Alle Beiträge von CILIP-Redaktion

Polizeigewalt in Deutsch-Südwestafrika: Die berittene Landespolizei

von Marie Muschalek

Der Aufbau der Polizei in Deutsch-Südwestafrika (DSWA) erfolgte nach dem Genozid an den Herero und Nama 1905. Sie war geprägt von ihrer Aufgabe, die koloniale Ordnung durchzusetzen und den weißen Siedler*innen ausreichend Arbeitskräfte zuzuführen. Der Einsatz von Gewalt war dabei allgegenwärtig und selbstverständlich, ihre Anwendung folgte scheinbar pragmatischen Erwägungen und polizeilichem Erfahrungswissen mehr als rechtlichen Vorgaben. 

Koloniale Polizeieinheiten waren Zwangsinstrumente von erheblichem Wert für den Staat, deren Hauptzweck darin bestand, Einnahmen für den Kolonialstaat zu generieren, billige Arbeitskräfte zu organisieren und zu überwachen sowie europäisches Eigentum zu schützen. In diesen Funktionen unterschied sich die Kolonialpolizei im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nur wenig von der Polizei im Mutterland.[1] Spezifisch für die koloniale Situation war hingegen die gewaltvolle Eroberung und Unterwerfung indigener Bevölkerungen, ihre Entmenschlichung und Entwürdigung durch rassistische Ideologien und die Enteignung ihres Landes, das daraufhin in einigen Territorien durch weiße Siedler*innen okkupiert wurde. Basierend auf meinem Buch möchte ich im Folgenden einen kleinen Einblick in die Geschichte der Polizei im kolonialen Namibia, ihren Aufbau und ihre gewaltvollen Arbeitsweisen geben.[2] Zwischen 1884 und 1915 war Namibia unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika die Siedlerkolonie des deutschen Kaiserreichs. Dort kontrollierte eine recht kleine Polizeitruppe von sowohl weißen als auch schwarzen Männern ein immenses, dünn bevölkertes und besiedeltes Gebiet. Polizeigewalt in Deutsch-Südwestafrika: Die berittene Landespolizei weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

 „Die unermeßliche Vielfalt jener Erscheinungen, die man auf den ersten Blick unter ‘Kolonialismus‘ fassen kann,“ schreibt Jürgen Osterhammel in seinem 1995 erschienenen kompakten Überblick, „dämpft freilich jeden Willen zu terminologischer Genauigkeit“ (S. 8). Eine solche Viel- und, mag man hinzufügen, Einfalt findet sich auch in den militärischen und polizeilichen Kolonialkonzepten gegen die Kolonisierten, die bis heute vorrangig aus Sicht Forschender aus eben jenen Kolonialmächten beschrieben werden. Denn, so Osterhammel weiter, „Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen“ (S. 21).

Das ging (und geht) sich fast überall nur mit militärischer und/oder polizeilicher Pazifizierung, mit mörderisch staatlicher, Söldner- und/oder kommerziell organisierter Gewalt aus, in deren Strukturen häufig auch die Kolonisierten selbst eingebunden waren. Die nachfolgende Literaturauswahl kann dazu nur einen Einblick geben; neben den wenigen Veröffentlichungen zu den deutschen Kolonialpolizeien berücksichtigt sie nur exemplarisch Studien über das Wirken anderer Kolonialmächte. Literatur weiterlesen

136 (Dezember 2024) Polizei und Kolonialismus

Redaktionsmitteilung

Polizei und Kolonialismus
Dirk Burczyk
Polizeiaufbau in South-Carolina 
Dominik Nagl
Polizeigewalt in Deutsch-Südwestafrika
Marie Muschalek
Biometrie im kolonialen Kontext
Ingo Dachwitz
Polizeiaufbau in Südamerika im 20. Jahrhundert
Fabian Bennewitz
Kolonialrevisionismus nach 1918
Heiko Wegmann

