von Albrecht Maurer
Seit 1990 gibt es keine innerdeutsche Grenze mehr und mit der kontinuierlichen Schengen-Erweiterung sind auch von den zu bewachenden EU-Außengrenzen nur noch Reste übrig. Mit einer neuerlichen Organisationsreform emanzipiert sich der vor drei Jahren in Bundespolizei (BPol) umbenannte Bundesgrenzschutz (BGS) endgültig von seiner Gründungslegende.
Gerade einmal 15 Seiten inklusive Begründung umfasste der „Entwurf zur Änderung des Bundespolizeigesetzes und anderer Gesetze“, den der Bundestag am 25. Januar dieses Jahres mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit annahm.[1] Die vorbereitenden Umstrukturierungen waren seit über einem Jahr im Gang und auch der Sitz der neuen Spitzenbehörde, des Bundespolizeipräsidiums, war bereits eingeweiht, als das Gesetz am 1. März in Kraft trat. Auf Widerstand war die Reform in erster Linie bei den Polizeigewerkschaften und -standesorganisationen gestoßen. Aber selbst Befürworter einer grundlegenden Umstrukturierung von Organisation und Aufgabenstellung des früheren Bundesgrenzschutzes rätselten über die Zielsetzung der Reform.
Diese lässt sich jedenfalls aus dem Gesetz selbst nicht erschließen: Die textlichen Änderungen sind minimal. Sie bestehen vor allem darin, dass die bisherigen Bezeichnungen konkreter Organisationsebenen (Bundespolizeiämter oder Bundespolizeidirektion) gestrichen wurden. Zuständigkeiten darf das Bundesinnenministerium nunmehr durch Rechtsverordnung festlegen. In der Begründung, die sich ansonsten wie eine der üblichen BPol-Werbebroschüren liest, heißt es deshalb konsequenterweise: „Die Flexibilität bei der organisatorischen Ausgestaltung wird erhöht, indem auf eine gesetzliche Zuweisung einzelner Aufgaben oder Befugnisse an konkret benannte Behördenebenen verzichtet wird.“ Mathias Seeger, heute Chef des Bundespolizeipräsidiums, damals Leiter des Aufbaustabs, machte im Januar 2008 in seiner Stellungnahme für den Innenausschuss des Bundestages denn auch klar, „dass dies nicht die letzten organisatorischen Veränderungen bei der Bundespolizei sein werden.“ Alles sei im Fluss.[2] Was der so alles mit sich führt, lässt sich am ehesten erkennen, wenn man die jetzige Reform vor dem Hintergrund der Geschichte des BGS bzw. der BPol betrachtet.
Vom Armeeersatz zur Bereitschaftspolizei des Bundes
1951 wurde der Bundesgrenzschutz (BGS) als Vorstufe für die noch nicht aufgebaute Armee gegründet. Struktur, Konzeption und Bewaffnung waren militärisch. Die eigentliche grenzpolizeiliche Funktion, der Passkontrolldienst (ab 1961: Grenzschutzeinzeldienst, GSE) hatte in dieser kasernierten Truppenpolizei kein Gewicht.[3] Bei Gründung der Bundeswehr 1956 konnten deshalb ganze Verbände, rund 10.000 Mann, ins Militär hinüberwechseln. Auch danach blieb der BGS im Wesentlichen eine leichte Infanterie zur Bekämpfung imaginierter innerer Unruhen und aus dem Osten hereinbrechender Banden – Notstandsszenarien, die bei jährlichen Großmanövern ausgiebig geübt wurden. „Dank der ökonomischen und politischen Stabilität der Bundesrepublik sah die Bevölkerung den BGS bis 1972 nie im inneren Einsatz. Für Aufgaben unterhalb der Bürgerkriegsschwelle war diese Truppe bis Ende der 60er Jahre weder ausgebildet noch ausgerüstet. Deshalb blieb der BGS auch in der Hochphase der Studentenrevolte in den Kasernen.“[4]
