Komentar: «Es besteht Handlungsbedarf»

Die Bundesregierung und die Fraktionen der Großen Koalition im Bundestag entfalten derzeit eine große gesetzgeberische Hektik im innen- und rechtspolitischen Bereich. Seit Dezember letzten Jahres folgt Gesetzentwurf auf Gesetzentwurf. Bei aller Wahlkampfkonkurrenz sind sich die Koalitionsparteien einig, noch in dieser Legislaturperiode Nägel mit Köpfen zu machen und diese auch einzuschlagen – ohne lange Diskussionen in der Öffentlichkeit und ohne die ach so hinderlichen rechtsstaatlichen oder menschenrechtlichen Bedenken.

Hier nur drei Beispiele:

Erstens: Wenn dieser Text erscheint, ist der Bundestag gerade dabei, den Entwurf eines Gesetzes «zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht» abzusegnen. Einen Gesetzentwurf mit einem neuen Abschiebehaftgrund für «Gefährder» hatte der Bundesinnenminister bereits im Oktober 2016 auf Lager. Mit dem Schwung des Attentats an der Berliner Gedächtniskirche am 19. Dezember wurden die Bedenken hinweg gefegt. Am 22. Februar 2017 stimmte das Bundeskabinett dem Entwurf zu. Vorgesehen ist hier nicht nur der neue Haftgrund für Ausländer*innen, von denen eine «erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht», sondern auch ein «Ausreisegewahrsam» bis zu zehn Tagen sowie die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung («Fußfessel») durch die Ausländerbehörde – also aufgrund einer rein administrativen Entscheidung. Die Wohnsitzauflagen werden erneut verschärft. Und Asylsuchende müssen ihre Handydaten offenlegen – Telefongeheimnis gibt es für sie nicht mehr.

Seit 2015 hat die Koalition eine Vielzahl von Gesetzen auf asyl- und ausländerrechtlichem Gebiet durchgewinkt. Verabschiedet wurden das Asylpaket 1 und 2, das Datenaustauschverbesserungsgesetz, das Integrationsgesetz und zwei Verschärfungen des Ausweisungsrechts. Am Bundesrat gescheitert ist bisher nur der Versuch, die Maghreb-Länder als «sichere Herkunftsstaaten» zu adeligen. Das Gesetz «zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht» ist nur das (vermutlich) letzte in dieser Legislaturperiode. Es war Teil jenes «Kompromisses», den die Bundesminister des Innern und der Justiz am 10. Januar als Reaktion auf den Berliner Anschlag verkündeten. Dazu gehörten auch

  • das BKA-Gesetz, das die polizeiliche Datenverarbeitung umkrempelt und den Datenschutz zu einer Nullgröße macht, das die verdeckten Befugnisse des BKA bei der «Bekämpfung des internationalen Terrorismus» absegnet und zum schlechten Schluss noch mit einer polizeirechtlichen elektronischen Fußfessel aufgepoppt wurde (verabschiedet),
  • die Einführung der elektronischen Fußfessel für verurteilte «Gefährder», die ihre Strafe voll abgesessen haben, aber dennoch nicht frei sein sollen (verabschiedet) und
  • das Gesetz über die Fluggastdatenspeicherung, das eine EU-Richtlinie umsetzt, bei der die BRD aber – wie alle anderen EU-Staaten auch – das Plansoll übererfüllt. Auch die Daten von Passagieren auf innereuropäischen Flügen werden gespeichert. Auch dieses Gesetz ist verabschiedet.

Zweitens: «Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Wohnungseinbruchsdiebstahl». Die Koalition hatte an diesem Thema schon lange herumgeschraubt, am 10. Mai hat sie sich nun geeinigt und den Entwurf in die parlamentarische Maschine gegeben. In der Begründung verweist die Bundesregierung absurderweise auf die – laut polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) für 2015 – gestiegene Fallzahl der (registrierten) Delikte und die geringe Aufklärungsquote. Spätestens mit der PKS für 2016 wäre dieses Argument hinfällig, weil die Fallzahl wieder sinkt und die Aufklärungsquote steigt. Der Verweis auf die PKS war ohnehin ein Scheinargument, denn deren Fallzahlen schwanken regelmäßig. Da es sich bei Wohnungseinbrüchen in der Regel um anonyme Delikte handelt, ist logischerweise auch die Aufklärungsquote niedrig. Solche Erwägungen spielen aber keine Rolle, denn hier geht es um strafrechtlichen Populismus. Vor allem den Häuslebesitzer*innen soll gezeigt werden, dass man sie ernst nimmt. «Es besteht Handlungsbedarf», heißt es deshalb mehrfach in der Begründung.

