IWF-Bericht

„Unnachsichtiges Vorgehen gegen Straftäter“ (Berliner Morgenpost, 22.9.88) versprach der Berliner Landespolizeidirektor Kittlaus am Vorabend des laut Senatssprechers Birkenbeul „größten Polizeieinsatzes der Berliner Nachkriegsgeschichte“. Auf diesen Einsatz hatten sich Politiker und Polizei seit langem vorbereitet – sowohl publizistisch als auch das was das polizeiliche Verhalten anging.

Bereits seit dem Frühjahr rückten sie vor der Presse die Gegenaktionen der Demonstranten in den Zusammenhang des Terrorismus. Anläßlich des Kongresses seien bereits seit 2 Jahren Anschläge geplant. „Die Anschläge sollten den Beginn einer neuen antiimperialistischen Bewegung darstellen. Konkrete Pläne beträfen Blocakden von Parkplätzen und Wagenkolonnen sowie Brand- und Sprengstoffanschläge gegen Hotels, öffentliche Gebäude und Banken.“ (Tagesspiegel 3.5.88) „Die Palette der von zahlreichen Aktionsausschüssen geplanten Protest- und Gegenmaßnahmen reiche von Störung, Belästigung und Behinderung bis zu einfallsreichen Aktionen“, so der BKA-Präsident Boge (SZ 18.5.88). Titel des Artikels: „Boge befürchtet Gewaltaktionen von Linksextremisten in Berlin“. Schon Anfang Mai sprachen die Herrenvon „konkreten Hinweisen…“.

Außer den verbalradikalen Parolen – „verhindern wir den Kongress“ wurden und konnten auch keine Belege dafür genannt werden. Sieht man von dem mysteriösen Schrotgewehranschlag der RAF auf Staatssekretär Tietmeyer ab, der mit den Gegendemonstrationen weder inhaltlich noch räumlich in Zusammenhang stand, blieben die Beschwörungen gegenstandslos. Gerüstet wurde gegen ein Phantom: „Die Polizei erwartet während der bevorstehenden IWF-Tagung keine Terroranschläge oder Störungen größeren Ausmasses… Zugleich aber betonte er (Kewenig), daß die Polizei auf alles vorbereitet sei“ (Mopo 15.9.) „Man sei auf Anschläge von Terroristen vorbereitet, auch wenn es bisher keine konkreten Hinweise dafür gebe“ (So Kittlaus, Mopo 22.9.88).

Diese verbale Aufrüstung diente als Begründung diverser Vorfeldmaßnahmen und auch für die spätere gewaltsame Auflösung und das Verbot von Demonstrationen und Aktionen.

Unter den Vorfeldmaßnahmen sind u.a. folgende zu nennen:

1. Polizeipräsenz und Klima des „Bunker Berlin“.

Eine ganze Reihe größerer Zeitungen charakterisieren die Situation Berlins am Vorabend des IWF-Kongresses mit Ausdrücken wie „grüne Stadt“ (FR, 23.9.88), „Bunker Berlin“ (La republica) etc..

Es ist dabei nicht nur die Polizei , auf die sie sich beziehen, sondern die allgemeine Situation: die Sperrung von Straßen, die Schließung großer Teile des Flughafens für den Publikumsverkehr, die ausschließliche Reservierung von Museen und Theatern für die Delegierten des IWF und ihren Anhang. Die Lokalzeitungen bringen am Vorabend eine Reihe von Hinweisen wie „Keine Parkplätze für Konzertfreunde (Tagesspiegel 23.9.88) oder „Wo es zu Behinderungen und Staus kommen kann“ (MoPo 22.9.88) etc. Das gewöhnliche Leben der Stadt ist gestört.

