Sicherheitsarchitekturen im Wandel – Polizei – Geheimdienst – Militär

von Norbert Pütter

Seit einigen Jahren ist von der „neuen Sicherheitsarchitektur“ die Rede. Die Institutionen der alten Bundesrepublik seien den neuen Herausforderungen nicht mehr gewachsen; sie müssten gründlich umgebaut werden. Unter dem Schlagwort der „Vernetzung“ findet gegenwärtig die Reorganisation des Gewaltmonopols statt.

Die Institutionen, die Innere Sicherheit gewährleisten sollen, unterliegen einem ständigen Wandel. Bereits das Entstehen des administrativ-politischen Komplexes „Innere Sicherheit“ in der Bundesrepublik ist ein Resultat dieses Wandels, der in das Ende der 60er/den Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts fällt.[1] Obwohl sie nicht trennscharf an Jahreszahlen geschieden werden können, lassen sich für die Entwicklung der BRD deutlich vier (wenn man die alliierte Vorgeschichte hinzunimmt fünf) Phasen benennen. Sie unterscheiden sich in der Organisation, in der rechtlichen Regulierung, in der Qualifikation des Personals, der strategischen Orientierung und hinsichtlich derjenigen Probleme, denen sich die innere Sicherheitspolitik und ihre Apparate vorrangig widmeten. Typisierend vereinfacht verliefen die Wandlungen in dieser Abfolge:

  1. Vom Kriegsende bis zur Gründung der Bundesrepublik. Sie stand polizeipolitisch unter dem Einfluss west-alliierter Vorstellungen, die in der britischen und amerikanischen Zone von den zivilen und dezentralen Polizeitraditionen ihrer Heimatländer bestimmt waren.[2]
  2. Mit der Konsolidierung der Bundesrepublik wird der alliierte Einfluss schrittweise rückgängig gemacht. Bis Mitte der 60er Jahre wird auch polizeipolitisch eine Strategie der Restauration verfolgt, die im Kern darin besteht, die deutsche, staatsorientierte Polizeitradition der Vorkriegszeit fortzusetzen. Vom Tschako bis zum Polizeirecht, von der Aufstellung geschlossener Einheiten bis zur kasernierten Ausbildung – in weiten Bereichen werden Weimarer Polizeistrukturen wiederhergestellt.[3]
  3. Anfang der 70er Jahre beginnt die Reform der deutschen Polizeien. Das Programm für die innere Sicherheit der Innenministerkonferenz von 1972 bildet den Ausgangspunkt für Veränderungen in den Bereichen Organisation, Recht, Ausbildung. Die Bewaffnung der Polizei wird den gewandelten Bedrohungsszenarien angepasst; mit der Etablierung von Inpol wird die EDV für die Polizeiarbeit nutzbar gemacht.[4]
  4. Seit Mitte der 70er Jahre bis zum Fall der Mauer setzt sich der Ausbau der Sicherheitsapparate fort: die Professionalisierung der Polizeiarbeit schreitet voran (von der Fachhochschulausbildung bis zum Entstehen von Spezialdienststellen – Mobiles- und Sondereinsatzkommando, Verdeckte Ermittlungen, Auswertung), der technische Fortschritt wird in die Polizeiarbeit integriert (PIOS-Dateien, technische Überwachungen), und das Volkszählungsurteil zwingt zu einer Flut von gesetzlichen Novellierungen.[5]
  5. Mit dem Fall der Mauer wird eine Phase der Verunsicherung eingeläutet, in der nach der Erstreckung des Polizeimodells auf die neuen Länder eine Diskussion über die Ausrichtung der Apparate beginnt. Die kriminalpolitischen Konjunkturen der 90er Jahre (von Organisierter Kriminalität bis Zero tolerance) treten seit dem 11. September 2001 in den Schatten des neuen internationalen Terrorismus. Im Namen seiner Bekämpfung werden viele der alten Fäden aufgegriffen, die zu einer neuen „Sicherheitsarchitektur“ vernetzt werden sollen.

Die langen Wellen der Entwicklung

Die kursorische Erinnerung dieser Vorgeschichte ist wichtig, wenn man die gegenwärtigen Veränderungen würdigen will. Schnell wird nämlich sichtbar, dass ein Teil der aktuellen Vorgänge einen langen Vorlauf hat, ein anderer Teil jedoch darin besteht, die letzten Grundpfeiler, die das System innerer Sicherheitswahrung in der Bundesrepublik kennzeichneten, durch einen umfassend vernetzten Sicherheitsverbund zu ersetzen.

Aus dem Kreis der längerfristigen Veränderungen stechen zwei besonders hervor: die präventive Orientierung und die Zentralisierung der Apparate. Spätestens seit Mitte der 70er Jahre ist „Prävention“ zum Angelpunkt polizeistrategischer Orientierungen geworden. Sie fand ihren Niederschlag zum einen in den Vorverlagerungen des Strafrechts. Diese Ausweitung – besonders deutlich in den §§ 129 ff. des Strafgesetzbuchs – knüpft unmittelbar an die Tradition des politischen Strafrechts in Deutschland an.[6] Was in den 70ern zunächst in Bezug auf den Terrorismus begann, setzte sich in den 90ern hinsichtlich „organisierter Kriminalität“ fort. Zum anderen folgte aus dem präventiven Ansatz eine entgrenzte Zuständigkeit der Polizeien, die als „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ verrechtlicht wurde.[7] War und ist diese Art der „Prävention“ mit ausgeweiteter Kriminalisierung und dem Einsatz verdeckter Methoden verbunden, so zeigt die kriminalpräventive Konjunktur der letzten Jahre, dass sich mit „Prävention“ jede Art von Polizeiarbeit legitimieren lässt.[8] Das diffuse Präventionsversprechen, das die Hoffnung beim Publikum weckt, Gefahren und Schäden könnten verhindert werden, unterliegt auch der jüngsten Entwicklung. Die Einbeziehung der Geheimdienste, der Zugriff auf private Datenbestände, die technische Überwachung von Räumen, verdachtsunabhängige Personenkontrollen, biometrische Identifzierungsverfahren: all dies wird in präventiver Absicht praktiziert – und führt zu einer Ausweitung und Vorverlagerung von Repression.

Die zweite, bereits seit den 70er Jahren manifeste Entwicklung betrifft die Zentralisierung der Polizeien. Dies gilt zunächst für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Die Konzeption des Grundgesetzes folgte noch den dezentralen Vorstellungen der Alliierten. Aus dem Bundeskriminalpolizeiamt, das als Ausnahme vom Grundsatz „Polizei ist Ländersache“ gedacht war, wurde die wichtigste Polizeibehörde der Republik[9] – ein Prozess, für den drei Elemente verantwortlich waren. Erstens, die Ausweitung von Ermittlungen: 1973 erhielt das Bundeskriminalamt (BKA) erstmals originäre Ermittlungsbefugnisse für einige Deliktsbereiche, nachdem der Generalbundesanwalt bereits seit 1969 förmlich ermächtigt worden war, das Amt mit Ermittlungen im Bereich des politischen Strafrechts zu beauftragen – ein Weg, der großzügig in Anspruch genommen wurde und wird. Hinzu kommen – zweitens – der Ausbau von Informations- und Kriminaltechnik und – drittens – die zunehmende Bedeutung der EU, für die das BKA als Schaltstelle fungiert. Dieser Bedeutungszuwachs schlug sich in erheblichen Personalzuwächsen nieder. Die mit der neuerlichen Novellierung des BKA-Gesetzes vorgesehenen präventiven Ermittlungsbefugnisse des Amtes setzen diese Linie konsequent fort.[10]

Die Karriere des Bundesgrenzschutzes (BGS) zur Bundespolizei ist das zweite Element, das die Polizeiverfassung zugunsten des Bundes veränderte.[11] 1951 zunächst als Vorhut der in Planung befindlichen Armee gegründet, war der BGS in den ersten Jahrzehnten auf die traditionelle Aufstandsbekämpfung im Innern und auf die Wahrnehmung von Polizeiaufgaben im Falle eines kriegerischen Angriffs aus dem Osten ausgerichtet. Seit 1972 stand er zur Unterstützung der Länderpolizeien zur Verfügung; 1992 wurde ihm die Bahnpolizei und die Zuständigkeit für die Flughäfen übertragen. Damit hatte der BGS seine territoriale Bindung an das Grenzgebiet endgültig verloren. Seine Befugnisse wurden denen der Länderpolizeien angepasst. Die 2005 erfolgte Umbenennung in „Bundespolizei“ war eine konsequente Folge dieses Aus- und Umbaus.

Zur gewachsenen Bedeutung des Bundes gehört auch der Aufstieg des Zolls zu einer Polizei im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums. Zunächst in den gemeinsam mit der Polizei gebildeten „Ermittlungsgruppen Rauschgift“, dann ausgeweitet auf die Kontrolle der Schwarzarbeit und auf die Bekämpfung von Geldwäsche ist der Zoll zu einer sicherheitsrelevanten Exekutive im Innern avanciert.[12]

Die andere Seite der Zentralisierung betrifft die Polizeien in den Bundesländern. Mitte der 70er Jahre wurden die letzten städtischen Polizeien verstaatlicht. In immer neuen Organisationsreformen werden die Polizeien seither umgestaltet. Das gilt nicht allein für das Verhältnis von Schutz- und Kriminalpolizei, sondern auch für die Verteilung und Gliederung der Polizei in der Fläche. Durchgängig wurden und werden die Landespolizeien zentralisiert. Kleinere Dienststellen werden aufgelöst oder in nur temporär besetzte Polizeiposten verwandelt. Die Polizei zieht sich aus der Fläche zurück. Dies geschieht nur vordergründig, um den polizeilichen Verwaltungsapparat zu verkleinern, vielmehr ist die Zentralisierung auf der unteren Ebene Folge und Voraussetzung polizeilicher Spezialisierung. Mittlerweile wird versucht, den Rückzug aus der Fläche mit Laien- oder Hilfspolizeien oder der Reaktivierung kommunaler Ordnungshüter auszugleichen.[13] Die neuen Kontrollarrangements, die in den Städten seit den 90er Jahren entstehen, sind die Rückseite polizeilicher Zentralisierung. Dass damit nicht weniger, sondern andere und ausgeweitete Praktiken sozialer Kontrolle einher gehen, ist offenkundig.[14]

Letzte Grenzen

Bis zum Beitritt der Länder der DDR zur Bundesrepublik galt das „Trennungsgebot“ von Polizei und Geheimdiensten. Dieses Gebot hat nie bedeutet, dass Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst keinerlei Beziehungen unterhielten. Es führte jedoch zur Entwicklung eigenständiger Apparate, deren Beziehungen eher punktueller Natur waren und sich auf das Gebiet des Staatsschutzes beschränkten. Seit den 70er Jahren führte die „präventive“ Ausrichtung der Polizeien dazu, dass diese sich ein Repertoire verdeckter Methoden zulegten, das aus der Welt der Geheimdienste stammt. Auch die Weiterentwicklung kriminalistischer Auswertungen zur „intelligence“ stellte eine Facette der Vergeheimdienstlichung von Polizeiarbeit dar.

Mit der deutschen Vereinigung begann nicht nur eine Debatte über den Verfassungsrang des Trennungsgebots,[15] vorangetrieben wurde auch die Verpolizeilichung der Geheimdienste: Die Überwachung des internationalen Telekommunikationsverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst wurde 1994 auf (vermutete) Bereiche Organisierter Kriminalität (OK) ausgeweitet. Die Diskussion über die OK-Bekämpfung durch Geheimdienste führte dazu, dass einige Landesämter für Verfassungsschutz mit derartigen Vorfelderkundungen beauftragt wurden. Die „Doppelzuständigkeit“ von Polizei und Diensten, die schon immer in den politischen Delikten bestand, wurde nun auf „gewöhnliche“ Kriminalität ausgedehnt. Dass die Dienste im Rahmen des neuen Anti-Terrorismus Zugang zu den Kundendaten von Post-, Telekommunikations- und Luftfahrtunternehmen sowie Banken erhielten, setzte die Aufwertung der Geheimdienste in der „präventiven“ Kriminalitätsbekämpfung konsequent fort. Dass auch nach institutionellen und rechtlichen Formen gesucht werden musste, um Polizei und Geheimdienste – nachdem beide über verdeckte Methoden verfügen und beide sich denselben Phänomenen widmen sollen – dauerhaft zusammenzubringen, liegt auf der Hand. In der „Berliner Republik“ wurde das Trennungsgebot in sein Gegenteil umgedeutet: Aus der institutionellen Trennung resultiere die Pflicht zur informationellen Zusammenarbeit. Und um diese auf eine wirksame und dauerhafte Basis zu stellen, bedürfe es entsprechender Rechtsgrundlagen und institutioneller Formen.[16] Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung ist das Trennungsgebot allein darauf reduziert, dass die Beteiligten unterschiedlichen Dienstherren unterstehen und aus unterschiedlichen Titeln des Staatshaushaltes bezahlt werden. Die Bildung einer gemeinsamen Überwachungszentrale im Bundesverwaltungsamt,[17] die gegenüber der Öffentlichkeit als eine bloß technische Dienstleistungseinheit verharmlost wird, ist ein weiteres Mosaiksteinchen in der neuen polizeilich-geheimdienstlichen Gemengelage.

Seit Gründung der Bundeswehr war deren Einsatz im Innern umstritten. Die Notstandsgesetzgebung hatte die Debatte 1968 zu einem vorläufigen Ende gebracht. Bis heute sind allein die damals geschaffenen Regelungen über den Katastropheneinsatz praktisch relevant geworden. Die Bundesrepublik blieb vom Spannungs- und Verteidigungsfall verschont; und die Definition des Inneren Notstands entsprach schon 1968 nicht mehr dem Protest- und Konfliktpotential einer modernen Dienstleistungsgesellschaft. Befreit von der Aufgabe, auf den Bürgerkrieg vorbereitet zu sein, konnten vielmehr die Polizeien (allen voran der BGS) ein spezifisch polizeiliches Organisationsprofil ausbilden.

Nach dem Ende des Kalten Krieges war nicht nur das Gegenüber der Geheimdienste maßgeblich reduziert, sondern aus dem militärischen Feind im Osten wurden schnell Verbündete oder Partner. In den humanitär legitimierten Kriegen der 90er Jahre, dann aber in dem offensiven Bekenntnis, die deutschen Interessen (die der NATO, der Vereinten Nationen) weltweit auch militärisch durchsetzen zu können, fand die Bundeswehr als Einsatzarmee ihre neue Orientierung.

Seit den 90er Jahren tauchten aber als Auswege aus der Sinnkrise der Bundeswehr auch immer wieder Vorschläge auf, die Streitkräfte an verschiedenen Aufgaben im Innern zu beteiligen. Das reichte vom Einsatz im Umweltschutz bis zur Sicherung der deutschen Ostgrenze. Der heutige Innenminister Wolfgang Schäuble war schon damals einer der Vorreiter dieser Idee: In den Auslandseinsätzen seit den 90er Jahren hätte die Bundeswehr oft polizeiliche Aufgaben wahrnehmen müssen. Deshalb sei es nicht einzusehen, warum deutschen Soldaten im Inland verwehrt bleibe, was sie im Ausland mit Erfolg meisterten.[18]

Die Bundeswehr an der Aufrechterhaltung innerer Sicherheit in Friedenszeiten zu beteiligen, steht seither auf der politischen Agenda. Den Weg über die Katastrophenhilfe hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2006 durch sein Urteil zum Luftsicherheitsgesetz verstellt. Derzeit wird deshalb praktisch versucht, die Reichweite bestehenden Rechts auszudehnen, militärische Ressourcen polizeilich nutzbar zu machen und die Öffentlichkeit an die Normalität militärischer „Dienstleistungen“ im Innern zu gewöhnen – Heiligendamm 2007 war nur der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.[19]

Konturen der Sicherheitsarchitektur

Pläne einer neuen „Sicherheitsarchitektur“ gibt es seit den 70er Jahren – von Alfred Stümpers „Systematisierung der Verbrechensbekämpfung“[20] (1981) bis Eckart Werthebachs „Idealtypische Organisation innerer und äußerer Sicherheit“(2002)[21] oder der „Modellentwicklung für eine Neuorganisation der kriminalpolizeilichen Sicherheitskomponenten des Bundes“, die der Bund Deutscher Kriminalbeamter 2004 vorlegte.[22] Aber die Entwicklung folgt bislang nicht diesen Architekten, die durchgängig den Bund gegenüber den Ländern stärken wollen. Statt dieser als notwendig und effektiv gepriesenen Reißbrettmodelle ist die reale Veränderung des „Systems innerer Sicherheit“ von Konfliktlinien der etablierten Apparat- und Politikinteressen bestimmt: Bund und Länder ringen ebenso um Zuständigkeiten wie Polizei und Geheimdienste; politische Absichtserklärungen und polizeiliche Strategien sind nicht deckungsgleich; schutz- und kriminalpolizeiliche Interessen (und ihre gewerkschaftlichen Vertreter) verlangen Berücksichtigung; justitielle Kriterien (Rechtsstaatlichkeit, strafprozessuale Verwertbarkeit) stimmen nicht immer mit polizeilich-gefahrenabwehrenden überein; verfassungsrechtliche Grenzen beschneiden polizeilich-politische Umbauphantasien; und schließlich muss der Komplex der Öffentlichkeit als gleichzeitig wirksam und nicht gefährlich (für die Freiheiten der BürgerInnen) verkauft werden können.

Aus diesem Geflecht unterschiedlicher Interessen entwickelt sich eine „neue Sicherheitsarchitektur“, in der die bestehenden rechtsstaatlich-demokratischen und bürgerrechtlichen Probleme des Systems nicht verringert, sondern erheblich verschärft werden. Drei Merkmale des Umbaus sind dafür verantwortlich:

Erstens: In den neuen Formen der „Vernetzung“ wird keinem der Beteiligten etwas genommen. So ist es nach langen Anläufen gelungen, das Bundeskriminalamt mit präventiven Kompetenzen für den internationalen Terrorismus auszustatten. Niemand stört an diesem in der Föderalismusreform gefundenen Kompromiss, dass eine Doppelzuständigkeit von Landes- und Bundesbehörden geschaffen wird, die dem erklärten Ziel der Entflechtung von Bund und Ländern widerspricht. Denn durch den „Gewinn“ der Zentrale wird das Tätigkeitsfeld der Länderpolizeien nicht beschnitten. Das gilt auch für das Verhältnis von Polizeien und Geheimdiensten. Die Überschneidungen in Arbeitsweisen und Zielobjekten bleiben bestehen; sie bilden das Fundament der Kooperation. Im Ergebnis werden die einzelnen Apparate gestärkt (Aufgaben, Befugnisse, Personal) und mit anderen – ebenfalls ausgebauten – „vernetzt“.

Zweitens: Der Sicherheitsverbund schlägt sich auch institutionell nieder. Dabei entstehen neue Organisationen, die die Grenzen von Ressorts, Sparten, Bürokratien überschreiten. Das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ), seine Vorläufer und seine Pendants in den Ländern gehören hier hin, ebenso wie das „Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration“ (GASIM), die „Information Boards“ oder die interadministrative Internetüberwachung im „Gemeinsamen Internetzentrum“ (GIZ).[23] Neue exekutive Befugnisse werden in der Regel nicht geschaffen. Vielmehr soll der Austausch von Daten dazu beitragen, dass die Beteiligten umfassender informiert ihre Aufgaben wahrnehmen können. Auch soll durch die Kombination von Zuständigkeiten, Befugnissen und Sanktionen ein abgestimmtes und deshalb effektiveres Handeln ermöglicht werden. Offen bleibt, was diese bürokratischen Zusammenschlüsse jenseits des beschworenen Informationsaustauschs im einzelnen leisten und worin ihre Bedeutung für die Beteiligten liegt.

Drittens: In der „neuen Sicherheitsarchitektur“ wird das Kontrollproblem manifester denn je. Bereits der Umstand, dass undurchschaubare Zusammenarbeitsformen unterschiedlicher Bürokratien mit unklarem Tätigkeitsprofil, aber behaupteter hoher Sicherheitsrelevanz entstehen, ist geeignet, die Verunsicherung in der Bevölkerung zu bekräftigen. Wenn Daten ausgetauscht und angereichert werden, wenn aus den „Auswertungen“ exekutives Handeln resultiert, wenn Personen observiert oder abgehört werden, wenn ihr Umfeld durchleuchtet oder ihre Computer durchsucht werden, dann stellt sich die Frage nach dem Schutz der BürgerInnen vor dem Staat neu. Bei aller Euphorie über den neuen Sicherheitsverbund wird bewusst vergessen, dass es einen guten demokratischen Sinn gab, verschiedene Staatstätigkeiten verschiedenen Behörden, die unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen, zuzuweisen. Vertikale und horizontale Gewaltenteilung, die Scheidung von innerer und äußerer Sicherheit, Unterschiede in gefahrenabwehrenden und strafverfolgenden Befugnissen, die Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeien – das waren Versuche, die staatliche Machtentfaltung zu bändigen. Dass die Parlamente den Exekutiven hilflos hinterherhecheln, ist bekannt. Im Zeitalter der Vernetzung kommt nun verschärfend hinzu, dass die Netze sich jenseits parlamentarischer Zuständigkeiten etablieren. Durchgängig mangelt es an gesetzlichen Grundlagen, und durchgängig werden die Kontrollchancen der Parlamente ausgehebelt.

Die „neue Sicherheitsarchitektur“ führt zu einem Verbund gestärkter Behörden, die in klandestinen Formen zusammenwirken und damit sowohl rechtliche wie politische Schranken unterlaufen. Es liegt in der Logik dieser Entwicklung, wenn als Krönung der undurchschaubaren Verbünde ein „Nationaler Sicherheitsrat“ gefordert wird, der unter dem Primat der „Sicherheit“ das Potential zu einem Nebenkabinett besäße.

Im Dschungel der vernetzten Sicherheit

Der Blick auf Polizei, Geheimdienste, Militär und die neuen Kooperationsgremien zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem sich entwickelnden neuen Gebäude der Inneren Sicherheit. Nicht berücksichtigt wurden sämtliche externe Bezüge, insbesondere die Verflechtungen mit der europäischen Ebene und deren Rückwirkungen auf die nationalen Strukturen. Unterschlagen wurden auch die enger gewordenen Verknüpfungen zwischen militärischen, polizeilichen und nicht-polizeilichen Zuständigkeiten im Bereich des Katastrophen- bzw. „Bevölkerungsschutzes“. Und schließlich fehlt der Hinweis auf die Privatisierungstendenzen in der Inneren Sicherheit. Diese drei weiteren Bezüge verweisen darauf, dass die Netzwerklogik weit über den traditionellen Teil des (national)staatlichen Gewaltmonopols hinaus reicht.[24] Mit der erweiterten Perspektive nehmen auch die demokratisch-bürgerrechtlichen Probleme weiter zu.

