„We are the champions …“ – Häuserräumung und Koalitionsbruch in Berlin

Im Schatten der Mauer hatte sie sich seit Jahren eingerichtet, die Berliner „Scene“. Bunt oder alternativ, entwurzelt oder perspektivlos, z.T. gewalttätig – auch gegen sich selbst, in Kreuzberg, „ihrem Kiez“, hatten sie sich miteinander arrangiert.

Die Öffnung der Mauer am 09.11.89 hatte für den Stadtteil deshalb auch nicht nur geographische Folgen: aus Berlins Schmuddelecke war – quasi über Nacht – die zukünftige neue City geworden. Die Bedeutung dieser Situation wurde von der „Scene“ sofort in der ganzen Tragweite erkannt: sie würde ihren bisherigen Lebensraum verlieren.

Die Angst um „ihren Kiez“ mit seinen (noch) billigen Mieten, den wohlvertrauten Strukturen und dem leicht angegammelten Flair, war hinter allen politischen Analysen und pseudorevolutionären Lösungsansätzen deutlich spürbar. Doch bei aller Kraftmeierei, der Widerstand gegen die unvermeidlichen Veränderungen, die in Kreuzberg vorgehen, war flau; mut- und lustlos.

Je durchlässiger die Mauer wurde, umso kräftiger blies ein neuer Wind durch Berlin. In Kreuzberg blies dieser Wind weite Teile der „Scene“ einfach weg – mitten hinein in den zugigen Leerstand im Ostteil der Stadt.

1. Station: Besetzungen

Besetzungen sind in der ehemaligen DDR keine Neuerscheinungen, geschweige denn westlicher Import. Das Besetzen von Wohnungen war unabdingbare Notwendigkeit, um überhaupt an Wohnraum zu gelangen und somit eher eine Alltagserscheinung, denn die „Kommunalen Wohnungsverwaltungen (KWV)“ waren nicht nur mit der Instandhaltung, sondern auch mit der schlichten Verwaltung komplett überfordert. Standen Wohnungen daher über längere Zeit leer, so waren Besetzungen, die dann im nachhinein legalisiert wurden, durchaus üblich. Mit dem Machtverfall der SED weitete sich diese Form der Wohnraumbeschaffung auch auf ganze Häuser aus. Bei der ersten Besetzung im Oktober 1989 sicherte die zuständige KWV den Besetzern dann auch noch ihre Unterstützung zu. Die Volkspolizei hielt unter dem Etikett „Sicherheitspartnerschaft“ freundlich-duldenden Kontakt. Auf diese Situation trafen nun die zuwandernden, meist jugendlichen „Wessis“. Zur ersten gemeinsamen Ost-West-Besetzung kam es schließlich im Februar 1990 im „Scheunenviertel“. Angesichts von mindestens 20.000 leerstehenden Wohnungen konnten sich die BesetzerInnen durchaus eines breiten öffentlichen Interesses und Zustimmung sicher sein. Die Zahl besetzter Häuser nahm in der Folge erwartungsgemäß rapide zu. Im Sommer 1990 waren es offiziellen Angaben zufolge bereits 84 Häuser; Tendenz steigend.

2. Station: Senat und Besetzer-Innen

Der rot-grüne Senat beging – Ironie des Schicksals – nahezu den gleichen Fehler, den bereits 1979/80 der damalige SPD-Senat unter Hans-Jochen Vogel in einer vergleichbaren Situation begangen hatte. Unfähig, sich in die verschiedenartigsten Lebensvorstellungen der BesetzerInnen hineinzudenken, wurden Besetzungen – durch die sozialdemokratische Brille betrachtet – zu einem rein ordnungspolitischen Problem. Gegen den Rat des Koalitionspartners AL beschloß die SPD-Mehrheit in Senat und Magistrat am 24. Juli 1990 angesichts von ca. 100 besetzen Häusern eine Neuauflage der von Vogel entwickelten „Berliner Linie“. Sie besagt, daß Häusern, die vor dem Verkündungsdatum besetzt wurden, Vertragsverhandlungen angeboten werden. Allen nach dem Stichtag erfolgten Besetzungen hingegen werden diese verweigert. Solchen Häusern droht die Räumung, sobald entsprechende Räu-mungsbegehren, verbunden mit Nut-zungskonzepten der Eigentümer, vor-liegen.

So, wie schon vor zehn Jahren, wird damit ein „Damoklesschwert“ aufgehängt, daß kaum geeignet sein kann, Beruhigung in die Sache zu bringen. Dies wird ebenso verkannt, wie der eigene Zugzwang, unter den die „Berliner Linie“ ihre Verfechter setzt.
Zu den Häusern, die nach der „Berliner Linie“ somit räumungsfähig sind, gehören auch die – später als Initialzündung dienenden – Häuser in der Lichtenberger Pfarrstraße und der Cotheniusstraße am Prenzlauer Berg.

Auch auf Seiten der Besetzer wiederholt sich die Geschichte. Durch die politischen Vorgaben in einen engen Schulterschluß gedrängt, wird – wie schon 10 Jahre zuvor – während des „Häuserkampfes“ im Westteil Berlins eine Gesamtlösung verlangt, die alle Besetzer einschließt. Darüberhinaus steht ihnen bei ihren Lösungsvorstellungen zudem die eigene Ideologie im Wege. Eine der tragenden Säulen ihres Lebensentwurfes ist der Wunsch nach umfassender Gemeinsamkeit. Um als Gemeinschaft von sich selbst und anderen anerkannt zu werden, ist es nötig, sich auch in Verhandlungen als solche zu definieren. Einmal ganz davon abgesehen, daß Einzellösungen in der Mehrzahl der Fälle für die Betroffenen die wohl bessere Lösung wären, verkennt eine solche Haltung nicht nur die gegenwärtigen gesellschaftlichen Realitäten grundlegend; sie überschätzt vor allen Dingen die Bewegungsmöglichkeiten der Mehrheits-SPD in elementarer Weise. Das Scheitern einer vernünftigen Lösung ist somit nahezu programmiert. Am 08. Oktober ’90 setzt der verhandlungsführende Magistrat denn auch die Gespräche einseitig aus, da der von den Besetzern angestrebte Vertrag „politisch nicht gewollt“ wird (taz v. 31.10.90). Die nächsten Schritte sind im Grunde vorgezeichnet. Den Besetzern – längst ein gemischtes Völkchen, von denen man so einigen durchaus unterstellen darf, daß der Erhalt von Wohnraum oder eine etwaige eigene Bedürftigkeit nicht das Hauptmotiv bilden – bleibt damit nur der Rückzug in die verhaßte Vereinzelung oder die Vorbereitung auf Auseinandersetzungen mit dem „Schweinesystem“. Dabei darf nun nicht verkannt werden, daß es sich bei der Mehrzahl all jener, die in den heruntergekommenen Häusern eine neue Bleibe gefunden haben, um Menschen handelt, die gelernt haben, daß sie in der Ellbogengesellschaft kaum eine Chance erhalten, und die deshalb um so bereiter sind, ebenfalls rücksichtslos ihre Ellbogen einzusetzen, um sich den Rest ihres Traumes vom „selbstbestimmten Leben“ zu er
halten. Der markige Spruch „Wir haben nichts zu verlieren“ hat für sie durchaus seinen Sinn.

3. Station: 12. November 1990

Vor diesem Hintergrund spielt sich das ganze Desaster letztlich ab. Daß die auslösenden Häuser längst von der ehemaligen KWV in die Verwaltung der (West)Berliner „Stadt & Land“ übergegangen sind, die einst bei den Besetzern der frühen achtziger Jahre einen „räumungsfreudigen“ Ruf genossen hatte, ist dabei nur eine Marginalie.

Räumungen hat es auch vor diesem 12.11.90 schon einige gegeben. Auch das kraftmeiernde Flugblatt, das aus Besetzerkreisen in Umlauf gebracht worden war und in dem „Gegenreaktionen“ auf zukünftige Räumungen angedroht wurden, durfte nur begrenzt ernst genommen werden. Daß sich dieses Flugblatt im Nachhinein nun wie eine Regieanweisung liest, gehört mit zur Tragik dieser Räumungen.

Um 07.25 Uhr des 12.11.90 beginnen die Räumungen in der Pfarr- und der Cotheniusstraße. Die Zahl der registrierten Besetzungen ist zu diesem Zeitpunkt bei 130 angelangt.

