Ausländerüberwachung – Zum Entwurf eines Gesetzes über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz)

von Thilo Weichert

Das Ausländerzentralregister (AZR) ist eine der größten und problematischsten Verwaltungsdateien, die es in der Bundesrepublik gibt. Dennoch wurde diesem Register bisher nur sehr wenig Aufmerksamkeit zuteil, nicht zuletzt, weil deutsche Staatsangehörige von ihm allerhöchstens indirekt (z.B. bei nichtdeutschen Ehepartnern) betroffen sind.

Anders wie im Falle der Datenbanken bei Polizei und Geheimdiensten blieb das Register bisher weitgehend von Skandalen verschont, obwohl und vielleicht weil der Skandal schon im Bestehen dieser Datei selbst liegt. Erst in der allerneuesten Zeit entwickelte sich zaghaftes Interesse für das AZR bei Ausländerorganisationen. Der hier dokumentierte und kritisierte Entwurf eines AZR-Gesetzes ist der erste Versuch, diesem Register eine Grundlage zu geben.

Ausländerüberwachung seit 1953

Das AZR ist eine Abteilung (Abt. III 5) des Bundesverwaltungsamtes in Köln. Es wurde 1953 zum Zweck wirksamer Überwachung der angeworbenen ausländischen ArbeitnehmerInnen im Bundesgebiet eingerichtet. Schon im Jahre 1967 wurde die Hauptdatei (daneben wurde eine Erkenntnisdatei geführt) auf automatisches Verfahren umgestellt. 1980 übermittelte der Bundesbeauftragte für den Da-tenschutz (BfD) dem Bundesinnenminister einen Prüfbericht, der eine Vielzahl von Mängeln auflistete. Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe mit der „Neukon-zeption des AZR“ beauftragt. In dieser Arbeitsgruppe waren neben den Innenverwaltungen das Statistische Bundesamt, die Grenzschutzdirektion (GSD), das Bundeskriminalamt (BKA) und der beamtete Verfassungsschutz (BfV) vertreten. Nicht vertreten in der Arbeitsgruppe waren AusländerInnen. Die Mit“täter“schaft der gesamten Behörde bei Erstellung des nun vorliegenden AZR-Gesetzentwurfes ist in den diese tangierenden Bestimmungen leicht zu erkennen.

Mit dem Volkszählungsurteil mahnte das Bundesverfassungsgericht 1983 indirekt auch eine gesetzliche Grundlage für das AZR an. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sollte auch für Nicht-Deutsche gelten. Für dessen Einschränkung bedurfte es also eines Gesetzes. Der hier erstmals veröffentlichte Referentenentwurf für ein AZR-Gesetz wurde innerhalb der Exe-kutive umfassend vorbereitet und diskutiert.

Funktion und Umfang des AZR

Im AZR sind derzeit Datensätze von ca. 10 Millionen AusländerInnen gespeichert, wovon weniger als die Hälfte in der Bundesrepublik wohnhaft sind.

Das AZR soll in einen automatisierten digitalisierten Verbund sog. Sicherheitsbehörden integriert werden, in dem das polizeiliche INPOL-System wohl die wichtigste Rolle spielt, neben dem Bundeszentralregister (BZR), ZEVIS beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) und dem Juristischen Informationssystem JURIS (siehe Busch u.a.: Die Polizei in der Bundesrepublik, 1985, S. 125). Dieser teilweise schon realisierte Verbund wird fortlaufend weiter ausgebaut.

Die Einbeziehung des AZR in den sog. Sicherheitsverbund scheint im Lichte einer propagierten Ausländerintegrationspolitik anachronistische Züge zu ha-ben. Die gesamte gesellschaftliche Gruppe der AusländerInnen wird damit als Risikopotential, unabhängig von konkreten Umständen, angesehen und behandelt. Im Lichte zunehmender polizeilicher Präventionspolitik ist das AZR dagegen leicht erklärbar und hat Wegweiserfunktion. Mit dem AZR wird derzeit schon das praktiziert, wovon Ordnungspolitiker in Bezug auf die Gesamtgesellschaft noch träumen: ein zentrales Personen- und Melderegister, welches alle behörd-lich relevanten Sachverhalte aufzunehmen in der Lage ist. Die Verdatung der ausländischen Bevölkerungsminderheit hat in diesem wie in manch anderem Sinne (Vernetzung, Formen der Auswertung) exemplarischen Charakter für die Verdatung anderer gesellschaftlicher Gruppen oder gar der Gesamtbevölkerung.

