EKA, EDIU und EUROPOL

Weil sie in ihr die effektivste Lösung der Probleme rechtlicher, technischer und operativer Harmonisierung sehen, fordern viele innen- und sicherheitspolitische Experten der EG die Einrichtung einer gemeinsamen europäischen Polizeibehörde. Zur Bekämpfung des internationalen Drogenhandels hat der Europäische Rat im Juni 1991 die Bildung einer „Europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle“ beschlossen. Sie wird jedoch nur eine der Keimzellen für die zukünftige europäische Polizeibehörde sein.

Im Gefolge des Schengener Abkommens sind die Aktivitäten zur Bildung einer EG-weiten Polizei verstärkt worden. Durch den Wegfall der Grenzkontrollen im Binnenraum werde, so die Argumentation der Befürworter, die EG endgültig zu einer „kriminalgeographischen Einheit“1: der ungehinderten Mobilität der Straftäter könne nur durch eine polizeiliche Instanz begegnet werden, deren Zuständigkeit nicht an nationalen Grenzen aufhöre. Als Initiator in den verschiedenen Gremien der europäischen Zusammenarbeit trat immer wieder die Bundesregierung auf, die sich dabei auf einen breiten innenpolitischen Konsens stützen kann. Von den etablierten Politikern verließ lediglich EG-Kommissar Bangemann 1989 den bundesrepublikanischen Konsens, als er sich gegen eine „Euro“-Bundespolizei und eine europaweite „mobile Einsatztruppe“ aussprach.2

Wege zur Europa-Polizei

Seit Anfang der 70er Jahre sind die bundesdeutschen Sicherheitspolitiker um die Verbesserung der europäischen polizeilichen Zusammenarbeit bemüht. Als die Innenministerkonferenz 1973 ihren Arbeitskreis II (Polizeiangelegen-heiten) beauftragte, Vorschläge für die erforderliche Harmonisierung der Rechtsnormen zu machen, verband der damalige IMK-Vorsitzende, der rheinland-pfälzische Innenminister Schwarz, dies gleich mit der Forderung nach Einrichtung eines „Europäischen Kriminalamtes (EKA)“. In den 80er Jahren zeichneten sich zwei Wege ab, die zum Ziel der „Euro-Kripo“ führen sollen: über die Umgestaltung von Interpol und über die im Rahmen der EG geschaffenen Institutionen. Nachdem die deutsche Delegation bereits auf der Generalversammlung der IKPO-Interpol 1981 die Einrichtung eines europäischen Regionalbüros gefordert hatte (was u.a. zur Bildung des „Technischen Komitees für die Zusammenarbeit in Europa (TEC)“ führte), wurde auf Anregung des BKA durch die IKPO-Generalversammlung 1985 das dem Interpol-Hauptquartier nachgeordnete „Europäische Sekretariat (EuSec)“ gegründet, das im Januar 1987 seine Arbeit aufnahm. EuSec könnte Teil einer europäischen Polizeibehörde werden, die entscheidenden Schritte hierzu sind im Rahmen der EG in den letzten Jahren unternommen worden.

Bundeskanzler Kohl verband Reisen zu EG-Gipfeln regelmäßig mit der öf-fentlichen Forderung, „in der EG eine zentrale Instanz der Verbrechensbe-kämpfung“ zu schaffen. Mitte 1989 einigten sich sie Innen- und Justizminister der EG dann auf die Bildung einer „Zentralen Überwachungsgruppe“, die die Bekämpfung von Terrorismus, Drogenhandel und organisiertem Verbrechen koordinieren sollte. Statt der von der Bundesregierung geforderten neuen Behörde, deren Etablierung u.a. am Widerstand Frankreichs und Großbritanniens scheiterte, stellt die Überwachungsgruppe ein weiteres Koordinationsgremium dar, das in regelmäßigen Abständen zusammentritt und dem führende Justizbeamte von jeweils fünf der 12 EG-Mitgliedsstaaten angehören.

