von Thilo Weichert*
Es enthält weit über 100 Mio. Daten von ca. 10 Mio. nicht-deutschen Staatsangehörigen und besteht seit 1953 – das Ausländerzentralregister (AZR). Seit 1967 wird es im automatisierten Verfahren beim Bundesverwaltungsamt (BVA) betrieben und dient vorwiegend den mit Ausländerfragen betrauten Behörden, zunnehmend auch den sog. „Sicherheitsbehörden“ und im Bedarfsfall anderen öffentlichen Stellen. Im letzten Jahr wurde ein 1. Entwurf eines AZR-Gesetzes bekannt – veröffentlicht und kritisiert in dieser Zeitschrift (Nr. 31). Eine überarbeitete Fassung wurde unlängst im Bundesrat behandelt (BR-Drs. Nr. 377/89). Zum aktuellen Stand der folgende Beitrag.
1. Der Entwurf eines Ausländerzentralregister-Gesetzes von 1988
Diese elektronische Datei, ehemals die größte Verwaltungsdatei in der Bundesrepublik, war über 30 Jahre hinweg im öffentlichen Bewußtsein nicht existent. Erst seit 1984 gibt es vereinzelte Publikationen über das Register, die aber kaum Resonanz verursachten.
Ende 1988 wurde ein nicht öffentlicher Referentenentwurf eines „Gesetzes über das Ausländerzentralregister“ (AZR-Gesetz) mit Datum 12.7.1988 bekannt. Gemessen an den Anforderungen des BVerfGs zum Schutze des sog. Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung war dieser Entwurf eine bodenlose Frechheit, bestimmt durch folgende Merkmale:
* eine bis zur Zwecklosigkeit ausufernde „Zweckbindung“ für praktisch alle behördlichen Belange,
* ein umfangreicher, das gesamte Leben einer AusländerIn erfassender Datenkatalog,
* Datenanlieferung durch praktisch alle in Frage kommenden Stellen,
* Datenübermittlung an alle und jeden, ausgenommen die Betroffenen,
* umfassende Online-Abfragemöglichkeiten von Ausländerbehörden und dem gesamten „Sicherheitsapparat“,
* keine Löschungsregelung,
* kaum organisatorische und verfahrensrechtliche Sicherungen.
Kritik an Register und Gesetzentwurf übten die Datenschutzbeauftragten, jedoch fand ihr Beschluß vom 4./5.5.1987 zur Neukonzeption des AZR keine weitere öffentliche Beachtung. Ihre Kritik setzte zumeist nur an einzelnen Bestimmungen an und wurde äußerst zahm vorgetragen (vgl. z.B. die Stellungnahme des BfD vom 27.10.1988). Die Hoffnung, daß die Veröffentlichung des Entwurfs und der entsprechenden Kritik AusländerInnen aufschrecken und sensibilisieren würde, wurde weitgehend enttäuscht.
Lediglich einige von Deutschen mitgetragene
Intitiativen griffen das Thema auf.
So überrascht es nicht, daß ein leicht überarbeiteter 2. Entwurf mit Datum 11.8.89, der nur einige datenschutzkosmetische Änderungen enthält, dem Inhalt nach aber fast unverändert dem 1. Entwurf entspricht, nun ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde.
Die Datenschutzbeauftragten konnten sich nicht auf eine gemeinsame grundsätzliche Ablehnung des Gesetzentwurfes verständigen. Stein des Anstoßes waren neben Bagatellen wie der Speicherung von deutschen Staatsangehörigen im AZR (Büllesbach, FR 22.12.1988) vor allem der Direktanschluß der sog. „Sicherheitsbehörden“ incl. Geheimdienste und die uferlose Verwendung des AZR als Ausländer-Bundesmelderegister (Simitis, FR, 22.6.1989, Schapper, FR, 22.9.1989).
Ohne öffentliche Anteilnahme passierte der Entwurf praktisch unverändert am 22.9.1989 den Bundesrat (vgl. TAZ, 22.9.1989). Von Seiten der sozialdemokratisch regierten Länder waren nur kleinere Veränderungsvorschläge eingebracht worden. Nach dem Willen der Bundesregierung soll das AZR-Gesetz noch in diesem Jahr unter Dach und Fach gebracht werden.
2. Die bisher letzte Fassung
Im folgenden geht es um die gegenüber dem in CILIP 31 dargestellten Entwurf erfolgten Änderungen. Neu ist vor allem die Numerierung der Paragraphen. Außerdem ist der Entwurf in vieler Hinsicht präziser und übersichtlicher formuliert – meist aber zu Lasten des Datenschutzes.
