Literatur

Zum Schwerpunkt

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten hat sich das Europa der Inneren Sicherheit rapide entwickelt. Aus den bescheidenen Anfängen, die sich als Reaktion auf den westeuropäischen Terrorismus Mitte der 70er Jahre entwickelten, ist in den 90ern eines der dynamischsten Politikfelder der Europäischen Union geworden. Weil Vorhaben und Vorschläge in großer Zahl von verschiedenen Akteuren entwickelt werden, ihre Umsetzung im europäischen Mehrebenensystem häufig unklar und ihre Folgen ungewiss sind, ist jede Bilanzierung des Prozesses immer unvollständig und zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung bereits veraltet. Nachfolgend können nur wenige Hinweise auf einige Veröffentlichungen gegeben werden, die einen Einstieg in das Thema erlauben und/oder einzelne Aspekte besonders beleuchten.

Knelangen, Wilhelm: Das Politikfeld innere Sicherheit im Integrationsprozess, Opladen 2001

Occhipinti, John D.: The Politics of EU Police Cooperation. Toward A European FBI, Boulder 2003

Mitsilegas, Valsamis; Monar, Jörg; Rees, Wyn: The European Union and Internal Security. Guardian of the People?, Houndmills, New York 2003

Diese drei sozialwissenschaftlichen Untersuchungen haben die Entwicklung der europäischen Politik Innerer Sicherheit und ihren Instanzen zum Gegenstand. Ihr Schwerpunkt liegt in der Darstellung des Europäisierungsprozesses (von Trevi bis Tampere), der detailliert in seinen einzelnen Phasen – bei Occhipinti bis zu den Initiativen der einzelnen Präsidentschaften – nachgezeichnet wird. Gemeinsam ist den drei Veröffentlichungen auch, dass sie mit den Angeboten der Theorien internationaler Politik versuchen, Entstehen und Wachstum europäischer Innerer Sicherheitspolitik zu erklären. Am ausführlichsten diskutiert Knelangen diese Fragen. Sein Fazit: Die Argumente, die Neofunktionalismus, Intergouvernementalismus und Neoinstitutionalismus liefern, können jeweils nur in einzelnen Sachfragen zu bestimmten Phasen überzeugen.

Ligeti, Katalin: Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union, Berlin 2005

Im ersten Teil dieser 2004 abgeschlossenen Arbeit werden die Formen der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der EU vorgestellt, insbesondere die Instrumente der Rechtshilfe, der Auslieferung bzw. Übergabe und der Vollstreckungshilfe. Im zweiten Teil werden die Versuche der Union, das Strafrecht der Mitgliedstaaten in den Bereichen Betrug, Korruption und Geldwäsche zu harmonisieren, untersucht. Die Autorin bemängelt nicht nur den fragmentarischen Charakter dieses Prozesses, sondern verweist auch darauf, dass die Formulierung von Mindeststandards notwendigerweise den repressiven Bereich ausweitet (S. 366). Gleichwohl sieht sie hierin Elemente für ein – ihrer Ansicht nach erforderliches – europäisches (Wirtschafts-)Strafrecht. Eine supranationale Ermittlungsbehörde zu schaffen, sei eine logische Folge dieser Entwicklung (S. 372).

Kröger, Nicoletta: Europol. Europäisches Polizeiamt und Grundrechtsschutz. Vereinbarkeit mit Grundgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention?, Frankfurt/M. u.a. (Peter Lang Verlag) 2004, 230 S., EUR 42,50

Korrell, Vera: Europol. Polizei ohne rechtsstaatliche Bindungen?, Frankfurt/Main u.a. (Peter Lang Verlag) 2005, 338 S., EUR 56,50

Zwei juristische Dissertationen mit ähnlichen Fragestellungen und entgegengesetztem Ergebnis: Kröger misst die Europol-Konvention am Grundrechtsschutz und an den Rechtsschutzgarantien des Grundgesetzes sowie an den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Ihr Befund: Die Konvention entspreche nicht dem Standard des Grundgesetzes, weil sie den BürgerInnen kein faires Verfahren bei Auskunft oder Akteneinsicht gewähre, weil im Rechtsschutzverfahren nicht von RichterInnen entschieden würde, weil Betroffene nicht von Datenspeicherungen informiert würden und weil effektiver Schutz gegen ungesetzliche Handlungen der Europol-MitarbeiterInnen nicht möglich sei; außerdem verstoße das Beschwerdeverfahren gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Mit diesen Defiziten, so Kröger, steht Europol auch in Widerspruch zur EMRK.

