Selbsthilfe statt kommerzieller Sicherheit? ‚Guardian Angels‘ auch in Berlin

von Annette Wilmes

Eine Gruppe sehr junger Berlinerinnen und Berliner, die ältesten gerade Anfang 20, hat einen Verein gegründet. Nach ihrem New Yorker Vorbild nennen sie sich ‚Guardian Angels‘. Sie wollen den Fahrgästen in den Berliner S- und U-Bahnen ein Gefühl der Sicherheit geben – vor allem nachts.

In New York gibt es die ‚Guardian Angels‘ seit 1979. Die Organisation hat inzwischen mehrere Tausend freiwilliger Mitglieder in den USA, Kanada, Mexiko und Großbritannien. Allein durch ihre Anwesenheit versuchen sie auf den Straßen und in den U-Bahnen Drogen- und Gewaltkriminalität zu bekämpfen. Eine Selbsthilfe-Vereinigung als Bürgerwehr. Uniformiert marschieren sie durch besonders gefährdete Gebiete der Städte. Die meist sehr jungen Mitglieder der ‚Guardian Angels‘ rekrutieren sich häufig selbst aus dem Drogenmilieu und den Ghettos der Großstädte. Das gehört zum Programm. Die Jugendlichen sollen auf die richtige Seite gezogen werden, so ein Gruppenmitglied, viele von ihnen würden später Feuerwehrleute, Polizisten oder Gefängnisaufseher.1

Der Erfolg der ‚Angels‘ ist indes umstritten. Anwohner in New York sagen zwar, endlich könnten sie wieder ohne Angst durch die Straßen gehen. Die Verbrechens-Statistik des FBI allerdings zeigt kaum eine veränderte Zahl, seit die Angels patrouillieren.

Das allein wäre noch kein ernsthafter Einwand gegen die Aktivitäten der jungen Leute. Bedenklicher ist, daß sie in Wirklichkeit nicht so friedfertig sind, wie man sich ‚Schutzengel‘ allgemein vorstellt. Zwar geben sie sich unbe-waffnet, besitzen jedoch eine Karate-Ausbildung: Faustschläge und Fußtritte sind an der Tagesordnung. Sie ihrerseits haben sich schon häufiger Messer-stiche und Pistolenschüsse eingehandelt, einige ‚Guardian Angels‘ wurden dabei bereits lebensgefährlich verletzt oder gar getötet. „Wir führen Krieg“, sagt denn auch ganz unverblümt der Gründer des Vereins, Curtis Sliwa.2

Polizeiliche Aufgaben dürfen die ‚Angels‘ auch in New York nicht übernehmen. Dennoch durchsuchen sie häufig Menschen, die ihnen verdächtig vorkommen. Mit den persönlichen Rechten der Festgehaltenen nehmen sie es dabei nicht immer so genau. Finden sie tatsächlich etwas Verbotenes, z. B. Drogen, so halten sie die Betreffenden fest und alarmieren die Polizei.

Großes Interesse haben die ‚Guardian Angels‘ an der Mithilfe von Ge-schäftsleuten, die an einer ’sauberen Gegend‘ interessiert sind. In speziellen Fragebögen lassen sie auflisten, was in der Nachbarschaft passiert. So haben Anwohner denn auch schon häufig Nummernschilder von Fahrzeugen an die ‚Angels‘ weitergegeben, nur weil sie ihnen „fremd“ waren. Solche Informationen werden ohne Federlesen an die Polizei weitergegeben.

Bedenken und Reaktionen

Genau das ist es, was man befürchten muß, wenn eine solche Selbsthilfe-Gruppe aktiv wird. Das Klima der Angst (wobei noch zu fragen ist, ob dieses überhaupt zu beseitigen ist), wird eingetauscht gegen ein Klima des Denunziantentums.

Selbstjustiz wird den jungen Leuten vorgeworfen, und da ist sicher etwas dran. Denn selbst wenn die ‚Guardian Angels‘ Kurse in Recht und Politik absolvieren, wie sie dies vorgeben3, dann sind das wohl allenfalls Crash-Kurse ohne jede Kontrolle. Wer weiß, wie schwer häufig selbst die Polizei zu kontrollieren ist, dem schwant, was passieren kann, wenn energiegeladene junge Menschen beginnen, das Verbrechen zu bekämpfen. Ganz zu schweigen von einer anderen Gefahr. ‚Guardian Angels‘ treten uniformiert auf: rotes Barett, rote Jacken, meist Militärhosen und weiße T-Shirts mit dem Emblem der ‚Angels‘, das geflügelte Dreieck mit einem Auge (das Auge Gottes?), darunter die Aufschrift: „Guardian Angels – Safety Patrol“. Solch martialisches Äußeres, legt den Gedanken nahe, daß sich gerade rechts-radikale Jugendliche angezogen fühlen könnten. Fasziniert von einer Bürger-wehr, in der gewalttätiges Verhalten legitimiert zu sein scheint.

All das wollen die Jugendlichen, die gerade in Berlin ihren Verein gegründet haben, natürlich nicht. Sie wollen die öffentlichen Verkehrsmittel wieder si-cherer machen, und sonst nichts. Ob sie vor den genannten Gefahren allerdings gefeit sind, muß bezweifelt werden.

Die ‚Guardian Angels‘ in Berlin lassen sich von ihren Kollegen aus New York und London bereits ausbilden. Finanziert werden sie vorerst noch aus New York, später allerdings müssen sie sich mit Spendengeldern selbst über Wasser halten. Davon werden sie dann wohl auch ihre Fahrscheine kaufen müssen, denn die Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG) sind nicht bereit, die Selbsthilfe-Gruppe als Sicherheitsgruppe anzuerkennen.4 Auch die Senatsverwaltung für Inneres hält von den selbsternannten Hilfssheriffs nichts. Bürgerwehren lehnt sie rigoros ab,5 und das muß sie auch, denn hierzulande gibt es das staatliche Gewaltmonopol.

Auch die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus will das staatliche Gewaltmonopol „strikt beachtet“ sehen. Sie begrüßt jedoch, „daß junge Menschen bereit sind, sich freiwillig und aktiv für die innere Sicherheit einzuset-zen“.6

Höchst bedenklich wird es jedoch, wenn ein Kriminalbeamter den ‚Guardian An-gels‘ den Weg ebenen will. In der Fachzeitschrift ‚Kriminalistik’7 hat ein Duisburger Kriminaloberrat seinen Kollegen die New Yorker ‚Angels‘ vor-gestellt, nachdem er sich deren Arbeit vor Ort angesehen hatte. Ein Modell auch für uns, so seine Reaktion.

Was ihn fasziniert: „Sie arbeiten ohne Bezahlung als Bürger für Bürger und unterstützen den Selbstschutzgedanken.“ Hinter einer solchen Aussage steckt zumindest eine gehörige Portion Blauäugigkeit, die man von einem Krimi-nalbeamten so nicht erwartet hätte.

Und selbst wenn die Beobachtung für New York stimmen mag, so ist die Situation in Berlin noch lange nicht damit zu vergleichen. Um das Klima der z.T. sicher berechtigten Angst beseitigen zu helfen, sind ‚Guardian Angels‘ die falsche Antwort. Gegebenenfalls wäre dann zu fordern, die Verkehrsbetriebe sollten ihr Sicherheitspersonal erhöhen, das im Fall strafbarer Handlungen die Polizei alarmiert. Allerdings nur dann und nicht, wenn etwa ein Jugendlicher die Beine auf die Sitze legt oder ein Betrunkener andere Fahrgäste unwirsch anpöbelt. Mit solchen Situationen muß das BVG-Personal auch so fertig werden, ohne daß aufgereizte Situationen entstehen, die dann erst gefährlich werden.

Annette Wilmes, freie Rundfunkjournalistin in Berlin, bearbeitet hauptsächlich justizpolitische Themen, Autorin des Buches „Recht geschieht ihnen“, Ge-richtsreportagen, Köln 1986.
1 Kriminalistik 10/92
2 Der Spiegel v. 27.6.88
3 Stadtillustrierte zitty v. 17.9.92
4 Der Tagesspiegel v. 20.3.92
5 ebd.
6 Der Tagesspiegel v. 12.3.92
7 Kriminalistik 10/92