Dementsprechend soll nun der Strafrahmen für Einbrüche in eine «dauerhaft genutzte Privatwohnung» erhöht werden. Mit einer Mindeststrafe von einem Jahr statt bisher sechs Monaten steigt dieser Einbruch auf in die Kategorie des Verbrechens. Auch den minderschweren Fall, bei dem bisher eine Strafe ab drei Monaten möglich war, soll es beim Einbruch in eine «dauerhaft genutzte Privatwohnung» nicht mehr geben – und das obwohl halbwegs professionelle Einbrüche in aller Regel ohne Gewalt ablaufen. Diese reduzierte Strafzumessung bleibt hingegen beim Diebstahl mit einer Waffe und beim Bandendiebstahl erhalten. Diese Logik verstehe, wer will.

Dass die Regierung dann auch die Funkzellenabfrage und die Nutzung von Handy-Standortdaten für Ermittlungen gegen Wohnungseinbrüche erlauben will, zeigt wie beliebig die großkoalitionäre Rechtspolitik ist. Eines kann man schon jetzt festhalten: Das Gesetz wird nicht verhindern, dass der Wohnungseinbruch auch in Zukunft ein Massendelikt ist, das nur in seltenen Fällen aufgeklärt wird.

Drittens: die Staatstrojaner. Der Einsatz staatlicher Schadsoftware steht seit rund zehn Jahren auf der Tagesordnung der Gesetzgeber*innen und der Verfassungsjurist*innen. Rechtlich unterschieden wird dabei, ob der Einsatz erfolgt, um eine verschlüsselte Telekommunikation auf einem der beteiligten Computer/Smartphones, also an der Quelle (statt wie normalerweise beim Provider), abzufangen – daher «Quellen-Telekommunikationsüberwachung» – oder ob es darum geht, die auf einem Computer gespeicherten Daten zu erschnüffeln – verharmlosend «online-Durchsuchung» genannt.

Zu letzterem hatte sich das Bundesverfassungsgericht 2008 geäußert. Es verwarf die Regelung im NRW-Verfassungsschutzgesetz als verfassungswidrig und deklarierte ein neues Grundrecht auf «Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme». Die «online-Durchsuchung» sollte dieses Grundrecht nur unter besonderen Voraussetzungen durchbrechen können, nämlich bei «tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.» Die Befugnis zur «online-Durchsuchung» wurde bisher nur im BKA-Gesetz sowie in einigen Landespolizeigesetzen eingebaut. Von einer strafprozessrechtlichen Regelung ließen die Gesetzgeber bisher die Finger.

Auch bei der «Quellen-TKÜ» sind die gesetzlichen Regelungen bisher dünn gesät. Außer im BKA-Gesetz findet sich die Befugnis bisher auch nur in einigen Landespolizeigesetzen. In der Strafprozessordnung gibt es sie nicht. Und die Gerichte sind sich nach wie vor uneinig, ob die «Quellen-TKÜ» nur eine technische Abart der «normalen» Überwachung (nach § 100a StPO) ist oder doch eine heftige neue Ermittlungsmethode, die an spezielle gesetzliche Voraussetzungen zu knüpfen sei.

Die Große Koalition will diese Zweifel nun ruckartig und ein für alle mal beseitigen. Man ist ohnehin seit längerem mit einer Änderung der Strafprozessordnung beschäftigt, einem «Gesetz zur Steigerung der Effizienz der Strafverfolgung». Diese Gelegenheit soll nun genutzt werden, um noch kurz vor der Verabschiedung ein paar zusätzliche Regelungen einzubauen. «Netzpolitik.org» hat dankenswerterweise den Änderungsantrag der Koalition veröffentlicht. Für die «Quellen-TKÜ» hat die Koalition nur einen neuen Absatz im bestehenden TKÜ-Paragrafen 100a der Strafprozessordnung parat. Die «online-Durchsuchung» wird im neuen Paragrafen 100b praktisch an denselben Deliktkatalog gebunden, der bisher schon für das Überwachen von Telefonen galt. Von einer «konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut» ist hier nichts mehr zu spüren. Der Rechtsausschuss des Bundestages wird dazu noch ein paar Expert*innen anhören. Die Opposition wird im Plenum dagegen sprechen. Abstimmung und fertig.

Die Mühlen des Parlaments stehen derzeit nicht mehr still. Ausschüsse und Plenum kommen aus dem Abstimmen und Abnicken nicht mehr raus. Bis zu  den Wahlen sollen die abenteuerlichsten Gesetze in trockenen Tüchern sein. Fast könnte man meinen, dass diese Wahlen wirklich etwas ändern könnten. Aber keine Angst: Zumindest eine der großkoalitionären Parteien wird auch danach für Kontinuität in der Sicherheitspolitik sorgen.

Heiner Busch ist Mitglied im Vorstand des Grundrechtekomitees. Auf dessen Webseite erschien dieser Kommentar zuerst.

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