01.06.2013 - During the Blockupy demo in Frankfurt Main - Germany www.montecruzfoto.org

Top oder Flop? Werthebach-Kommission und neue Sicherheitsarchitektur

von Albrecht Maurer

Ende 2010 löste der Bericht der Werthebach-Kommission[1] wüste Proteste aus. Bundespolizei (BPol) und Bundeskriminalamt (BKA), die Polizeigewerkschaften und einige Landesinnenminister wehrten sich gegen eine Fusion der beiden „Sonderpolizeien des Bundes“. Nach dem Amtsantritt des neuen Bundesinnenministers schienen die Pläne erledigt. Wirklich?

Den Vorschlag, „aus den Polizeien des Bundes eine Polizei des Bundes zu machen“, fände er „überzeugend, bedenkenswert und verfolgenswert“, hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärt, als er am 19. Dezember 2010 den Bericht der von ihm einberufenen Kommission unter Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckart Werthebach, präsentierte. „Kurz und schnell“ wollte er die Organisationsreform vollziehen und deshalb bereits im März 2011 eine Grundsatzentscheidung treffen.[2] Dazu kam es – dank der Kabinettsrochade – nicht mehr.

Keine zwei Wochen war der neue Innenminister im Amt, da räumte er gründlich auf mit dem Erbe seines Vorgängers. So sahen es jedenfalls die Medien: „Bundespolizei und Bundeskriminalamt bleiben zwei Säulen der Polizei des Bundes“, lautete der immer wieder zitierte Satz aus Hans-Peter Friedrichs Rede beim 60. BPol-Jubiläum am 15. März 2001.[3] Dass der Minister „viele Einzelempfehlungen“ der Kommission „für sehr bedenkenswert“ hielt, ging dabei ebenso unter wie seine Erklärung, das „Zusammenspiel“ von BKA und BPol in jedem Fall verbessern zu wollen.

Zuvor hatte ein veritabler Sturm im sicherheitspolitischen Wasserglas getobt. Über ideologische und organisatorische Grenzen hinweg schienen sich die VertreterInnen der Polizei einig in der Ablehnung des Kommissionsberichts, allerdings vertraten die KritikerInnen teils sehr gegensätzliche Positionen. „Masse (gleich BPol) schluckt Klasse (gleich BKA)“, hatte der ehemalige BKA-Chef Hans-Ludwig Zachert gepoltert, der die „Abwicklung“ bzw. „Einebnung des BKA“ befürchtete. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sprach von einer „Zerschlagung“ des Amtes, dessen MitarbeiterInnen in einer „gesichtslosen Organisationsstruktur“ unterzugehen drohten. Die Bundespolizeigewerkschaft, der frühere Bundesgrenzschutzverband (bgv), sah hingegen den „Expansionswahn des Bundeskriminalamts“ am Wirken. In ihrer Presseerklärung mutierte der Brief von BKA-Präsident Jörg Ziercke an die MitarbeiterInnen seines Amtes zu einer „Kriegserklärung“ an die BPol. Ziercke hatte zwar eine Auflösung des BKA und eine Fusion mit dem vormaligen Bundesgrenzschutz klar abgelehnt, allerdings Zustimmung zu zahlreichen Vorschlägen der Kommission und „Veränderungsbereitschaft“ signalisiert. Unter den Innenministern der Länder taten sich insbesondere die der CDU/CSU hervor: Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ließ gar Willy Brandt anklingen: Bei einer Fusion käme zusammen, was nicht zusammen gehört.[4]

Die Schlachtrufe, mit denen die GegnerInnen des Projekts ins Feld zogen, sind aus zwei Gründen verwirrend: Zum einen gehen sie am Kern der Sache vorbei: Weder ist die von de Maizière öffentlich favorisierte „Fusion“ so eindeutig mit der Auflösung des BKA in die BPol oder der Unterordnung der BPol unter das BKA verbunden, wie es der Einfachheit und des politischen Landgewinns halber öffentlich dargestellt wurde. Noch wären die im Kommissionsbericht vorgeschlagenen Maßnahmen vom Tisch, wenn man auf eine Fusion als ersten Schritt verzichtet. Merkwürdig ist die sehr scharfe Kritik aus den Polizeigewerkschaften und den oberen Etagen der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zum andern, weil sie alle in die Arbeit der Kommission eingebunden waren.