600 Beamte umstellen die Häuser; alles läuft ab wie nach dem Polizeihandbuch. Um 08.08 Uhr sind die Räumungen beendet, die Polizei rückt ab.
Was nun geschieht, konnte wirklich befriedigend bislang nicht geklärt werden. Im benachbarten Stadtbezirk Friederichshain werden die Besetzer von 13 Häusern in der Mainzer Straße aktiv und beginnen, auf der stark befahrenen Frankfurter Allee Hindernisse und Straßensperren zu errichten. Auch hier wieder eine fatale Parallele zu den Auseinandersetzungen der achtziger Jahre. Just so – wie im Falle der Mainzer Straße – hatte sich fast 10 Jahre zuvor in Westberlin der „Häuserkampf“ entwickelt, als die Besetzer der Admiralstraße die Räumung am benachbarten Fraenkelufer irrtümlich auf sich bezogen und begannen, Barrikaden zu errichten. (vgl. CILIP Nr. 9/10)

Die Polizei gibt an, von den Ereignissen auf der Frankfurter Allee vollkommen überrascht worden zu sein. Gegen 12.00 Uhr beginnt sie, die Hindernisse zu beseitigen und dringt dabei schließlich auch mit Fahrzeugen in die Mainzer Straße ein.

Von nun an nimmt das Geschehen einen Verlauf, der von beiden Seiten möglicherweise nicht gewollt wurde; andererseits muß gesagt werden, daß keine Seite Schritte unternahm, die geeignet gewesen wären, eine weitere Eskalation zu stoppen oder gar zurückzudrehen.

Folgt man den Bekundungen der Besetzer, so waren ihre Handlungen aus-schließlich davon geleitet, eine Räumung ihrer Häuser zu verhindern. So ganz kann dies indes nicht stimmen, denn in dieser Phase der Auseinandersetzungen wurde seitens der Polizei mehrfach über Lautsprecher darauf verwiesen, daß eine Räumung nicht geplant sei. Allerdings hat auch die Darstellung der Polizei erhebliche Mängel. Sie sei sofort massiv mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen worden, als Fahrzeuge die Mainzer Straße lediglich durchfuhren, so die Darstellung. Betrachtet man jedoch ein polizeiliches Video dieser Phase, so erscheinen einem die Ängste der BesetzerInnen nicht gänzlich unbegründet.

4. Station: Mainzer Straße

Wie dem auch immer sei – der nun einsetzende Selbstlauf der Ereignisse nimmt konsequent seinen Fortgang. Alarmzustand und kontinuierliche Verstärkung der vor Ort eingesetzten Kräfte der Polizei sowie Barrikaden rund um die Mainzer Straße sind schließlich die Folge. Diese Barrikaden, das muß man ihren Erbauern ehrlicherweise zugestehen, sind durchdachte „Qualitätsarbeiten“; stra-tegisch gut angelegt, solide befestigt mit unmittelbar dahinter ange-legten Gräben und wenige Meter dahinter das gleiche noch einmal.

Vermittlungsversuche, die es von unterschiedlichster Seite gegeben hat, führen zu keinem Ergebnis mehr. Sowohl die Barrikaden wie auch massive Befestigungen innerhalb der Häuser, Depots mit Klein- und Großpflastersteinen sowie vorbereitete „Mol-lies“ in stattlicher Zahl zeugen davon, daß die Sorge um die Häuser nicht erst am Morgen des 12.11.90 ent-standen sein kann.

Der lange aufgestaute Druck muß sich nun irgendwohin entladen – anderenfalls würde er die Hausgemeinschaften innerlich zerreißen. Die ruhigeren Zeiten, in denen sich die Polizei zeitweise zurückzieht und die VermittlerInnen aktiv werden, werden konsequenterweise dann auch genutzt, die Barrikaden weiter zu verstärken.

Auf der anderen Seite die Polizei, die mit der Situation psychologisch eben-falls überfordert ist und den Erfolg nur noch im Muskelspiel sehen kann. „Was gibt es denn nach einem solchen Tag noch zu verhandeln“, lautet des Nachts die spontane Äußerung des örtlichen Einsatzleiters, als ihm mitgeteilt wird, für den nächsten Morgen sei mit einer Verhandlungskommission der BesetzerInnen zu rechnen. Dieser Beamte gilt allgemein als besonnen und zurückhaltend.

Die ganze Nacht über kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, die an Härte kontinuierlich zunehmen.

5. Station: Lagebesprechungen

Man habe mit Anschlußaktionen gerechnet und sie in Kauf genommen, wird Innensenator Pätzold tags darauf erklären lassen, allerdings sei man über das Ausmaß überrascht worden. Diese Darstellung, die zunächst nach schnoddriger Rechtfertigung klingt, dürfte im wesentlichen zutreffend sein. Was Pätzold zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht bekannt gibt – und was der AL in letzter Konsequenz gar keine andere Wahl mehr ließ, als die Koalition zu beenden – sind die zeitlichen Stationen, die für die richtige Einordnung des Geschehens eine nicht unwichtige Rolle spielen.