So wurden die Aufgaben des AZR zu ausschließlichen Zwecken der Gefahrenabwehr nicht nur konkretisiert, sondern erweitert: War bisher nur die Speicherung „zur Bekämpfung einer terroristischen Gefahr“ zugelassen ( 3 Abs.2 Nr.6 a.F.), so sollen nun der Verdacht der Gefahr einer Straftat nach 47 Abs.1 Nr.7 AuslG, nach 129 und 129a StGB oder „mit terroristischer Zielsetzung andere Straftaten“ ausreichen ( 3 Abs.2 Nr.6).
Die Speicherung von Suchvermerken, vormals in 3 Abs.3 a.F. versteckt, erhielt einen eigenen Paragraphen. Fast eindeutig ist dem 6 Abs.6 zu entnehmen, daß die Speicherung von freien Begründungstexten ausländerrechtlicher Entscheidungen beim AZR nicht elektronisch, sondern konventionell erfolgt ( 3 Abs.7 a.F. war weniger eindeutig).
Neu sind die Datenschutzfloskeln der Beschränkung der Übermittlungen auf den jeweiligen Zweck ( 7 Abs.4) und auf das, was „zur Aufgabenerfüllung der ersuchenden Stelle erforderlich ist“ ( 7 Abs.1).
Zu begrüßen wäre sicherlich die Protokollierungspflicht bei Übermittlungen und Abrufen. Doch auch hier handelt es sich nur um Kosmetik, da die Protokolle nicht den Grund der Übermittlung, sondern nur das Zeichen der Akte, aus der sich der Grund ergibt, enthalten müssen, und da eine Löschung schon nach 3 Monaten Datenschutzkontrollen faktisch unmöglich macht ( 7 Abs.3). Ähnlich ineffektiv sind neue Regelungen, welche Protokollierungen von Übermittlungen trotz Übermittlungssperre und ohne Anhörung des Betroffenen ( 4 Satz 3,4) sowie von
Auskunftsverweigerungen an die Betroffenen ( 21 Abs.4 Satz 2) vorsehen. Diese Protokollierungen laufen allerdings leer, solange den Betroffenen nicht die Gründe der Auskunftsverweigerungen oder die Tatsache der Umgehung der Auskunfts- und -übermittlungssperren bekannt gemacht werden.
Kein Gewinn ist die scheinbare Konkretisierung des Begriffs der „Einreisebedenken“ mit unbestimmten Rechtsbegriffen. Der Entwurf spricht Tatsachen, „die die Annahme rechtfertigen, daß ihr (der AusländerInnen) Aufenthalt Belange der Bundesrepublik beeinträchtigen würde, und die kein Recht zum Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben“ ( 3 Abs.2 Nr.2). Derartige Daten sollen nicht von den Verfassungsschutzbehörden angeliefert werden dürfen ( 6 Abs.3, vgl. 4 Abs.2 a.F.).
Im Interesse des Betroffenen wie der speichernden Stelle ist die Richtigkeitskontrolle und die Nachberichtspflicht bei falschen Daten ( 5 Abs.1). Daß die Nachberichtigungspflicht nur falsche, nicht aber rechtswidrige oder rechtswidrig gewordene Speicherungen umfaßt, verdeutlicht, wie wenig Betroffeneninteressen die Gesetzesautoren interessierte.
Bzgl. des größten datenschutzrechtlichen Skandals des AZR, der praktisch uferlosen Übermittlungsbefugnis an andere Stellen, bringt der neue Entwurf keine materiellen Verbesserungen. Bei der Einrichtung automatisierter Abrufverfahren ist zwar eine verfahrensrechtliche Präzisierung vorgesehen (Zustimmung der obersten Behörde, Unterrichtung des BfD), zugleich wurde aber die Zahl der ausdrücklich für Online-Anschlüsse zugelassenen Stellen ausgeweitet auf alle Behörden, die mit der Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften betraut sind ( 16 Abs.1, vgl. 15 a.F.).
Bei Auskunftsersuchen wurden die Anforderungen dadurch gelockert, daß nicht mehr alle Grundpersonalien von der ersuchenden Behörde benannt werden müssen (so 17 Abs.2 a.F.), sondern nur noch benannt werden sollen ( 18 Abs.2).
Mehr als eine Präzisierung, nämlich eine Verschärfung, enthalten die Regelungen zum „Geschäftszeichen“ – einer Personenkennziffer aller AusländerInnen. Nicht mehr verboten ist es, diesem „Geschäftszeichen“ einen eigenen Informationsgehalt zuzuordnen (so noch 5 Abs.1 a.F.).