MEGAVO und Rassismus in der Polizei
Norbert Pütter
Rückblick auf die UEFA EM
Dirk Burczyk
Polizeiliche Todesschüsse 2023
Otto Diederichs

Inland aktuell
Meldungen aus Europa
Literatur
Autor*innen dieser Ausgabe

 

100 Tage Bundespolizeibeauftragter

Marie-Theres Piening

In den letzten zehn Jahren wurden in einigen Bundesländern Landespolizeibeauftragtenstellen geschaffen; seit dem 14. März 2024 hat auch der Deutsche Bundestag in der Person Uli Grötsch seinen ersten Bundespolizeibeauftragten. Uli Grötsch, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und zuvor über 20 Jahre als Polizeibeamter in Bayern tätig, legte Ende Juni einen „100 Tage“-Bericht vor, der erste Einblicke in seine Arbeit gibt.[1]

Im Bericht wird daran erinnert, dass eine „unabhängige[n] Stelle[n] zur Untersuchung von Beschwerden gegen mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Polizei“ von Menschenrechtsorganisationen sowie mit dem Themenfeld Polizeigewalt und Rassismus befassten Wissenschaftler*innen bereits seit den 80er Jahren gefordert wird. Weiter wird die „gewichtige Aufgabe“ der Stelle betont, „strukturelle Mängel und Fehlentwicklungen bei den Polizeien des Bundes aufzudecken und zu untersuchen“ (S. 3). Als „allererste Aufgabe“ nennt der Bericht den Aufbau von Vertrauen – in der Bevölkerung und der Polizei. Racial Profiling dürfe es nicht geben. Ferner gehe es darum, „Bürger:innen und Polizei näher zusammenzubringen und signifikant für ein partnerschaftliches Verhältnis von Polizei und Gesellschaft einzutreten“ (S. 4). 100 Tage Bundespolizeibeauftragter weiterlesen

The Spies Who Ruined Our Lives/ Die Spitzel, die unser Leben ruinierten

Germany premiere of the film about a secret British unit of undercover political spies

For over 40 years, British undercover agents spied on people in the UK and many other countries. The police unit infiltrated more than 1,000 activist groups. To carry out their spying, the police stole the identities of deceased children. Under false identities, they started relationships with women, had sexual relations and even children. As soon as they had achieved their goals, they disappeared without a trace.

1 October, 7 pm
Aquarium, Skalitzer Straße 6, Berlin
U8 Kottbusser Tor

The truth about the department only slowly came to light after the exposure of police informer Mark Kennedy in 2010, who was mainly targeting climate groups. Since 2015, the events have been clarified in a judicial investigation. Important hearings are held in secret. However, several dozen real names of the police spies are now known.

The film “Spies who Ruined our Lives” shows the shocking extent of the spycops scandal. It becomes clear how the police unit became increasingly autonomous. Some of its officers were also deployed in Germany. Their superiors were interested in Rudi Dutschke, anti-racist groups in West Germany and organizing against the 2007 G8 summit in Heiligendamm. Jason Kirkpatrick and Matthias Monroy report on this following the German premiere.

The Spies Who Ruined Our Lives
Co-Directors: Justyn Jones, Madoc Roberts
Co-Producer: Jason Kirkpatrick
2024, 90 minutes, English original version
https://www.spieswhoruinedourlives.com The Spies Who Ruined Our Lives/ Die Spitzel, die unser Leben ruinierten weiterlesen

„Community schafft keine Sicherheit“: Interview mit Bethi Ngari von Women* in Exile

