„Eine linksradikale Bande aus Leipzig soll Rechtsextreme verfolgt und verletzt haben“

Thomas Feltes

Stellungnahme zu dem Beitrag „Brutale Jagd auf Neonazis“ von Denise Peikert, erschienen u.a. in den „Ruhr-Nachrichten“ und in der „Ostsee-Zeitung“ am 28. Januar 2023

Nach meiner Kritik an Aufmachung und Inhalt des Beitrages auf Twitter hatte die Autorin am gleichen Tag geantwortet: „Was genau ist die Kritik?“. Ich habe daraufhin angekündigt, meine Kritik ausführlicher darzulegen. Dies soll hier in Form eines Offenen Briefes an die Journalistin und das RND geschehen, weil die Probleme, die ich gleich ansprechen werde, grundsätzlicher Natur sind.

Zur Sache selbst

Die Überschrift „Brutale Jagd auf Neonazis“, verbunden mit einem dazu nicht passenden Bild, auf dem eine Person versucht, eine Flasche zu werfen (angeblich, so der Untertitel, „in Richtung Polizei“), soll die Stoßrichtung des Beitrages deutlich machen. Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden, wenn die Überschrift auch den Inhalt abdecken würde. Das tut sie aber nicht, denn inhaltlich geht es um ein Strafverfahren und um einen Kronzeugen, und ganz am Ende auch um den Versuch einer Einordnung der sog. „linksradikalen Gewalt“. Zudem suggeriert das Wort „Jagd“ (bewusst?) etwas anderes. Lt. Wikipedia ist „Jagd“ „das Aufspüren, Verfolgen, Fangen und Erlegen von Wild durch Jäger“. Warum wird dieser Begriff verwendet? Geht es um „Fangen und Erlegen“? Selbst wenn man unterstellt, dass schwere Verletzungen von der Gruppe beabsichtigt waren: Einen Tötungsvorsatz nimmt nicht einmal die Staatsanwaltschaft an. Offensichtlich aber unterstellt die Autorin des Beitrages einen solchen.

Im Untertitel wird die Geschichte dann weitererzählt: „Es ist eine verschworene Szene: Eine linksradikale Bande aus Leipzig soll Rechtsextreme verfolgt und verletzt haben. Seit mehr als einem Jahr läuft der Prozess gegen sie. Er gibt Einblicke in eine Welt, in der Gewalt als legitimes politisches Mittel gilt“.

Durch die Verwendung des Wortes „Bande“, lt. Duden „eine organisierte Gruppe von Verbrechern“, und des Wortes „Welt“ wird zweierlei insinuiert: Zum einen, dass es sich um eine definierte Gruppe handelt die Straftaten begangen hat (was nicht erwiesen ist) und zum anderen um eine größere Gruppe von Menschen, um eine erhebliche Dimension des Phänomens durch die Verwendung des Begriffes „Welt“. Dies alles ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bewiesen, bzw. was die Dimension der „Welt“ anbetrifft sogar widerlegt (dazu unten mehr).

Dafür wird der Begriff der „Bande“ in fast jedem Abschnitt verwendet. Zwar finden sich an einigen Stellen auch Formulierungen wie „… so ermitteln die Beamten später“; aber auch diese Formulierungen erfolgen in einer bestimmenden, festlegenden Art und Weise, die unterstellt (oder besser: davon ausgeht), dass das, was „die Beamten“ behaupten, auch objektiv wahr und richtig ist.

Auch wenn die Autorin möglicherweise nicht oder nicht oft als Gerichtsreporterin arbeitet, so sollte ihr doch bekannt und bewusst sein (was nicht das gleiche ist), dass Behauptungen von Polizeibeamt*innen oftmals nicht der gerichtlichen Überprüfung standhalten, abgesprochen, zielgerichtet auf ein (auch politisch gewünschtes) Ergebnis hin ausgerichtet sind. Beispiele dafür finden sich in fast jedem größeren Strafverfahren, nicht nur in politischen.

An anderer Stelle schreibt die Autorin: „Und Beweise, die gibt es im Fall Lina E. Manche davon sind umstritten…“. Sie schreibt aber hier erneut nicht, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt, dass eben noch nichts „bewiesen“ ist, denn das ist es nicht, solange kein rechtskräftiges Urteil ergangen ist.

Auch ansonsten formuliert die Autorin durchgehend affirmativ: Die SIM-Karten wurden „immer nur kurz vor oder nach den Angriffen auf die Neonazis“ benutzt. War die Autorin dabei? Und selbst wenn diese Aussage von einem Zeugen im Prozess gefallen sein sollte, dann hätte darauf hingewiesen werden müssen, wer dies behauptet hat oder woher diese Feststellung (denn um eine solche handelt es sich) ansonsten stammt. Hier werden zwei Sätze vorher nur wieder die „Ermittler“ genannt.