Die Kommission und ihr Auftrag

Eingesetzt worden war die Werthebach-Kommission im April 2010 in Abstimmung zwischen Finanzminister Wolfgang Schäuble und Innenminister Thomas de Maizière. Die ausdrückliche Beteiligung des Finanzministers ist den ursprünglichen Zielen der Koalitionsfraktionen geschuldet. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sie vereinbart, „vor dem Hintergrund der Finanzkrise und ihrer finanziellen Folgelasten … mit vorhandenen Ressourcen mehr“ erreichen und dazu die Aufgaben und Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden evaluieren zu wollen. „Unter die Lupe genommen werden“ sollte dabei auch die „Schnittstelle“ zwischen der BPol und dem Zoll, der dem Finanzministerium (BMF) untersteht.[5]

Zu der Kommission gehörten neben Werthebach: Ex-BKA-Präsident Ulrich Kersten, der 2004 nach amtsinternen Protesten gegen die Pläne einer Komplett-Verlegung des BKA nach Berlin zurückgetreten war; der frühere Generalbundesanwalt Kay Nehm; der nordrhein-westfälische Ex-Staatssekretär Wolfgang Riotte; Karl-Heinz Matthias, bis Anfang 2010 Präsident des Zollkriminalamts (ZKA), und Rolf Ritsert von der Deutschen Hochschule der Polizei, der zuvor im Bundesinnenministerium (BMI) unter Schäuble für die Reform der BPol zuständig war.

19 meist mehrtägige Sitzungen absolvierte die Kommission im Laufe des Jahres 2010. Dreimal – zu Beginn, zum Abschluss sowie zur „Erörterung der wesentlichen Eckpunkte der Ergebnisse der Kommission“ – waren daran die Mitglieder des Beirates beteiligt.[6] Zu dem gehörten erstens die LeiterInnen der untersuchten Behörden: Matthias Seeger vom BPol-Präsidium, Paul Wamers bzw. Margrit Neumann vom ZKA und Jörg Ziercke vom BKA. Hinzu kamen zweitens der Referatsleiter „Organisation Zollverwaltung“ des BMF, der Vorsitzende des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz (IMK) und der bayerische Landespolizeipräsident Waldemar Kindler sowie drittens die Chefs der Polizei- und Zollgewerkschaften: Konrad Freiberg (Gewerkschaft der Polizei, GdP), Klaus Jansen (Bund Deutscher Kriminalbeamter, BDK), Klaus Leprich (Bund Deutscher Zollbeamter, BDZ), Rüdiger Reedwisch (bgv), Klaus Weber (ver.di) und Rainer Wendt (Deutsche Polizeigewerkschaft, DPolG).

Darüber hinaus gab es noch einen Koordinierungsausschuss bestehend aus den Fachabteilungsleitern von BMI und BMF, der „die notwendige Information über Organisation und Aufgabenwahrnehmung der untersuchten Behörden sicherstellte.“[7] Der Vollständigkeit halber sei auch noch die Geschäftsstelle genannt, die mit fünf MitarbeiterInnen beim BMI eingerichtet wurde.

Der Auftrag für diese doch sehr aufwändige Struktur war denkbar einfach: Auf mögliche Synergien hin untersucht und bewertet werden sollten die Schnittstellen der zivilen Sicherheitsbehörden – BKA, BPol und Zollverwaltung. Nachrichtendienste, Terrorismusbekämpfung, Küstenwache und Seehäfen waren ausdrücklich ausgenommen.