Die Funktion des AZR geht weit darüber hinaus, bei der Identifizierung von AusländerInnen zu helfen und Akten nachzuweisen: Das AZR soll als alleinige Entscheidungsgrundlage für Verwaltungsakte ausreichen (Begr. A.4.3). Dadurch erhält es eine für Nicht-Deutsche unter Umständen existenzbedrohende Rolle. Außerdem werden über alle AusländerInnen derart umfangreich und vollständig Daten erfaßt, daß allein anhand dieser Daten Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Schon deswegen gehört dieses Register mit dem Siegel der Verfassungs- und Demokratiewidrigkeit versehen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird in vieler Hinsicht Licht in das bisherige Dunkel des AZR gebracht. Der Gesetzentwurf behauptet, lediglich das zu normieren, was geltende Verwaltungspraxis ist (Begr. A.7). Tatsächlich dürfte das AZRG weitgehend das legalisieren, was bisher im verfassungsrechtlichen Graubereich ohnehin stattfindet. Doch enthält der Gesetzentwurf darüber hinausgehend technisch noch nicht realisierte Möglichkeiten, insbesondere im Bereich der Vernetzung der Ausländerbehörden und der Vernetzung dieser Behörden und des AZR mit anderen Stellen.

Die durch das Register erfaßten Personen werden in 3 beschrieben: Gespeichert werden alle in der BRD wohnhaften AusländerInnen, sowie solche, die irgendeine Beziehung mit der BRD hatten (Auslieferung, Durchlieferung, ehemalige aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, insbes. Abschiebung) oder künftig haben könnten (Einreisebedenken, Ausschreibung zwecks Zurückweisung, Überprüfung oder Festnahme, internationale Terrorismusbekämpfung). Damit wird erklärlich, weshalb schon heute doppelt so viele AusländerInnen im AZR gespeichert sind, als in der BRD tatsächlich leben. Dieses Mißverhältnis wird künftig eher noch zunehmen. Im Entwurf ist keine Aufbewahrungsdauer vorgesehen. Durch eine Vielzahl von Zugängen, ohne daß es viele Löschungen geben wird, wird sich der Datenberg weiter erhöhen. Erhöhte Zuzugszahlen bei Flüchtlingen sowie der geplante EG-interne Datenaustausch über sog. „Dritt-Ausländer“ werden die Zahl der erfaßten Menschen weiter ansteigen lassen.

Zweck des AZR ist nach 2 Abs. 1 neben der Identifizierung und der Aufenthaltsermittlung von AusländerInnen sowie dem Aktennachweis über diese v.a. die Hilfeleistung zur „Aufgabenerfüllung der Übermittlung ersuchenden öffentlichen Stellen“. Dieser Aufgabe entsprechend umfangreich ist der Speicherungskatalog. Während 3 Abs. 3 Nr. 1 fast nur Identifizierungsangaben enthält (Ausnahme z.B. letzter ausgeübter Beruf im Heimatland), öffnet 3 Abs. 3 Nr. 2 (und ergänzend dazu 6 Abs. 1 Satz 2) der Datenerfassung jede normative Schranke. Da Informationen über praktisch alle Lebenssachverhalte, von den Wohnverhältnissen über Berufs-, Einkommens- und Familienverhältnisse bis zur politischen Orientierung und Organisation, Angaben sein können, auf Grund derer „aufenthaltsrechtliche Entscheidungen getroffen worden sind“, können nach dem Gesetz auch all diese Sachverhalte gespeichert werden. Über 3 Abs. 5 werden nicht nur aus der Vergangenheit relevante Sachverhalte speicherbar, sondern ganz generell „andere Sachverhalte, wenn dies erforderlich ist“.