Korrell, die die Vereinbarkeit der Konvention mit Art. 23 Grundgesetz zum Maßstab ihrer Untersuchung macht, sieht in all dem kein Problem. Zwar seien die Einwände „nicht von der Hand zu weisen“, sie seien „verfassungsrechtlich im Einzelnen jedoch tragbar“. Und es sei keineswegs zulässig zu schlussfolgern, dass die Summe der rechtsstaatlich-demokratischen Defizite „schwerer wiegen könnte als das Gewicht ihrer einzelnen Elemente“ (S. 235). Wer die einzelnen Elemente jedoch nicht zusammenfügt, wird nie ein Bild ihres Zusammenwirkens erhalten. Der unberechtigt enge juristische Horizont der Arbeit wird auch an anderen Elementen deutlich, etwa wenn sie die fehlende Pflicht zur Benachrichtigung Betroffener nicht an dem misst, was bürgerrechtlich geboten wäre, sondern bundesdeutsche Rechtspraxis ist.

Ellermann, Jan Ulrich: Europol und FBI. Probleme und Perspektiven, Baden-Baden (Nomos) 2005, 443 S., EUR 78,–

Diese – ebenfalls juristische – Dissertation wählt einen anderen Zugang zum Europäischen Polizeiamt. Aus dem naheliegenden und oft gezogenen Vergleich mit dem US-amerikanischen Federal Bureau of Investigation (FBI) sollen die Schwierigkeiten und die Entwicklungsoptionen von Europol deutlich werden. Nachdem Europol auf 60 und das FBI auf 130 Seiten vorgestellt worden sind, werden im zweiten Teil die zentralen Aspekte in vergleichender Perspektive untersucht, beginnend bei der Frage, ob Befugniserweiterungen für Europol notwendig seien, über das Verhältnis zur Staatsanwaltschaft bis zu den Möglichkeiten gerichtlicher und parlamentarischer Kontrolle.

Wie die Untersuchungen von Kröger und Korrell leidet auch die Ellermanns daran, dass man viel über den rechtlichen Rahmen Europols erfährt (vor allem über die einzelnen Bestimmungen der Konvention), aber so gut wie nichts über die tatsächliche Arbeit des Amtes. Auch wenn der Vergleich beider Behörden wegen des gänzlich verschiedenen Kontextes kaum sinnvoll sei, so zeigt nach Ansicht des Autors die Geschichte des FBI, was bei Europol vermieden werden müsse. Er warnt deutlich vor der Vermischung von präventiven und repressiven Tätigkeiten; diese berge „die Gefahr einer ausufernden gesellschaftlichen Überwachung“ (S. 413). Die Kontrolle von Europol müsse mit zunehmenden Aufgaben des Amtes intensiviert werden (wobei seine Hoffnungen sich auf Eurojust stützen). Immunität und Geheimhaltung der Akten müssten gerichtlicher Prüfung unterworfen werden. Beratungs- und Verwaltungsaufgaben der Gemeinsamen Kontrollinstanz „sollten stärker getrennt werden“. Schließlich sollte die parlamentarische Kontrolle ausgebaut und dafür gesorgt werden, „dass die Parlamentarier ihre Aufsichtsfunktion auch tatsächlich wahrnehmen“ (S. 414). Am Ende der Arbeit bedauert Ellermann, die Zeit sei „noch nicht reif für die Erteilung umfassender eigener Ermittlungsbefugnisse an Europol“. Er plädiert für die „Etablierung eines schlagkräftigen Europäischen Polizeiamtes“, das in besonders internationalisierten Deliktsbereichen zuständig sein soll. Ob seine Vorschläge/Bedenken ausreichen, Europol davon abzuhalten, zur europäischen Polizeizentrale (gemacht) zu werden, darf bezweifelt werden.