Der Eindruck des Belagerungszustands ergibt sich allerdings vor allem aus der massiven Polizeipräsenz in der gesamten Innenstadt. Zu den 3.500 Beamten, die die Berliner Polizei in einer Schicht aufbringen kann, kommen seit dem 15.9. 2.700 Polizeibeamte aus Westdeutschland, deren Wagen mit Berliner Kennzeichen versehen wurden und auf deren Uniformen ein notdürftig angeklebter Berliner Bär prangt, um sie für die Dauer des Kongresses den Berliner Ordnungshütern anzugliedern. Durch den Besetzungsstatus der Stadt bedarf eine solche Polizeihilfe aus anderen Ländern der Eingliederung der Beamten in die Berliner Polizei. Beteiligt sind Einheiten aus dem ganzen Bundesgebiet, wobei von den 330 bayerischen Beamten 302 den sog. „Unterstützungskommandos“ (K), der bayerischen Spezialeinheit für Demonstrationseinsätze angehören. Aus anderen Bundesländern kommen 84 Beamte von SEKs hinzu.
Präsenz wird aber nicht nur in der Innenstadt, sondern in besonderem Ausmaße im Bezirk Kreuzberg gezeigt, durch dessen Straßen nahezu permanent die „Wannen“ patroullieren. Ergänzt wird das Panorama durch den Lärm der permanenten Hubschrauberflüge, die auch bis zum späten Abend nicht abreißen, und Kontrollstellen nicht nur auf Straßen, sondern auch in U-Bahnen, in denen sich Beamte mit kugelsicheren Westen präsentieren.

2. Kontrollstellen

Eine Begründung von Kontrollstellen bildete eine Anordnung des Ermittlungsrichters beim BGH nach 111 der StPO, dessengemäß eine Kontrollstelle eingerichtet werden kann, wenn sich eine Straftat nach 129a oder 250 Abs.1 des StGB ereignet hat. Diese Anordnung war bereits im Mai und erneut im Juni des Jahres gegeben worden und erlaubte die Einrichtung von Kontrollstellen auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen der BRD einschließlich West-Berlins angeblich zur Verfolgung von Straftaten der RAF aus den Jahren 1984 und 86. Auch diese Anordnung überzieht maßlos die ohnehin schon problematische Regelung, der der Bundestag 1978 auf der HÖhe der Terrorismus-Hysterie zugestimmt hatte. In 111 ist nämlich nur von einer Kontrollstelle die Rede und ihre Anordnung ist – so der damalige Justizminister Vogel – auch daran gebunden, daß „am konkreten Ort und zur konkreten Zeit eine Kontrollstelle Fahndungserfolge verspricht“ (NJW 21.6.1978, S. 1227). Für die Aufklärung der RAF-Anschläge von vor 2 und mehr Jahren war die Anordnung offensichtlich untauglich, wohl aber zur Abwehr von Anti-IWF-Demonstranten. So konnte Kewenig, wie am 25.9. in der MoPo nachzulesen, Erfolg vermelden: „Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes und des polizeilichen Staatsschutzes sind bisher höchstens 450-500 auswärtige Berufsdemonstranten … zur Weltbank-Tagung nach Berlin gekommen … Denn so mancher der Autonomen habe Sorge, in Berlin bei der Ein- oder Ausreise oder anderweitig identifiziert und festgenommen zu werden.“ Die Personen, die bei der Ein- und Ausreise kontrolliert und durchsucht wurden, berichteten aber alle, daß die Polizeibeamten als Begründung für ihre Tätigkeit jene Anordnung des BGH zur Terroristensuche angegeben haben. Ähnliches gilt für Kontrollen innerhalb der Stadt, sowohl vor der Tagung – etwa am 15.9. auf dem U-Bahnhof Gneisenaustraße, wo die Polizei 3 Stunden lang Personen zwischen 20 und 35 Jahren kontrollierte – als auch während der „tollen Tage“.

Die Klage der Hummanistischen Union gegen diese Anordnung wies der BGH am …. zurück. Mittlerweile scheint aber selbst dieses Gericht begriffen zu haben, daß eine solche Anordnung nicht durch den 111 StPO gedeckt ist (vgl. Beschluß vom 21.11.88 – AZ: 1 BJs 193/84 – StB 24/88, siehe u.a. SZ 22.11.88).

Am Sonntag, den 7.8.88 hielt die Berliner Polizei zum ersten Mal einen Bus der „antiimerperialistischen Stadtrundfahrt“ vor dem Gelände von Mercedes Benz am Salzufer in Berlin Tiergarten an. Die 49 TeilnehmerInnen mußten einzeln aus dem Bus aussteigen und ihre Papiere vorzeigen. 19 Personen, die keine Ausweise dabei hatten, wurden zur Personenfeststellung auf die Polizeistation in die Kruppstraße gebracht.