Ob die Gründe von aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen und Einreisebedenken elektronisch gespeichert werden, oder „nur“ in Form von Akten beim AZR ge-führt werden, geht aus den 3 Abs. 7 und 6 Satz 3 nicht klar hervor. Es bestanden zumindest Bestrebungen, auch Freitexte zur elektronischen Speicherung zu bringen. Dies wird durch die vorgeschlagene Regelung des Entwurfs nicht ausgeschlossen. Relevant ist aber insbesondere, daß überhaupt zentral, anstelle bisher ausschließlich dezentral bei den Ausländerbehörden, Akten über AusländerInnen gehalten werden sollen, die auf Ersuchen übersandt werden können. Folgende Verfügungstexte sollen gemäß der Anlage aufbewahrt werden: Ausweisungs- und Abschiebungsbegründungen, Einschränkungen und Untersagungen politischer Betätigung, Einreisebedenken. Der Aufwand für etwas detailliertere Auskunftsersuchen wird stark reduziert. Eine parallele Aktenführung neben den zuständigen Ausländerbehörden dürfte für die Zukunft die Konsequenz der Regelung sein.

Wer hat Zugang zum AZR?

Scheinbar sehr detailliert geregelt ist die Übermittlung von Daten zum und vom AZR. Die Übermittlungsregelungen des 4 entsprechen den jeweiligen Auf-gaben der Absenderbehörden. Anders als die Übermittlungsregelung des 4 Abs. 2 für das Verhältnis zum Verfassungsschutz, die im übrigen erheblich enger ist als die geplante Übermittlungsregelung des 10 BVerfSchG (abgedruckt in CILIP Nr. 29, S. 15), enthält 4 Abs. 1 für die Ausländerbehörden, die Grenzpolizeibehörden, das Bundesamt für die Anerkennung von ausländischen Flüchtlingen (BfAF), das Bundeskriminalamt (BKA) usw. keine explizit be-schränkende Befugnisnorm. Die Regelung stellt das fest, was bisher durch die normative Kraft des Faktischen „zulässig“ war. Durch 4 Abs. 3 i.V.m. 3 Abs. 5 wird die zunächst in 4 Abs. 1 und 2 recht restriktiv klingende Regelung ins Uferlose ausgeweitet: Als Suchvermerk kann praktisch jede Behörde Daten im AZR einstellen und suchen lassen.

In 4 Abs. 4 und 15 wird das automatisierte Abrufverfahren, also der elektronische on-line-Datenaustausch, zwischen AZR und folgenden Behörden zugelassen (Anlieferung und Abfrage): Ausländerbehörden, Grenzpolizei-behörden, Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BfAF), BKA, OLG-Staatsanwaltschaften, Vertriebenenbehörden (AfV), Einbürgerungsbe-hörden, Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Bundesnachrichtendienst (BND). On-line abfragebefugt sind zudem alle weiteren Polizeibehörden, alle Staatsanwaltschaften, das Zollkriminalinstitut (ZKI) und die Bundesanstalt für Arbeit (BfA). Bisher nicht bekannt war, daß schon heute die in 15 genannten Behörden on-line Zugriff auf das AZR haben, so wie dies die Begründung (zu 15) vermuten läßt. Weitere Direktverbindungen können über das BDSG genehmigt werden.

Der Zugriff der Ausländerbehörden, des BfAF und der Grenzpolizeibehörden ist in keiner Weise beschränkt, ebenso wenig wie der Zugriff für sonstige Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften ( 7, 8). Dem Erfordernis nach ei-nem besonderen Ersuchen nach 8 Abs. 2 dürfte keine Bedeutung zukommen, da hieran keinerlei materiell-rechtliche Kriterien und kein spezifisches Verfahren geknüpft werden.

Die unbeschränkte Auskunftsübermittlung an das BfAV nach 7 wird mit einer geplanten Änderung des Asylrechts begründet, die die Abschaffung des Grund-rechtsanspruches auf politisches Asyl nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG voraussetzt (mit Verweis auf Schengen, EG: Begr. zu 7). Das Gesetz geht also davon aus, daß die Europäisierung und Angleichung des Asylrechts auf EG-Ebene beschlossene Sache sei.

