Im Schengener Informationssystem ausgeschriebene Personen können unter anderem polizeilich beobachtet oder durchsucht werden. Die Zahlen dieser Artikel 36-Fahndungen steigen rapide, nun werden sie erstmals getrennt ausgewiesen. In der neuen Verordnung für die Fahndungsdatenbank ist eine neue Kategorie „Ermittlungsanfrage“ geplant.
Ende 2017 waren 129.412 Personen im Schengener Informationssystems (SIS II) nach Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses ausgeschrieben, im Jahr zuvor waren es noch 96.108. Der Artikel erlaubt zum einen Ausschreibungen zur „verdeckten Kontrolle“, bei der die PolizistInnen diskret vorgehen und von der die Betroffenen nichts erfahren sollen. Sie entspricht im deutschen Polizei- und Strafprozessrecht der „polizeilichen Beobachtung“. Möglich ist zum andern auch die „gezielte Kontrolle“, bei der die ausgeschriebene Person selbst, ihr Gepäck oder das Fahrzeug, in dem sie reist, durchsucht werden.
Ausschreibungen nach Artikel 36 können von jedem EU-Mitgliedstaat vorgenommen werden, um Aufschluss über die Reisebewegungen und die Kontakte der Beobachteten zu erhalten. Immer wenn die Betroffenen bei einer Grenzkontrolle oder innerhalb des Schengen-Raums angetroffen werden, erfolgt über die nationalen Zentralstellen, die so genannten SIRENEn (in Deutschland das Bundeskriminalamt) eine Meldung an die ausschreibende Behörde. Dabei werden eine Reihe von Daten übermittelt, darunter Ort, Zeit und Anlass der Überprüfung, Reiseweg und Reiseziel, benutztes Fahrzeug, Begleitpersonen oder Insassen sowie mitgeführte Sachen. Neben Personen können auch Transportmittel (Autos, Schiffe oder Boote, Flugzeuge und Container) zur verdeckten oder gezielten Kontrolle ausgeschrieben werden.
Polizeibehörden oder Geheimdienste berechtigt
Ausschreibungen zur heimlichen Fahndung können sowohl die Polizeibehörden (Art. 36 Absatz 2) als auch, sofern das jeweilige nationale Recht dies zulässt, Geheimdienste (Abs. 3) vornehmen – und zwar bei einer „von dem Betroffenen ausgehenden erheblichen Gefährdung“ oder aufgrund „anderer erheblicher Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit des Staates“. In Deutschland regelt der § 17 Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes die Ausschreibungen durch die Verfassungsschutzbehörden, den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst.
Allerdings sind nicht allen europäischen Geheimdiensten Ausschreibungen zur „gezielten Kontrolle“ erlaubt. Dies betrifft neben den Diensten einiger anderer EU-Mitgliedstaaten auch den Verfassungsschutz, den BND und den MAD. Sofern ein Geheimdienst eines anderen Mitgliedstaats eine Person zur „gezielten Kontrolle“ ausschreibt, wird daraus in Deutschland grundsätzlich nur eine „verdeckte Kontrolle“.
Polizeiliche Ausschreibungen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
Die Polizeibehörden des Bundes und der Länder nutzen die Artikel 36-Maßnahme sowohl zur Gefahrenabwehr als auch zur Strafverfolgung. Sie können das einerseits wenn sie „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür haben, dass die betreffende Person eine schwere Straftat begeht. In der früheren Fassung des Artikels war noch von mehreren Straftaten die Rede, nach einer Änderung genügt nun ein einziges solches Delikt. Eine Ausschreibung kann andererseits auf eine „Gesamtbeurteilung einer Person“, dass außergewöhnlich schwere Straftaten begangen würden, gestützt werden.
Die Personenausschreibungen müssen nach Art. 44 des Ratsbeschlusses nach einem Jahr auf ihre weitere Erforderlichkeit geprüft werden. Das jeweilige nationale Recht schreibt unter Umständen ebenfalls Fristen vor. Das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermöglicht beispielsweise eine Fahndung für maximal ein Jahr, wenn die Polizei den Betroffenen Straftaten mit erheblicher Bedeutung zutraut. Für eine Verlängerung über zwölf Monate hinaus bedarf es einer richterlichen Anordnung.
Neuer Hinweis „unverzügliche Meldung“
Die Ausschreibungen nach Artikel 36 steigen in den letzten Jahren deutlich an. Auf Nachfrage hat das Bundesinnenministerium die Zahlen für die polizeilich genutzte „verdeckte Kontrolle“ und „gezielte Kontrolle“ jetzt getrennt ausgewiesen. Demnach nehmen zwar beide Methoden deutlich zu, am deutlichsten ist dies jedoch bei den „gezielten Kontrollen“ zu bemerken.
Seit drei Jahren können SIS-II-Ausschreibungen zur „unverzüglichen Meldung“ genutzt werden. Die interessierte Behörde muss hierzu einen „Hinweis“ in der Fahndung angeben und wird dann auf dem schnellsten Weg über einen Treffer unterrichtet. Das neue Verfahren wurde mit der Kontrolle „ausländischer terroristischer Kämpfer“ begründet. Zum 31. Mai 2015 waren von den damals rund 50.000 verdeckten Fahndungen lediglich 319 mit diesem Hinweis versehen, zum 30. November 2015 waren es bereits 880. Im September 2016 waren 6.100 Personen zur „unverzüglichen Meldung“ ausgeschrieben.
Eingehende Befragung geplant
Eine Ausschreibung zur „gezielten Kontrolle“ kann außerdem als „Aktivität mit Terrorismusbezug“ gekennzeichnet werden, etwa um die Polizeikräfte vor Gefahren bei einer Durchsuchung zu warnen. Zum 1. Juli 2018 waren insgesamt 9.025 Personenfahndungen mit diesem Wert versehen.
Nun diskutieren die EU-Innenministerien den weiteren Ausbau der Fahndungsmethode. Geplant ist die Einführung einer neuen Ausschreibungskategorie „Ermittlungsanfrage“ nach Artikel 36. Einem Entwurf des neuen SIS-II-Ratsbeschlusses zufolge dürfen Person dann „auf der Grundlage von Informationen oder spezifischen Fragen, die der ausschreibende Mitgliedstaat in die Ausschreibung aufgenommen hat,“ eingehend befragt werden. Die Maßnahme geht über eine „verdeckte Kontrolle“ hinaus, bewegt sich aber unterhalb der Schwelle einer Festnahme. Sie ist damit bestens geeignet, über das SIS II noch mehr Menschen europaweit auszuforschen.