Im weiteren Verlauf geht die Autorin ausführlich auf den „Kronzeugen“ Johannes D. ein, den sie als „Glücksfall“ für die Ermittler bezeichnet – ohne dies auch nur ansatzweise zu problematisieren oder deutlich zu machen, was diesem „Kronzeugen“ für seine Aussage möglicherweise geboten wurde. Denn dass er aussagt, weil er vom Verfassungsschutz um „Zusammenarbeit gebeten“ wurde, wie sie schreibt, dürfte wohl nicht ausgereicht haben. Warum geht die Autorin hier nicht auf Details ein, wo sie es an anderer Stelle in dem Beitrag tut? Hier wäre es nicht nur journalistisch geboten und sinnvoll gewesen darzustellen, warum die Ermittler diesen „Glücksfall“ (wie sie es nennt) brauchen – und das kann nicht nur die Tatsache sein, dass die Angeklagten schweigen.

Durchgängig betrachtet die Autorin die Aussagen des „Kronzeugen“ als wahr, zumindest wenn man der Art und Weise der Darstellung folgt. Er „packt aus“, „er erklärt“, „er erzählt, wie…“. Insgesamt wird den Aussagen des „Kronzeugen“ mehr als 25% des Umfangs des Beitrages gewidmet, ohne auch nur an einer einzigen Stelle zu analysieren, zu hinterfragen, oder kritisch zu kommentieren. Guter Journalismus sieht anders aus.

Diese Beispiele mögen als Kleinigkeiten erscheinen, sie sind es aber nicht, weil die Ansammlung solcher (bislang unbewiesener) „Kleinigkeiten“ in der Summe ein Bild ergibt, das förmlich nach einer Verurteilung der Angeklagten schreit. Weil eben die Dinge „Beweise“ sind, also „bewiesen“, also Fakt sind. Diese Form der Vorverurteilung ist nicht nur, wie die Autorin sicherlich weiß, journalistisch unseriös. Sie kann sich negativ auf den Ausgang des Verfahrens und/oder die Bemessung einer etwaigen Strafe auswirken. Sie ist zudem nach dem Pressekodex unzulässig:

Richtlinie 13.1 – Vorverurteilung

Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter*in bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.

Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines „Medien-Prangers“ sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.

Ich bin mir dabei bewusst, dass Journalist*innen gerne von „Beweisen“ sprechen, wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft diesen Begriff gebrauchen. Von einer (auch von staatlichen Strafverfolgungsbehörden) unabhängigen Presse muss man aber erwarten, dass dieser Begriff immer in den Kontext laufender Ermittlungen gestellt und darauf hingewiesen wird, dass tatsächlich das behauptete Ereignis oder die behauptete Motivation gerade noch nicht (rechtskräftig) erwiesen ist, was der letzte Satz der Richtlinie 13.1 des Pressekodex (s.o.) mehr als deutlich macht1.

Die Autorin schreibt, dass es den Ermittlungsbehörden „nur selten gelingt, linksextreme Strukturen aufzudecken“. Woher weiß sie das? Und bezieht sich dies, wie die Wortwahl unterstellt, nur auf linksextreme Strukturen? Hier wäre mehr als nur ein Hinweis auf tatsächliche Versäumnisse der Ermittlungsbehörden im Bereich des Rechtsextremismus (Stichwort NSU) nicht nur notwendig, sondern unumgänglich gewesen. Die Autorin erweckt den genau umgekehrten Eindruck: Gegen Rechts gelingt es, Strukturen aufzudecken, gegen Links ist dies nicht möglich.

Insgesamt fehlt es dem Beitrag an der bei einem solchen gesellschaftspolitisch brisanten Thema und unter Berücksichtigung der aktuellen Situation in Deutschland (steigender Rechtsextremismus, zunehmende Abkehr von der Demokratie2) notwendige journalistische Sorgfalt. Eskalationen wie hier in Leipzig finden nicht im gesellschaftlichen Vakuum statt. Es wäre Aufgabe gewesen, in einem solchen umfassenden Beitrag die Ereignisse, das (Straf-)Verfahren und auch die Motive der Tatverdächtigen in diesen gesellschaftlichen Kontext zu stellen, vor allem (aber nicht nur), weil sich diese Dinge in Leipzig ereignet haben. Die Frage, warum dies nicht gemacht wurde, kann nicht mit der ansonsten gerne bemühten Floskel „zu wenig Platz“ beantwortet werden. Denn Platz ist auf Seite Drei genug, man muss nur entscheiden, wie oder wofür man ihn nutzt.

Vor diesem Hintergrund erscheint mir ein weiterer Aspekt bedeutsam: Der Beitrag wurde, soweit ich das nachverfolgen konnte, in allen Zeitungen auf der als besonders bedeutsam anzusehenden Seite 3 platziert, die in den Ruhr-Nachrichten beispielsweise als „Blickpunkt“ überschrieben ist. Meist hat die „Seite Drei“ den Zweck, ein Thema fundierter zu beleuchten. Hier kommen oft Expert*innen zu Wort und beziehen Stellung3. Insofern war die Aufgabe für diesen Beitrag eigentlich klar umschrieben. Wer die Seite 3 bespielen darf, der trägt besondere Verantwortung.