Ebenso wenig akzeptabel ist die unbeschränkte Auskunft an die Grenzbehörden. Diese erhält nur dadurch einen Sinn, daß deren Funktion geändert werden soll: Nicht nur die Exekutierung von ausländerrechtlichen Entscheidungen soll den Grenzbehörden möglich sein, sondern auch das Fällen solcher Entscheidungen selbst, z.B. durch Zurückweisung von Personen direkt an der Grenze.
Die Übermittlung an das ZKI ( 9), an die BfA ( 10), an die Ämter für Vertriebene ( 11), die Geheimdienste ( 12) und innerhalb des Bundesverwaltungsamtes ( 13) ist zwar scheinbar durch einen Katalog von Datenfeldern beschränkt, die die jeweiligen dort ausgeführten Aufgaben am stärksten berühren. Doch wird diese Beschränkung konterkariert durch die on-line Abrufmöglichkeit. Die Zugriffsbeschränkungen sind lediglich technisch zu realisieren und de facto effektiv kaum zu kontrollieren. Die materiell-rechtlichen Schranken der 7 bis 14 werden schließlich völlig durch die Ausnahme des 6 Abs. 1 Satz 2 ad absurdum geführt, wonach auch die sonstigen Daten zu übermitteln sind, die „der Empfänger zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt“. Diese „bereichsspezifische“ Regelung unterscheidet sich in nichts von der bisher als zu unbestimmt angesehenen Generalklausel des 10 Abs. 1 Satz 1 BDSG.

Die on-line Anbindung der Geheimdienste verletzt das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip der Trennung von Geheimdienst und Polizeibehörden.

Die on-line Anbindung aller relevanten sog. Sicherheitsbehörden macht die AusländerInnen zu deren informationellen Freiwild.
Die vorliegende Regelung läßt vermuten, daß an der Grenze zurückzuweisende AusländerInnen sowohl im AZR als auch in der INPOL-Personenfahndungsdatei (Grenzschutz, Polizei) gespeichert sein sollen, sowie in weiteren Spezialdateien wie z.B. ehemals GEAK (Grenzübertritt von Angehörigen arabischer Länder) oder FAMAL (Sichtvermerksanträge von lybischen Staatsangehörigen). Auch für andere besondere Gruppen von Nicht-Deutschen dürfte es an verschiedenen Stellen redundante Speicherungen geben. Die gegenseitige Aktualisierung z.b. der INPOL-Dateien der Polizei, der NADIS-Dateien der Verfassungsschutzbehörden oder der Dateien der lokalen Ausländerbehörden kann künftig im Abgleichverfahren ohne großen Aufwand durchgeführt werden. Ein solcher Massenabgleich ist zwar nicht im Gesetz besonders vorgesehen, doch dürfte er nach Ansicht der Entwurfsautoren durch die automatische Abrufmöglichkeit miterfaßt sein (Begr. zu 4 Abs. 4).

Jede Beschränkung wird schließlich dadurch aufgehoben, daß die „Ausnahme“ des 6 Abs. 1 Satz 2 nicht nur für die in den 7 bis 13 genannten, sondern für alle Behörden ( 14) gelten soll.

22 normiert den unbeschränkten Datenzugriff der Aufsichtsbehörden. Dieses bisher auch in anderen Bereichen kaum in Frage gestellte „Recht“ sollte im Interesse informationeller Gewaltenteilung und in Anbetracht der betriebenen Verwaltungsvernetzung bis in die höchsten Ebenen in Frage gestellt werden.

Personenkennziffer für Auslän-derInnen

In 5 Abs. 1 versteckt ist die AZR-Nummer, jetzt zum „Geschäftszeichen“ deklariert. Dieser Nummer kommt die Funktion eines (verfassungsrechtlich bedenklichen) Personenkennzeichens zu, mit welchem Dateien erschlossen und verknüpft werden können. Eine Beschränkung der Nummer nur für den Verkehr der Ausländerbehörden enthält der Gesetzentwurf nicht. Das Geschäftszeichen kann also auch von der Polizei und anderen Behörden verwendet werden. Dem steht auch nicht die Begründung entgegen, wonach das „Geschäftszeichen“ in der Regel nur der aktenführenden Ausländerbehörde oder dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vor“liegt“ (Begr. zu 5 Abs. 1).