Im Rahmen der Drogen-Bekämpfungspolitik der EG beauftragten die TRE-VI-Minister am 15. Juni 1990 in Dublin die Mitgliedsstaaten, eine Studie zu erstellen „über die Notwendigkeit und die Bedingungen (…), unter denen es möglich wäre, eine europäische Drogen-Intelligence-Einheit einzurichten“. Sowohl die TREVI-III-Unterarbeitsgruppe, der im Dezember 1990 ein Stufenplan der deutschen Seite vorgelegt wurde, als auch der für die Durchführung des Anti-Drogenprogramms zuständige Ausschuß des Europäischen Rates (CELAD) beschäftigen sich mit entsprechenden Möglichkeiten. Auf ihrer Sitzung am 28./29. Juni 1991 in Luxemburg billigten die Staats- und Regierungschefs der EG die mittlerweile vorliegenden Pläne zur „Schaf-fung einer europäischen Drogenbeobachtungsstelle“. Unter der Überschrift „Kampf gegen den internationalen Drogenhandel und das organisierte Ver-brechen“ beschloß der Rat: „Vertragliche Festlegung auf die vollständige Einrichtung einer Europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle (‚Euro-pol‘) für diese Bereiche spätestens bis zum 31. Dezember 1993. (…) Dabei stufenweise Entwicklung der Europol-Aufgaben: zunächst Relaisstation für Informations- und Erfahrungsausstausch (bis 31. Dezember 1992), dann in zweiter Stufe Einräumung von Handlungsbefugnissen auch innerhalb der Mitgliedsstaaten, Vorschlagsrecht sowohl der Kommission als auch einzelner Mitgliedsstaaten“. Auf deutschen Vorschlag hin wurde unter den „Sofort- und vorbereitenden Maßnahmen“ zusätzlichen ein „entsprechender Bericht der zuständigen Minister an den Europäischen Rat in Maastricht im Dezember 1991 mit konkreten Vorschlägen zur Einrichtung von ‚Europol‘ und geeigneten Vorbereitungs- und Überbrückungsmaßnahmen“ gefordert.

Zwischenschritt EDIU

Die neue Zentralstelle mit Namen „European Drug Intelligence Unit“ (EDIU), ist somit der erste Schritt zur Einrichtung einer europäischen Polizeibehörde. Als „ersten Schritt“ weist nicht nur die Maßgabe des Luxemburger Beschlusses die EDIU aus, demzufolge „die tatsächlichen Modalitäten dieser Einrichtung, wie beispielsweise ihr Umfang, ihr institutioneller Aufbau und ihre EDV-Ausstattung noch zu erörtern sind“, sondern auch die Absichten, die insbesondere von deutscher Seite mit der EDIU verbunden werden. Bundesinnenminister Schäuble nannte 1989 einen Katalog von Aufgaben, die der damals noch angestrebten „Zentralstelle“ übertragen werden sollten:
„- Die Sammlung, Auswertung und Steuerung von Informationen über die polizeiliche Verbrechensbekämpfung in Europa,
-die technische und fachliche Betreuung des gemeinsamen Fahndungssystems,
– die Beoachtung der Kriminalitätsentwicklung in Europa und die Erstellung kriminalpolizeilicher Analysen und Statistiken,
– die Entwicklung gemeinsamer Bekämpfungsstrategien und Präventionsprogramme sowie
– die Fortbildung polizeilicher Führungskräfte durch Sprach- und Austausch-programme,
– die Einrichtung und Pflege gemeinsamer kriminaltechnischer Sammlungen, deren Unterhaltung in den einzelnen Staaten unwirtschaftlich und zu teuer ist,
– gemeinsame kriminaltechnische Labors und Großanlagen,
– ein europäisches Institut für Polizeiforschung“.

Zwar klassifizierte Schäuble dies noch als „Blick in die Zukunft“, aber der Beschluß hat die Weichen gestellt. Da das bisherige Drängen der deutschen Seite insofern erfolgreich war, werden die Versuche, die Behörde selbst aus-zubauen und mit zusätzlichen anderen Aufgaben zu betrauen, in nächster Zeit eher zu- als abnehmen. Verschiedene Vorschläge werden immer wieder von bundesdeutschen Sicherheitspolitikern gemacht. Wolfgang Schreiber, zuständiger Ministerialdirektor des Bundesinnenministeriums, empfiehlt für die erste Stufe die Entsendung von Verbindungsbeamten der nationalen Polizeien an die Zentralstelle. Dort sollten sie Zugriff auf ihre nationalen Informations-systeme erhalten, um dann „nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts relevante Informationen im Einzelfall auszutauschen“. Erst in einer weiteren „Ausbaustufe“ sollte eine gemeinsame Rauschgift-Datenbank eingerichtet werden. Die Rauschgiftverbindungsbeamten der europäischen Staaten der neuen Stelle zu unterstellen, lautet ein weiterer Vorschlag zur Konkretisierung von EDIU. Nordrhein-Westfalens Innenminister Schnoor stellte im Frühjahr 1991 der Öffentlichkeit ein „Drei-Stufen-Programm“ vor, das darauf abzielte, „eine europäische polizeiliche Infrastruktur“ herzustellen. Auf der ersten Stufe solle eine multinational besetzte Dienststelle geschaffen werden, deren Aufgabe in der Sammlung, Auswertung und Weitergabe von Nachrichten und Unterlagen (ohne Weisungs- oder Exekutivbefugnisse) bestehen soll. Die zweite Stufe bestünde darin, der Stelle beschränkte Weisungsbefugnis für Teile der Verbrechensbekämpfung in den Vertragsstaaten zuzugestehen. Auf der dritten Stufe soll das „europäische Polizeiamt“ bestimmte Ermittlungsverfahren übernehmen. Darüber hinaus befürwortet Schnoor den gemeinsamen Betrieb von Labors und Großanlagen, die für Einzelstaaten zu teuer sind.

