Zur Erinnerung:
In der Nacht zum 5.Juni 1974 wird der 22jährige Student Ulrich Schmücker an der Krummen Lanke in Berlin-Grunewald mit einem Kopfschuß von US-Soldaten sterbend aufgefunden. Schmücker, 2 Jahre zuvor im Verlaufe einer U-Haft vom Berliner VfS-Mitarbeiter Grünhagen als Informant angeworben, bewegte sich im Umfeld der „Bewegung 2. Juni“. Nach der Anwerbung geriet er in der Szene in Verdacht, Spitzel zu sein. Schmücker rechtfertigte sich gegenüber seinen politischen Freunden mit dem Argument, daß er sich formal darauf eingelassen hätte, um seinerseits den VfS auszuspähen. Es steht fest, daß er sich bedroht fühlte und noch an seinem Todestag zumindest telefonischen Kontakt mit dem LfV hatte.
In einem Bekennerschreiben an die Deutsche Presseagentur erklärt sich eine Gruppe „Schwarzer Juni“ für die Tat verantwortlich und begründet die Ermordung von Schmücker mit dessen Zuarbeit für Polizei und VfS.
Des Mordes an Ulrich Schmücker werden in den bisher abgeschlossenen drei Strafverfahren 6 Personen beschuldigt, die sich alle aus der politischer Arbeit in Wolfsburg kennen. Der unmittelbaren Tat beschuldigt wird der zur Tatzeit 20jährige Wolfgang Weßlau. Als Rädelsführerin gilt der Anklagebehörde die zur Tatzeit 38jährige Ilse Schwipper, geb. Bongatz. Der weiteren Mittäterschaft angeklagt sind die zur Tatzeit gleichfalls 20järigen Wolfgang Strüken, Anette von Wedel und Söhnke Löffler. Ein weiterer Beschuldigter, der zur Tatzeit 25jährige Götz Tilgner, ebenfalls ein Mann der Berliner linkradikalen Szene mit guten VfS-Kontakten, wird 1975 tot aufgefunden. Er soll sich mit Tabletten umgebracht haben.
Als Kronzeuge der Anklage fungiert seit dem 1.Strafverfahren der zur Tatzeit 20jährige Jürgen Bodeux. Es besteht zugleich der Verdacht, daß er an einem bis heute nicht aufgeklärten Raubmord am 18.Dezember 1973 in Köln-Portz an dem Geldboten Karl Wiegand beteiligt gewesen sein könnte. Es zählt zu den „Merkwürdigkeiten“ des Schmückerverfahrens, daß Spurenakten (die Spurenakte Nr. 74) die unter Umständen Hinweise auf Bodeuxs Beteiligung an diesem Mordfall geben könnten, den Anwälten bisher nur zu geringen Teilen (48 von 102 Seiten) zur Einsicht ausgehändigt wurden, so daß in der Öffentlichkeit der Verdacht aufgekommen ist, der VfS versuche in dieser Sache, seinen Kronzeugen zu decken ( Kölnische Rundschau, 3. u. 4.2.1988).
Behauptet wird, daß noch in der Tatnacht ein langjähriger V-Mann des LfV Berlin, Volker Weingraber, Edler von Grodeck, von dem der Tat unmittelbar Beschuldigten eine Pistole erhielt, die als Tatwaffe gilt und die Weingraber noch in der Nacht an seinen V-Mann-Führer Grünhagen weitergeleitet haben soll.
Tröpfchenweise, aber gezielt gibt das LfV in der folgenden Zeit seine Informationen an die in diesem Fall ermittelnde Staatsschutzabteilung weiter. V-Mann-Führer Grünhagen ist über längere Zeit ständiger Gast in den Räumen der die Ermittlungen durchführenden Kripo-Abteilung. Um die Tatverdächtigen festnehmen zu können, wird in Westdeutschland ein „Autounfall“ fingiert. Die heraneilenden Polizisten entdecken in dem PKW zahlreiche Waffen und weitere Unterlagen, die eine Verhaftung von Ilse Schwipper und Jürgen Bodeux wegen des Verdachts der Beiteiligung an einer kriminellen Vereinigung begründen.