Fünf Jahre hat Bethi Ngari in verschiedenen Geflüchtetenunterkünften, die sie nur Lager nennt, in Berlin und Brandenburg gelebt. Gemeinsam mit anderen Frauen*, die von der doppelten Diskriminierung als Frauen* und Migrantinnen* betroffen und über ihre Kinder vernetzt waren, wehrte sie sich gegen die Missstände der Lager. Im Jahr 2002 gründeten sie Women* in Exile, haben sich Wissen, Selbstbewusstsein und Räume angeeignet. Heute hält Women* in Exile Kontakt zu Frauen* in Lagern, gibt Workshops für geflüchtete Frauen*, spricht auf Demonstrationen und Konferenzen und ist Teil (inter-)nationaler Netzwerke. Im Interview beschreibt Bethi, wie die Lager Protest erschweren und selbst eine basale Sicherheitsproduktion durch Community, wie sie Transformative Justice– oder Community Accountability-Konzepte herbeisehnen, verunmöglicht. Die Gruppe fordert daher abolitionistisch, Lager und rechtliche Restriktionen zum Wohnort abzuschaffen: Geflüchtete Frauen* sollen frei entscheiden können, wo sie wohnen. 

Erstaufnahmeeinrichtung, Asylbewerberübergangsheim, Ankerzentrum, Flüchtlingsunterkunft: Es gibt so viele verwirrende Wörter für das, was ihr bewusst einheitlich Lager nennt. Warum verwendet ihr diesen Begriff?

Bethi: Wir haben uns dafür entschieden, um klarzumachen, dass wir an Orten untergebracht sind, die wir uns nicht ausgesucht haben. Als Geflüchtete*r wird man nicht gefragt, was man will oder wo man bleiben will. Viele, die neu in die Lager kommen, denken, dass sie nur vorübergehend dort untergebracht sind, bis eine bessere Unterkunft gefunden ist. Aber bald lernen auch sie Menschen kennen, die schon seit Jahren im Lager leben. Die Lager lassen die Menschen verzweifeln, sie fressen ihre Hoffnungen, Träume und Ambitionen. Menschen werden dort gelagert. Die Sachen mit den Lagern ist die: Man verstaut dort Dinge, damit man nicht mehr über sie nachdenken muss. Man weiß, wo sie sind, man weiß, dass sie dort lange bleiben können, und man weiß, dass man sich nicht um sie kümmern muss. „Community schafft keine Sicherheit“: Interview mit Bethi Ngari von Women* in Exile weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Seit 1978 finden sich in Bürgerrechte & Polizei/CILIP wissenschaftliche, akademische, journalistische und aktivistische Texte. Seitdem wollte CILIP nicht nur selbst dokumentieren und analysieren, sondern auch eine Plattform für diejenigen sein, die Polizei – und die Geheimdienste – aus bürgerrechtlicher Sicht kritisieren. Mit dem Schwerpunkt dieser Ausgabe haben wir versucht, diesen Anspruch auf besondere Weise umzusetzen.

Bereits mit Heft 125 (April 2021) mit dem Titel „Lieber ohne Polizei?“ hatten wir die Forderungen nach „defund the police“ aufgegriffen, die durch den gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA auch in Deutschland viel Zuspruch fanden. Im Kontext der „Black Lives Matter“-Bewegung wurde nicht allein die Kürzung und Umverteilung der Mittel für die Polizei gefordert, sondern auch deren Abschaffung. „Abolish the police“ war für uns der Anlass, uns verstärkt mit dem Thema Abolitionismus auseinanderzusetzen. Dazu haben wir uns 2023 an dem Kongress „Abolitionismus Jetzt“ in Berlin beteiligt und haben dort Aktivist*innen von Ihr seid keine Sicherheit (ISKS) kennengelernt. Im Austausch reifte die Idee, ISKS als externe Redaktion für ein Heft zum Schwerpunkt Abolitionismus zu gewinnen. Die Idee trug Früchte; Ergebnis ist das vorliegende Heft. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Vorwort von ISKS

Es war nicht einfach, dieses Heft zusammenzustellen. Während wir Beiträge sammeln und bearbeiten, erleben wir gleichzeitig einen repressiven und autoritären Staat wie schon lange nicht mehr. Ge-noss*innen werden täglich von der Polizei verprügelt, aus ihren Uni-versitäten geschmissen, ihre Arbeitsstellen werden von einem Tag auf den anderen gekündigt.