Diesen Auftrag übersetzte die Kommission in Arbeitsgrundsätze: Sie wollte Aufgaben und Zuständigkeiten der Behörden darstellen und analysieren, „ob gleiche, gleichartige oder vergleichbare Aufgaben … parallel, überlappend oder mehrfach wahrgenommen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Erfüllung der gesetzlich bestimmten Aufgaben aus unterschiedlichen Blickwinkeln erfolgt. Die Untersuchung schließt die Frage ein, ob sich Veränderungen der Sicherheitsarchitektur empfehlen.“[8]

Die Kommission führte ferner 19 Anhörungen und Vor-Ort-Erhebungen durch. Sie sprach unter anderem mit Vertretern der Behörden und der IMK und besuchte Flughäfen, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration (GASIM). Gegenstand waren jeweils Aufgaben, Aufgabenwahrnehmung und gelegentlich empirische Erhebungen, etwa der Anzahl der „Feststellungen“ von Zoll und BPol im Raum Köln-Aachen.

Fusion oder Verschmelzung?

Ziel der Kommission war es, „die überkommene Sicherheitsarchitektur in Fortschreibung der im Jahre 2005 begonnenen Reformschritte systemgerecht zu Ende zu führen.“[9] Die in diesem Jahr vollzogene formelle Umwandlung des Bundesgrenzschutzes in eine Bundespolizei sowie den Ausbau des BKA zu einer machtvollen Zentrale, der in der Neufassung des BKA-Gesetzes im Jahre 2009 seinen vorläufigen Höhepunkt fand, wurden also vorausgesetzt. Die Verschiebung der Aufgaben und der Machtbalance von den Polizeien der Länder hin zum Bund wurde nicht weiter analysiert oder hinterfragt:

„Es mag dahinstehen, ob diese Aufgabenverschiebung ihre Ursache in der Kompetenzerweiterung der Bundespolizei hatte oder Konsequenz eines haushaltsbedingten Rückzugs der Länderpolizeien war, im Ergebnis kann festgehalten werden, dass weder die Länder noch der Bund der Entwicklung entgegengetreten sind.“[10]

Für diese „systemgerechte“ Fortentwicklung präsentierte die Kommission in ihrem Bericht 24 Empfehlungen bzw. rund 60 Einzelvorschläge. Die öffentliche Diskussion beschränkte sich aber im Wesentlichen auf einen:

„Die Kommission rät, in einem angemessenen Zeitraum die Sicherheitsarchitektur auf Bundesebene grundlegend zu modernisieren. Sie schlägt daher vor, Bundeskriminalamt und Bundespolizei in einer Behörde zu vereinigen.“[11]

Tatsächlich hat die Kommission die von ihr propagierte Fusion nicht als eine einfache Verschmelzung der beiden „Sonderpolizeien“ verstanden. Vielmehr sollten das BKA und die BPol als zwei Säulen einer Bundespolizei-neu – als Kriminal- bzw. als Präventivpolizei des Bundes – neu geordnet werden und erhalten bleiben. Eine eigentliche Zusammenlegung sollte es nur bei den zentralen Diensten (Spezialkräfte, Unterstützungseinheiten, Technik), der dritten, und bei den Verwaltungseinheiten sowie der Aus- und Fortbildung, der vierten Säule, geben. Die vier Komponenten der neuen Organisation sollten im BMI einen Kopf erhalten.

„Die Kommission hat bewusst offen gelassen, ob die Organisation Bundespolizei (neu) in Anlehnung an einzelne Länderstrukturen im Bundesministerium des Innern beispielsweise als Generaldirektion zu implementieren ist oder … als Bundesoberbehörde im Bereich des Bundesministeriums des Innern angesiedelt werden sollte. Gegenüber der geltenden Organisationsstruktur hätte eine Integration des Modells der Bundespolizei (neu) in das Bundesministerium des Innern einerseits eine sichtbare Aufwertung der polizeilichen Angelegenheiten des Bundes im föderalen Sicherheitsgefüge zur Folge, andererseits veränderte die Dominanz der Sicherheitsaufgabe den in 60 Jahren geprägten Charakter dieses wichtigen Bundesministeriums.“[12]

