Ausländererfassung in der Bundesrepublik – Die informationelle Sonderbehandlung von ImmigrantInnen und Flüchtlingen

von Thilo Weichert

Der Einsatz konventioneller oder automatisierter Datenverarbeitung zur Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten hat in Deutschland unrühmliche Tradition. Die Erfassung nach Rassen und Nationalitäten diente den Nationalsozialisten der Ausgrenzung und differenzierten Behandlung, der gewalttätigen Unterdrückung, Deportation (Evakuierung) und Vernichtung, aber auch der „Effektivierung“ der Rohstoff- und Arbeitskräfteplanung für die Vorkriegs- und die Kriegswirtschaft.[1]
Erstaunlicherweise sahen die Mütter und Väter des Grundgesetzes, welche bestrebt waren, bei der Schaffung einer demokratischen bundesdeutschen Verfassung Lehren aus dem Nationalsozialismus zu ziehen, keine Veranlassung, aus der informationellen Sonderbehandlung von Minderheiten rechtliche Konsequenzen abzuleiten.[2]

Die Kontinuität des Ausländerrechts währte bis 1965.[3] Die Erfassung der Ausländerinnen und Ausländer wurde aber auch danach nicht gesetzlich, sondern in exekutiven Bestimmungen über die Führung von Ausländerkarteien geregelt.[4] Die mangelnde Beachtung dieses Themas durch den Gesetzgeber erlaubt jedoch nicht den Schluß, daß die Erfassung ausländischer Personen nicht stattfand, daß ihr keine Funktion zukam. Das Gegenteil ist vielmehr richtig: Schon 1953 wurde eine alle in der Bundesrepublik lebenden Nichtdeutschen erfassende zentrale Datei, das Ausländerzentralregister (AZR), eingerichtet.

Gerechtfertigt wurde dieses Register, das lange Zeit die größte staatliche Personendatenbank der Bundesrepublik war, mit der notwendig gewordenen Ausländerkontrolle, nachdem paßrechtliche Erleichterungen eingeführt wurden und erste ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland kamen. Das Bundesinnenministerium (BMI) sah dadurch die „Notwendigkeit einer verstärkten Überwachung der Ausländer im Bundesgebiet“. Schon früh, seit dem 1.8.67, wurde die Hauptkartei des AZR auf ein automatisiertes Verfahren umgestellt. 1975 waren dort bereits 6,6 Mio. Datensätze über Immigrantinnen und Flüchtlinge elektronisch gespeichert. Ende der 80er Jahre erreichte das Register einen Umfang von knapp 10 Mio. Datensätzen.[5]

Das Ansteigen der Asylbewerberzahlen Anfang der 80er Jahre hatte erstaunlicherweise keine informationstechnische Antwort zur Folge. Zwar war seit der ersten Prüfung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz (BfD) im Jahr 1980 klar, daß das AZR ohne erkennbares Konzept betrieben wurde und mit großen Mängeln behaftet war,[6] doch dauerte es über 10 Jahre, bis die Neukonzeption des Registers umgesetzt wurde. Auch die rechtliche Entwicklung hinkte den sich ergebenden Notwendigkeiten weit hinterher. Im Gesetz über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes von 1959 heißt es lapidar: „Das Bundesverwaltungsamt führt das Ausländerzentralregister, das der Erfassung von im Bundesgebiet wohnhaften Ausländern dient“.[7]

Informationelle Diskriminierung

Erst mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts Ende 1983 setzte sich die Erkenntnis durch, daß die informationelle Erfassung von Menschen einen hoheitlichen Eingriff darstellt, der einer gesetzlichen Regelung bedarf.[8] Das Gericht erkannte ein „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ an, das allen Menschen, unabhängig von Rasse und Nationalität, zustehen sollte. Daß dieses Recht auch Ausländerinnen und Ausländern zusteht, war offensichtlich nicht im Bewußtsein der Verfassungsrichter, die im selben Jahr entschieden hatten, daß die Führung von Ausländerakten keiner speziellen Rechtsgrundlage bedürfe. Grundsätzlich würden „den Grundrechten der betr. Ausländer bei rechtem Verständnis“ keine Gefahren drohen. Ausländerakten müßten „im wohlverstandenen Interesse des Ausländers“ vollständig sein und dürften deshalb, auch wenn die Eintragungen für diesen negativ sind, nicht gelöscht werden.[9]

