RECHTSPRECHUNG

a) Widerstand

AG Tiergarten (Berlin), Urteil vom 3.7.1987
Widerstand, Landfriedensbruch

1. Der Wurf eines Gegenstandes gegen ein mit Fenstergittern versehenes Polizeifahrzeug, das sich auf dem Weg zu einer Vollstreckungshandlung befindet, stellt keinen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte dar.
2. 125 StGB (Landfriedensbruch) schreibt vor, daß die Gewalttaten aus einer Menschenmenge heraus verübt worden sein müssen. Das Gericht stellt fest, daß von der Existenz einer Menschenmenge nicht ausgegangen werden kann, wenn lediglich 15-20 Personen vereinzelt oder in kleinen Gruppen auf dem Bürgersteig stehen, ohne daß diese ihre Kräfte miteinander vereinigt hätten, um Ausschreitungen zu begehen.
(StrafV 1988, S.344)

Kammergericht Berlin, Urteil vom 9.6.1988
Widerstand

Präventiv polizeiliche Maßnahmen wie die Begleitung eines Demonstrationszuges durch Polizeibeamte stellen keine Vollstreckungshandlung dar. Bei Stein- oder Flaschenwürfen auf die Beamten kommt deshalb zwar eine Verurteilung wegen Körperverletzung, nicht aber wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Frage.
(StrafV 1988, S. 437)

AG Tiergarten (Berlin), Urteil vom 16.6.1988
Widerstand

Die Polizei ist nicht berechtigt, einen einer Straftat Verdächtigen, gegen den noch kein offizielles Ermittlungverfahren eingeleitet wurde, zwangsweise zum Zwecke einer Gegenüberstellung zum Tatort zu bringen. Der Verdächtige darf sich in einem solchen Falle gegen den polizeilichen Zwang zur Wehr setzen, ohne daß er sich strafbar macht.
(StrafV 1988, S.438)

b) V-Leute/Informanten

BGH, Beschluß vom 6.4.1988
Bewertung tatprovozierenden Verhaltens im Rahmen der Strafzumessung

Sofern eine nicht von vornherein tatbereite Person von staatlichen Lockspitzeln zu einer Straftat provoziert wurde, sind auch schuldunabhängige Gesichtspunkte einzubeziehen, wenn es darum geht, das Strafmaß festzulegen. Dazu gehört z.B. die Frage, ob dem Betroffenen die Verstrickung in Schuld und Strafe zugemutet wird, um dadurch weitere strafbare Handlungen aufklären und verhindern zu können, oder ob es allein darum geht, ihn selbst zu überführen.
(StrafV 1988, S.295 f.)

LG Heilbronn, Urteil vom 22.12.1987 und
BGH, Urteil vom 5.7.1988
Strafbarkeit der Zusammenarbeit mit einem V-Mann

Weiß der Angeklagte, daß ein Zeuge, mit dem er einen Rauschgifthandel tätigt, mit der Polizei zusammenarbeitet und daß das Rauschgift in die Hände der Polizei gelangen wird, fehlt es am erforderlichen Vorsatz für das Han-deltreiben mit Betäubungsmitteln. In diesem Fall ist ihr Besitz ge-rechtfertigt.
Gegen den so begründeten Freispruch hat die Staatanwaltschaft erfolgreich Revision eingelegt. Der BGH verneint zwar auch ein strafbares Handeltreiben, vertritt aber die Meinung, daß der Besitz von BTM auch dann strafbar ist, wenn die Absicht besteht, die Stoffe letztlich der Polizei zuzuspielen, sofern der Täter nicht den Status eines Mitarbeiters der Polizei hat und deren Anweisungen unterstellt ist.
(StrafV 1988, S. 304 und S. 432)

c) Sonstiges

LG Koblenz, Beschluß vom 18.4.1988
Volkszählung

Das Verteilen von Flugblättern mit u.a. folgendem Inhalt: „Alle Bögen sind schon da, alle Bögen alle, Haushalts-, Mantel-, Wohnungsdinger kriegt kein Zähler in die Finger, denn sie wer’n von uns zerknüllt und dann in den Müll gefüllt“ und „Schnipp, schnapp, schnapp, da war die Nummer ab“ stellt keine nach 111 StGB strafbare Aufforderung zu Straftaten dar.
(StrafV 1988, S. 303)

OLG Frankfurt, Urteil vom 11.3.1988
Keine Sachbeschädigung durch unbefugtes Plakatieren liegt dann vor, wenn die Plakate mit löslichem Aufkleber angebracht worden sind und somit beseitigt werden können, ohne daß die Gegenstände, auf die geklebt wurden, Schaden nehmen.
(StrafV 1988, S.343)

OLG Nürnberg, Beschluß vom 30.6.1988
Wackersdorf, Festnahme zur Personalienfeststellung

Ist es für die Polizei erforderlich, zur Verfolgung von Straftaten die Personalien möglicher Beschuldigter festzustellen, so ist es unzulässig, sie nach dem Erreichen dieses Zwecks weiter festzuhalten. Ein weiteres Festhalten ist unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten nur dann zulässig, wenn dies un-erläßlich ist, um zu verhindern, daß Straftaten fortgesetzt oder neu begangen werden. Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, daß längere Festnahmen unzulässig sind, wenn es der Polizei allein darum geht, „den Kampfplatz aus-zudünnen“, d.h. möglichst viele Teilnehmer der Demonstration im Hüttendorf möglichst weit weg von dem Demonstrationsort zu bringen.

OLG Hamm, Urteil vom 13.1.1988
Mithören eines Telefongespräches durch Polizeibeamte

Es ist dann zulässig, wenn ein Gesprächspartner einwilligt. Ein Verstoß gegen Artikel 10 GG ist in diesem Fall auszuschließen, da der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nicht im Verhältnis der Teilnehmer untereinander besteht. Das Urteil erging im Rahmen eines BTM-Prozesses: „Im Bereich der gefährlichen Drogenkriminalität schließt das Rechtsstaatsgebot kriminalisti-sche List nicht aus“, so das Gericht.
(StrafV 1988, S.374)

Verwaltungsgericht Berlin
Disziplinarkammer, Urteil vom 16.9.1988
Wissenschaftsfreiheit für Hochschullehrer

Dem Beschuldigten, Hochschullehrer an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, FB Polizei, war vorgeworfen worden, in Rundfunkinterviews zum Gesetz über den maschinenlesbaren Personalausweis gegen seine beamtenrechtlichen Pflichten (Verfassungstreuepflicht, Mäßi-gungspflicht bei politischer Betätigung und allgemeiner Wohlverhal-tenspflicht) verstoßen zu haben.
Hierzu erklärt die Disziplinarkammer in einem nun rechtskräftigen Urteil:
Die Äußerungen sind durch das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit geschützt. Dies umfaßt nicht nur das Recht, wissenschaftliche Erkenntnisse ungehindert zu erarbeiten, sondern gewährleistet auch deren Weitergabe. Geschützt sind nicht nur die üblichen Formen der schriftlichen oder mündlichen Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auch Interviews. Nicht die Form, sondern der Inhalt der wissenschaftlichen Erkenntnis bestimmt den Schutzbe-reich des Art. 5 GG. Die Zuordnung des Rundfunkinterviews zum Bereich der Wissenschaftsfreiheit wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß das Interview einen aktuellen politischen Bezug hatte.
(AZ: VG Disz. 12.88)