AZR als Mittel der AusländerInnenpolitik

Nach 2 Abs. 3 dient das Register als Grundlage für Planungen und Statistiken. Zu diesem Zweck erhalten die Statistikämter und obersten Bundes- und Landesbehörden gemäß 16 anonymisierte Daten übermittelt. Schon heute werden aufgrund des Materials aus dem AZR detaillierte Statistiken erarbeitet, so z.B. die alle zwei Jahre neu aufgelegte über 100-seitige Bro-schüre „Die Ausländer“ des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg oder die Ausländerjahresstatistik des Bundesstatistikamtes. Oppositionsparteien konnten in der Vergangenheit erfahren, daß dagegen Statistiken, mit Hilfe derer die Regierung hätte kritisiert werden können, z.B. über die gesetzlichen Grundlagen der Asylablehnungen, nicht erstellt werden „konnten“. Die Regierungen haben über die vollständige Erfassung aller AusländerInnen eine hervorragende Grundlage zur Erstellung von statistischem Material, mit welchem restriktive Ausländerpolitik legitimiert werden kann.

Die Möglichkeit der Erstellung von Statistiken für einzelne Behörden anhand von AZR-Daten ist neu ( 5 Abs. 2). Hierbei geht es nicht allein um die Be-sorgung von Daten zwecks „Vorbereitung von Sprachkursen oder anderer Integrationsmaßnahmen“ (Begr. 5 Abs. 2). Zulässig wird dadurch die lokale und regionale Erstellung von Ausländerkriminalitätsatlanten durch die Polizei mit AZR-Daten oder die Verbesserung der Planungen zur „Rückkehrförderung“, zur „Familienzusammenführung in der Heimat“ oder zu sonstigen repressiven Maßnahmen z.B. unter dem Stichwort der „Generalprävention“.

AZR-Daten für nicht-staatliche Stellen

Die Zulassung der Auskunftserteilung an nicht-öffentliche Stellen, die humanitäre oder soziale Aufgaben wahrnehmen ( 17), ist äußerst zweischneidig. So sehr gewisse Grunddaten für humanitäre Arbeit notwendig sein können, so wenig bedarf es dafür einer Abfrage in einem zentralen Register. Weshalb Rotes Kreuz, kirchlicher Suchdienst oder das „Deutsche Institut für Vormundschaftswesen“ Personendaten aus dem AZR benötigen, wird auch in der Gesetzesbegründung nicht ausgeführt. Mit Zustimmung des oder der Betroffenen kann jede humanitäre oder soziale Organisation für AusländerInnen aktiv werden. 17 lädt solche Institutionen vielmehr ein, AusländerInnen gegen deren Willen ihre Dienste aufzudrängen. Beängstigend ist, daß 17 keinerlei materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Übermittlung formuliert.

Die Auskunft an sonstige Privatrechts-Personen ( 19) ist relativ restriktiv geregelt. Der Einsatz des AZR für Privatauskünfte basiert aber auf dem gleichen Prinzip aller sonstigen Auskunftsregelungen: der umfassenden Verwendung eines zentralen Melde- oder Personenregisters, gegen welches, angewendet auf Deutsche von Deutschen, schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht würden.

AZR-Daten an ausländische Stellen

Die in 18 ermöglichte Auskunftserteilung an Behörden anderer Staaten sowie zwischen- und überstaatliche Organisationen ist ebenso wenig an materiell-rechtliche Anforderungen geknüpft. Die Abwägung der „schutzwürdigen Belange des Betroffenen“ mit den „berechtigten Interessen“ des ausländischen Empfängers läßt jedes beliebige Ergebnis zu. Derart unbestimmte Rechtsbegriffe können keine schwerwiegenden Grundrechtseingriffe rechtfertigen, schon gar nicht, wenn hierbei Diktaturen oder autoritäre Staaten beteiligt sein können. 18 ist zudem das Einfallstor für eine Europäisierung des AZR nach einer Europäisierung des Ausländer- und Asylrechts. Insbesondere Absatz 2 ist darauf angelegt, die Daten des AZR nicht-deutschen oder
europäischen Institutionen zugänglich zu machen.

Kein unbeschränktes Auskunftsrecht der Betroffenen

Die Rechtlosstellung der Betroffenen, bekannt aus den sonstigen sog. Sicherheitsgesetzen, wird in 20 des Entwurfes über die Auskunft an den Betroffenen fortgeführt: Alle und jeder erhalten Auskunft, nur die betroffe-nen Menschen selbst nicht. Die Auskunftserteilung kann verweigert werden wegen Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Behörde, wegen Gefährdung der öf-fentlichen Sicherheit und Ordnung und wegen möglicher Ausforschung eines Geheimdienstes. Die Ablehnung der Auskunft aus den beiden letztgenannten Gründen soll grundsätzlich ohne Begründung erfolgen und wird dadurch justitieller Überprüfung de facto entzogen.
Vom informationellen Selbstbestimmungsrecht der AusländerInnen bleibt maximal ein staatlicher Gnadenakt in Form einer begrenzten Auskunftserteilung übrig. An der Regelung des 20 wird die Objektrolle, die den AusländerInnen im gesamten Gesetzeswerk durchgängig zugeteilt wird, am deutlichsten.

Beredt ist der Gesetzentwurf in dem, was er nicht regelt: Entgegen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine bereichsspezifische Regelung gibt es keine Normierung der Grundsätze des Berichtigens und Lö-schens von Daten. Ebenso fehlt jegliche organisatorische oder verfahrensrechtliche Regelung, die Kontrolle, Richtigkeit und Aktualität des Bestandes sowie die Beteiligung der betroffenen AusländerInnen regelt. Hier wird lapidar auf das allgemeine Datenschutzrecht verwiesen ( 21).
Auf die besonderen Gefahren einer gesamte Persönlichkeitsprofile beinhaltenden Datei von einer gesellschaftlichen Minderheit und sozialen Randgruppe, die aus der deutschen Geschichte mehr als bekannt sein müßten, wird nicht eingegangen. Demokratische oder sonstige Sicherungen sind nicht vorgesehen. Es scheint vielmehr ein erwünschter Effekt zu sein, die AusländerInnen über das AZR informationell voll im Griff zu haben, um gegen sie kollektiv oder individuell, je nach exekutivem Gusto, eingreifen zu können. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß die Begründung des Gesetzentwurfs, anders als die vor kurzem bekannt gewordenen geplanten neuen Ausländergesetze, nicht in offen rechtsradikales Vokabular verfällt (vgl. aber Begr. 3. oder zu 3 Abs. 2 Nr. 1). Der Entwurf geht sogar so weit, die Datenverarbeitung im AZR als im „Interesse“ der AusländerInnen zu deklarie-ren, da mit Hilfe des Registers Sichtvermerksanträge oder Perso-nenüberprüfungen beschleunigt würden (Begr. 4.2).

Die Diktion des Entwurfs ist technokratisch, kaum ideologie-gefärbt. Die Inhalte der Ausländergesetzes-Vorhaben und des AZR-Gesetz-Entwurfes ergänzen sich dennoch problemlos. Die Rolle, die in beiden Projekten den AusländerInnen zugewiesen wird, ist identisch: die eines Objektes exekutiver Willkür. Ein zentrales, über ein Aktennachweissystem hinausgehendes System einer Meldedatei über eine soziale Minderheit kann keine menschengerechte Funktion erfüllen. Angriffspunkt darf deshalb nicht nur das geplante AZR-Gesetz, sondern muß das AZR selbst sein.

Literatur:

Oels, Monika: Ausländer: 10 Mio. gespeichert, in: Chips u. Kabel, Nr. 8 (Juni 1984), S. 34 ff.; diess.: Ausländerkriminalzentralregister, in: Chips u. Kabel Nr. 14/15 (1984/85) S. 65 ff.
Scheurer, Franz: Immigranten und Flüchtlinge – die gläsernen Menschen, in: Vorsicht Volkszählung! (Hg.: Appel/Hummel), Köln 1987
Weichert, Thilo: Das Ausländerzentralregister, in: InfAuslR 7-8/1987 S. 205-218; und ders.: Nochmals Ausländerzentralregister, in: InfAuslR 4/1988, S. 108 f.

Stand: 12.7.1988