Die informationelle Diskriminierung von Ausländerinnen und Ausländern wurde zwar nirgends ausdrücklich festgeschrieben, ergab sich aber von Anfang an wie selbstverständlich aus den rechtlichen Bestimmungen wie aus der exekutiven Praxis. So sieht § 10 des Bundeszentralregistergesetzes vor, daß neben strafrechtlichen Verurteilungen und waffenrechtlichen Entscheidungen einfache ausländerrechtliche Verwaltungsbescheide wie Ausweisungs- und Abschiebeverfügungen im Bundeszentralregister gespeichtert werden, als handele es sich z.B. bei einer sich in der Bundesrepublik illegal aufhaltenden Ausländerin um ein mit Strafttätern oder einem illegalen Waffenbesitzer vergleichbares Gefahrenpotential. 1972 wurde das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) aus Besorgnis „über die Zunahme politisch motivierter Straftaten von Ausländern“ ergänzt um die Aufgabe der Nachrichtensammlung über Bestrebungen, „die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichteter Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden“. Damit wurde erstmals durch Regelungen im Grundgesetz und im BVerfSchG den Verfassungsschutzämtern neben dem Schutz der Verfassung ausdrücklich eine Staatsschutzaufgabe, d.h. die Absicherung der Außenpolitik der Bundesregierung, zugewiesen.[10] Daß Nichtdeutsche für die Verfassungsschutzämter von besonderem Erfassungsinteresse sind, zeigen die offiziellen Angaben: Während das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 1989 bundeseit 97.250 der ca. 4,6 Mio. Ausländerinnen und Ausländer als sicherheitsgefährdend oder extremistisch erfaßt hatte, waren zur gleichen Zeit „nur“ insgesamt 77.000 von ca. 60 Mio. Deutschen als links- oder rechtsextremistisch gespeichert.[11] Folgt man diesen Angaben, so ist die relative Erfassungsquote bei Nichtdeutschen ca. 20mal höher als bei Deutschen. Auch die Polizei sah und sieht in dem Umstand, daß ein Mensch keinen deutschen Paß hat, ein besonderes Gefahrenmerkmal. In den geltenden Dateirichtlinien des Bundeskriminalamtes (BKA)[12] sind die Ausländerinnen und Ausländer als besonders gefährliche Personen zu speichern, bei denen dies „nach grenzpolizeilichen, ausländerrechtlichen, paßrechtlichen oder sonstigen Rechtsvorschriften“ erforderlich ist. Während in der polizeilichen INPOL-Fahndung die Regellöschungsfrist bei justiziell gesuchten Kriminellen ein Jahr beträgt, werden Ausweisungen und Abschiebungen 10 Jahre lang gespeichert. Dies führte dazu, daß z.B. 1982 von den ca. 200.000 Fahndungsnotierungen in der INPOL-Personenfahndung allein 115.000 auf Ausländerinnen und Ausländer entfielen.[13]

Wegen des umfassenden Regelungsansatzes des alten wie des neuen Ausländergesetzes (AuslG), nach welchem dem Vollzug der Ehe, die Wohnungsgröße, das Maß der erreichten Integration, die genaue Art und Weise des Lebensunterhalts usw. von rechtlicher Relevanz sind, wurden und werden auch all diese Umstände erhoben, gespeichert und ausgewertet. Hierbei kommen teilweise spezielle Ausländerermittlungstrupps in Einsatz (siehe S. 46 ff.),[14] Schamgefühl und Privatsphäre der ausländischen Bürgerinnen und Bürger spielen dabei oft keine Rolle.