Um dem Beitrag eine (auch) wissenschaftliche Konnotation zu geben, wird am Ende einE Mitarbeiter*in der „Bundesfachstelle Linke Militanz“ zitiert. Wenn man sich deren Webseite ansieht, dann findet man dort folgenden Passus:

„… verstehen wir linke Militanz zunächst als linksradikalen Habitus mit dem Ziel kämpferischen (aber nicht zwangsläufig gewalttätigen), tatorientierten Handelns. Somit wird durch den Begriff ein a) kämpferisches (aber nicht unbedingt automatisch gewalttätiges), b) tatbetonendes Auftreten und Handeln mit c) linksradikalen Absichten und Zielen umfasst. Anstatt das Linkssein vorab in einer schablonenartigen Definition festzuzurren, erscheint es uns mit Blick auf ein heterogenes Spektrum, … vielmehr sinnvoll, konkurrierende Identitätskonzepte am Forschungsgegenstand zu rekonstruieren.“

Als pseudowissenschaftlich kann und muss man zudem die rechte Spalte sehen, die den Eindruck erweckt, objektive Zahlen und Fakten zum Thema (!) des Beitrages zu liefern. Interessant ist hier zum einen die Tatsache, dass diese Zahlen als „richtig“ angenommen und als solche den Leser*innen vermittelt werden, obwohl sie wissenschaftlich betrachtet alles andere als dies sind.

Vor allem aber erstaunt die Anordnung der Informationen. Ganz oben, und quasi parallel zu der Überschrift des Beitrages, wird mit der Überschrift diese Spalte quasi determiniert: „Neue Qualität politischer Gewalt“. Selbstverständlich bezieht die Lesende diese Aussage auf den Inhalt des Beitrages, also auf „linke Gewalt“, und die dann genannte Zahl von 55.000 Straftaten, noch versehen mit dem Hinweis „mehr als doppelt so viele wie 2012“, werden diesem Phänomen der „linken Gewalt“ bewusst oder unbewusst zugerechnet.

Tatsächlich geht es dann aber um politisch motivierte Kriminalität allgemein, und dies ist eben gerade nicht Gewalt und nicht nur (oder eher sogar: gerade nicht) Kriminalität von links, sondern vor allem solche von rechts. Zwar relativiert sich dies im zweiten Absatz, wenn gesagt wird, dass den größten Anteil an den erfassten Delikten Sachbeschädigungen ausmachen. Aber darum geht es in dem Beitrag ja eigentlich nicht.

Wozu also diese Zahlen? Erst am Ende der „Statistikspalte“ erfolgt dann die eigentlich für diesen Beitrag möglicherweise relevante Information: Bei Körperverletzungen wurden die meisten Straftaten aus dem rechten Spektrum verübt (869), und nicht aus dem linken Spektrum (438 Taten). Noch deutlicher wird es, wenn man ganz am Ende der Spalte die Zahl der Todesopfer sieht (und hier sei noch einmal auf die Wortwahl in der Überschrift verwiesen): Seit 1990 gab es in Deutschland mindestens 113 Todesopfer rechter Gewalt (so die Zahl der Bundesregierung, wobei unstrittig ist, dass diese Erfassung deutliche Mängel aufweist), wahrscheinlich aber deutlich über 220. Todesopfer linker Gewalt werden hier gar nicht genannt – nur der Vollständigkeit halben seien sie hier von mir ergänzt: Es waren insgesamt vier.

Und vielleicht noch ein Hinweis auf ein ebenfalls gerne bemühtes, meist aber vorgeschobenes Argument: Beiträge in Tageszeitungen dürfen nicht zu kompliziert, nicht zu komplex, nicht zu tiefgehend, nicht analysierend sein. Warum? Werden die Leser*innen für derart ungebildet gehalten, dass sie komplexe Zusammenhänge nicht verstehen (können)? Oder zielen Autor*innen und Zeitungen bewusst auf Leser ab, die diese Zusammenhänge nicht verstehen wollen? Letzteres erscheint mir, wenn ich den Beitrag als Ganzes betrachte, wahrscheinlich.

Bochum 31.01.2023

1 Dies veranlasst mich übrigens, beim deutschen Presserat eine Beschwerde gegen Sie bzw. die den Beitrag andruckenden Zeitungen einzulegen.
2 S. dazu meinen Beitrag „Die „German Angst“. Woher kommt sie, wohin führt sie? Innere vs. gefühlte Sicherheit. Der Verlust an Vertrauen in Staat und Demokratie. In: Neue Kriminalpolitik 1, 2019, S. 3-12.
3 Die SZ wählt hier einen anderen Weg: „Reporterinnen und Reporter beschreiben die Welt nicht nur vom Büro aus, sie gehen raus, dahin, wo das Leben stattfindet, wo es wehtut und funkelt, zu den Menschen und ihren Geschichten. Um im Kleinsten das Große zu erkennen. Die SZ widmet der Reportage in jeder Ausgabe ihre Seite Drei“. Quelle Wenn man diese „Formel“ für Seite 3 zugrunde legt, dann fragt man sich, welche Geschichte zu Menschen hier geschrieben werden sollte, „um im Kleinsten das Große zu erkennen“. Denn vom „Großen“ ist in dem Beitrag nichts zu finden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert