Nachruf auf Falco Werkentin

Am 20. August 2023 verstarb Falco Werkentin im Alter von 78 Jahren. Falco gehörte zu den Gründern von Bürgerrechte & Polizei/CILIP, und er war einer der Pioniere der sozialwissenschaftlichen Polizeiforschung in Deutschland. Sein emanzipatorisch fundiertes, bürgerrechtlich und staatskritisch ausgerichtetes Selbstverständnis lag auch seiner Auseinandersetzung mit der politischen Justiz der DDR zugrunde, der er sich nach dem Fall der Mauer widmete.

Im 50. Heft von CILIP hat Falco selbst den Entstehungskontext und die Anfangsjahre von CILIP nachzeichnet – freilich ohne seinen eigenen Anteil besonders zu erwähnen. Im Kontext von Berufsverboten und „Deutschem Herbst“, dem modernisierenden Ausbau der Polizeien und anderen Apparaten der Inneren Sicherheit, namentlich der Ämter für „Verfassungsschutz“ (diese Anführungsstriche waren ihm wichtig), und der zunehmenden Bedeutung, die diese Apparate für die Reaktion auf innenpolitische Konflikte nahm – von den Anti-AKW-Protesten bis zu den Hausbesetzungen – entstand in einer Gruppe um Wolf-Dieter Narr die Idee, der Entwicklung des Gewaltmonopols im Innern forschend, dokumentierend und publizierend auf der Spur zu bleiben. Gefördert durch die Berghof-Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung nahm dieses Vorhaben in der zweiten Hälfte der 70er Jahre konkrete Formen an. CILIP, der „Newsletter on Civil Liberties and Police Research“, der publizistische Teil dieses Vorhabens, hat bis heute überlebt.

Ohne Falco Werkentin hätte es diese Geschichte nicht gegeben. Denn er war in den Anfangsjahren (genauer bis CILIP 37) der verantwortliche Redakteur der Hefte. In der entstehenden alternativen Öffentlichkeit, zu der CILIP gehörte, bedeutete dieser Posten zugleich Verantwortlichkeit und Arbeit für alles: von der Werbung bis zum Schreiben der Artikel, von der Betreuung externer AutorInnen bis zur Herstellung des druckfertigen Layouts, damals noch mit Schere und Klebestift am selbstgebauten Lichttisch.

Das war Falcos Job in die diesen ersten Jahren; er konnte ihn nur bewältigen, weil es eben kein „Job“ für ihn war, sondern Teil eines politischen Engagements, für das weder die Bezahlung noch die häufig nächtlichen Arbeitszeiten ohne Belang waren. Diese tagespolitische Orientierung verband Falco mit Vorträgen und der Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen quer durch die Republik und seiner Arbeit in der Humanistischen Union.

Dass die Polizei das Instrument des staatlichen Gewaltmonopol ist, nahm Falco wörtlich. Ihn interessierten deshalb besonders die „harten“ Fakten der Institution Polizei: Bewaffnung, Ausrüstung, Manpower und Organisation. Die – bis heute fortgeführte – Dokumentation polizeilicher Todesschüsse geht auf seine Initiative zurück. Der Preis eines solchen Ansatzes liegt in der Bereitschaft (und der Fähigkeit), aus der genauen Kenntnis der Details Sachverhalte und Kontexte rekonstruieren zu können. In seiner Dissertation „Die Restauration der deutschen Polizei“ (1984), entstanden im Kontext der Berghof-Stiftung, hat er dies eindrücklich unter Beweis gestellt. Die Notstandsgesetze von 1968, so der Tenor der Arbeit, bildeten die Basis für die Modernisierung der Polizeien seit den 1970er Jahren.

Bereits 1977 hatte Falco gemeinsam mit Albrecht Funk „Die siebziger Jahre“ als „Das Jahrzehnt der inneren Sicherheit“ charakterisiert. Die innere Sicherheit hatte aber in den beiden Jahrzehnten davor nicht nur tagespolitisch eine geringe Rolle gespielt, auch wissenschaftlich war das „Gewaltmonopol im Innern“ weitgehend ignoriert worden. Das Schrifttum jener Zeit beschränkte sich auf rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; von wenigen Ausnahmen abgesehen, interessierten sich Sozial- und Politikwissenschaften nicht für die Polizei. Das änderte sich durch die Berliner Gruppe. Neben der Monografie von Falco entstanden im selben Zeitraum die Monografien von Albrecht Funk und Udo Kauß. 1984 erschien als Sammelband „Verrechtlichung und Verdrängung“, 1986 als Gemeinschaftswerk der Genannten mit Heiner Busch und Wolf-Dieter Narr „Die Polizei in der Bundesrepublik“. Kennzeichnend für diese Arbeiten blieb ein in die politischen und sozialen Kontexte eingebetteter institutionenbezogener Zugang. Zu den kollektiven Arbeiten gehörten auch eine Studie zu „Gewaltmeldungen aus Neukölln“ (1988) und ein Gutachten für die Bundestagsfraktion der Grünen: „Nicht dem Staate, sondern dem Bürger dienen“ (1990). Ohne Falcos Sachkenntnis, Engagement und Hartnäckigkeit wären diese Arbeiten nicht möglich gewesen.

In den 1980er Jahren gehörte die Kritik der Polizei- und Sicherheitsgesetzgebung zum Pflichtprogramm von CILIP und nota bene seines verantwortlichen Redakteurs. Falco war darüber hinaus besonders am politischen Strafrecht, am polizeilichen Staatsschutz und an den Ämtern für „Verfassungsschutz“ interessiert. Denn hier lagen die tagespolitischen Intentionen und Implikationen offen zutage – ein Interesse, das für seine Arbeit nach 1990 prägend blieb.

Kurz nach dem Bau der Mauer war Falco Werkentin in den Westen geflohen. Er studierte in West-Berlin Soziologie, arbeitete als Heimerzieher und war einer der Autoren von „Gefesselte Jugend. Fürsorgeerziehung im Kapitalismus“ (1971). Über diesen Umweg war er zur Polizeiforschung gekommen, die er seit Mitte der 1970er Jahre intensiv betrieb. Als die Mauer gefallen war, lag das Land seiner Jugend offen vor ihm. Genauer gesagt: dessen Archive. In den Jahren nach 1990 widmete er sich nicht der Geschichte der Volkspolizei (was nahegelegen hätte), sondern der Rolle der politischen Justiz in den 50er Jahren in der DDR. Sei zweites Hauptwerk „Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht“ erschien 1995. Im Kontrast zum „Staatsschutz“ westlicher Prägung, dem er sich in der Dekade davor so ausführlich gewidmet hatte, stellte er heraus, dass die politische Justiz in der DDR ein Instrument der Gesellschaftspolitik, der „Revolution von oben“, gelenkt und mitunter unmittelbar betrieben von der SED war. Während die (politische) Justiz im Westen „nur“ die herrschende Ordnung absicherte, hatte sie im Osten die Aufgabe, die politische Agenda der SED, etwa die Kollektivierung, durchzusetzen.

Seit Mitte der 1990er Jahre hatte Falco Werkentin sein wissenschaftliches Interesse von der Polizei ab- und der Bewältigung der DDR-Geschichte zugewandt. Als Stellvertretender Beauftragter für die Stasi-Unterlagen in Berlin hat er sich in den folgenden Jahren mit der Aufarbeitung der DDR-Unrechtsgeschichte beschäftigt.

CILIP setzt die Arbeit fort, die maßgeblich von Falco Werkentin begonnen wurde.

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