Als die Polizei am 12.11.90 vor den Häusern in der Pfarrstraße und Co-theniusstraße vorfuhr, lagen die Räumungsbegehren bereits gut zwei Wochen zurück. Während dieser gesamten Zeit war niemals der Versuch unternommen worden, eine andere Lösung als die einer Räumung zu suchen. Eine Räumung aus „heiterem Himmel“ aber mußte unweigerlich zur Explosion führen, wenn man sich über deren Wucht möglicherweise auch im Unklaren sein konnte.

Als nach den Ereignissen des Tages hierüber nun keine Illusionen mehr bestehen konnten, fand gegen Mitternacht in den Räumen des Innensenators eine Lagebesprechung mit Polizeiführung und Bausenator statt; in dieser Runde fiel nun die Entscheidung, die 13 Häuser der Mainzer Straße schnellstmöglich zu räumen. Etwa gegen 0.30 Uhr wurde daraufhin Verstärkung in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen angefordert, ebenso beim BGS. Etwa um 2.00 Uhr konnte Bausenator Nagel das förmliche Räumungsbegehren nachreichen.

Inwieweit die Entscheidungen des Innensenators zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich frei waren von äußerem Druck, kann schlecht beurteilt werden. Berücksichtigt man jedoch, daß Bausenator Nagel schon in der Vergangenheit kaum eine Gelegenheit ungenutzt gelassen hatte, um Keile in das rot-grüne Bündnis zu treiben und der Polizeiführung (ungeachtet sonstiger möglicher Stimmungen) schon aus polizeitaktischen Erwägungen daran gelegen sein mußte, eine weitere Verfestigung der Situation in der Mainzer Straße zu verhindern, so darf man annehmen, daß eine solche Gemengelage sich während der Lagebesprechung auch entsprechend artikulierte.

Gleichfalls für immer im Dunkeln muß wohl bleiben, warum Innensenator Pätzold, ungeachtet der inzwischen gefallenen Entscheidung noch ein Vermittlungsangebot der AL-Fraktionsvorsitzenden annahm, woraufhin sich diese mitten in der Nacht noch einmal auf den Weg machte.
Dennoch muß Pätzold – einer der Geburtshelfer der rot-grünen Koalition – irgendwann während dieser Nacht klargeworden sein, daß er dabei war, nun auch deren Totengräber zu werden: Erich Pätzold erlitt in dieser Nacht einen Schwächeanfall.

6. Station: Die Maschinerie läuft

Aber die von ihm in Gang gesetzte Maschinerie war nun nicht mehr aufzuhalten. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bereiteten sich insgesamt 1.500 Polizeibeamte darauf vor, am nächsten Tag nach Berlin auszurücken und auch in den Lagezentren der Berliner Polizei liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren, am nächsten Tag einen Einsatz durchzuführen, für den bei sorgfältiger Planung normalerweise rund 3 Wochen notwendig gewesen wären.

Am Morgen des 14.11.90 gegen 2.00 Uhr verließen die Berliner Polizeikräfte ihre Unterkünfte und setzten sich in Richtung Friedrichshain in Bewegung; vom Stadtrand rückten die Verstärkungen vor. Mit dem Morgengrauen um 6.00 Uhr gingen die Beamten in Stellung und eine halbe Stunde später begann mit 1.500 Beamten der Räumungseinsatz, der von den Besetzern und ihren Sympathisanten mit einer bis dahin nicht gekannten Härte beantwortet wurde; einer Härte, die keinerlei Rücksicht mehr nahm, weder auf die eingesetzten Polizeibeamten noch auf die „eigenen Leute“ und bei der der Tod von Menschen zumindest in Kauf ge-nommen wurde.

Vorrangiges Ziel der Polizei, die zur Verhinderung etwaiger Anschlußaktionen stadtweit rund 4.000 Beamte im Einsatz hatte, war es, zuerst einmal die Dächer der besetzten Häuser in den Griff zu bekommen. Von diesen Dächern war bei den vorausgegangenen Auseinandersetzungen die größte Bedrohung ausgegangen und auch an diesem Mittwoch wurde von dort der heftigste Widerstand geleistet. Die Aufgabe, die Dächer für die Polizei in Besitz zu nehmen, war dem Berliner SEK, unterstützt durch 130 Mann aus dem Bundesgebiet, zugefallen.

7. Station: Tatsachen und Gerüchte

Ausgestattet mit Kletterausrüstungen etc. wurde versucht, von beiden Seiten der Mainzer Straße diese Dächer zu stürmen. Schon hier kam es zu schier unglaublichen Szenen: der erste Versuch, über ein Baugerüst nach oben zu gelangen, scheiterte schnell in einem Hagel von Molotowcocktails; von dem brennenden Gerüst mußten sich die Beamten wieder zurückziehen. Bei einem späteren, ähnlich gelagerten Versuch, wurde das benutzte Gerüst unten abgesägt, während sich die SEK-Beamten in die Höhe arbeiteten. Daß dieses Baugerüst im Falle seines Einsturzes auch die hinter den Barrikaden kämpfenden „Genossen“ hätte erschlagen können, hinderte hier ebenso wenig, wie es von den Dachbesatzungen bei ihren Würfen mit „Mollies“, Pflastersteinen und Gehwegplatten berücksichtigt wurde.

Auch auf Seiten der Polizei war man nicht sonderlich zimperlich, wie die blutigen Köpfe der festgenommenen BesetzerInnen deutlich belegten. Den Einsatz von Blendschockgranaten und Gummigeschossen, wie er von einigen TeilnehmerInnen der Auseinandersetzung wahrgenommen worden sein will, können wir nicht bestätigen. Gegenüber einem Redaktionsmitglied bestätigte allerdings einer der eingesetzten SEK-Beamten, daß diese Kräfte vor ihrem Einsatz den ausdrücklichen Auftrag erhalten hätten, beim Abschuß von Tränengas-Petarden, wenn immer möglich, gezielt auf Personen anzulegen.

Auch hinsichtlich des Schußwaffeneinsatzes gibt es voneinander abweichende Schilderungen. Während die Polizei von drei Warnschüssen in die Luft spricht, existiert andererseits eine Zeugenaussage, wonach es sich um waagerecht abgegebene Schüsse gehandelt habe. Fakt jedenfalls ist, daß einer der Besetzer durch einen Querschläger getroffen wurde – glücklicherweise nur in den Fuß.

Nach rund anderthalb Stunden hatten die Männer der Sondereinsatzkommandos die Dächer erreicht, weitere fünfunddreißig Minuten benötigten sie, den erbitterten Widerstand dort zu brechen. Um 9.00 Uhr können die Beamten melden, die Dächer unter Kontrolle zu haben.
Damit ist die heiße Phase der größten gegenseitigen Brutalitäten vorüber. Die weitere Räumung läuft danach schon fast routinemäßig ab. Um 12.32 Uhr ist die Aktion beendet; 417 Personen werden festgenommen. Als sie aus den Häusern geführt und zu den Gefangenentransporten gebracht werden, stimmen Teile der eingesetzten Mannschaften einen Gesang an: „We are the champions“.

8. Station: Ende

Selbst vor dieser Kulisse von Gewalt und Zerstörung hätte dieser Gesang etwas „Sportliches“ haben können, wäre nicht klar gewesen, daß sie alle, Polizisten und Besetzer, in diesen Momenten über mehr liefen als nur über die Trümmer einer kurzen und sinnlosen Schlacht.

Die Tränengasschwaden in der Mainzer Straße sind noch nicht verflogen, da findet in den Medien noch am gleichen Tag bereits die nächste Schlacht statt. Nicht blutig oder physische Zerstörungen hinterlassend, aber nicht weniger gewalttätig. „Das war blanke Mordlust“, legte mit Walter Momper der Regierende Bürgermeister selbst die Sprachregelung fest.

Diese Schlacht in den Köpfen dauert derzeit noch an und sie wird wohl auch dann noch nachwirken, wenn die Trümmer in Friedrichshain längst beseitigt sein werden.

Alle gemeinsam haben sie es auf diese Weise geschafft, binnen weniger Stunden die Innenpolitik der zurückliegenden zwei Jahre zu zerschlagen.
Just in dem Augenblick, als der Beton gegenseitiger Verkrustungen und Vorurteile begann, erste haarfeine Risse zu bekommen; als das empfindliche Pflänzchen der Deeskalation vorsichtig erste zarte Keimblätter zeigte, wurde es schon wieder zertrampelt.

Am Nachmittag des 15.11.90 kündigte die Alternative Liste der SPD die Koalition auf.

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