Anders als der ins Verteidigungsministerium gewechselte Minister de Maizière war sich die Kommission darüber im Klaren, dass eine solche grundlegende Neuerung behutsam entwickelt und vorbereitet werden müsse. „Zunächst sollte eine Stärkung des Bundeskriminalamtes als die Kriminalpolizei des Bundes und als die Zentralstelle der Polizeien in Deutschland ebenso im Vordergrund stehen wie die Festlegung der präventiv-polizeilichen Kompetenz der Bundespolizei.“[13] Die darauf zielenden zentralen Empfehlungen, so formulierte es die Kommission im nächsten Satz, seien zwar „Zwischenschritte“ auf dem Weg zur Bundespolizei-neu, die man aber auch „ungeachtet der grundlegenden Neuorganisation“ umsetzen könnte.

Konkret hieß das, dass das BKA künftig für alle Fälle der „Kriminalität von besonderer Bedeutung“ zuständig sein sollte, auch für Fragen der „Schleusungskriminalität“, die bisher bei der BPol bearbeitet werden. Die Kommission kritisierte hier, dass die BPol in diesem Bereich dabei sei „eine vollwertige Kriminalpolizei“ aufzubauen, die als Zentralstelle alle verfügbaren Informationen über Schleusungen zusammentrage, und eine eigene Spezialausbildung und auch den „Bereich Einsatz- und Ermittlungsunterstützung (z.B. Telekommunikationsüberwachung)“ ausbaue.[14] Die Kriminalitätsbekämpfungs-Inspektionen der BPol könnten vom BKA übernommen werden. Dieses sollte darüber hinaus für Fälle der Piraterie zuständig werden und auch die „erforderliche Amtshilfe“ der Bundeswehr koordinieren.[15]

Die BPol sollte nach Meinung der Kommission umgekehrt in ihrer präventivpolizeilichen Rolle als Grenz-, Bahn- und Bereitschaftspolizei gestärkt werden. Sie sollte dabei weiterhin die Verfolgung leichter und mittlerer Kriminalität übernehmen. Voll in ihre Verantwortung sollte auch die Luftsicherheit fallen. Die bisher in diesem Bereich von der Zollverwaltung vorgenommenen Risikoanalysen wollte die Kommission in die BPol einbinden.

Eine Grenzbereinigung propagiert die Kommission auch beim Objekt- und Personenschutz. Der Schutz der Mitglieder der Verfassungsorgane sei zwar keine eigentlich kriminalpolizeiliche Aufgabe, solle aber vorerst beim BKA (Sicherungsgruppe) verbleiben. Der Personenschutz im Ausland dagegen könne bei der BPol angesiedelt werden, Gefährdungsbewertung und -einstufung solle weiterhin das BKA betreiben.[16]

Weiter schlägt die Kommission vor, die Zusammenarbeit von BKA und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu intensivieren. In einem „Strategiezentrum Sicherheit und IT“ sollte auch die Kooperation mit der Wirtschaft intensiver organisiert werden.[17]

Besonders vorsichtig war die Kommission mit Vorschlägen zum Zoll. Dessen Einbezug in die propagierte Neuorganisation würde ihren Auftrag am ehesten erfüllen.

„Die organisatorische Zusammenführung der Aufgaben von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Teilen der Zollverwaltung, soweit sie Kontroll- und strafrechtliche Ermittlungsaufgaben haben (Zollvollzug), zu einer Bundespolizei (neu)… würde erhebliche Synergieeffekte ermöglichen.“[18]

Allerdings komme dies wegen der andersgearteten und verfassungsrechtlich gestützten Aufgabenstellung der Zollverwaltung nicht in Betracht. Die Kommission forderte jedoch einerseits eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Zoll und BKA, etwa durch den Zugriff des BKA auf das Zoll-Informationssystem (INZOLL), und andererseits interne Organisationsreformen: So sollen die Strafverfolgungsaufgaben in Fällen schwerwiegender und organisierter Kriminalität aus der Zuständigkeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (Zollverwaltung) in die der Zollfahndung übertragen werden. Die „Zentrale Unterstützungseinheit Zoll“ solle der GSG9 zugeordnet werden, wo bisher auch schon ihre Ausbildung stattfindet.

Gemeinsamkeiten

Die heftigen öffentlichen Reaktionen gegen den Bericht der Werthebach-Kommission und die vor allem vom damaligen Innenminister de Maizière forcierten Fusionspläne erklären sich nicht aus einer Opposition der KritikerInnen gegen die wachsende Zentralisierung des deutschen Polizeiwesens oder gegen die weitere Zusammenballung polizeilicher Macht auf der Bundesebene. Vielmehr spielten Behördenegoismen sowie Interessen und hergebrachte Positionen der Verbände eine zentrale Rolle. BKA- wie BPol-nahe KritikerInnen verteidigten jeweils ihre Institution gegen alle Erwägungen, Kompetenzen oder Organisationsteile an die andere Seite abzugeben. Bei aller Kritik aber freute sich beispielsweise die DPolG, dass die Kommission auf den Vorschlag einer Bundesfinanzpolizei verzichtet hat.[19] Derselbe Punkt führte dagegen bei der GdP zu scharfer Kritik; gehört doch der Aufbau einer solchen Organisation unter dem Dach des Zolls seit Jahren zu deren Standardforderungen.[20]

Nachdem sich der Rauch etwas verzogen hatte und der Plan einer Fusion als erster Schritt einer Neuorganisation zurückgestellt war, zeigten sich auch die Gemeinsamkeiten zwischen KritikerInnen und Kommission, was die Konturen einer künftigen Sicherheitsarchitektur anbetrifft. Einig war man sich im Prinzip darin, dass die Sonderpolizeien des Bundes weiter aufzuwerten seien und dass die Sicherheitsaufgabe im BMI eine zentrale Rolle erhalten solle. Für Letzteres hatte die Kommission die Idee einer „Generaldirektion Sicherheit“ als Kopf einer Bundespolizei-neu im BMI bereit. Sie war sich darüber im Klaren, dass dies „den in 60 Jahren geprägten Charakter“ des Ministeriums verändern würde.[21] Das BMI würde letztlich zu einer Art Heimatschutzministerium umgebaut.

Nicht weit entfernt von diesen Konzepten sind die umfassenden Organisationsmodelle, die BPol-Chef Matthias Seeger, sekundiert von der DPolG, sowie die GdP im Februar und März dieses Jahres vorlegten. Erhalten blieben dabei zwar die Differenzen zwischen den beiden Verbänden und mit der Kommission über die Frage, wie die Kooperation zwischen den Polizeien des Bundes zu organisieren und wie deren Zuständigkeiten neu aufzuteilen wären. Gemeinsam aber ist allen dreien jedoch die Forderung einer weiteren Zentralisierung und Konzentration der Polizeien beim BMI.

Die Präsentation von Seegers „Organisationsmodell“ durch den Vorsitzenden des DPolG-Fachverbands BPol, Hans-Joachim Zastrow, war begleitet von den üblichen Verbalattacken gegen das BKA, das sich die „Filetstücke“ der BPol, nämlich die Kompetenzen zur Verfolgung der „Schleusungskriminalität“ und damit die kriminalpolizeilichen Organisationsteile des ehemaligen Bundesgrenzschutz unter den Nagel reißen wolle. „Jetzt sammeln sich die Kräfte der Bundespolizei und zwar geschlossen, um den Angriff des BKA-Präsidenten abzuwehren.“ Die DPolG unterstütze das Modell, weil es eine „echte Weiterentwicklung der Zusammenarbeit von BKA, Zoll und BPol“ bedeute und „dem Kern der von der Werthebach-Kommission favorisierten Idee einer kooperativen Sicherheit der Bundessicherheitsbehörden“ entspreche.[22] Das Modell unterscheidet eine „Fusionsebene“ im BMI und eine „Kooperationsebene“ für BPol, BKA und Zollverwaltung. Dazwischen geschaltet ist als „Koordinations- und Steuerungsinstrument“ eine neue „Polizeiagentur“, die auch ein Gemeinsames Strategiezentrum von BKA, BPol und Zollkriminalamt (ZKA) umfasst.

„Auf Ebene BMI gehen die Abteilungen B (= Angelegenheiten der Bundespolizei – A.M.) und ÖS (Öffentliche Sicherheit – A.M.) in der neuen Abteilung Polizei (P) auf. Die neue Abteilung P könnte sich einer schlanken Bundespolizeiagentur als ständig eingerichtetem, neuen Strategie- und Koordinationsinstrument bedienen. Die Bundespolizeiagentur erarbeitet und gewährleistet die abgestimmte strategische Ausrichtung der Behörden BKA und BPOL. BKA und BPOL bleiben als eigenständige und handlungsfähige Sicherheitsbehörden erhalten. Die Vernetzung der Behörden wird auf Basis der Empfehlungen der Werthebach-Kommission neu geordnet.“[23]

Gemäß dem „Strukturvorschlag für die Polizeien des Bundes“ der GdP soll eine Abteilung Polizei im BMI die Arbeit des BKA, der BPol und eines neu zu schaffenden Gemeinsamen Polizeizentrums (PZ) koordinieren.[24] In letzterem sollen „diejenigen Felder gebündelt werden, in denen aus Kosten-, Steuerungs- und Ablaufgründen echte Synergieeffekte erzeugt werden.“ Im PZ will die GdP auch die polizeilichen Bereiche des Zolls einbinden.

Beide Modelle sind durchaus mit der von der Kommission geforderten „Aufwertung der polizeilichen Angelegenheiten des Bundes im föderalen Sicherheitsgefüge“ kompatibel. Der Streit geht weiter um die Neufassung der Kooperation auf der praktischen Ebene und um den Weg zur Aufwertung, das heißt: um den weiteren Ausbau der bisherigen Sonderpolizeien des Bundes und die Überwindung föderaler Schranken.

Entscheidungen

Am 28. Juni 2011 gab Innenminister Friedrich schließlich seine Entscheidung über die Vorschläge der Werthebach-Kommission bekannt. Er bekräftigte dabei erneut, dass die Fusionspläne vom Tisch sind – vorerst: „Das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei sind unverzichtbarer Bestandteil der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur. Sie bleiben eigenständige Säulen der Polizei des Bundes.“[25] Auch die „Bekämpfung der schweren und organisierten Schleusungskriminalität“ bleibt weiterhin bei der BPol. Damit haben Friedrich und seine Projektgruppe, an der die Präsidenten von BKA, BPol und ZKA sowie die Hauptpersonalräte beteiligt waren, die heißesten Eisen aus der öffentlichen Debatte um den Kommissionsbericht liegen lassen. Im Einzelnen sind folgende Änderungen vorgesehen:

  • Die Aus- und Fortbildung „für die beiden Säulen der Polizei des Bundes“ soll künftig bei der Bundespolizeiakademie stattfinden. Mit der Entscheidung, „Einstellung und Ausbildung zu vereinheitlichen“, solle „perspektivisch bei den Polizisten ein gemeinsames Verständnis der beiden Sicherheitsbehörden als Teil einer ‚Polizei des Bundes‘ im Geschäftsbereich des BMI“ geschaffen werden.
  • Unter dem Dach eines „IKT-Zentrums Polizei des Bundes“ will Friedrich auch die Informations- und Kommunikationstechnik von BKA und BPol zusammenführen. Ein Feinkonzept dafür soll bis Sommer 2012 vorliegen.
  • Wie von der Kommission vorgeschlagen, soll der Personenschutz im Ausland künftig von der BPol wahrgenommen werden.
  • Während bisher BKA und BPol über die Entsendung von VerbindungsbeamtInnen alleine entscheiden, soll nun das „Verbindungsbeamtenwesen“ beim BMI gebündelt werden. Auch hier weicht der Minister von den Vorschlägen der Kommission ab, die eine Konzentration beim BKA vorgeschlagen hatte.
  • Bei der Zusammenarbeit mit dem Zoll will Friedrich die Einzelempfehlungen der Kommission „zeitnah“ umsetzen. Bei einigen Punkten seien aber noch Abklärungen mit dem BMF erforderlich.