Außerdem soll nun nicht nur das Geschäftszeichen des AZR, sondern auch das der anliefernden Stellen (Polizei, Ämter für VfS usw.) speicherbar sein ( 3 Abs. 3 Satz 1). Dadurch wird die Verknüpfungsfunktion des Geschäftszeichens offensichtlich: Das AZR wird zur elektronischen Drehscheibe frei verknüpfbarer Ausländerdaten.
Eine weitere Verschlechterung liegt darin, daß es für die Auskunftsverweigerung gegenüber den Betroffenen genügt, daß die Daten „ihrem Wesen nach … geheimgehalten werden müssen“. Erforderlich ist also nicht einmal mehr ein entgegenstehendes Sicherheitsinteresse ( 21 Abs.2 Nr.3). Der BfD soll im Fall der Auskunftsverweigerung Auskunft erhalten können, wenn nicht die oberste Bundesbehörde feststellt, „daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde“. Auch dieses stumpfe Schwert wird nochmals entschärft, indem dem BfD selbst bei rechtswidrigen Speicherungen der Mund verboten werden kann ( 21 Abs.5).
Die Datenschutzbeauftragten hatten am ersten Entwurf kritisiert, daß es an bereichsspezifischen Regelungen zu Löschung und Sperrung fehlte. Was zu befürchten war, trat ein: Im neuen Entwurf wurde einfach die allgemeine Regelung des BDSG „bereichsspezifisch“ kopiert. Speicher-Höchstfristen werden versprochen, nicht aber festgelegt ( 22).
3. In der Summe
War eine verfassungsrechtliche Beurteilung bereits für den alten AZR-Gesetzentwurf vernichtend, so hat auch der neue Entwurf trotz der Überarbeitung daran nichts geändert. Die „Präzisierungen“ gehen praktisch durchgängig zulasten der Betroffenen. Verbesserungen bestehen nur scheinbar, da generalklauselartige Datenschutzfloskeln statt Rechtsgarantien aufgenommen wurden. Es gilt weiterhin die bereits am 1. Entwurf geübte rechtspolitische Kritik:
1. Das AZR-Gesetz ermöglicht die Erstellung von detaillierten Persönlichkeitsbildern über nicht- deutsche Staatsangehörige durch Konzentration des behördlichen Wissens an einer Stelle.
2. Die Funktionsbestimmung des AZR als behördliche Auskunftsdatei hebt jede Zweckbindung der Personendaten auf.
3. Insbesondere der fast ungehinderte Datenaustausch mit den Sicherheitsbehörden und die Einführung des allgemeinen Sicherheitsvorbehalts unterwerfen das AZR den Kautelen des staatlichen Arkanbereichs. Dadurch kann den Betroffenen bei Bedarf jegliche datenschutzrechtliche Kontrolle unmöglich gemacht werden.
4. Das AZR ist ein ideales Instrument zur behördlichen Diskriminierung von AusländerInnen insgesamt oder von Teilgruppen. Insofern lädt dessen Existenz geradezu zum politischen oder justitiellen Mißbrauch ein.
Derzeit ist die Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber dieser Datei äußerst gering. Es ist daher an der Zeit, daß sich Ausländer- und Asylinitiativen, Gewerkschaften, kirchlichen Wohlfahrtsverbände und Bürgerrechtsorganisationen dieses Registers annehmen und gegen die informationelle Durchleuchtung der gesellschaftlichen Minderheit der nicht-deutschen Staatsangehörigen Widerspruch anmelden. Die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht könnte sich bei diesem offensichtlich verfassungswidrigen Gesetzentwurf als trügerisch erweisen. Die Tatsache, daß das BVerfG kurz vor dem Volkszählungsurteil in einer Ausländerangelegenheit eine Entscheidung erließ, die inhaltlich der Volkszählungsentscheidung diametral entgegensteht (BVerfG NJW 1983, 2135f), läßt nur skeptische Erwartungen zu.
Weitere Literatur:
Geffken, Rolf; AZR und Verfassungsbeschwerde, in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit, 1988, S. 50-56
Pollähne, Helmut; AZR – Die Totalerfassung der Ausländer, in: Forum Recht, 1988, S. 287-290
Scheurer, Franz; Immigranten und Flüchtlinge – Die gläsernen Menschen, in: Vorsicht Volkszählung (Hrsg.:
Hummel/Appel),Köln 1987; Weichert, Thilo; Das geplante AZR-Gesetz – Festschreibung einer verfassungswidrigen Praxis, in: Informationsbrief Ausländerrecht (InfAuslR), 1989, S. 1-11;
ders.; Nochmals Ausländerzentralregister, in: InfAuslR, 1988, S. 108 ff.
ders.; AusländerInnen – Objekt staatlicher Datengier, in: Datenschutznachrichten, Nr. 6/1988, S.4-6