Schlagwort-Archive: V-Leute

Staatsräson versus Aufklärung: Der 2. Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU

von Heike Kleffner

Seit November 2015 tagt der zweite Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex im Bundestag. Die Erwartungen und die Fülle der Themen, mit denen sich das Gremium befassen sollte, waren und sind hoch. Denn im Mittelpunkt der offenen Fragen steht das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Die mediale und öffentliche Anteilnahme an der Arbeit der acht Abgeordneten unter dem Vorsitz von Clemens Binninger (CDU) und seiner Stellvertreterin Susann Rüthrich (SPD) ist bislang weitgehend ausgeblieben – ganz im Gegensatz zum ersten NSU-Untersuchungsaus­schuss des Bundestages, dessen Arbeit von Anfang an Gegenstand intensiver politischer, medialer und öffentlicher Debatten war.

Dabei zweifelt kaum jemand an der Notwendigkeit eines zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Der Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten vor dem Oberlandesgericht (OLG) München läuft zwar seit nunmehr drei Jahren und ist inzwischen weit fortgeschritten. Fünf parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) im Bund und in den Ländern sind abgeschlossen, und derzeit laufen sechs weitere.[1] Dennoch fehlen noch immer schlüssige Antworten auf die zentralen Fragen im NSU-Komplex: Staatsräson versus Aufklärung: Der 2. Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU weiterlesen

Der V-Mann Johann H.: Eine Spur führte zum Verfassungsschutz-Spitzel

von Kim Finke (LOTTA Magazin)

Mehr als zwei Jahrzehnte stand Johann H. auf der Gehaltsliste des Staates und mischte in zahlreichen Neonazi-Gruppen mit, teils in führender Position. Im Februar 2012 fiel dem Bundesamt für Verfassungsschutz seine Ähnlichkeit mit dem Phantombild des Bombenlegers aus der Kölner Probsteigasse auf.

Am 19. Januar 2001 war dort eine mit Schwarzpulver gefüllte Bombe explodiert, nachdem die Tochter der Inhaberfamilie eines Lebensmittelgeschäfts den Deckel einer im Laden zurückgelassenen Dose angehoben hatte. Die junge Frau wurde schwer verletzt. Wer die Sprengfalle in dem Laden deponierte, konnte mehr als zehn Jahre lang nicht ermittelt werden. Für die Kölner Polizei kam ein rassistisches Tatmotiv damals nicht in Betracht. Ebenso wenig wurden frühere gegen ausländische Familien gerichtete Sprengstoffanschläge in Köln in die Ermittlungen einbezogen – wie die am 22. Dezember 1992 vor der Wohnungstür einer türkischen Familie in Köln-Ehrenfeld deponierte Sprengfalle oder die beiden in Werkzeugen und Haushaltsgeräten versteckten TNT-Bomben im Frühjahr 1993.[1] Die Hintergründe des Probsteigassen-Anschlags blieben bis November 2011 unbekannt, erst dann bekannte sich der NSU in seinem „Paulchen-Panther“-Video zu der Tat. Zwei Monate später geriet der V-Mann Johann H. ins Visier. Ein Untersuchungsaus­schuss (PUA) des nordrhein-westfälischen Landtags versucht seit Sommer letzten Jahres die Hintergründe des Anschlags und die mögliche Beteiligung lokaler HelferInnen aufzuklären. Der V-Mann Johann H.: Eine Spur führte zum Verfassungsschutz-Spitzel weiterlesen

Mehr Personal, mehr Geld, mehr Macht – Novellierung des BfV-Gesetzes

Die Bundesregierung hat es eilig: Der am 25. März 2015 vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“ soll schon im September über die parlamentarische Bühne gebracht sein.[1]

261 neue Stellen soll das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für die „Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden“ und für die Ausübung seiner neuen „Zentralstellenfunktion“ erhalten. Damit verbunden seien jährlich rund 17 Millionen Euro mehr an Personal- und Personalnebenkosten. So steht es im allgemeinen Teil der Begründung dieses Gesetzentwurfs unter der Überschrift „Erfüllungsaufwand der Verwaltung“. 17 Millionen Euro, das sind etwa 8,5 Prozent des gesamten Budgets des BfV, das sich 2013 auf rund 206 Millionen Euro belief. Noch nicht kalkulieren lasse sich der „Mehrbedarf“, der sich aus der Unterstützung der Landesämter (LfV) „im Bereich besonderer technischer und fachlicher Fähigkeiten“ ergebe. Mehr Personal, mehr Geld, mehr Macht – Novellierung des BfV-Gesetzes weiterlesen

Nazi-Spitzel Trinkaus: Noch eine Thüringer V-Mann-Geschichte

von Paul Wellsow

Der Untersuchungsausschuss „V-Leute gegen Abgeordnete“ (UA 5/2) des Thüringer Landtages lieferte interessante Einblicke in das trübe Innenleben und den dubiosen Alltag des „Verfassungsschutzes“.

Parallel zur Aufklärung rund um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) setzte das Landesparlament im Dezember 2012 auf Antrag der Fraktion DIE LINKE und mit Unterstützung von GRÜNEN und SPD einen weiteren Untersuchungsausschuss ein. Das Gremium sollte Aufklärung über die Anwerbung, Führung und die dubiosen Aktivitäten des früheren NPD-Funktionärs und Spitzels des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) Kai-Uwe Trinkaus bringen. Konkret ging es darum, die „erfolgte Bespitzelung, Herabwürdigung und Infiltration von Parteien, Fraktionen und Vereinen“ durch Trinkaus aufzuklären und herauszufinden, ob seine Aktivitäten „mit Wissen und/oder Zustimmung“ des TLfV und der Landesregierung erfolgten, wie es im Einsetzungsbeschluss hieß. Trinkaus hatte während seiner Zeit als V-Mann Aktionen initiiert, mit denen Abgeordnete verschiedener Parteien aus Land und Bund sowie GewerkschafterInnen öffentlich diskreditiert wurden sowie Fraktionen des Landtages, die Verwaltung des Parlaments und Vereine unterwandert worden waren. Sein Vorgehen erinnerte BeobachterInnen schon damals an geheimdienstliche Methoden.[1] Nazi-Spitzel Trinkaus: Noch eine Thüringer V-Mann-Geschichte weiterlesen

Gestärkt nach dem NSU-Skandal: BfV erhält mehr Kompetenzen

von Martina Kant

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte einen erheblichen Anteil am Skandal um den Nationalsozialistischen Untergrund. Nun soll ihm die Aufarbeitung des Skandals insbesondere eine gewichtigere Rolle im „Verfassungsschutzverbund“ bescheren.

Wegen der Affäre um die Vernichtung von V-Mann-Akten war BfVPräsident Heinz Fromm am 31. Juli 2012 auf eigenen Wunsch in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Nur fünf Wochen später, am 3. September, gab sein Nachfolger Hans-Georg Maaßen den Startschuss für eine „Reform“ des Amtes. Man hielt es offenbar für unnötig, die Ergebnisse der gemeinsam von Innenministerkonferenz (IMK) und Bundesinnenministerium (BMI) eingerichteten Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus sowie der NSU-Untersuchungsausschüsse in verschiedenen Parlamenten abzuwarten. Eine innerhalb des BfV gebildete und beim Vizepräsidenten als „Gesamtprojektleiter“ angesiedelte Projektgruppe begann mit der Konzeption des Reformprozesses. Am 1. Februar 2013 billigte das BMI das Vorhaben.[1] Noch im selben Monat startete die Umsetzung. Dabei zeigt sich mittlerweile, dass sich die Länder an neuralgischen Punkten, die ihre eigenen Kompetenzen und die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt betreffen, den Vorschlägen des BMI und BfV widersetzen. Neben einer Reform „für den Verfassungsschutzverbund“ sieht das BfV-Konzept auch die interne Reform des Bundesamtes vor. Dabei gehe es nicht allein darum, „Lehren aus dem NSU-Komplex inkl. Aktenvernichtung“ zu ziehen, sondern um eine „zukunftssichere Neuausrichtung des Amtes“ und darum, „verlorengegangenes Vertrauen zurück(zu)gewinnen,“ so das BfV.[2] Gestärkt nach dem NSU-Skandal: BfV erhält mehr Kompetenzen weiterlesen

Wer schützt die Innere Sicherheit? Der Untersuchungsausschuss und die Geheimdienste

NSU und NSA: zwei Abkürzungen zum verwechseln, zwei „Skandale“. In dem einen geht es um Morde, die wie plötzlich (un-)aufgeklärt an diversen Orten ruchbar wurden. In dem anderen um Staaten- und personeneindringliche Informationen, geliefert durch einen gerade noch geheimdienstlich tätigen Mann, der zur global schrillenden Pfeife gegriffen hat. Wer also schützt die Innere Sicherheit und wer schützt uns vor den „Beschützern“?

NSU und NSA haben nichts miteinander zu tun. Oder doch? Nichts, insofern im Falle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ und seiner TäterInnen bundesdeutsche Innenpolitik und handelnd explodierende Vorurteile gegen Andere und Andersartigkeiten kundgeworden sind. Sie haben sich entwickelt und sind mörderisch geworden mitten in einem Land, das sich wenigstens halboffiziell als „Bündnis der Toleranz“ wähnt. Seit 1950 rühmt es sich seiner in Bund und Ländern offen und geheim tätigen Ämter für Verfassungsschutz, die „sichere“ und „unsichere“ Bürger, Vereine und Parteien an Hand des 1952 und 1956 vom Bundesverfassungsgericht gekerbten Maßstabs der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ sortieren. Wer schützt die Innere Sicherheit? Der Untersuchungsausschuss und die Geheimdienste weiterlesen

Verfassungsschutz der Zukunft? Neuorientierung der Landesämter

Mehr parlamentarische Kontrolle, striktere Vorgaben für die Anwerbung und den Einsatz von V-Leuten, mehr Öffent­lich­keits­arbeit und „Prävention“. Das sind die Stichworte für die Reformen, die einige Länder nach dem NSU-Skandal betreiben.

Im Dezember 2012 beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) eine neue Richtlinie über die Zusammenarbeit des Bundesamtes (BfV) und der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), die ersterem in praktisch allen Tätigkeitsfeldern die Kompetenz zur zentralen Auswertung von Informationen zuschob. Die Länder müssen seitdem alle „Quellenmeldungen“ und Observationsberichte ungefiltert an das BfV liefern. Geht es nach dem Bundesinnenministerium, ist das aber nur ein erster Schritt zu einer weiteren Zentralisierung des Verfassungsschutzverbundes, die in der gerade begonnenen Legislaturperiode auch im Bundesverfassungsschutzgesetz festgeschrieben werden soll.[1] Verfassungsschutz der Zukunft? Neuorientierung der Landesämter weiterlesen

Geheimdienste besser kontrollieren? Zwischen Illusionen und bewusster Täuschung

Dass angesichts des NSU die Polizeien und die Geheimdienste in Deutschland versagt haben, ist offenkundig. Die Dienste, deren Aufgabe es sein soll, gegen die Verfassung gerichtete Bestrebungen frühzeitig zu entdecken, haben vom NSU keine Ahnung gehabt. Gleichzeitig haben sich diverse V-Leute der Ämter um Umfeld des NSU bewegt. Weil all dies auch den politischen Kontrolleuren der Dienste nicht auffiel, ist der Schluss naheliegend, dass die Kontrolle unzureichend ist und alsbald verbessert werden muss.

Auf die Vorschläge des NSU-Untersuchungsausschusses nimmt der Koalitionsvertrag der erneuten Großen Koaliation positiv Bezug. Sofern die Bundesebene betroffen sei, mache man sich die Empfehlungen „für die Bereiche Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, zur parlamentarischen Kontrolle der Tätigkeit der Nachrichtendienste sowie zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ „zu Eigen“. Die Koalition wolle sie „zügig umsetzen“. Wenig später heißt es: Geheimdienste besser kontrollieren? Zwischen Illusionen und bewusster Täuschung weiterlesen