Demonstration am 26.5.2011 in Berlin. www.montecruzfoto.org

Ordnung und Vernichtung – Geschichtspolitischer Meilenstein der deutschen Polizei

von Norbert Pütter

Nach mehrjähriger Vorbereitung zeigte das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin die Ausstellung „Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat“. Offiziell beendet sind damit die Jahrzehnte des Verdrängens, Verleugnens und Schönredens: Die Polizei war als aktiver Teil der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an Terror und Holocaust maßgeblich beteiligt.

Die von April bis August 2011 im Pei-Bau des DHM geöffnete Ausstellung geht auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) von 2008 zurück. Vom damaligen IMK-Vorsitzenden und brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) auf Initiativen des vormaligen Potsdamer Polizeipräsidenten Detlef Graf v. Schwerin als Projekt zur öffentlichen Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Polizei im Nationalsozialismus im Kreis der Innenminister durchgesetzt, bestand (und besteht) das Vorhaben aus drei Teilen: 1. die jetzt gezeigte zeitlich befristete Ausstellung, 2. die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien für die Aus- und Fortbildung der Polizei und 3. die Herstellung eines Ausstellungsmoduls, das durch länderspezifische Aspekte erweitert an den Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung auf Dauer die Geschichte der Polizei im Nationalsozialismus darstellen soll. Insgesamt handelt es sich damit um eine Initiative, die nach außen an die allgemeine Öffentlichkeit adressiert ist, die aber auch nach innen als didaktisch aufbereitetes Angebot in die polizeiliche Ausbildung und damit auf die geschichtlichen Kenntnisse von (zukünftigen) Polizisten wie auf deren Selbstbild wirken soll.

Das Projekt hat zusammengetragen, was zunächst einzelne Wissenschaftler, seit mehr als einem Jahrzehnt, aber auch lokale Initiativen in den Polizeien ausgegraben haben. Dass diese aufwändige Zwischenbilanz im Auftrag und mit den Mitteln der deutschen Innenminister unter Federführung der Deutschen Hochschule der Polizei erstellt werden konnte, markiert zweifellos eine Zäsur in der polizeilichen Geschichtspolitik.

Stationen

Inhaltlich ist die Ausstellung in sieben Stationen gegliedert. Im ersten Drittel des aufwändig und professionell gestalteten Katalogs werden diese mit knappen Hintergrundinformationen, mit Hinweisen auf den Kontext der Exponate und auch mit systematisierenden Bemerkungen vorgestellt.[1] Die inhaltliche Struktur der Ausstellung ist an der historischen Abfolge orientiert. Den Rahmen bildet die Vorgeschichte der Polizei in der Weimarer Republik und die (Nicht-)Aufarbeitung ihrer NS-Vergan­genheit in den beiden deutschen Staaten. In den mittleren Teilen wird zunächst die Polizei als alltägliche Stütze des NS-Regimes thematisiert. Mit der Dauer des Krieges vollzieht sich eine Radikalisierung der Polizei; insbesondere die Zwangsarbeiter im Reich werden zu Opfern von Gestapo und Ordnungspolizei. Im nächsten Kapitel „Europa im Griff der Polizei“ wird die Gewalt- und Willkürherrschaft von SS und Polizei in den besetzten Ländern dargestellt. Unter der Überschrift „Grenzenloses Morden“ wird die Beteiligung der deutschen Polizei am Völkermord nicht nur im Reichsgebiet, sondern insbesondere in Polen und der Sowjetunion gezeigt. Im ersten Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion, so der Ausstellungstext, „ermordeten die vier Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und mehr als 30 Polizeibataillone über eine Million Menschen“ (S. 233). In einem weiteren Kapitel „Viele Vollstrecker und wenige Verweigerer“ wird einerseits ein Blick auf die sozialpsychologische Verfassung der NS-Polizisten geworfen („Gehorsam, Gruppendruck und Korpsgeist … rassistische Einstellungen … Herrenmenschentum …“), andererseits werden exemplarische Polizeilebensläufe vorgestellt – von den wenigen Polizisten, die Widerstand leisteten, und von denen, die nach ihrer Beteiligung an den Gräueln des polizeilichen Vernichtungskrieges glaubten, weiter als „normale“ Polizisten Dienst tun zu können. Den Mythen eines angeblichen Befehlsnotstandes wird eine klare Absage erteilt. „Bis heute“, so der Katalog (S. 264), „ist kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein Polizist wegen der Verweigerung eines Mordbefehls hart bestraft oder gar erschossen worden wäre.“

Für die Ausstellung haben die Kuratoren mehr als 500 Exponate zusammengetragen. Teils stammen die Stücke aus öffentlichen Sammlungen, teils von privaten Sammlern oder aus dem Familienbesitz damaliger Polizisten. Überwiegend handelt es sich um Schriftstücke unterschiedlicher Provenienz und Fotografien, aber auch zeitgenössische Film- und Tondokumente werden präsentiert. Darüber hinaus haben die AusstellungsmacherInnen sich bemüht, durch Realien die Attraktivität als Ausstellung zu erhöhen. Ingesamt ist das präsentierte Material weniger vom Umfang als vom Inhalt erdrückend. Sei es der lapidare und unter Angabe der Rechtsgrundlage im Reichsgesetzblatt ergangene Schutzhaftbefehl vom Mai 1933 (S. 37), seien es die Fotos von Hinrichtungen durch die Polizei (S. 203, 216) oder der Befehl des Polizeiregiments Mitte vom Juli 1941, alle als Plünderer überführten männlichen Juden im Alter von 17 bis 45 Jahren „standrechtlich zu erschießen“ – verbunden mit der Aufforderung, die Exekutionen „täglich bis 20 Uhr in kürzester Form“ zu melden (S. 267). Angesichts solcher Dokumente wird nicht nur deutlich, wie sehr der Krieg auch die vermeintlich zivile Gewalt der Polizei entgrenzte, sondern auch, wie die bürokratisierte Umsetzung der Politik des Völkermordes vonstatten ging.

Begrenzte Anschauung, Hinweise statt Analyse

Die AusstellungsmacherInnen haben eine reichen Fundus an Anschauungsmaterial über die Rolle der Polizei im Nationalsozialismus, ihren politischen, gesellschaftlichen und die individuellen Kontexte zusammengetragen. Dessen Potential scheint bei weitem nicht ausgeschöpft. Zum einen, das dürfte dem Medium „Ausstellung“ geschuldet sein, ist der Gewinn mancher Materialien durchaus fraglich. Was sagt den Nachgeborenen die „Seitenwaffe der Polizei“ („Preußen, nach 1930) (S. 118), was nehmen wir aus der Ansicht des Umschlags von Paul Rieges „Keine(r) Polizei-Ge­schich­te“ von 1966 (S. 94), der Dienstmarke der Kriminalpolizei (S. 49), dem „Ford Eifel“ von 1937 (S. 135) oder den Portraits der NS-Polizei­führer (S. 147-151) mit?

Nun besteht der Vorteil einer Ausstellung darin, dass sie mehrere Sinne gleichzeitig ansprechen kann. Dass man sich deshalb bemühte, auch Dinge zum Hören, Sehen und Anfassen (auch wenn das natürlich verboten ist) zu präsentieren, ist verständlich. Schwerer wiegt, aber auch das mag ausstellungspädagogisches Konzept gewesen sein, dass die Schau sich eines analytischen Fazits entzieht. Auch in dieser Hinsicht ist sie mehr eine Fundgrube, ein Steinbruch, aus dem sich die BesucherInnen und LeserInnen bedienen können und müssen, wenn sie Antworten auf die Fragen haben wollen, die die Ausstellung zu geben verspricht. „Wer waren die Männer ..? Welche mentalen Voraussetzungen und strukturellen Bedingungen prägten das Verhalten der Polizeiangehörigen, dass sie … schließlich vielfach sogar zu Mördern wurden? Wer verweigerte sich … Welche Motive waren dafür ausschlaggebend?“.[2] Zweifellos werden in den einführenden Texten ebenso wie in den Erläuterungen zu den einzelnen Stationen alle Erklärungsansätze benannt: vom militärischen Erbe, der antidemokratischen Tradition, der national-völkischen Ideologie, der obrigkeitsstaatlichen Prägung, der Übernahme des Staates durch die Partei bis zur Radikalisierung durch den Krieg. Aber an keiner Stelle wird der Versuch einer zusammenfassenden Analyse unternommen. Exemplarisch heißt es in der Einleitung zur individuellen Ebene: „Die Gründe, weshalb Polizisten selbst schwerste Verbrechen begingen, waren sehr unterschiedlich.“ Das ist unbestreitbar. Wünschenswert aber wäre gewesen, wenn diese unterschiedlichen Motive und ihr Zusammenspiel mit den sozialen, politischen, institutionellen etc. Bedingungen verknüpft worden wären. Vielleicht ist das angesichts des verfügbaren Wissens zu viel verlangt. Vielleicht wird eine solche Zusammensicht in den didaktischen Materialien nachgeholt. In jedem Fall hätte das Projekt deutlicher machen müssen, dass es im Kern eine Antwort schuldig bleibt.

Polizeiliche Geschichtspolitik

Naiv wäre es, Ausstellung und Geschichtsprojekt nicht selbst als historische Ereignisse zu begreifen. Nicht in der Verleugnung, sondern in bewusster Abgrenzung, so die Botschaft, konstituiert sich das Selbstbild der Polizei der neuen Bundesrepublik. Zwei Jahrzehnte nachdem die Abgrenzung gegenüber den Organen des Unrechtsregimes DDR hinfällig geworden war, soll in der Aufarbeitung der institutionellen Vorgeschichte im Nationalsozialismus das Selbstverständnis einer demokratischen, rechtsstaatlichen, die Menschenrechte wahrenden Polizei bekräftigt werden. Je dunkler die Vergangenheit, desto heller leuchtet die Gegenwart.

Nachlesen kann man das in den dem Katalog vorangestellten Gruß- und Vorworten. Hans Ottomeyer, scheidender Präsident des DHM, hält bereits den Zeitpunkt der Ausstellung für besonders gelungen: „Nach 65 Jahren – dies ist die historische Distanz, die wir gemeinhin zu den Katastrophen der Geschichte halten – …“ (S. 13). Es gab Zeiten, da bezeichnete man mit „zweiter Schuld“ das Unvermögen, sich mit dem eigenen Versagen, der eigenen Schuld, der Verstrickung in den Nationalsozialismus auseinander zu setzen. Bei Ottomeyer ist aus diesem Verschweigen ein „gemeinhin“ gültiger Abstand geworden, der in Wahrheit den „Vorteil“ hat, dass individuell Verantwortliche nicht mehr am Leben sind, zugleich das Vergangene in historisch entferntere Schubladen der Erinnerungsarbeit verstaut werden kann. Mit diesem zeitlichen Abstand fällt es umso leichter, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Denn, so der Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei, Klaus Neidhardt, die Polizei des Grundgesetzes sei „das direkte Gegenteil zur Polizei des NS-Staates“. Sie habe die Aufgabe, die Grundrechte zu schützen. Als „Organisation, die berechtigt ist, Zwang zur Durchsetzung von Maßnahmen einzusetzen“, unterliege sie „strikter rechtsstaatlicher und öffentlicher Kontrolle“. Die Ausstellung sei deshalb besonders wichtig für die Polizei selbst, denn sie könne „doch dazu beitragen, die ihr anvertrauten Gewaltmittel stets behutsam einzusetzen und sensibel zu bleiben gegen Gewaltmissbrauch“ (S. 11). Dies Hoffnung ist so allgemein, dass man ihr ebenso wenig zu widersprechen vermag wie dem Motto, mit dem der hessische Innenminister und IMK-Vorsitzende Boris Rhein (CDU) sein Grußwort überschreibt: „Nur wer seine Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Wenn Rhein konkret wird, werden seine Gedanken nebulös. Polizisten hätten eine hohe Verantwortung, deshalb sei es wichtig, bei ihnen „das Bewusstsein zu schärfen, dass die Polizei ausführendes Organ des NS-Terrors bis hin zur aktiven Teilnahme am Völkermord war. Auf diese Weise kann heute insbesondere rechtsradikalen Auswüchsen begegnet werden.“ (S. 9). Der Innenminister meint doch wohl nicht „rechtsradikale Auswüchse“ in der Polizei!? Aber warum sollte ausgerechnet diese Ausstellung die Sensibilität gegenüber Rechtsextremisten erhöhen? Vielleicht damit die Polizei eines Tages nicht erneut missbraucht werde? Aber dann hätte der Minister die Ausstellung wohl nicht verstanden.

Gerade im Hinblick auf den Gegenwartsbezug rächt sich der weitgehende Verzicht auf analytische Aussagen. Thematisiert werden personelle Kontinuitäten, die Karrieren, die überzeugte Nazi-Polizisten und Beteiligte an Massenmorden in der westdeutschen Polizei machen konnten. Hingewiesen wird auch auf die wenigen Aufrechten im Apparat, die eine Aufklärung versuchten, und die Schikanen, denen sie von ihren Kollegen ausgesetzt waren. Über strukturelle Kontinuitäten schweigt das Projekt: Dass die alliierten Vorgaben zur Dezentralisierung und lokalen Kontrolle der Polizeien sobald wie möglich wieder rückgängig gemacht wurden, dass die kasernierte Polizeiausbildung in geschlossenen Einheiten militärähnlichen Charakter hatte, dass die militärische Bewaffnung der Polizei erst Ende der 60er Jahre abgeschafft wurde, dass schließlich seit Mitte der 70er Jahre mit der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ an Vorstellungen aus der Weimarer Republik angeknüpft wurde, die – wie die Ausstellung zutreffend darstellt – die Rechtfertigungsformel für die Ausmerzung zunächst der „Berufsverbrecher“ und später ganzer Volksgruppen lieferte – das alles bleibt unthematisiert.

Zweifellos ist jeder Vergleich, ist die Behauptung von Kontinuität abwegig. Gleichzeitig muss man aber auch feststellen, wie beschränkt offenkundig die Lehren aus der Vergangenheit ausfallen sollen: Wenn die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ in den Polizeigesetzen „rechtsstaatlich“ geregelt wird, ist deren demokratie- und freiheitsschädigendes Potential keineswegs gestoppt. Wenn das Recht immer weniger begrenzend, immer mehr staatliche Handlungsfreiheit erweiternd wirkt, dann ist mit dem Adjektiv „rechtsstaatlich“ wenig gewonnen. Wenn aus dem „Trennungsgebot“ von Polizei und Geheimdiensten – eine Lehre, die die Alliierten den Westdeutschen vorschrieben – in der erweiterten Bundesrepublik ein Zusammenarbeitsgebot gemacht wird, dann muss die Kontrollierbarkeit der staatlichen Exekutive auf der Strecke bleiben. Wenn ein Polizeiführer wegen der Androhung von Folter lediglich symbolisch bestraft, aber dienstlich befördert wird, dann wird deutlich, wie dünn die Bekenntnisse zu den Bürger- und Menschenrechten sind. Und schließlich sollte man bedenken, dass man die Geschichte der Bundesrepublik auch als eine Abfolge innerer Feinderklärungen schreiben könnte. In all dem wird deutlich, dass in dem Geschichtsprojekt der deutschen Polizei mehr Gegenwart steckt als die Initiatoren wahrhaben wollen.

[1] Deutsche Hochschule der Polizei; Dierl, Florian; Hausleitner, Mariana; Hölzl, Martin; Mix, Andreas (Hg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden (Sandstein Verlag) 2011, 320 S. (Seitenangaben im Text beziehen sich auf diesen Katalog)
[2] www.dhm.de/ausstellungen/ordnung-und-vernichtung/index.html

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