Norbert Pütter ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Funk, A.; Werkentin, F.: Die siebziger Jahre – Das Jahrzehnt der inneren Sicherheit?, in: Narr, W.-D. (Hg.): Wir Bürger als Sicherheitsrisiko, Reinbek b. Hamburg 1977, S. 189-209 u. 337 f.
[2] Noethen, St.: Kriminalpolitische Vorgaben der alliierten Besatzungsmächte, in: Lange, H.-J. (Hg.): Kriminalpolitik, Wiesbaden 2008, S. 59-77
[3] Werkentin, F.: Die Restauration der deutschen Polizei, Frankfurt/M., New York 1984
[4] Busch, H.; Funk, A.; Kauß, U.; Narr, W.-D.; Werkentin, F.: Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt/M., New York 1985, insb. S. 69-250
[5] s. exemplarisch: Bäumler, H.: 20 Jahre Polizeirechtsgesetzgebung – aus der Sicht eines Datenschützers, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Sicherheit vor Freiheit?, Berlin 2003, S. 23-32
[6] s. Cobler, S.: Die Gefahr geht von den Menschen aus – der vorverlegte Staatsschutz, Berlin 1976
[7] s. Zöller, M.A.: Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, Heidelberg 2002
[8] Pütter, N.: Prävention. Spielarten und Abgründe einer populären Überzeugung, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 86 (1/2007), S. 3-15
[9] zum BKA s. Klink, M.: Bundeskriminalamt, in: Groß, H.; Frevel, B.; Dams, C. (Hg.): Handbuch der Polizeien Deutschlands, Wiesbaden 2008, S. 516-554
[10] s. den Beitrag von Fredrik Roggan in diesem Heft
[11] zum BGS s. Peilert, A.; Kösling, W.: Bundespolizei – vormals Bundesgrenzschutz, in: Groß; Frevel; Dams a.a.O. (Fn. 9), S. 555-590
[12] Dem Zoll ist bislang unverdient wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Für den gegenwärtigen Zustand s. die Selbstdarstellungsbroschüre: Zollkriminalamt (Hg.): Zollfahndungsdienst, Köln 2005 (www.zoll.de/e0_downloads/d0_veroeffentlichungen/zka_zfd.pdf) [13] s. exemplarisch: Hornof, P.; Kopsch, R.: Ansprechpartner statt Strafverfolger. Wachpolizei und Freiwilliger Polizeidienst in der Sicherheitsarchitektur eines Polizeipräsidiums, in: Polizei – heute 2007, H. 3, S. 82-87
[14] mit Blick auf die privaten Sicherheitsdienste s. Beste, H.: Morphologie der Macht. Urbane „Sicherheit“ und die Profitorientierung sozialer Kontrolle, Opladen 2000, S. 296 ff.
[15] s. die Beiträge in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Berlin (Hg.): Nachrichtendienste, Polizei und Verbrechensbekämpfung im demokratischen Rechtsstaat, Berlin 1994
[16] Busch, H.: Es wächst zusammen … Zum Gemeinsame-Dateien-Gesetz, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 85 (3/2006), S. 52-59; Roggan, F.; Bergemann, N.: Die „neue Sicherheitsarchitektur“ der Bundesrepublik Deutschland. Anti-Terror-Datei, gemeinsame Projektdateien und Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, in: Neue Juristische Wochenschrift 2007, H. 13, S. 876-881
[17] s. den Beitrag von Mark Holzberger in diesem Heft
[18] Schäuble, W.; Stümper, A.; Greiner, A.: Eine der Lehren aus dem Kosovo-Krieg: Sicherheit ist heute nicht mehr mit der Verteidigung der Landesgrenzen identisch, in: Die Polizei 2000, H. 6, S. 161-163
[19] s. den Beitrag von Norbert Pütter in diesem Heft
[20] Stümper, A.: Systematisierung der Verbrechensbekämpfung, Stuttgart u.a. 1981
[21] Werthebach, E.: Idealtypische Organisation innerer und äußerer Sicherheit. Gutachten für die „Task Force Zukunft der Sicherheit“ der Bertelsmann-Stiftung, Berlin 2002 (www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-C2BF0CCE/bst_engl/GutachtenWerthebach.pdf)
[22] Bund Deutscher Kriminalbeamter: Sicherheitsarchitektur des Bundes, Rheinbach 2004
[23] s. den Beitrag von Jan Wörlein in diesem Heft
[24] Dazu mehr in der nächsten Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.

Bibliographische Angaben: Pütter, Norbert: Sicherheitsarchitekturen im Wandel. Polizei – Geheimdienst – Militär, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 90 (2/2008), S. 3-12

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