Spätestens ab Juli 1974 gibt es direkte Kontakte zwischen dem LfV und dem die Ermittlungen führenden Staatsanwalt der P-Abteilung, Hans-Jürgen Przytarski, dem gegenüber der spätere Kronzeuge Jürgen Bodeux in der U-Haft behauptet, die Tatwaffe besorgt und an der Planung des Mordes beteiligt gewesen zu sein. Zentrale Teile eines auf Tonband aufgenommenen Geständnisses von Bodeux sind gelöscht – eine weitere der vielen Merkwürdigkeiten in diesem Strafverfahren.
Bestätigt ist inzwischen, daß bereits in der Vorbereitungszeit auf den 1.Prozeß zum Mordfall Schmücker, der am 6.2.1976 begann, und im Verlaufe des Prozesses der Anklagevertreter Przytarski durch den bereits vor dem Schmückermord als VfS-V-Mann tätigen Christian Hain, ein Vertrauter der Hauptbeschuldigten aus gemeinsamen Zeiten in Wolfsburg, direkt aus der Kanzlei des RA Heinisch laufend informiert wurde. Gleichzeitig wurde der Telefonverkehr des RA Heinisch abgehört.
Am 22.Juni 1976 verurteilte die 7. Große Strafkammer des LG Berlin den der unmittelbaren Tat beschuldigten Weßlau zu 8 Jahren Haft, Frau Schwipper zu lebenslanger Haft, den „Kronzeugen“ Bodeux zu 5 Jahren und die weiteren 3 Angeklagten zu 4 bzw. 5 Jahren Haft.
„Kronzeuge“ Bodeux nimmt das Urteil an und wird 1977 nach ca. 2 1/2 Jahren Haft entlassen, die anderen Verurteilten legen mit Erfolg Revision beim BGH ein.
Die zweite Verhandlungsrunde, Vertreter der Anklage ist nun Staatsanwalt Müllenbrock, beginnt am 10.4.1978 und endet am 27.Juli 1979 mit einer erneuten Verurteilung der nun nur noch 5 Angeklagten.
Mit Beschluß vom 14.Oktober 1980 hebt der BGH auch dieses Urteil wegen erheblicher Verfahrensfehler auf und erzwingt damit eine dritte Verhandlungsrunde. Auch dieses Verfahren ist dadurch charakterisiert, daß die involvierten Behörden alles in ihrer Macht stehende taten, um einschlägige Akten vorzuenthalten und Zeugenvernehmungen zu unterbinden.
Nach siebenjähriger Untersuchungshaft wurde im Mai 1982 die Hauptbeschuldigte, Ilse Schwipper, wegen Haft- und Verhandlungsunfähigkeit aus der U-Haft entlassen.
Über 5 Jahre zieht sich die dritte Verhandlungsrunde hin. Nach 391 Verhandlungstagen erfolgt am 3. Juli 1986 eine erneute Verurteilung. Auch dieses Urteil ist nun vom BGH aufgehoben worden, so daß demnächst die 4.Prozeßrunde beginnt.
Zwei ehemalige Vertreter der Anklage, die Staatsanwälte Przytarski und Müllenbrock, die bereits während der ersten beiden Strafverfahren mit dem VfS kräftig zusammengearbeitet hatten, hatten inzwischen Karriere gemacht: Przytarski war Vize-Präsident des LfV geworden, Müllenbrock Staatssekretär beim Innensenat von Berlin. Dank dieser neuen Positionen konnten sie nun über die Prozeßstrategie des LfV mitentscheiden.
Zu weiteren Details dieses längsten Prozesses der deutschen Nachkriegsgeschichte vgl. die Literaturangaben am Ende des Hauptartikels.