Bis zur IWF-Woche geschah das weitere vier mal. Begründung war jeweils der 15 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Berliner Polizeigesetzes, der der Polizei die Identitätskontrollen samt Durchsuchung der mitgeführten Sachen an sog. „gefährdete Orte“ erlaubt. Ist die Identität nicht feststellbar, so kann die betreffende Person bis zu 12 Stunden festgenommen und auch erkennungsdienstlich behandelt werden. Die Definition des Werksgeländes als „gefährdeten Ort“ überschreitet aber jede sinnvolle Wahrnehmung dieses Paragraphen (sofern man hier von Sinn reden kann), dann danach wäre die ganze Innenstadt mit Kontrollstellen zu überziehen. Das Verwaltungsgericht teilte diese Bedenken aber nicht und wies am 23.9. einen Antrag von Teilnehmern der Rundfahrt auf Untersagung der Kontrollen ab (vgl. Tagesspiegel 24.9.88).

Die dritte Begründung für ihre kontrollen bezog die Polizei dann schließlich aus dem Verkehrsrecht, nach dem sie allenfalls den Führerschein und das Warndreieck von Autofahrern kontrollieren dürfte – nicht aber den Personalausweis.

So richtig auseinanderhalten konnte der LPD Kittlaus wohl auch die entsprechenden Rechtsgrundlagen nicht:
„Im Umfeld von gefährdeten Objekten seien nach dem ASOG in einem äußerst vertretbaren Rahmen Verkehrskontrollen erfolgt, bei denen insgesamt 579 Personen überprüft wurden. Über 220 davon hätte die Polizei bereits „Erkenntnisse“, fast alle aus dieser Gruppe waren bei der Antiimperialistischen Stadtrundfahrt überprüft worden. Die Fahrzeugkontrollen in verschiedenen Stadtgebieten seien nach mehreren schweren Unfällen notwendig geworden, bei denen Alkoholeinfluß der Fahrer Ursache gewesen sei. Begonnen habe die Polizei damit bereits im Hochsommer. Es bestehe kein Zusammenhang zum IWF,“ sagte Kittlaus. (Tagesspiegel 22.9.88) „Er räumte ein, daß die … Verkehrskontrollen dem jetzigen Sicherheitskonzept zupaß gekommen seien.“ (MoPo 22.9.88) Bei jenen 579 Personen handelt es sich offensichtlich nur um einen Teil der bei Verkehrskontrollen bzw. Kontrollstellen nach dem ASOG überprüften: Die taz vermeldet am 22.9.88 bei 93 Kontrollstellen allein am 9. und 10.9. seien 3.200 Personen überprüft worden.

Die Tatsache, daß die Polizei bei ihren „Verkehrskontrollen“ 220 Personen wiedererkannt hat, belegt außerdem daß in diesem Fall die Personalien gespeichert worden sind. Auch bei Kontrollen nach 111 StPO wurde offenbar gespeichert, und zwar in den PIOS-Dateien APIS (Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit) und APLF (Arbeitsdatei PIOS Landfriedensbruch und verwandte Straften). Nach letzterer ist auch eine Ausschreibung der Personen in der Fahndungsdatei unter dem Fahndungszweck „Gefahrenabwehr“ möglich. Angeblich will der Berliner Datenschutzbeauftragte prüfen, ob die Daten der nach ASOG überprüften und gespeicherten gelöscht worden sind.

3. Durchsuchungen

Durchsucht hat die Polizei im Zuge ihrer IWF-Kampagne nicht nur in Berlin, sondern auch in einer Reihe westdeutscher Städte. In Berlin gab es insgesamt 8 Durchsuchungen, die zumindest im zeitlichen Zusammenhang der IWF-Tagung standen, die meisten in Berlin Kreuzberg. In allen Fällen, auch in den westdeutschen, war die Begründung wiederum der 129a – terroristische Vereinigung, in der Hauptsache Werbung für eine terrostische Vereinigung – wobei es im Wesentlichen zur Beschlagnahme von Flugblättern u.ä. kam. Ergebnisse habhafter Art gab es nicht, sie waren wohl auch nicht beabsichtigt.

Herausragend dürfte die Durchsuchung bei dem stadtbekannten Taxifahrer Armin Meyer am 22.9.88 sein, der für einen Redebeitrag des Betroffenen als Begründung herhalten mußte. Diese Rede habe den Verdacht auf die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erregt. Auch hier kein Ergebnis.

4. Verdeckte Ermittlungen durch Mitglieder der EbLT

War die EbLT bisher nur als Schlägertruppe in martialischer Uniform bekannt, so wurde im Zuge der Debatte um den IWF-Kongress auch der verdeckte Einsatz der Truppe zur Ausspionierung insbesondere der Autonomen ruchbar. Laut Spiegel vom 17.10.88 ist die ganze „dritte Gruppe der EbLT (15 Mann) mit zivilen Aufträgen betraut“.