Es zeigt sich, daß sowohl rechtlich-qualitativ wie auch quantitativ eine informationelle Sonderbehandlung von Ausländerinnen und Ausländern in der Bundesrepublik erfolgt. Diese Sonderbehandlung korreliert in keiner Weise mit der von diesem Personenkreis ausgehenden polizeilich zu begründenden Gefahr. So kommen wissenschaftliche Untersuchungen immer wieder zu dem Ergebnis, daß z.B. die Straffälligkeit von Ausländern sich zahlenmäßig nicht signifikant von der Deutscher unterscheidet.[15] Für die polizeilich begründete informationelle Sonderbehandlung gibt es auch keine verfassungsrechtliche Legitimation.[16]

Die rechtliche Einkreisung des Datenschutzes

Unter diesen Rahmenbedingungen ist die Erfassung und Kontrolle von Ausländerinnen und Flüchtlingen zu sehen.

Der rechtliche Einstieg hierzu erfolgte mit der Novellierung des Ausländergesetzes.[17] Mit dem Argument, eine verfassungskonforme, mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu vereinbarende gesetzliche Grundlage für Informationseingriffe zu schaffen, wurde in den §§ 75 bis 80 AuslG der juristische Grundstock für die Totalüberwachung der ausländischen Bevölkerung geschaffen. § 76 Abs. 2 AuslG sieht vor: Öffentliche Stellen haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie Kenntnis erlangen von

  • dem Aufenthalt eines Ausländers, der weder eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung noch eine Duldung besitzt,
  • dem Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung oder
  • einem „sonstigen Ausweisungsgrund“.

Die in dieser Vorschrift enthaltene Verpflichtung aller öffentlichen Stellen stieß bei den Bediensteten auf heftigen Widerstand und führte zur kollektiven Ankündigung, diese menschenunwürdige Vorschrift zu mißachten.[18] Bei Juristinnen und Juristen besteht die einhellige Bewertung, daß die Regelungen verfassungswidrig sind.[19] Aufgrund dieser klaren Front gegen das Gesetz sah sich das BMI veranlaßt, am 25.2.91 vorläufige Anwendungshinweise bekanntzumachen, die der Kritik die Spitze zu nehmen suchten, indem sie die Datenerhebung über Ausländerinnen und Ausländer unter Verstoß gegen das AuslG einschränkend „präzisiert“. Damit und mit der bisherigen Weigerung der Bundesregierung, verbindliche Durchführungsvorschriften zu den Datenverarbeitungsregelungen zu erlassen, wurde der Kritik vorläufig der Boden entzogen. Die Praxis der Ausländerbehörden richtet sich daher am Althergebrachten aus oder man handelt nach eigenem Gusto, nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien der Erforderlichkeit und Berechenbarkeit, aber auch nicht nach dem uferlosen Wortlaut des neuen AuslG. Dies ändert nichts an dem Umstand, daß der § 76 AuslG eine öffentliche Denunziationspflicht vorsieht, welche in der bundesdeutschen Rechtsordnung (abgesehen von dem auch jüngst verabschiedeten 18 Abs. 1 BVerfSchG[20]) einzigartig ist.

Der nächste Schritt der informationellen Einkreisung von Nichtdeutschen bestand in der Novellierung des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) vom 26.6.92.[21] Zuvor war in § 13 AsylVfG lediglich vorgesehen, daß bei Zweifeln an der Identität von Asylsuchenden diese einer erkennungsdienstlichen (ED-)Behandlung unterzogen werden konnten. Das BKA sollte schon damals dem „Bundesamt für die Anerkennung von ausländischen Flüchtlingen (BAFl)“ bei der Auswertung der Fingerabdrücke „Amtshilfe“ leisten. In der Praxis wurde diese Regelung häufig so ausgelegt, daß grundsätzlich Zweifel an der Identität bestanden, weshalb z.T. ausnahmslos eine ED-Behandlung erfolgte.[22] In § 16 AsylVfG ’92 wurde aus dieser Praxis Gesetz: Unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Erforderlichkeitsprinzips werden nunmehr alle Asylsuchenden einer ED-Maßnahme unterzogen. In den §§ 7 und 8 AsylVfG ’92 wurden zudem Regelungen aufgenommen, die weitgehend den §§ 75, 76 AuslG entsprechen. Doch auch diese Ermächtigungsnormen schienen noch nicht auszureichen, um Asylsuchende hinreichend in den informationellen Griff zu bekommen. Am 26.5.93 verabschiedete der Bundestag den sog. „Asylkompromiß“, der neben der Abschaffung des vorbehaltlosen Asylgrundrechts weitgehende informationelle Eingriffsbefugnisse enthält: Zur Verfolgung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, zum Zweck der Versorgung und Betreuung von Asylsuchenden sowie zur „Aufdeckung und Verfolgung von unberechtigtem Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, von Leistungen der Kranken- und Unfallversicherungsträger oder von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe“ dürfen Daten praktisch unbeschränkt ausgetauscht werden. Besonders heikel ist, daß damit auch die Verpflichtung festgeschrieben werden soll, Angaben über in der Heimat begangene Straftaten, die zur Begründung des Asylantrags mitgeteilt wurden, den Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Die ED-Behandlung setzt künftig keinen zu prüfenden Asylantrag voraus. Auch schon an der Grenze abgewiesene Flüchtlinge sollen erkennungsdienstlich erfaßt werden. Die Konsequenz: Die Wahrnehmung eines Grundrechts wird informationsrechtlich als kriminelle Tat behandelt und gespeichert.

Die nächste gesetzliche Verschärfung wird schon vorbereitet: Die neue CDU/SPD-Landesregierung von Baden-Württemberg beschloß, auf Bundesebene darauf hinzuwirken, einen „umfassenden Informations- und Datenverbund zwischen den berührten Stellen (Sozialhilfeträger, Unterbringungsverwaltung, Ausländerverwaltung, Träger der Sozialversicherung, Kfz-Zulassungsstellen, Polizei u.a.)“ zu ermöglichen.[23] Eine weitere Maßnahme besteht in den Planungen für ein Gesetz über das AZR. Dort wird der automatisierte Zugriff relevanter Behörden wie z.B. der Bundesanstalt für Arbeit oder des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf das AZR vorgesehen. Das Gesetzgebungsverfahren für das AZR-Gesetz ist jedoch seit zwei Jahren nicht erkennbar weiterbetrieben worden.[24]

Die Praxis der Ausländererfassung

Zwar wurde mit dem AZR ein schon recht früh automatisiertes Instrument der Totalerfassung geschaffen; die Automation der Ausländer- und Asylverfahren indes verlief eher schleppend. Dies änderte sich schlagartig Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre. Begonnen wurde mit der Neukonzeption des AZR, die darauf angelegt ist, den Datenaustausch zwischen allen Ausländerbehörden und dem AZR, aber auch zu Asyl-, Polizei-, Arbeits- und Verfassungsschutz-Behörden zu ermöglichen. Parallel dazu wird die Automation der Ausländerbehörden vorangetrieben, wobei regelmäßig mit Systemen gearbeitet wird, die einen weit über die rechtlichen Bestimmungen hinausgehenden Datensatz enthalten und die elektronische Kommunikation mit AZR sowie anderen kommunalen und regionalen Dateien ermöglichen, so etwa das in Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen eingesetzte System „LaDiVA“ (Landeseinheitliches Dialogverfahren für das Ausländerwesen).[25]

Lange Zeit hatte die Datenverarbeitung im Rahmen von Asylverfahren einen eher vorsintflutlichen Charakter. Ursache hierfür war wohl vorrangig das Kompetenzgewirr und der Zuständigkeitsstreit im Asylverfahren zwischen Bund (Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl)) und den verschiedenen Einrichtungen der Länder. Seit kurzem übernimmt nun der Bund hinsichtlich der Automation im Asyl-Bereich die Rolle des Vorreiters. Im „BAFI“ wird das Verfahren ASYLON (Asyl online) betrieben, das die geplanten 50 Außenstellen des „BAFI“ miteinander vernetzt und die Aktenbearbeitung der Asylverfahren automatisiert. ASYLON und AZR werden derart miteinander verknüpft, daß die Daten des jeweils anderen Systems übernommen werden können.[26] Völlig neue Maßstäbe werden jedoch bei der Erhebung und Auswertung der flächendeckend erhobenen Fingerabdrücke der Asylsuchenden gesetzt. Um Doppelanträge aufzuspüren, werden Zehnfingerabdrücke von allen Asylsuchenden erhoben, welche verformelt und seit 3.12.92 im zentralen „Automatischen Fingerabdruckidentifizierungssystem (AFIS)“ beim BKA gespeichert werden. Mit Hilfe von AFIS sollen jährlich 400.000 Datensätze erfaßt und mindestens ebenso viele Datenabgleiche mit vorhandenen Beständen durchgeführt werden. Dieses Verfahren hat dabei nicht nur den Zweck der Identifizierung von Flüchtlingen. Ganz nebenbei wird eine Vollerfassung aller Asylsuchenden erreicht und eine Referenzdatei für die kriminalistische Spurensuche geschaffen, die weltweit ihresgleichen sucht.

Ausweitung der Erfassung auf Europa

Ausländerrecht fiel bisher ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich nationaler Behörden. Dies wird sich in Kürze nach Inkrafttreten des Dubliner EG-Asylübereinkommens vom 19.6.90 sowie des sog. Schengener Zusatzübereinkommens vom 15.6.90 (Schengen II)[27] grundsätzlich ändern. Damit ist der „Mißbrauch des Asylrechts“ neben der Bekämpfung des „Internationalen Drogenhandels“ der Türöffner für die Europäisierung der ordnungspolizeilichen Datenverarbeitung. In diesen Verträgen vereinbaren die EG-Staaten, ihre asyl- und ausländerrechtlichen Entscheidungen, z.B. Ausweisungen oder Sichtvermerke, gegenseitig anzuerkennen und umzusetzen. Die Abstimmung ausländer- und asylrechtlicher Maßnahmen zwischen den Vertragsstaaten setzt den Austausch höchst sensibler Personendaten voraus, was zu existentiellen Eingriffen in das Leben der Betroffenen führen kann. Der Datenschutz ist insbesondere beim konventionellen Datenaustausch über die sog. „Drittausländer“ nicht gewährleistet. So wird z.B. eine „gemeinsame Liste von zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Ausländern“ geplant; nach altem DDR-Vorbild eine polizeiliche Meldepflicht von „Drittausländern“ spätestens drei Tage nach der Einreise; eine besondere Hotelmeldepflicht für fremde Staatsangehörige; Konsultationspflichten bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln an ausgeschriebene Personen; Datenaustausch über Fluchthelfer etc.

Datenschutzrechtliche Ansätze finden sich beim „Schengener Informationssystem (SIS)“, das derzeit in Straßburg aufgebaut wird und über das neben den Polizeien auch die Ausländerbehörden in Sekundenschnelle Zugriff auf die Personenfahndungsbestände der anderen Mitgliedsländer nehmen können. Unter dem Ausschreibungskriterium „Einreiseverweigerung“ werden die auszuweisenden oder abzuschiebenden Personen gespeichert. Unerheblich ist dabei, ob die jeweilige Maßnahme nach nationalem Recht zulässig wäre. Insofern machen sich die Staaten gegenseitig zu ausländerrechtlichen Erfüllungsgehilfen.[28]

Um zu verhindern, daß die Regelungen der genannten Abkommen unterlaufen werden, indem Flüchtlinge in verschiedenen Ländern unter verschiedenen Namen Asyl beantragen, wird eine europäische AFIS-Datei mit dem Namen EURODAC vorbereitet. Über EURODAC sollen alle im EG-Gebiet Zuflucht suchenden Drittausländerinnen und -ausländer mit ihren Fingerabdrücken gespeichert und mit den vorhandenen Angaben abgeglichen werden. Es wird erwogen, mit Hilfe eines „Life-Scan“ die Fingerabdrücke maschinell zu erfassen und zu digitalisieren.[29]

Zusammenfassung

Obwohl hierfür keine verfassungsrechtliche Legitimation besteht, werden Ausländerinnen und Ausländer informationell als Gefahrenquelle behandelt. Sie dürften die am besten erfaßte und überwachte Bevölkerungsgruppe darstellen. Nachdem alle ökonomischen und repressiv-polizeilichen Mittel zum Fernhalten von Ausländerinnen und Ausländern nicht zu fruchten scheinen, wird nunmehr mit Hilfe der Informationstechnik ein präventiv-polizeiliches Konzept verfolgt. Insofern sind die entwickelten Maßnahmen Trendsetter für die Erfassung anderer sozialer Minderheiten und zwar sowohl in Hinblick auf die normative Absicherung als auch hinsichtlich der organisatorisch-technischen Umsetzung in die Praxis. Diese Erfassungssysteme sind weitgehend kontrollfrei: Teilweise ist eine rechtliche oder parlamentarische Kontrolle überhaupt nicht möglich (insbesondere im europäischen Rahmen), teilweise findet sie faktisch nicht statt.

Thilo Weichert ist Vorstandsmitglied der „Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD).“
[1] Aly/Roth, Die restlose Erfassung, 1984, S. 10
[2] Heldmann, Ausländergesetz, 2. Aufl. 1993, Anm. 6 ff. zu §§ 75-80
[3] Ausländergesetz vom 28.4.65 in: Bundesgesetzblatt (BGBL.) I, S. 353
[4] Gemeinsames Ministerialblatt (GMBl) 1967, S. 257
[5] Informationsbrief Ausländerrecht 1987, S. 205
[6] 4. Tätigkeitsbericht des BfD für 1981, S. 34
[7] BGBl. I, S. 829
[8] Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1984, S. 419
[9] NJW 1983, S. 2135
[10] Änderung des Art. 73 Nr. 10 GG v. 28.7.72 in: BGBl. I, S. 1305
[11] Verfassungsschutzbericht 1991, S. 19, 73, 135
[12] BKA-Dateienrichtlinien vom 26.2.81 in: GMBl.1981, S. 115
[13] ÖVD/Online 1/82, S. 74
[14] Bürgerrechte & Polizei/CILIP 24 (2/86) S. 46 ff.
[15] Pilgram, Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie 1993, S. 17 ff.
[16] ausführlich in: Heldmann (Fn. 2), Anm. 7-9 zu §§ 75-80
[17] Gesetz zur Neuregelung des AuslG vom 9.7.90 in: BGBl. I, S. 1354
[18] Bielefelder Appell vom August 1990
[19] umfassende Nachweise bei: Heldmann (Fn. 2) Anm. 13, 14, 17 zu §§ 75-80, Anm. 1, 17 zu § 76
[20] Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20.12.90, Art. 2 in: BGBl. I, S. 2970
[21] BGBl. I, S. 1126
[22] Datenschutz Nachrichten (DANA) 5/92, S. 4 ff.
[23] 11. Tätigkeitsbericht des LfD Niedersachsen, S. 102
[24] vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 31 (3/88) S. 20 ff.; Bürgerrechte & Polizei/CILIP 34 (3/89) S. 67-71; weitere Nachweise in: Heldmann (Fn. 2), Anm. 23 zu §§ 75-80
[25] Nachweise dazu bei: Heldmann (Fn. 2), Anm. 20 zu §§ 75-80
[26] ÖVD-Online 12/92, 60 ff.
[27] BT-Drs. 12/2453, BR-Drs. 121/92
[28] 11. Tätigkeitsbericht des LfD Niedersachsen, S. 54 ff.
[29] Ebd. S. 104

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