Vor dem Hintergrund des großen öffentlichen Tamtams um den Bericht der Kommission erscheinen die Entscheidungen des Ministers eher mager. Anders als sein Vorgänger setzt Friedrich offensichtlich nicht auf die schnelle große Neuorganisation. Dass in der Presseerklärung geradezu penetrant von der „Polizei des Bundes“ statt von dessen „Sonderpolizeien“ die Rede ist, kann jedoch als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Fusionspläne keineswegs ad acta gelegt sind.

Albrecht Maurer, Berlin, ist innenpolitischer Referent der Bundestagsfraktion Die Linke und Mitglied der Redaktion von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Kommission „Evaluierung Sicherheitsbehörden“: Kooperative Sicherheit, Berlin 2010; www.bmi.bund.de/cln_183/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2010/12/pk_werthebachbericht.html
[2] www.bmi.bund.de/SharedDocs/Reden/DE/2010/12/werthebach.html?nn=109576
[3] z.B. Spiegel-online v. 15.3.2011, ganze Rede: www.bmi.bund.de/SharedDocs/Reden/
DE/2011/03/bm_60jahre_bpol.html;jsessionid=4041349551332440244CF294DA120BB7.1_cid156?nn=109576
[4] in der Reihenfolge des Auftretens: welt-online 21.12.2010 u. 14.12.2010; bgv-Presseinformation v. 9.2.2011; BKA: Die Amtsleitung informiert. Mitarbeiterbrief v. 4.2.2011; sueddeutsche.de v. 30.12.2010
[5] Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP v. 26. Oktober 2009, S. 98 und 132
[6] Kommission a.a.O. (Fn. 1), S. 6 ff.
[7] ebd., S. 7
[8] ebd., S. 7
[9] ebd., S. 28
[10] ebd., S.13. Korrekterweise muss gesagt werden, dass der Bund dieser Entwicklung nicht nur nicht entgegengetreten ist, sondern sie seit Jahrzehnten forciert – A.M.
[11] ebd., S. 28
[12] ebd., S. 25
[13] ebd., S. 28
[14] ebd., S. 30
[15] ebd., S. 57-59
[16] ebd., S. 59-66
[17] ebd., S. 136 f.; s. den Artikel von Mark Holzberger in diesem Heft, der das Nachfolgemodell dieses Strategiezentrums, das Nationale Cyber Abwehrzentrum (NCAZ) beschreibt. Diese Änderung ist keine konzeptionelle Abkehr von den Werthebach-Vorschlägen, sondern die Variante, die am einfachsten die Einbeziehung der Bundeswehr erlaubt.
[18] ebd., S. 24
[19] www.cop2cop.de/2010/12/11/dpolg-und-bdz-zum-abschlussbericht-der-werthebach-ko
mmission
[20] GdP: Presseerklärung v. 9.12.2010
[21] Kommission a.a.O. (Fn. 1), S. 25
[22] Zastrow, H.J.: Bundespolizei präsentiert eigenes Organisationsmodell, in: Polizeispiegel 2011, H. 3, www.dpolg-bundespolizei.de/downloads/maerz2011.pdf
[23] ebd.
[24] GdP, Bezirke BPol und BKA: Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages v. 15.2.2011
[25] BMI: Presseerklärung v. 28.6.2011, www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/
DE/2011/06/polizei.html?nn=303936

Bibliographische Angaben: Maurer, Albrecht: Top oder Flop? Werthebach-Kommission und neue Sicherheitsarchitektur, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 98 (1/2011), S. 64-73

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert