aus der Bewegung kommen. Und doch sehen wir gerade jetzt eine große Bedeutung darin, Abolitionismus weiter zu fokussieren und auch praktische Perspektiven aus dem Deutschen, bzw. hier primär Berliner, Raum aufzuzeigen. Vorwort von ISKS weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Seit die deutschen Polizeien Anfang der 1970er Jahre die Phase der Restauration verließen, gehört der Glaube an die technische Herstellbarkeit von Sicherheit zum Mantra polizeilicher Zukunftshoffnungen. Insofern ist es kein Wunder, dass der Hype um Digitalisierung und die ungeahnten Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz Eingang in Sicherheitsprogramme gefunden haben. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Hessen – um nur auf ein aktuelles Beispiel zu verweisen – überschlägt sich im Kapitel zum „starken Staat“ mit entsprechenden Vorhaben: „technische Innovationen“ nutzbar machen, „digitale Lösungen zur Effizienzsteigerung“ einführen, „die technischen und wissenschaftlichen Kompetenzen weiter … erhöhen“, eine „smarte Polizei“ soll geschaffen werden, „Polizei-Cloud“ und „Innovation Hub 110“ sollen ausgebaut und um eine „Digital Academy 110“ erweitert werden. Daneben werden Investitionen in „Body-Cams, Distanzelektroimpulsgeräte (‚Taser‘), Car-Cams, Drohnen, Smartphones und IT-Geräte“ angekündigt. Lapidar vermerkt der Koalitionsvertrag, dass man die für den Einsatz erforderlichen Rechtsgrundlagen schaffen werde. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Kreativ und zerstörerisch soll er sein, der Kapitalismus. Letzteres gilt nicht nur für ökonomische Verhältnisse, sondern seit jeher auch für die Institutionen, welche die herrschende Produktionsweise sichern und eigennützig mitgestalten. Doch welche neuen Formen der Kontrolle wachsen auf den Trümmern der alten Verhältnisse? Hieß es vom Neoliberalismus, dass die marktkonforme Selbstregierung der Privilegierten mit der autoritären Ausschließung der „überflüssigen“ Armen korrespondiert, ist aktuell unklar, ob sich dieses Modell nun lediglich verschärft oder bereits Platz für Neues macht.

Mit dem vorliegenden Heft betrachten wir exemplarisch einige aktuelle Entwicklungen. Einerseits zeigen die Beiträge des Schwerpunkts Kontinuitäten: Staatliches „Polizieren“ und Strafen gilt primär den sozialen Randgruppen. Vom Strafvollzug bis zur Gentrifizierung werden gesellschaftliche Probleme durch „Versicherheitlichung“ verschärft; teilweise mittelbar, teilweise aber auch ganz direkt zur Durchsetzung mächtiger (Kapital)Inter­essen. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Klimawandel, Aufstieg der Rechten, Machtkonzentrationen im Finanzmarktkapitalismus – viele Aspekte der „multiplen Krise“ spitzen sich gegenwärtig zu und sind daher zunehmend umkämpft. Entsprechend deutlich zeigt ein Blick auf das Gewaltmonopol im Jahr 2023, wie die Polizei die herrschende Ordnung nicht nur absichert, sondern, wenn nötig, auch gegen Protest durchsetzt. In Lützerath etwa räumten im Januar über 3.000 Beamt*innen ein Dorf für einen börsennotierten Energieversorger. Die dabei eingesetzte Gewalt galt teils als unverhältnismäßig und mithin rechtswidrig. Auch in Leipzig, wo die Stadt im Juni Demonstrationen gegen die Verurteilung einer militanten Antifaschistin verboten hatte, dürften Bundes- und Landespolizei den legalen Rahmen überschritten haben: Sie riefen die Bahn zur Meldung „linker“ Anreisender auf und kesselten selbst Minderjährige stundenlang ein. Redaktionsmitteilung weiterlesen

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Um 1860 begann der britische Kolonialbeamte William James Herschel in Bengalen Fingerabdrücke zu nutzen, um Betrug bei der Auszahlung von Ruhegehältern an pensionierte Sepoys, die subalternen indischen Soldaten, zu verhindern. Damit legte er das Fundament für die Biometrie, die sich heute zur Schlüsseltechnologie entwickelt hat für die Kontrolle von grenzüberschreitender Mobilität und Migration, aber in wachsendem Maße auch der einheimischen Bevölkerung. Als „kolonialen Bumerang“ beschrieb Michel Foucault das Phänomen, dass Praktiken und Technologien, die in den Kolonien zur Durchsetzung und Sicherung imperialer Herrschaft entwickelt wurden, früher oder später auch in ihrem Mutterland zum Einsatz kommen. Redaktionsmitteilung weiterlesen

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„Das ist mein Land, und du bist hier zu Gast“ und „halt‘ die Fresse, fass‘ mich nochmal an. (…) Ich bringe dich ins Gefängnis“ äußerte im September 2022 ein Berliner Polizeibeamter gegenüber einer Syrerin, nachdem er sich mit einem Kollegen Zugang zu ihrer Wohnung verschafft und ihren Ehemann im Beisein der Kinder gefesselt hatte. Anlass des Einsatzes: eine nicht getilgte Geldstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein in Höhe von 750 Euro. Der Vorfall zeigt nicht nur offenen Rassismus und die rechtswidrige Androhung unbegründeter Zwangsanwendung. Bezeichnend ist auch, dass er erst durch ein von der Frau angefertigtes und von Politiker*innen verbreitetes Video öffentlich diskutierbar wurde. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Wer dieser Tage in die Zeitung schaut, könnte meinen, das Abendland sei wieder am Untergehen. In NRW behauptet die Justizministerin, kriminelle Clans stünden „über dem Recht“. In Essen seien nach einer Schlägerei von ein „paar hundert Arabern“ die „Anwohner angewidert“ und der „deutsche Staat“ machtlos, weiß die WELT. Weil dies die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetze, verfolgt der Innenminister von NRW eine „Null-Toleranz-Strategie“. Auch der Bundesinnenministerin machen Clans „viel Sorge“, denn sie störten „Familien mit Kindern“ (keine Clans) bei ihren Freibadbesuchen. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Ist die Europäische Union mit ihrem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ ein Staat neuer Prägung? Diese Frage hat unseren geliebten Freund und Mitstreiter Heiner Busch seit dem Amsterdamer Vertrag 1997 bis zu seinem viel zu frühen Tod am 21. September des letzten Jahres umgetrieben. Von ihm stammt auch der Vorschlag für ein Heft, das auch frühere CILIP-Analysen auf ihre Brauchbarkeit abklopft: Handelt es sich bei der EU um ein Staatengebilde mit einem Recht, das vor allem Befugnisse, aber wenig Grenzen kennt? Ist es ein exekutivlastiges Konstrukt mit polizeilichen Agenturen und einer Europäischen Staatsanwaltschaft, das neu(artig)e Institutionen im Bereich der staatlichen Gewalt geschaffen hat? Redaktionsmitteilung weiterlesen