Mindestens drei dieser 15 Personen sind bei dieser Arbeit mit falschen Papieren unterwegs gewesen, wobei der Senator und der Landespolizeidirektor die Ausstellung solcher Tarnpapiere angeblich verweigert haben. „Die Beamten hätten sich allerdings auch nicht eigenmächtig Personalpapiere mit gefälschten Daten beschafft. Festzustehen scheint, daß die Drei den Verlust ihrer Privatpapiere gemeldet und anschließend Ersatzpapiere beantragt haben. Mit den ursprünglichen Ausweisen soll dann nur noch das Foto übereingestimmt haben. Alle anderen Personaldaten waren verändert.“ (taz, 17.10.88)

Die Anpassung an die Gepflogenheiten der Szene muß allerdings sehr glaubwürdig gewesen sein, denn auf einer Versammlung der Autonomen zur Vorbereitung der Demonstration vom 29.9.wurde just eine der drei EbLT-Personen zur Anmeldung der Demonstration auserkoren. Die betreffende EbLT-Frau hatte sich als autonome Lesbe ausgegeben. Um die Anmeldung zu umgehen, täuschte die Polizisten dann mit einem eingegipsten Bein einen Knochenbruch vor.

Der Innensenator und die Polizeiführung wollen dies aber nicht als „verdeckte Ermittlung“ gewertet wissen, sondern als „anlaßbezogene Aufklärung in bürgerlicher Kleidung“. Für die „verdeckte Ermittlung“ gibt es nämlich bisher noch keine Rechtsgrundlage und auch die, die im Zuge der Novellierung des ASOG, des Berliner Polizeigesetzes, ansteht, geht nicht soweit, wie sich die Einheit auf Geheiß des Innensenators bisher schon vorgewagt hat.

„Zur anlaßbezogenen Aufklärung insbesondere über angekündigte Störaktionen und Gewaltaktionen im Zusammenhang der IWF- und Weltbankversammlung wurden Schutzpolizisten auch in bürgerlicher Kleidung eingesetzt. Diese Standardmaßnahme polizeilichen Handelns ist Aufgabe aller eingesetzten Beamten, damit selbstverständlich auch von Angehörigen der EbLT. Gewonnene Erkenntnisse fließen im Regelfall in das Gesamtlagebild der zu erwartenden Ereignisse ein.

… eine verdeckte Aufklärung ist etwas selbstverständliches und ist ein allen bekanntes und vielfach praktiziertes Mittel der Polizei, um ihrer gesetzlichen Aufgabe nachzukommen, Aufklärung zu betreiben… Das ist eine alte deutsche Polizeitradition.“
(Kewenig auf eine mündliche Anfrage des Abg. Wieland, AL, Abgeordnetenhaus Berlin, Prot. 19/83 vom 27.10.88, S. 2904 ff.)

II. Das Vorgehen gegen die Demonstranten

1. Was war geplant?

Die Gegenaktivitäten zum IWF-Kongress waren getragen von einem breiten Spektrum an Organisationen und Strömungen, das von kirchlichen und humanitären Organisationen, über Friedensgruppen, Dritte-Welt-Gruppen, den Grünen und der Alternativen Liste bis hin zu den Autonomen reichte. Die Breite des Spektrums sorgte bereits in der Vorbereitungszeit für eine lebhafte und zum Teil aggresive Stimmung unter den Gruppen. Das Ergebnis der Diskussion war ein Auseinanderfallen eines Bündnisspektrums einerseits und der diversen Strömungen der Autonomen andererseits.
Von dem breiten Bündnis getragen bzw. unterstützt waren
– der Gegenkongress in der Technischen Universität am …
– das Tribunal der Basso-Stiftung in der Freien Universität am …
– die Großdemonstration am Sonntag, den 25.9., und
– ein Programm für Aktionstage vom 26. – 29.9.

Die Autonomen hatten diesem Programm ein Konzept entgegengesetzt, bei dem die Aktionstage eindeutig im Vordergrund standen. Den Abschluß der Aktionstage sollte eine „Internationalistische Demonstration“ am Donnerstag, den 29.9. bilden.

Dieses Auseinanderfallen ist nicht neu. Ähnliche Streitigkeiten gab es bei diversen großen Demonstrationen in Berlin seit der Hausbesetzerbewegung Anfang der 80er Jahre. Interessanterweise setzte sich die Spaltung in der Vorbereitung am Ende nicht so durch, wie es nicht nur die Veranstalter befürchtet hatten. Die Autonomen hatten zwar nicht zur Gegendemonstration aufgerufen, trotzdem nahm ein beachtlicher Teil dieser Gruppen an der „reformistischen“ Demonstration teil. Ähnliches gilt für Tribunal und Gegenkongress. Auf der anderen Seite spielte für einen großen Teil der Demonstration keine Rolle, ob die Aktionen zwischen Montag und Donnerstag nun von den Autonomen oder von der AL o.a. geplant waren. Die Teilnehmerzahl richtete sich vielmehr nach der Uhrzeit: an abendlichen Veranstaltungen nahmen wie üblich mehr Leute teil als an morgendlichen. Auch die Demonstration vom Donnerstag war keine reine Autonomen-Demonstration, wenn auch die Redebeiträge doch im wesentlichen aus diesem Spektrum kamen. Dies zeigt sich deutlich an der Teilnehmerzahl von mehr als 5.000, daß die Zahl der Autonomen doch erheblich übersteigt und die Bereitschaft eines Teils der Basis belegt, sich nicht spalten zu lassen und sich auch nicht ohne weiteres dem Hick-Hack der Vorbereiter zu unterwerfen.

Zugleich bildet das Auseinanderfallen in der Vorbereitung eine wichtige Voraussetzung der polizeilichen Verhaltensweisen. Die Polizei duldet die Großveranstaltungen und billigt ihren Teilnehmern den Status von Demonstranten zu. Auf der anderen Seite werden die kleineren Veranstaltungen, insbesondere wenn es sich um solche radikalen Gruppen oder zumindest von Gruppen mit einem radikalen Sprachgebrauch handelt, zu „demonstrativen Aktionen“, „Störaktionen“ etc. herabdefiniert. Aus Demonstranten werden „Störer“, Krawallmacher, Vermummte… oder schlicht und ergreifend das „polizeiliche Gegenüber“. Festgelegt wird auf diese Weise auch, welche Ausdrucksform den Namen Demonstration verdiene und durch den Art. 8 geschützt sei und welche der polizeilichen Gewalt übergeben wird. Demonstrationsverbote und Auflösungsversuche geben dieser polizeilichen Definition den rechtlichen anstrich.

2. Was wurde verboten?

Die Verbote und Auflagen betreffen die große Mehrheit der angekündigten Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, sofern sie auf der Straße stattfinden sollten.

– Für die Demonstration am Sonntag, den 25.9., wurde die Auflage gegeben, nicht bis zum Internationalen Congress Centrum, dem Tagungsort des IWF, heranzugehen. Die Kundgebung fand etwa 400 Meter davon entfernt statt. zwischen dem Kundgebungsort und dem ICC sperrte die Polizei jeglichen Durchgang. Die Auflage ist im Zusammenhang zu sehen mit den vielen Warnungen vor Gewalttätigkeiten, die auch dem betont gewaltfreien Spektrum gegenüber geäußert wurden. So hatte u.a. die SPD sich gegen eine Teilnahme ausgesprochen, FDP und CDU forderten noch in der Woche davor die Veranstalter auf, die Demonstration zu lassen.
– Weit drastischer waren die Einschränkungen für die Aktionen zwischen Montag und Donnerstag, sowie zur Begrüßung der Banker am Samstag. Die Aktionen in der Innenstadt wurden von der Polizei generell verboten. Die Verwaltungsgerichte bestätigten die Verbote bis auf wenige Ausnahmen.