Schorkopf, Frank (Hg.): Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, Tübingen (Mohr Siebeck) 2006, 538 S., EUR 79,–

Der Europäische Haftbefehl ist eines der konkreten Projekte zur Herstellung eines europäischen Strafrechtsraumes. Der Band dokumentiert das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht – beginnend mit den Schreiben zum Auslieferungsverfahren bis zur Pressemitteilung des Gerichts nach seinem Urteil am 18.7.2005. Den größten Umfang (S. 145-435) nimmt das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 13./14.4.2005 ein. In seiner 35-seitigen Einleitung stellt der Heraus­geber die Vorgeschichte des Hamburger Auslieferungsfalles und die des Europäischen Haftbefehls sowie die öffentlichen und politischen Reaktionen auf das Urteil dar. Zum damaligen Zeitpunkt war das neue Haftbefehlsgesetz in der parlamentarischen Beratung. Obwohl er das Bemühen des Parlaments würdigt, sieht er auch die Vermutung genährt, „dass der deutsche Verfassungsstaat als nachvollziehender Gestalter überstaatlicher Rechtssetzungsvorgaben mit einem strukturellen Defizit bei der Kontrolle exekutivischer Rechtssetzung und im eigenen Willensbildungsprozess konfrontiert ist“ (S. XLVI).

Heitz, Sabine; Regeffe, Bernard: Gemeinsames Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Kehl, in: Deutsches Polizeiblatt 2006, H. 2, S. 6-9

Martens, Helgo: Kriminalitätsbrennpunkt Binnengrenze. Die grenzpolizeiliche Aufgabenwahrnehmung der Bundespolizei im Bereich der EU-Binnengrenze zu den Niederlanden und zu Belgien, in: Die Polizei 2005, H. 11, S. 317-325

Diese beiden Aufsätze ermöglichen einen kleinen Einblick in die grenzüberschreitende polizeiliche Praxis zu den westlichen Nachbarn Deutschlands. Das Gemeinsame Zentrum in Kehl am Rhein besteht seit 1999. Seine Aufgaben liegen im grenzüberschreitenden Informationsaustausch, in der Koordinierung von Einsatzmaßnahmen und der Unterstützung operativer Einsätze. Als Serviceeinheit führt das Zentrum keine eigenen Ermittlungen. Die 58 MitarbeiterInnen vertreten fünf deutsche und drei französische Zoll- bzw. Polizeibehörden. Im Jahr 2005 wurden fast 13.000 Informationsanfragen an das Zentrum gestellt. Diese beziehen sich z.B. auf Halteranfragen, Identitätsfeststellungen, Aufenthalts- oder ausländerrechtliche Überprüfungen, auf die Feststellung von Telefon­anschlussinhaberInnen oder die Mitteilung polizeilicher Erkenntnisse. Informationen werden im Zentrum auch gesammelt, analysiert und bewertet, um Zusammenhänge mit anderen Straftaten oder bekannten TäterInnen herstellen zu können. Im Rahmen der Gefahrenabwehr beschäftigt sich das Zentrum mit Fragen des Staatsschutzes sowie grenzüberschreitenden Veranstaltungen wie Demonstrationen oder der Tour de France. 2003 wurde ein eigener Arbeitsbereich für die Themen Schleusung, illegale Einreise etc. gegründet. Fazit dieses Beitrags: An der polizeilichen Basis funktioniert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hervorragend.

Der Beitrag von Martens schildert die polizeiliche Arbeit in der Grenzregion zu den Niederlanden und Belgien (allerdings vor dem Inkrafttreten des deutsch-niederländischen Polizeivertrages). Eher am Rande erwähnt wird der der Kehler Einrichtung vergleichbare „Informationspunkt Grenze“ (IPG), in dem BeamtInnen der Bundespolizei und der niederländischen Marechaussee arbeiten. Mehr als 16.000 Anfragen hat der IPG 2004 beantwortet. Im Zentrum des Beitrags steht die Darstellung der Grenzregion als „Kriminalitätsbrennpunkt“, der von den beteiligten Polizeien als ein „Sicherheitsraum“ begriffen werden müsse. Dementsprechend rechtfertigt der Artikel die besondere Kontrolldichte in diesem Raum. Das Schengener Durchführungsübereinkommen untersage nur „stationäre und systematische Kontrollen an den Binnengrenzen“, lasse aber die Befugnisse, die nach nationalem Recht den Polizeien übertragen seien, unberührt. Da der Bundespolizei die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs obliege und ihr besondere Befugnisse im 30-km-Grenzstreifen übertragen seien, handele sie im Einklang mit den Schengener Vorschriften. In taktischer Hinsicht sei die Bundespolizei an kein festes Schema gebunden. „So kommen nach der jeweiligen Beurteilung der Lage sowohl der Einsatz von Zivilkräften als auch die Einrichtung stationärer Kontrollstellen in Betracht.“ Schengen, so lautet die Botschaft, hat nicht zu weniger Kontrollen an den Grenzen, sondern nur zu einem flexibleren Kontrollregime geführt.

Sonstige Neuerscheinungen

König, Marco: Trennung und Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, Stuttgart u.a. (Richard Boorberg Verlag) 2005, 335 S., EUR 36,–

Diese aus einer „objektiv-neutralen juristischen Sicht“ (S. 15) geschriebene rechtswissenschaftliche Dissertation untersucht die Frage: „In wel­chem Verhältnis stehen Trennung und Zusammenarbeit zwischen der Polizei einerseits und den Nachrichtendiensten andererseits zueinander?“ (S. 45). Die Studie ist in vier Kapitel gegliedert: 1. wird die historische Entwicklung von Polizeien und Nachrichtendiensten bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes nachgezeichnet, 2. werden die institutionellen und rechtlichen Veränderungen im Verhältnis Polizei-Nachrich­tendienste von 1949 bis in die Gegenwart dargestellt. 3. werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen und 4. die einfachgesetzlichen Regelungen dieses Verhältnisses untersucht. Zutreffend stellt König eine „Vernachrichtendienstlichung“ der Polizeien und eine „Verpolizeilichung“ der Nachrichtendienste fest. Durch diese doppelte Bewegung, die gesetzlich legalisiert sei und der keine Verfassungsbestimmungen – schon gar kein Trennungsgebot im Verfassungsrang – entgegenstünden, komme es zu praktischen Überschneidungen, bürokratischer Ineffizienz und überflüssigen Grundrechtseingriffen. Obwohl König konzediert, dass etwa die Regelungen zur Informationsweitergabe sehr allgemein gehalten sind (S. 273), sieht er insgesamt „ein durchaus tragfähiges System …, das in seinen wesentlichen Grundzügen auch verfassungskonform ist“ (S. 293). Der von König reklamierte Nachbesserungsbedarf bezieht sich allein auf Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die Zentralisierung von Behörden so­wie eine an Kriminalitätsbereichen orientierte Aufgabenteilung von Polizei und Nachrichtendiensten. Hätte der Autor einen Blick auf die materiellen und prozeduralen Vorschriften nachrichtendienstlicher Informationsgewinnung geworfen, dann hätte bereits die Rechtmäßigkeitsüberprüfung der legalisierten „Zweckumwidmung“ von Daten zu einem anderen Ergebnis füh­ren müssen. Die vermeintlich neutrale juristisch-technische Perspektive hindert den Autor daran, die politischen und bürgerrechtlichen Proble­me seines Untersuchungsgegenstandes zu erfassen. Wer von Geheimdiensten schreibt, ohne den staatlichen Herrschaftsanspruch zu erwäh­nen, der kann ihnen nicht gerecht werden.

(sämtlich: Norbert Pütter)

Mueller, Michael: Canaris. Hitlers Abwehrchef, Berlin (Propyläen Verlag) 2006, 576 S., EUR 24,90

Spätestens nach seinem 1992 erschienenen Buch „Die Stasi-RAF-Connection“ musste man Veröffentlichungen und TV-Dokumentationen von Michael Mueller stets etwas kritisch betrachten. Zu groß war ihm häufig die Versuchung, aus populistischen Gründen eine gute Portion Spekulation und Verschwörung in seine Arbeiten zu mischen. Mit seiner Canaris-Biografie hat sich Mueller nun als ernst zu nehmender Publizist zurück gemeldet.

Neun Jahre lang hatte Wilhelm Canaris, ein 1887 in Dortmund geborener Bürgersohn, nach einer Blitzkarriere in der kaiserlichen Marine mittlerweile zum Admiral ernannt, Hitlers militärischen Abwehrdienst geführt, bevor er im Gefolge des missglückten Attentates vom 20. Juli 1944 im April 1945 im KZ Flossenbürg als Mitverschwörer gehängt wurde. Auf der Grundlage von neuen – durch den Zeitablauf von Verschlussfristen möglich gewordenen – Recherchen in deutschen, englischen und amerikanischen Militärarchiven beschreibt der Autor den Werdegang des bis heute mysteriösen Menschen Canaris: Vom überzeugten Monarchisten, der an der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg litt; für den der Kieler Matrosenaufstand und die Novemberrevolution von 1918, die zur Weimarer Republik führte, ein steter Gräuel war; der eng mit den konterrevolutionären Freicorps verbandelt und (zumindest indirekt) in die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verwickelt war; der den Nationalsozialismus begrüßte, ihn durch seine Geheimdienstarbeit bis zum Schluss aktiv unterstützte und zugleich einer seiner wichtigsten Gegner war.

In alle Umsturzüberlegungen der Militärs war Canaris offenbar verwickelt, aber nach alter Geheimdienstmanier nirgendwo richtig dabei. Wilhelm Canaris selbst hat kaum Schriftliches hinterlassen, das Wenige aber wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Dass bei solcher Quellenlage viele Fragen offen bleiben müssen, liegt auf der Hand. Erfreulicherweise benennt Mueller dieses Problem immer da, wo es auftaucht, ohne wild weiter zu spekulieren. Das macht sein Buch lesenswert. Weiter so.

Gujer, Eric: Kampf an neuen Fronten. Wie sich der BND dem Terrorismus stellt, Frankfurt/M., New York (Campus Verlag) 2006, 316 S., EUR 24,90

Wie sich der Bundesnachrichtendienst (BND) dem (islamistischen) Terrorismus stellt, beantwortet das Buch bestenfalls ansatzweise. Mehr wäre bei diesem komplexen Thema und der bekannten Maulfaulheit von Geheimen normalerweise auch nicht zu erwarten. Doch für den Autor Eric Gujer, Deutschlandkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung und Mitglied im „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“, gilt das hier nur eingeschränkt. In dieser Runde treffen sich vorwiegend hochrangige Ex-Schlapphüte von BND und Verfassungsschutz, um aktuelle Sicherheitsprobleme zu diskutieren und durch Vermittlung von Informationen „bei den Bürgern (…) das Verständnis und das Interesse für die Rolle und die Tätigkeit der Nachrichtendienste in Deutschland (zu) wecken“. Berücksichtigt man dies, so ist das Ergebnis mager. Stutzig macht bereits, wenn Gujer den Kampf an „neuen Fronten“ über die ersten beiden Kapitel an den alten Schützenlinien des Kalten Krieges stattfinden lässt (S. 18-91). Erst danach nähert er sich über die Anschläge vom 11. September 2001 und Bushs Irak-Krieg von 2003 seinem eigentlichen Thema, dessen Darstellung merkwürdig dünn gerät. Zwar werden verschiedene Ermittlungserfolge gegen Terroristen detailliert geschildert – doch der BND ist kaum dabei. Stattdessen erfährt man, dass der Nahe Osten, Pakistan, Indonesien und Nordafrika als Hauptbasen für die Rekrutierung von Attentätern gelten. Das ist aufmerksamen Zeitungslesern bekannt. Auch dass es schwierig ist, dort Informanten zu werben, ist nicht neu. Gujer macht dafür das unterschiedliche Weltbild und damit mangelndes Verständnis zwischen westlichen Geheimen und radikalen Moslems mitverantwortlich, das die Führung von Spitzeln behindere. Zum Vergleich werden dann wieder die altvorderen Zeiten bemüht. Interessanter ist da schon, etwas über die Bemühungen zum Aufbau eigener Forschungsstellen und Computerdateien und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu erfahren. Ähnliches gilt für den Schmusekurs bei der Kooperation mit nahöstlichen Geheimdiensten. Nicht um­sonst gelten jene von Jordanien und Syrien hier als die bestinformierten. In der Welt der Schlapphüte gibt es keine Schurkenstaaten. Insgesamt bleibt aber der Eindruck, dass weder der BND noch der Autor ein klares Bild vom neuen Terrorismus und seiner wirksamen Bekämpfung haben.

(beide: Otto Diederichs)

Pütter, Norbert: Polizei und kommunale Kriminalprävention. Formen und Folgen polizeilicher Präventionsarbeit in den Gemeinden, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2006, 363 S., EUR 24,90

Seit den frühen 1990er Jahren hat in der Bundesrepublik die kommunale Kriminalprävention Raum gegriffen und an Attraktivität gewonnen. Auf rund 350 Seiten breitet der Autor empirische Befunde zur Zahl der kommunalpräventiven Gremien, den strukturellen Merkmalen der kommunalen Kriminalprävention und ihren Handlungsfeldern unter einem spezifischen Blickwinkel aus: Welche Rolle kommt in diesen Gremien einem der zentralen Akteure, der Polizei, zu, und was macht diese Gremien für Polizeiarbeit attraktiv.

In den acht Kapiteln, von denen sich vier der quantitativen Dimension kommunalpräventiver Gremien widmen, fällt das Urteil, gemessen an den Versprechen der Kriminalprävention, einigermaßen ernüchternd aus, auch wenn der Autor darauf verweist, die Rolle der Polizei sei „nur bruchstückhaft rekonstruiert“ und „im quantitativ abstrakten Sinne“ nicht repräsentativ (S. 303). Das mag so sein, dem empirischen Ertrag tut das keinen Abbruch. Nicht umsonst ist Kapitel 7, unter der Überschrift „Prävention mit Repression“, mit über 100 Seiten das längste. Hier wird der repressive Charakter kommunaler Kriminalprävention auch anhand von vier genauer untersuchten Städten für den öffentlichen Raum (S. 196 ff.), für Drogenpolitik (S. 224 ff.), für so genannte „stadträumliche Brennpunkte“ (S. 241 ff.) und in von Pütter „repressive Netz­werke“ (S. 289 ff.) geheißenen Kooperationen der beteiligten Akteure (die, nota bene, vor allem als Koordinationsinstanzen von Behörden und Institutionen entkleidet werden) – erneut anhand konkreter Beispiele: Ladendiebstahl, (Drogen-)Prostitution, Hütchenspieler, „Intensivtäter“ – nachgezeichnet.

Kapitel 5 – „Prävention ohne Repression“ – zeichnet den Ertrag der Gremien für die Polizei nach, die ihr als gleichsam kostenlose Shopping Mall ein Podium in zwei Richtungen bieten: Hier breitet sie (selektiv) ihr Expertenwissen aus und kann so nicht unerheblich Aktivitäten steuern, aber auch unterbinden (S. 158). Wichtiger aber ist das Informationsmanagement aus anderer Perspektive, denn der in den Gremien zusammengeführte Sachverstand (und Meinungsbrei, wie man hinzufügen sollte) sei „für die Polizei in dreifacher Weise nützlich“ (S. 133), denn er könne das Dunkelfeld der Kriminalität verkleinern, lasse die Polizei Zusammenhänge leichter und besser nachvollziehen, „in denen Straftaten geschehen … Und drittens können die Informationen in polizeiliche Lagebilder einfließen“ (S. 133).

Kapitel 6 geht knapp auf die „Polizei als Thema“ in den Gremien ein und macht mit der schönen Zwischenüberschrift „Polizei verstehen“ (S. 172) deutlich, welchen legitimatorischen Ertrag der enge Kontakt zwischen kommunalpräventiven Gremien und der Polizei letzteren bringt. Hier gelingt es den Beamten nicht nur, Verständnis für ihre „Handlungen oder Unterlassungen“ zu generieren (S. 176), hier ist auch ein von Aufgaben entlastender Ort, weil sie an andere abgegeben oder geteilt werden können, und hier werden auch die „faktischen Grenzen polizeilicher Interventionen“ dergestalt vermittelt, dass sich tendenziell „die Beteiligten von bürgerschaftlichen Interessenvertretern zu Vermittlern polizeilicher Handlungszwänge an die BürgerInnen“ verwandeln (S. 177).

Kapitel 8 fasst die wesentlichen Ergebnisse unter der Fragestellung nach den (Er)Folgen der Gremien (für die Polizei) zusammen und verdeutlicht den bürgerlich-rechtsstaatlich und demokratietheoretisch bedenklichen Charakter dieser Gremien ebenso, wie ihre entgrenzende Wirkung auf die Polizei(arbeit). Denn: Diese mit den Gremien verbundenen „Weiterungen sind keine Alternative zur forcierten Kriminalisierung, Kontrolle und Überwachung …, sondern deren Verlängerung in den sozialen Nahbereich“ (S. 313).

Tatsächlich hat der Band neun Kapitel. Sein letztes handelt vom „Glanz und Elend der (kommunalen) Kriminalprävention“, in dem der Autor darauf verweist, welche Fragen geklärt und Voraussetzungen geschaffen werden müssten, damit – statt lediglich die „gruppen-, situations- oder ortsspezifische Modifikation … unerwünschter sozialer Phänomene“ zu perpetuieren – sich nachhaltig und zukunftsweisend etwas „politisch bewerkstelligen“ ließe (S. 329). Zunächst müsste, so Pütter, die Kriminalitätsorientierung aufgegeben werden; Prävention sei – gegen paternalistische Bevormundung, Fremdbestimmung und Ausgrenzung – an Beteiligung zu binden; schließlich müsse klar die Begrenztheit lokaler Ansätze gesehen werden, zu denen die sozioökonomischen Rahmenbedingungen gehörten, aber ebenso die institutionellen Arrangements wie die begrenzten Möglichkeiten der Gemeinden und eine verstaatlichte Polizei. Klärungsbedarf erkennt Pütter zudem bei der Begriffsbestimmung dessen, was Gemeinde (und, man darf hinzufügen, Gemeinschaft, Community, Bürgerbeteiligung) ausmachen soll, die mit den kriminalpräventiven Gremien gegenwärtig ein „vorpolitisches Präventionsverständnis“ (S. 329 f.) vorantreibe. Die Klärung dieser Fragen und die als politisches Projekt skizzierte und mit Ressourcen ausgestattete Gemeinde, das zeigt dieser Band, liegen in ferner Zukunft. Leider, wie es scheint, auch, wie sich aus politikwissenschaftlicher, politökonomisch interessierter Perspektive die Wiederkehr des Lokalen und der prekäre Siegeszug der kommunalen Kriminalprävention als globale Erscheinung und globales Produkt erklären ließe.

(Volker Eick)

Aus dem Netz

http://europa.eu/index_de.htm

Die Internetpräsenz der EU und der Zugang zu Dokumenten ist so unübersichtlich wie die Union selbst. Für den ungezielten Zugang sollte man das „Portal der Europäischen Union“ wählen (http://europa.eu/ index_de.htm). Über diese Adresse erhält man unmittelbar oder per Link Informationen in erschlagender Fülle. Zu den Entwicklungen im Bereich Polizei und Strafverfolgung gelangt man entweder über „Tätigkeitsbereiche der Union“ und „Justiz, Freiheit und Sicherheit“ oder direkt über die Adresse http://europa.eu/pol/justice/index_de.htm.

Hier gibt es erneut Darstellungen zu einzelnen Politikbereichen, wichtige Dokumente sowie Links zu anderen einschlägigen Websites. Über „Rechtstexte“ und „Geltende Rechtsvorschriften“ erhält man z.B. das bestehende Recht der Union in einzelnen Regelungsbereichen der Dritten Säule. Unter „Wichtige Websites“ sind die beteiligten Ausschüsse des Europäischen Parlaments (EP) ebenso zugänglich wie die Pressemitteilungen der Kommission oder des Ministerrates. Daneben ist die gezielte Suche über folgende Adressen möglich:

  • Rat: http://register.consilium.eu.int. Ratsdokumente lassen sich un­ter Nummer, Datum, Sachbereich (d.h. der zuständigen Ratsarbeitsgruppe) oder nach Stichworten (Text oder Titel) suchen. Da in der Planungsphase eines Ratsgeschäfts nicht übersetzt wird, empfiehlt sich eine Suche nach englischen Dokumenten. Texte, aus denen die Position einzelner Mitgliedstaaten ersichtlich wäre, sind häufig ganz oder teilweise gesperrt.
  • Kommission: http://ec.europa.eu/index_de.htm. Dort auch Link zu einer Suchmaschine für Kommissionsdokumente (unter „Dokumente“).
  • Suchmaschine des EP: www.europarl.europa.eu/activities/archive. do?language=DE
  • Amtsblatt der EU: http://eur-lex.europa.eu/JOIndex.do?ihmlang=de

Die einschlägigen EU-Institutionen verfügen über eigene Websites, z.B. www.europol.europa.eu, www.eurojust.europa.eu, www.frontex.eu.int (derzeit nur Logo und Anschrift), www.cepol.org.

Für Informationen über Neuigkeiten in der EU-Innen- und Justizpolitik empfehlen sich die Statewatch-News (www.statewatch.org/news).

(Norbert Pütter)