Das sollte sich erst in der zweiten Phase seiner Geschichte ändern. Mit einer Änderung des Grundgesetzes (Art. 35) und einer Neufassung des BGS-Gesetzes 1972 konnten nun die Bundesländer Unterstützung des BGS anfordern, der sich im Laufe dieses Jahrzehnts zu einer Bereitschaftspolizei des Bundes mauserte, seine schweren Waffen gegen Tränengas, Knüppel und Wasserwerfer eintauschte und damit erst in der Lage war, zur „politischen Erziehung“ der aufeinander folgenden Protestgenerationen – von Brokdorf 1977 bis Heiligendamm 2007 – beizutragen. Der Kombattantenstatus blieb zwar bis 1994 im BGS-Gesetz, hatte aber faktisch keine Bedeutung, weil es den Verteidigungsfall, auf den er sich bezog, nie gab. Aus diesem Befund der Demilitarisierung des BGS fällt auch der Aufbau der GSG 9 ab 1972 nicht heraus: Die Gruppe gleicht zwar jenen Kommandoeinheiten, die in einigen anderen Staaten typischerweise beim Militär angesiedelt sind. Militärisch sind solche Einheiten in dem Sinne, dass bei ihrem Handeln die Möglichkeit der physischen Vernichtung des Gegners bewusst einkalkuliert ist. Aber erstens ging es hier nicht mehr um den undiskriminierten Einsatz schwerer Waffen gegen Menschenmengen, die der BGS in den 50er und 60er Jahren immer wieder übte, sondern um den gezielten Einsatz von Gewalt. Und zweitens war und ist dieses Vernichtungskalkül jetzt in einer für Ausnahmesituationen gerüsteten Spezialeinheit verankert, die vom Rest des Apparates systematisch getrennt ist.
Die Grenzkontrolle und -überwachung blieb innerhalb des BGS weiterhin eine marginale Aufgabe – zumal eine, die er sich mit dem Zoll und der Bayerischen Grenzpolizei teilte. Der GSE kam 1980 auf einen Anteil von acht Prozent des BGS-Personals (1.784 von 22.300).[5]
Auf dem Weg zur Rundum-Bundespolizei
Einen massiven Bedeutungszuwachs sollte der Einzeldienst erst in der dritten Phase der BGS-Geschichte erhalten, die sich mit den Verhandlungen über das Schengener Abkommen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre anbahnte: 1988 konstatierte eine vom BMI eingesetzte Arbeitsgruppe „BGS 2000“ nicht nur, dass der Abbau der Kontrollen an den Schengener Binnengrenzen im Westen zu einer Reduktion des Personals führen müsse. Die Arbeitsgruppe hielt darüber hinaus fest, dass die Überwachung der Grenzen zur DDR und zur CSSR das Personal der völlig überdimensionierten BGS-Verbände kaum in Anspruch nahm. Dieses habe ansonsten nur eine wenig befriedigende „Bereithaltungsaufgabe“, nämlich darauf zu warten, von den Ländern zum nächsten Demo-Großeinsatz aufgeboten zu werden. Statt die logische Konsequenz aus diesem Befund zu ziehen und eine mindestens schrittweise Auflösung eines Apparates zu fordern, der seine Daseinsberechtigung offensichtlich verloren hatte, empfahl die Arbeitsgruppe die Übernahme neuer einzeldienstlicher Funktionen: Personenschutz von Mitgliedern der Verfassungsorgane, Hausdienst des Bundestages, Luftsicherheits- und vor allem bahnpolizeiliche Aufgaben.[6]
Der Zusammenbruch der DDR beschleunigte den Umbau des BGS in zweifacher Hinsicht: Zum einen erhielt er die neuen Aufgaben als Bahn- und Flughafenpolizei erheblich früher als geplant: in den fünf neuen Ländern bereits im Oktober 1990, im Westen durch das „Aufgabenübertragungsgesetz“ von 1992. Auch außerhalb von Demonstrationseinsätzen und anderen Unterstützungsleistungen für die Länder war damit das Operationsgebiet des BGS auf das Inland ausgedehnt worden. Zum andern bescherten ihm die neuen EU-Außengrenzen zu Polen und Tschechien in den 90er Jahren einen enormen Zuwachs an Personal und Technik – von Wärmebildkameras bis zu Schnellbooten auf der Oder.[7] Die Bekämpfung von illegaler Migration, Schleusern und Schwarzarbeit avancierten zum zentralen Bezugspunkt seiner Arbeit – und das keineswegs nur an der Grenzlinie und im 30-Kilometer-Raum dahinter.