Vor allem die Straßentheateraktionen, die zum Teil von der AL und dem „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ angemeldet worden waren, wurden nicht nach Versammlungsrecht, sondern nach Verkehrsrecht behandelt. Das Verwaltungsgericht ist dieser Absurdität weitgehend gefolgt. Hierzu eine Kostprobe:
„Bei den Kunstaktionen hendelt es sich nicht um Versammlungen nach 1 Abs. 1 VersammlG. Hierunter sind nur planmäßige Zusammenkünfte mehrerer Menschen zum Zweck gemeinsamer Meinungsbestätigung zu verstehen, wobei zwischen den Teilnehmern eine innere Bindung im Sinne eines Gruppengefühls bestehen muß … Demgegenüber bezwecken die beabsichtigten Veranstaltungen vorrangig Information und Unterhaltung einer unbestimmten Anzahl von Personen, die sich zufällig und vorübergehend an den Veranstaltungsorten einfinden.
… die Antragstellerin (bedarf) einer straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnis gemäß 29 Abs. 2 StVO (…). Denn durch die beabsichtigten VEranstaltungen werden der Breitscheidtplatz und der oben näher bezeichnete Platz vor dem ICC mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen. Die den Antraggegner (i.e. die Polizei) bindenden Verwaltungsvorschriften sehen ein umfangreiches Erlaubnisverfahren, insbesondere auch die Beteiligung mehrerer anderer Behörden vor.“ Dazu sei aber keine zeit mehr. (VG Berlin, VG 15 A 593/88, BEschluß vom 23.9.88)

Ähnlich laufende Ablehnungen finden sich zu den anderen Theater- und Kunstaktionen. Der Rest wurde mit dem Verweis auf die schon oben genannten Gefahrenvermutungen abgebügelt. Nachdem erkennbar war, daß das Verwaltungsgericht den polizeilichen Entscheidungen fast durchgängig folgen würde, verzichteten die Anmelder auf weitere gerichtliche Schritte und entschieden sich, die Veranstaltungen trotz allem so weit wie möglich stattfinden zu lassen.

Erlaubt blieben nur die Aktionen in den Bezirken, u.a. gegen Siemens in Siemensstadt und gegen Schering in Wedding.
– Die Auflagen gegen die „internationalistische Demonstration“ am Donnerstag stehen in der Folge der vom Verwaltungsgericht weitgehend gedeckten Linie der Polizei und des Innensenats, Demonstrationen von der Innenstadt, insbesondere vom Kurfürstendamm fernzuhalten. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts lag bis zum Mittwoch noch nicht vor. Trotz des erfahrungsgemäß ungünstigen Kundgebungsort Urania, einer großen Straßenkreuzung im Niemandsland zwischen Hochhäusern, von allen Seiten offen für das Vorgehen der Polizei akzeptierten die Veranstalter, die Autonomen, die Auflage. Sie zogen es vor, überhaupt eine Demonstration durchzuführen.

Verbote und Auflagen zeigen wie sehr die polizeiliche Definition dessen, welche Form der öffentlichen Äußerung als Demonstration gelten darf und welche nicht, in rechtlichen Entscheidungen – auch von Verwaltungsgerichten – gegossen wird.

3. Friedlichkeit/Unfriedlichkeit

Bis auf einige wenige zerschlagene Fensterscheiben, abgeknickte Autoantennen etc. ist während der Demonstrationen und Aktionen der IWF-Gegner, auch der Autonomen, nichts vorgefallen. Die Schäden dürften zusammengerechnet kaum das ausmachen, was an alltäglichem Vandalismus ohne politischen Hintergrund in den selben Tagen geschehen ist. Ein Grund dafür mag sicherlich das ungeheure Polizeiaufgebot während der Tagungszeit gewesen sein, das auch beim besten Willen gewalttätige Auseinandersetzungen wie anläßlich des Besuchs des US-Präsidenten im Juni 1987 unmöglich gemacht hat. Viel wesentlicher aber ist die Entscheidung der Demonstranten gewesen, sich nicht provozieren zu lassen, wie das bei anderen Angelegenheiten regelmäßig der Fall war. Während die Auflösung von Demonstrationen z.B. anläßlich des Reagan-Besuchs dazu führte, daß sich die Auseinandersetzungen nach Kreuzberg verlagerten und dort bis in die späte Nacht andauerten, haben die Demonstranten dieses mal versucht, mit ihren Parolen und ihrem politischen Anliegen in der Innenstadt – trotz Verboten und trotz polizeilicher Gewalt – präsent zu bleiben. Auch die von den Autonomen angemeldete Demonstration blieb – was die Demonstranten betrifft – friedlich. Die Entscheidung der Demo-Leitung, die Demonstration aufzulösen und nicht in den schon montierten Käfig an der Urania zu laufen, zeugt von Klugheit und von dem Willen, es nicht zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei kommen zu lassen.

In der Realität wurde also die polizeiliche Prohetie – hier die große friedliche Demonstration, dort die unfriedlichen Aktionstage und die Demonstration der gewaltbereiten Autonomen – Lügen gestraft.