In diesem Kontext fundierte Texte zu schreiben scheint manchmal nebensächlich und oft unmöglich, das ist auch die Erfahrung vieler unserer Beitragenden, die aus der Bewegung kommen. Und doch sehen wir gerade jetzt eine große Bedeutung darin, Abolitionismus weiter zu fokussieren und auch praktische Perspektiven aus dem Deutschen, bzw. hier primär Berliner, Raum aufzuzeigen. Vorwort von ISKS weiterlesen

Warum Abolitionismus? Theorie und Praxis einer nicht neuen Bewegung

von Hannah Vögele, Lara Möller und Rebecca Merdes

In diesem einleitenden Text heben wir drei Aspekte hervor, die Abolitionismus so relevant machen. Abolitionismus als kritische historische und materialistische Theorie und Gesellschaftsanalyse, die viele der Probleme unserer Zeit grundlegend angehen kann; Abolitionismus als praktischer Organisierungsansatz, der gerade in den letzten Jahren global viel Zuspruch gefunden hat; und zuletzt Abolitionismus als Gegenwarts- und Zukunftsperspektive, die nicht in der Kritik verbleibt, sondern direkt Alternativen aufbaut und sichtbar macht.

Den Ursprung des Abolitionismus finden wir in dem Befreiungskampf versklavter Menschen. Entgegen der Vorstellung, dass es weiße Abolitionist*innen in den imperialen Zentren waren, die die formelle Abschaffung der Sklaverei auf Basis moralischer Argumente erreichten, war Abolitionismus eine Bewegung für die volle soziale, politische – und menschliche – Emanzipation von versklavten und enteigneten Menschen, die weit über legale Emanzipation hinausreichte.[1] Es ging, kurz gesagt, nicht nur um das Abschaffen der Plantagen und des Eigentums an Menschen, sondern um das Projekt der Abschaffung einer Gesellschaft, die diese Beziehungen überhaupt möglich und nötig macht; also das Abschaffen der sozialen Beziehungen und Struktur eines globalen Systems, das auf Versklavung, Kolonialismus, Gewalt und Ausbeutung basiert. Das Fortleben dieses Systems bedeutet, dass Abolitionismus als Projekt noch nicht vollendet ist, und so kämpfen radikale Abolitionist*innen heute in dieser direkten Traditionslinie.[2] Warum Abolitionismus? Theorie und Praxis einer nicht neuen Bewegung weiterlesen

Nachruf auf Biplab Basu: Solidarity is a weapon!

von Lina Schmid und Gonca Sağlam für KOP Berlin

Biplab Basu ist am 14. März 2024 in Berlin verstorben. Zwei Mitstreiterinnen blicken zurück auf einen Revolutionär, dessen Schwerpunkt immer auf dem Zwischenmenschlichen lag. Um die Menschen sollte es gehen, was sie im Hier und Jetzt brauchen, und um Menschlichkeit. Für Biplab Basu hat die Arbeit nie bei abstrakten politischen Fragestellungen aufgehört. Stattdessen war ihm klar, dass sich Veränderung nur durch liebevolle und radikale Beziehungen zueinander erreichen lässt und indem wir alternative Räume schaffen, wo genau dies möglich ist.

Biplab, du hast dich nie als Abolitionist verstanden. Im Gegenteil, Abolitionismus war für dich ein Trend und ein ausgehöhltes Wort. Wer weiß, ob du überhaupt Erwähnung in dieser Ausgabe hättest finden wollen. Aber wir sind der Überzeugung, dass du fernab von Labels, Theorien oder sozialpädagogischen Konzepten ein Vorreiter und Leuchtturm warst. Du hast uns den Weg geebnet für vieles, wofür wir jetzt eine Sprache haben: Racial Profiling, Transformative Justice, Abolitionismus. Wenn wir eingeladen wurden, um über abolitionistische Praxis zu sprechen, hast du beim Wort geschmunzelt oder leise in dich hinein gekichert. Nachruf auf Biplab Basu: Solidarity is a weapon! weiterlesen