Das Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz von 1994 ist der rechtliche Widerhall dieser Veränderungen. Es dokumentiert zum einen die Breite der alten und neuen Aufgaben: vom Grenzschutz und der Unterstützung der Länderpolizeien über die Bahnpolizei und die Luftsicherheit bis hin zu der seit langem praktizierten, aber nicht legalisierten Überwachung des Funkverkehrs im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Seit 1989 waren BGS-BeamtInnen an UNO- und EU-Missionen beteiligt, nun erhielt auch die „Verwendung im Ausland“ eine rechtliche Grundlage. Als Aufgabe festgeschrieben wurde ferner die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten: Eine kriminalpolizeiliche Rolle hatte der Bundesgrenzschutz seit Anfang der 90er Jahre einerseits durch die Übernahme des Fahndungsdienstes der Bahn, anderseits bei Ermittlungen gegen mutmaßliche Schleuser erhalten, bei denen die Grenzschutzdirektion als Zentralstelle fungierte. Auch bei den Befugnissen spiegelt das Gesetz die Tatsache wieder, dass sich der BGS zu einer Sonderpolizei des Bundes entwickelt hatte, deren Tätigkeit sich nun zu einem großen Teil im Landesinnern abspielte. Der Katalog der neuen Vollmachten orientiert sich typischerweise am Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes und reicht von der Identitätsfeststellung und erkennungsdienstlichen Behandlung über die Erhebung, Speicherung und Übermittlung von Daten bis hin zur polizeilichen Beobachtung und zur „Datenerhebung mit besonderen Mitteln“ – sprich: zur längerfristigen Observation, zum Einsatz technischer Überwachungsmittel und zu dem von V-Leuten. Im Jahre 1998 kam die Befugnis zu verdachtsunabhängigen Kontrollen (Schleierfahndung) hinzu.
In den 90er Jahren durchlief der BGS zwei Organisationsreformen: Zum 1. April 1992 wurde die bisherige Trennung in BGS-Verbände und Einzeldienst aufgehoben. Die Verbände, d.h. die bisher 25 und nun 21 Einsatzabteilungen, wurden in die fünf regionalen Grenzschutzpräsidien (GSP) eingegliedert. Denen unterstanden ferner 18 Grenzschutzämter – mit 102 nachgeordneten Grenzschutzstellen – und 65 Bahnpolizeiwachen – mit insgesamt 103 Bahnpolizeistellen. Nicht in die GSP integriert wurden nur die Grenzschutzschule in Lübeck und die BGS-Direktion in Koblenz, die weiterhin als zentrale Unterstützungsstelle des gesamten (bahn- und grenzpolizeilichen) Einzeldienstes fungierte. Die faktisch weitgehend eigenständige GSG 9 blieb formell ein Teil des GSP West.
Während diese erste Reform unter dem Leitmotiv der „integrierten Organisationsform“ stand, war bei der zweiten im Jahre 1998 von einer „integrativen Aufgabenwahrnehmung“ die Rede. Unterhalb der Ebene der fünf Präsidien gab es nun 19 Grenzschutzämter, zu denen jeweils eine Inspektion Verbrechensbekämpfung – gegebenenfalls mit bis zu drei mobilen Fahndungstrupps – gehörte. (Der BGS-See galt nun auch als GS-Amt.) Den Ämtern nachgeordnet waren 98 regionale Grenzschutzinspektionen, in denen „integrativ“ je nach geografischer Lage sowohl die grenz- als auch die bahn- und flughafenpolizeilichen Aufgaben wahrzunehmen waren. Die bisherigen Bahnpolizeiposten wurden zugunsten mobiler Streifen und „weiträumigem zugbegleitendem Einsatz“ aufgelöst. „Mobile Komponenten“ wurden nun auch im grenzpolizeilichen Bereich aufgebaut – und zwar sowohl für die östlichen Außengrenzen als auch für das Hinterland der Binnengrenzen im Westen.[8] Von den bis dahin 21 Einsatzabteilungen blieben nur noch elf. Während in den Abteilungen 4.700 Stellen wegfielen, wurde der Personalbestand im bahn- und grenzpolizeilichen Bereich im gleichen Maße aufgestockt. Von den nun rund 30.000 PolizeivollzugsbeamtInnen des BGS arbeiteten nach dieser Reform nun 18.600 im Einzeldienst.
Im Januar 1998 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Aufgabenübertragungsgesetzes von 1992 und segnete damit letztlich die gesamte organisatorische und rechtliche Veränderung des BGS in den 90er Jahren ab. Die Übernahme neuer Aufgaben sei zulässig, solange sie „das Gepräge des Bundesgrenzschutzes als einer Sonderpolizei zur Sicherung der Grenzen des Bundes und zur Abwehr bestimmter das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen wahrt.“ Der BGS dürfe allerdings nicht zu einer mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden.[9] Angesichts der Ausdehnung der BGS-Tätigkeit „in die Fläche“, seiner Kontrollbefugnisse im Hinterland der Grenzen und – wenig später – auf Flughäfen, Bahnhöfen und in Zügen quer durch die Republik, seiner Beteiligung an gemeinsam mit Landespolizeien, Zoll und anderen Stellen gebildeten „Sicherheitsnetzen“ und Gemeinsamen Ermittlungsgruppen erschien die höchstrichterliche Einschränkung schon zu diesem Zeitpunkt als realitätsfremd. Die Umbenennung des BGS in Bundespolizei durch die rot-grüne Regierungsmehrheit 2005 bildete insofern nur eine nahe liegende Anerkennung der Realitäten. Mit der Schengen-Vollmitgliedschaft Polens und Tschechiens seit Ende 2007 und der Schweiz im Dezember dieses Jahres verliert die Bundespolizei auch die letzten grenzpolizeilichen Aufgaben im traditionellen Sinne.
Massive Zentralisierung
Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei dem jetzt betriebenen Umbau der Bundespolizei um eine bloße Organisationsreform, welche die letzte fortsetzt, die Behördenstruktur effizienter machen, den Apparat „verschlanken“ und bisher in Stabs- und Verwaltungsfunktionen gebundenes Personal (rund tausend Beschäftigte) für operative Aufgaben mobilisieren soll. BMI und BPoL-Führung beteuern, dass es anders als in den 90er Jahren keinen Personalzuwachs geben würde und Mehrkosten nur während der Personalumschichtungen in der Umbauphase entstünden. Der Eindruck einer nur organisatorischen Veränderung wird bestärkt durch die Management-Terminologie des „Feinkonzepts“, das eine vom BMI eingesetzte Projektgruppe im Juni 2007 vorlegte.[10]
Zentraler Punkt der Reform ist die Einrichtung eines Bundespolizeipräsidiums, das den Status einer „Bundesoberbehörde“ erhält und damit in der Hierarchie dem Bundeskriminalamt (BKA) gleichgestellt wird. Es übernimmt Aufgaben der „polizeilich-strategischen Steuerung“ aus der Abteilung Bundespolizei des BMI, das sich nun auf ministerielle Funktionen, nämlich die „strategisch-politische Steuerung“, konzentrieren soll.[11] Das BPol-Präsidium erledigt ferner die „koordinierenden Aufgaben“, die bisher von den „Mittelbehörden“ – der BPol-Direktion in Koblenz sowie den fünf regionalen Präsidien – wahrgenommen wurden. Diese Ebene fällt jetzt vollständig weg.
Auf der Ebene der „Unterbehörden“ – das waren bisher die 19 BPol-Ämter – findet sich nun einerseits eine Zentrale Direktion Bundesbereitschaftspolizei, der die jetzt zehn Abteilungen unterstellt sind. Die neun regionalen Direktionen andererseits verfügen jeweils über eine Inspektion „Kriminalitätsbekämpfung“ und eine „Mobile Kontroll- und Überwachungseinheit“. Die Zahl der lokalen Inspektionen wird um ein Drittel auf 68 verringert.
Das ist eine massive Zentralisierung, deren Konsequenzen umso deutlicher hervortreten, wenn man die Neuorganisation unter aufgabenspezifischen Gesichtspunkten betrachtet:
- Von der Grenz- zur Migrationskontrollpolizei: Nach der Schengen-Erweiterung können die 4.500 Kilometer Grenze zu den neun Nachbarstaaten, auf die in der Gesetzesbegründung verwiesen wird, an jedem Punkt und zu jeder Zeit überschritten werden. Die eigentliche Grenzkontrollaufgabe der BPol hat sich damit auf die Häfen und Flughäfen reduziert. Die „Bekämpfung der illegalen Migration und der Schleusungskriminalität“ bleibt jedoch zentraler Bezugspunkt der BPol-Tätigkeit. Mit dem Wegfall der „stationären“ Kontrollen komme nun der „binnenländischen Komponente der Grenzkontrolle“ eine höhere Bedeutung zu. Gemeint sind damit einerseits die Überwachung des Hinterlands der Grenzen – zum Teil durch gemeinsame Streifen mit den Polizeien der Nachbarstaaten – und zum anderen des „Bahnstreckennetzes von über 40.000 Kilometern“. „Weg von der Grenze, hin zu den Verkehrswegen“, lautet deshalb die Parole, die Seeger in seiner Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Bundestags ausgibt.[12] Eines der wesentlichen Mittel für diese neue Kontrollstrategie sind die Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheiten, die von 525 auf etwa 1.200 BeamtInnen anwachsen sollen.
- Bereitschaftspolizei: Die 1992 erfolgte Integration der Abteilungen in die damals fünf Präsidien, die so genannte „integrierte Organisationsform“, wird nun rückgängig gemacht. Die Befreiung „von regionalen Zuständigkeitsbegrenzungen“ und die Koordination durch eine direkt dem BPol-Präsidium nachgeordnete zentrale Direktion sollen die Abteilungen mehr noch als bisher zu einem flexiblen Instrument machen, das von allen möglichen „Bedarfsträgern“ für ein breites Spektrum von Einsätzen angefordert werden kann. Die Direktion „sorgt für eine gleichmäßig hohe Auslastung, einen effizienten (Reisezeiten minimierenden) Einsatz der Bundespolizeiabteilungen und gewährleistet den für geschlossene Einsätze unverzichtbaren Qualitätsstandard.“[13] Die BPol stellt weiterhin etwa ein Viertel des bereitschaftspolizeilichen Personals der BRD. Nach der Umorganisation verfügt sie über 29 Einsatzhundertschaften. Deren Unterstützung fragten in den letzten Jahren vor allem „Berlin, Niedersachsen (Castor-Transport) und Sachsen häufiger an, während Länder mit starker eigener Bereitschaftspolizei wie Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen nur im Ausnahmefall bundespolizeiliche Unterstützung anforderten.“ Im Jahre 2006 machten solche Unterstützungen für die Länder 11,9 Prozent (380.000 Stunden) der insgesamt von den Abteilungen geleisteten Einsatzstunden aus (2005: 16,9 Prozent, 420.000 Stunden).[14] Viel häufiger unterstützten die Abteilungen jedoch den BPol-Einzeldienst, vor allem die Bahnpolizei (2004: rd. 50, 2005: rd. 55 und 2006 rd. 69 Prozent), unter anderem vor und nach Fußballspielen. Der Anteil der Aufgabenfelder Grenzpolizei und Luftsicherheit an den Unterstützungsleistungen ist bezeichnenderweise rückläufig (von rd. 25 Prozent im Jahr 2004 auf rd. 12 Prozent 2006).[15]
- Spezialverbände: Darunter fasst das Feinkonzept die GSG 9 und den Bundespolizeiflugdienst, dem die fünf bisher den alten Präsidien unterstellten Flieger-(=Hubschrauber-)Staffeln angegliedert werden. An der inneren Organisation der GSG 9 wird sich nichts ändern. Als „zentrale Dienstleister“ sowohl für die BPol selbst als auch für „externe Bedarfsträger“ sind die beiden Spezialverbände nun direkt dem BPol-Präsidium nachgeordnet. Das soll auch die „Einbindung der politischen Entscheidungsebene“ in alle Entscheidungen über „Aufgaben von besonderer Bedeutung“ sicherstellen. Konkret heißt das, dass das BMI bei „Auslandsverwendungen“ des Flugdienstes und erst recht bei allen Einsätzen der GSG 9 mitreden kann.
- Ausgelagerte Organisationseinheiten des BPol-Präsidiums: Gemeint sind damit eine Reihe von Dienststellen, an denen die BPol beteiligt ist: das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM), das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), die bestehenden Gemeinsamen Zentren an der Grenze in Kehl und Luxemburg sowie das neu entstehende an der zu Polen. Ähnlich wie das Lagezentrum für die Luftraumüberwachung in Kalkar und das Küstenwachzentrum Cuxhaven verdeutlichen die genannten Einrichtungen die Vernetzung und die informationelle Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden sowohl im Innern des Landes als auch grenzüberschreitend.
- Auslandseinsätze: BundespolizistInnen stellen heute nicht nur den „Hausordnungsdienst“ in deutschen Botschaften, sondern sind dort auch als „DokumentenberaterInnen“ (2006: 14 BeamtInnen) und grenzpolizeiliche VerbindungsbeamtInnen (2006: 19) stationiert.[16] An Friedensmissionen der UN oder an Einsätzen im Rahmen des „Krisenmanagements“ der EU waren Anfang dieses Jahres 246 deutsche PolizistInnen (mehrheitlich BPol) beteiligt. Für letztere, also für die polizeiliche Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, kann die BRD im Zuge des „rapid deployment“ gegenwärtig 90 BeamtInnen (davon 60 aus der BPol) innerhalb eines Monats aufbieten.[17] Hinzu kommen die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordinierten Einsätze von Unterstützungs- oder Soforteinsatzteams an den Außengrenzen der Union. Die Bundesregierung hat nicht erst unter der jetzigen Koalition ein großes Interesse an diesen polizeilichen Auslandseinsätzen gezeigt – und zwar sowohl an jenen, die in die militarisierte Außenpolitik der EU eingebunden sind (Stichwort: „Deutschlands Rolle in der Welt“), als auch an denen zur Migrationsverhinderung. Bei der Neuorganisation wird dieser „aufwachsende Aufgabenbereich mit zunehmender Bedeutung“ innerhalb des BPol-Präsidiums „trotz z. Zt. noch geringer Mitarbeiterzahl organisch als Abteilung verankert“ (Abt. 4: Internationale Angelegenheiten/Europäische Zusammenarbeit).[18] Und um das Personal für Auslandseinsätze nicht wie bisher aus der „Alltagsorganisation“ abziehen zu müssen wird gleichzeitig ein „Pool für Auslandsverwendungen“ geschaffen, der direkt dem BPol-Präsidium unterstellt und damit auch nahe ans BMI angebunden ist. Rund 400 Dienstposten und Planstellen „für bestehende und absehbare längerfristige Einsätze im Ausland (mindestens neun Monate)“ werden beim BPol-Präsidium gesondert ausgewiesen. Glaubt man den Bekundungen des BMI, dann handelt es sich hierbei nicht um einen festen „Personalpool“ (diesen Begriff verwendet der neue BPol-Chef Seeger), sondern nur um ein Verfahren der Stellenbuchhaltung. Letzteres würde jedoch der Absicht widersprechen, die durch Auslandseinsätze ausgelösten „Personalvakanzen“ in der Alltagsorganisation künftig zu vermeiden.[19]
Nur ein Zwischenschritt
Noch umstritten ist, ob die BPol sich mit einer Einsatzhundertschaft an der European Gendarmerie Force beteiligen soll. Dieser von mehreren EU-Mitgliedstaaten gegründeten Truppe für „robuste Einsätze“ gehören derzeit nur Polizeien wie die italienischen Carabinieri, die spanische Guardia Civil oder die französische Gendarmerie an, die zumindest formell dem jeweiligen Verteidigungsministerium angegliedert sind. Mit der Einrichtung des Personalpools beim BPol-Präsidium ist die Entwicklung der Bundespolizei hin zu einem auch außerhalb der Grenzen der BRD flexibel einsetzbaren Apparat noch längst nicht abgeschlossen.
Auch sonst spricht vieles dafür, dass die jetzige Neuorganisation nicht die letzte sein wird. Die Einrichtung des BPol-Präsidiums als starkes Machtzentrum, das nahe am BMI als dem politischen Zentrum angesiedelt ist, erhöht das Gewicht des Bundes in der polizeilichen Landschaft. Ferner könnten sich, wie der Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber in seiner Stellungnahme für die Anhörung im Innenausschuss anmerkte, die personell verstärkten Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheiten künftig neben der GSG 9 zu Spezialeinheiten entwickeln, die mit den Sondereinsatzkommandos der Länderpolizeien vergleichbar sind.[20] Er machte darüber hinaus klar, dass die Schleierfahndung in Zügen, Bahnhöfen und Flughäfen keine „binnenländische Komponente der Grenzkontrolle“, sondern eine Inlandskompetenz ist, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1998 widerspricht.[21] Von den föderalistischen Begrenzungen, von der Rolle einer auf den obsolet gewordenen Grenzschutz und sonstige Spezialaufgaben reduzierten Sonderpolizei, ist die BPol heute weit entfernt. Vorerst jedoch will sich das BMI von dieser zur rechtlichen Legitimationskrücke reduzierten verfassungsrechtlichen Vorgabe noch nicht verabschieden. Wimbers Forderung, den „Organisationszweck der Bundespolizei“ in der jetzigen Debatte um die „Sicherheitsarchitektur“ und um das neue BKA-Gesetz[22] offen zu thematisieren, wurde schlicht ignoriert.
Wimber hatte argumentiert, dass das BKA zur Erfüllung seiner künftigen Aufgaben und Befugnisse zur „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ Personal brauche. Eine „fortdauernde Amtshilfe“ der Länderpolizeien sei nicht zu akzeptieren: „Mit der Bundespolizei stünde für diese präventivpolizeilichen Aufgaben des BKA eine disloziert aufgestellte Personalressource zur Verfügung.“ Schon jetzt ist die BPol dazu verpflichtet, das BKA zu unterstützen. Sie arbeitet im Ausland und in diversen Zentren wie dem GTAZ oder dem GASIM mit dem BKA und unter der Führung des BKA. „Am Ende der Überlegungen könnte auch stehen, Personal zum BKA zu versetzen oder Behörden oder Teile davon zu verschmelzen.“[23]
Albrecht Maurer innenpolitischer Referent der Bundestagsfraktion Die Linke und Mitglied der Redaktion von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] BT-Drs. 16/6291 v. 4.9.2007; im Folgenden BPolG
[2] Seeger, M.: Stellungnahme, in: BT-Innenausschuss-Drs. 16 (4) 329 C v. 8.1.2008
[3] Planstellenverhältnis BGS-Truppe zu Passkontrolldienst/GSE 1957 – 19.035 zu 600; 1968 – 18.574 zu 975, s. Werkentin, F.: Die Restauration der deutschen Polizei, Frankfurt/M.; New York 1984, S. 145 u. 233
[4] ebd., S. 149
[5] BGS: Tätigkeitsbericht 1980, in: Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes 1981, H. 4, S. 8
[6] Werkentin, F.: BGS im Aufwind, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 38 (2/1992), S. 40-46
[7] Pau, P.; Schubert, K.: Bundesgrenzschutz – eine omnipräsente und omnipotente Bundespolizei?, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 62 (1/1999), S. 18-26
[8] Schmedt, C.: BGS erhält neue Organisation, in: Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes 1997, H. 11-12, S. 3-17 (11)
[9] Bundesverfassungsgericht: Beschluss v. 28.1.1998, Az.: 2 BvF 3/92, s. www.bverfg.de
[10] BMI, Projektgruppe: Neuorganisation der Bundespolizei. Feinkonzept – Managementfassung, Stand: 20.6.2007
[11] Seeger a.a.O. (Fn. 2), S. 15
[12] Seeger a.a.O. (Fn. 2), S. 6
[13] BMI, Projektgruppe a.a.O. (Fn. 10), S. 13
[14] ebd., S. 14 f.
[15] ebd., S. 15
[16] Holzberger, M.: Unsere Visitenkarte, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 89 (1/2008), S. 41-48 (44 f.)
[17] Seeger a.a.O. (Fn. 2), S. 13; Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drs. 16/8476 v. 11.3.2008
[18] BMI, Projektgruppe a.a.O. (Fn. 10), S. 4 u. 8
[19] Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, BT-Drs. 16/7708 v. 7.1.2008; Seeger a.a.O. (Fn. 2), S. 17
[20] Wimber, H.: Stellungnahme, in: BT-Innenausschuss-Drs. 16 (4) 329 A v. 8.1.2008, S. 6
[21] ebd., S. 4 f.
[22] s. den Beitrag von Fredrik Roggan in diesem Heft
[23] Wimber a.a.O. (Fn. 20), S. 6
Bibliographische Angaben: Maurer, Albrecht: Entgrenzung der Bundespolizei. Nicht nur eine Organisationsreform, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 90 (2/2008), S. 21-31