Das Forschungsprojekt wurde in den Jahren 1993 bis 1996 von der Volkswagen-Stiftung finanziert. Die Ergebnisse wurden als Buch veröffentlicht.[*]
Ausgangspunkt der Untersuchung waren die sich wandelnden Strategien und Methoden polizeilicher Verbrechensbekämpfung, die für die letzten beiden Jahrzehnte in der Bundesrepublik leicht wahrgenommen werden können: die Abkehr von reaktivem zu proaktivem Handeln („vorbeugende Verbrechensbekämpfung“), die Aufweichung des „konkreten Verdachts“ als Eingriffsvoraussetzung, die Aufnahme ehemals den Nachrichtendiensten vorbehaltener Mittel in das polizeiliche Repertoire, die mit der Einführung neuer Straftatbestände verbundenen erweiterten Kompetenzen in der Strafverfolgung etc. Diese Veränderungen, so die Ausgangsthese, bedeuten mehr als nur die Reaktion auf neue Kriminalitätsformen. Sie bewirken vielmehr einen Wandel in den Strukturen der Verbrechensbekämpfung – mit Auswirkungen insbesondere auf das Verhältnis zwischen BürgerInnen und den „Organen der Strafverfolgung“.
Am Beispiel des zentralen Begriffs der polizeipolitischen Diskussion in den 90er Jahren, dem der „organisierten Kriminalität“ (OK), hat das Projekt diese Tendenzen quantitativ und qualitativ genauer bestimmt und ihre Folgen für die Bürgerrechte analysiert. Gestützt auf die Auswertung der politischen, juristischen und polizeilichen Diskussionen sowie auf 72 halbstandardisierte Interviews, die mit PolizistInnen und StaatsanwältInnen geführt wurden, zeichnete das Forschungsprojekt sowohl die spezifische „Logik von OK-Ermittlungen“ wie einzelne Aspekte der „OK-Bekämpfung“ nach. Insbesondere wurden die Veränderungen polizeilicher Organisations- und Arbeitsweisen gegenüber OK, die Verformungen, die das Eingriffsrecht angesichts der OK-Bedrohung erfährt, sowie die Kooperationsformen zwischen OK-Polizeien und Staatsanwaltschaften untersucht.
Im Ergebnis stellen die polizeilichen Anti-OK-Strategien eine vordergründige Antwort auf die wahrgenommene oder vermutete Bedrohung durch organisierte Kriminalität dar. Der Glaube an die Hintermänner verlangt Strategien der Infiltration, die verborgenen OK-Strukturen verlangen, dass ganze Milieus überwacht werden, und die Professionalität erfolgreicher OK kann nur dadurch angegangen werden, dass legale Verhaltensweisen unter polizeilichen Verdacht geraten. Zugleich zeigt die Untersuchung, dass „Organisierte Kriminalität“ keine Beschreibung krimineller Wirklichkeit ist, sondern Resultat eines Zuschreibungsprozesses, der von den angewandten polizeilichen Strategien und Methoden bestimmt wird.
Aus bürgerrechtlicher Perspektive fällt die Diagnose der Untersuchung verheerend aus: Mit dem „OK-Komplex“ hat sich ein polizeilich-staatsanwaltschaftlicher Sonderbereich herausgebildet, der souverän die vom Gesetzgeber eingeräumten Spielräume nutzt und sich im Kampf gegen eine vermeintlich übermächtige Bedrohung von herkömmlichen rechtsstaatlichen Prinzipien verabschiedet hat.
[*] Norbert Pütter: Der OK-Komplex. Organisierte Kriminalität und ihre Folgen für die Polizei in Deutschland, Münster 1998, 450 S., 62,00 DM, ISBN 3-89691-439-1