Vertraute Bilder, Nachrichten und Betroffenenberichte, die in den letzten Monaten aus der DDR zu uns kommen:

Provokateure, die zu Gewalttätigkeiten animieren,
polizeilicher Kessel,
Suche nach Rädelsführern,
Greifkommandos,
ED-Behandlung festgenommener DemonstrantInnen,
Urteile im Schnellverfahren,
Polizeiliche Dokumentationstrupps mit Videogeräten und selbstverständlich die direkte Prügel mit dem Knüppel oder des Polizisten Faust.

Man gewinnt den Eindruck, als hätten wenigstens die Vopos und Stasi-Leute, wenn schon ansonsten niemand mehr willens war, von Schnitzlers montägliche Schreckensbilder aus dem realen Kapitalismus anzuschauen, mit professionellem Interesse die Einsätze ihrer westlichen Kollegen im Schwarzen Kanal, im ZDF oder in der ARD verfolgt – mit sichtbarem Lernerfolg!
Denn, ob im Berliner „Häuserkampf“ oder bei Brokdorf-Demonstrationen, ob in Wackersdorf oder bei Polizeiaktionen während der Berliner IWF-Tagung etc. – wir kennen dieser Bilder. CILIP hat hinreichend oft vergleichbare Be-troffenenberichte und Einsatztaktiken „unserer“ Polizei dokumentieren müssen.

„Vom Westen lernen heißt siegen lernen“ – die östlichen „Staatssicherer“ haben sich diese Parole bereits zu eigen gemacht, noch bevor sie zur halbwegs generellen Devise in der DDR wurde, die Ausrüstung mit westl. „riot control“-Gerät eingeschlossen.

Die Differenz der Bilder und Ereignisse wird nicht vom Vorgehen der „Sicherheitsorgane“ bestimmt. Vielmehr sind es die Protestformen, die den Unterschied ausmachen und – wer hätte dies je erwartet – die Antworten der politischen Kaste.

Für uns ein Traum:
Da finden sich in Leipzig in den letzten Wochen nahezu regelmäßig bis zu 500.000 BürgerInnen zusammen, um ihren Widerspruch gegen das politische Regime anzumelden. Wann gab es dies je bei uns an einem Ort – getragen allein von der örtlichen Bevölkerung und nicht als einmaliger Effekt einer Demonstration, zu der bundesweit mobilisiert und angereist wurde?
Und gewiß, es ist es auch die Breite des Protestes, die Gewißheit eigener Stärke, die gewalttätig-militante Aktionen auf Seiten der Demonstranten nahezu vollständig verhinderte.

Und die „Oberen“ – die Alt-Neuen Oberen der DDR?
Auch sie haben anders reagiert, als wir es kennen. Ohne Zweifel, es stand in der DDR wohl auf der Kippe (wie nie in der Geschichte der Bundesrepublik), ob Militär gegen die eigene Bevölkerung los-marschieren würde. Vorbereitet war man. Selbst nur konkrete Vorbereitungen auf einen solchen Militäreinsatz erwiesen sich in der bundesdeutschen Geschichte nie als notwendig, so sehr entsprechende Ängste sich in verfassungsrechtlichen Maßnahmen, so der Not-standsgesetzgebung des Jahres 1968, niedergeschlagen haben.
Aber die Lösung, zu der politische Kräfte aus dem Machtkartell der DDR sich entschlossen – könnten wir darauf setzen, daß unserem Machtkartell in einer vergleichbaren historischen Situation entsprechendes einfiele?

Unsere „Stasi“-Leute, soweit sie dem Bundesinnenminister unterstellt sind, haben jüngst in Köln am Rhein ihr neues Gebäude bezogen – 220 Mio. Neubaukosten für ca. 2.200 „verfassungsschützende“ Arbeitsplätze. Ihre Zahl, wie in der DDR, zumindest zu reduzieren, nachdem der alte „Feind“ in Agonie dahinsiecht – wer hätte von unseren Altparteien, gar von der Regierung je solche Töne gehört?
Hier gibt es keine Volksbewegung, die unseren Politikern dies einzupauken willens und in der Lage wäre. In der DDR – wir wollen es nicht unterschlagen – stehen hinter diesen Forderungen ohne Zweifel in der Summe viel härtere und breitere Erfahrungen mit dem Spitzel- und Sanktionssystems der Stasi.
Doch zeigt diese CILIP-Ausgabe einmal mehr (am Mordfall Schmücker wie am Schlußbericht des parlamentar. Untersuchungs-ausschusses in Niedersachen zum „Celler Loch“ und zum Fall „Mauss“), wie dringlich es auch hier wäre, gegenüber dem politischen „Sicherheits“-Kartell der Altparteien durchzusetzen, daß auch unsere „Stasi“-Beschäftigten zu gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit verdammt werden!
Wenn die DDR-Kollegen in den Tagebau müssen, warum nicht ihre westlichen Kollegen in die Kohlengruben des Ruhrgebiets oder in die Fischmehlfabriken an der Nordseeküste?
Die Fachgruppe VfS der ÖTV hat die Stasi-Kollegen schon zu Gesprächen aufgefordert – verständlich, ist doch das Büro in Köln oder in Berlin (O.) ein komfortabelerer Platz als der Tagebau um Halle oder die Kohlengruben an der Ruhr.

Jedenfalls, eine Verständigung der „Sicherheitsexperten“ über „Sicherheit“, die „gesamtdeutsch“ den BürgerInnen in Ost und West zu bieten wäre – dieser Alptraum ist gewiß das letzte, was wir uns erhoffen würden.
(FW)