Diese Position darf in der Bundesrepublik als sicherheitspolitischer Konsens gelten. Die im Luxemburger Beschluß erwähnte „Handlungsbefugnis“ der EDIU soll nach deutscher Lesart möglichst schnell durch internationale Exe-kutivbefugnisse und operative Kompetenzen zur Bekämpfung der Schwerst-kriminalität umgesetzt werden. Für Baden-Würtembergs Innenminister Schlee ist das „europäische Kriminalamt“ bereits Realität, wenn er in seinen „Zwölf Punkte(n) für die ‚Sicherheitsunion Europa'“ dessen „Servicefunk-tionen“ auch für „Nicht-EG-Staaten“ bereitstellen will. Außerdem befürwor-tet er als Antwort auf internationale kriminelle Organisationen die Bildung eines „europäischen mobilen Ermittlungskommandos“.

Bonn will ernten

Daß es der Bundesregierung mit ihren Vorstößen nicht nur ernst ist, sondern sie die Früchte der jahrelangen Bemühungen nun im eigenen Garten ernten möchte, erfuhr die Öffentlichkeit (vermutlich auch die EG-Partner) eher zu-fällig im Rahmen des Haushaltsentwurfs 1992, wo für die „Einrichtung einer europäischen Rauschgiftzentrale beim BKA in Wiesbaden“ ein Betrag von 4,9 DM angesetzt ist. In der Erläuterung verwies das Innenministerium auf die internationale Beschlußlage und unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Organisationsform und des Sitzes der EDIU: „Um eine politische Entscheidung zugunsten Wiesbadens zu ermöglichen, soll von deutscher Seite angeboten werden, die Kosten des Infrastrukturpersonals (16 Angestellte, 5 Verwaltungsbeamte und 4 MTB) und die Sachkosten (…) zumindest für eine erste Phase zu übernehmen, in der die EDIU noch keine eigene Rechtspersönlichkeit hat, sondern als Gremium der Regierungszusammenarbeit der EG-Mitgliedsstaaten eingerichtet ist.“ Leider ist nicht bekannt, ob die beiden anderen nationalen Regierungen, die die EDIU in ihren Ländern (Lyon oder Rom) ansiedeln wollen, ähnliche „Vorleistungen“ erbringen werden.

Im Grunde könnte die Standortfrage als erneuter Fall von EG-Provinzialismus rubriziert werden, stünde sie nicht zugleich für die Zukunft der Einrichtung. Sollte EDIU nach Wiesbaden kommen, wäre der Einfluß bundesdeutscher Verfechter auf ihren raschen Ausbau in Richtung einer auch mit Eingriffsbefugnissen versehenen europäischen Polizeibehörde weitaus größer.
Die nächste Etappe zu einer – wie immer gearteten – „EUROPOL“ wird auf dem Maastricher Gipfel im Dezember 1991 beschritten werden. Auf mittlere Frist ist zu erwarten, daß die Zuständigkeit des Amtes ausgedehnt wird, etwa auf die Bereiche Terrorismus und organisierte Kriminalität, sowie daß es Verknüpfungen mit anderen Entwicklungen geben wird, etwa mit dem Schengener Informations-System oder der EuSec. Genaues ist indes nicht zu erfahren. Das „Europa der Bürger“ darf sich freuen, wenn es im Nachhinein erfährt, was zu Europas Innerer Sicherheit beschlossen wurde.

Norbert Pütter ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.