IKPO-Interpol – frühes Beispiel internationaler Polizeikooperation

von Otto Diederichs

Der technische Fortschritt und die damit verbundene zunehmende Mobilität der Gesellschaft stellte die Polizei zu Beginn des Jahrhunderts vor ein neues, bis dato eher nachrangiges Problem: die Mobilität des Straftäters. Um hier einen gewissen Ausgleich zu schaffen, versammelten sich 1914 Polizeileute aus 24 Ländern in Monaco, um die Einrichtung eines internationalen Straf- und Poli-zeiregisters zu beraten. Dieses Projekt scheiterte allerdings an dem kurz darauf ausbrechenden Ersten Weltkrieg. Nach dessen Beendigung wurde der Gedanke wieder aufgegriffen und 1923 in Wien die Gründung einer „Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (IKPK)“ beschlossen. Sie wurde zur Keimzelle der Interpol.

Zunächst handelte es sich bei der IKPK, als deren Sitz Wien festgelegt wurde, um eine eher lose Verbindung, deren Mitglieder lediglich informell zusammenarbeiteten. 1938, dem Jahr der Besetzung Österreichs durch die deutsche Wehrmacht, gehörten ihr erst 34 Länder an. War der Präsident der IKPK bislang traditionell der Leiter der österreichischen Polizei gewesen, so setzten die Nazis nun den Gestapo-Oberst Otto Steinhäusl in dieses Amt ein, ihm folgte 1940 der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich. 1942 wurde der Sitz von Wien nach Berlin verlegt, die Leitung übernahm von 1943 bis Kriegsende sein Nachfolger Ernst Kaltenbrunner. Wie kaum anders zu erwarten, so wurde auch die IKPK von den Nazis für die eigenen Zwecke funktionalisiert.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann man 1946 auf Anregung Schwedens und unter der Beteiligung von insgesamt 17 Staaten mit dem Wiederaufbau. Als Sitz wurde nun St.Cloud bei Paris bestimmt. 1952 trat auch die Bundesrepublik der Organisation bei, die 1956 ihren Namen in „Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO)“ änderte. In der Öffentlichkeit allerdings hat sich diese Bezeichnung nicht durchsetzen können, weltweit hat sich der Name „Interpol“ – ursprünglich nichts weiter als ein telegrafisches Kürzel – eingeprägt.

Die Grundlagen

1971 wurde zwischen Interpol und dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ein Sonderabkommen geschlossen, in dem die gegenseitige Zusammenarbeit festgelegt wurde. Seither erkennen auch die Vereinten Nationen die IKPO-Interpol als Völkerrechtssubjekt an. Interpol ist jedoch keine Behörde mit exekutiven Befugnissen. Eigene Fahndungsgruppen z.B. werden nicht eingesetzt. Auch eigenständige Festnahmen führt Interpol nicht durch, sondern dient als zentrale Sammelstelle für Informationen der angeschlossenen Mitgliedsstaaten, bzw. deren Polizeien. Der Kontakt zwischen der Pariser Zentrale und den nationalen Polizeien wird über ein „Nationales Zentralbüro (NZB)“ abgewickelt. Über dieses NZB, zu dessen Einrichtung jeder Mitgliedsstaat verpflichtet ist, laufen sämtliche Verbindungen zu den jeweiligen inländischen Polizeibehörden einerseits und den beteiligten aus-ländischen NZBs sowie zum Generalsekretariat der Interpol andererseits. Nationales Zentralbüro der Bundesrepublik ist gemäß 1 Abs. 2 des BKA-Gesetzes das Bundeskriminalamt in Wiesbaden, dessen Anteil an den Ge-samtaktivitäten Interpols etwa ein Drittel ausmachen soll . Im BKA-Gesetz ist ferner festgeschrieben, daß „der zur Durchführung der Bekämpfung inter-nationaler gemeiner Verbrecher notwendige Dienstverkehr mit ausländischen Polizei- und Justizbehörden“ dem BKA vorbehalten ist , wobei allerdings für den unmittelbaren Grenzbereich auch Sonderregelungen möglich sind.
Ersuchen um eine internationale Fahndung werden jeweils von den Zentralbüros ausgelöst, denen es auch vorbehalten bleibt, eingehende Fahndungsersuchen eines anderen Staates in die eigene nationale Fahndung umzusetzen, was in aller Regel auch geschieht, wenn sich ein konkreter Fahndungsansatz ergibt. Notwendige Voraussetzung zur Einleitung eines internationalen Fahn-dungsersuchen ist zunächst ein Haftbefehl im eigenen Land sowie die feste Zusage der beteiligten Staatsanwaltschaft, im Erfolgsfalle die Auslieferung des Gesuchten zu beantragen. Wird auf dieser Grundlage ein Ersuchen an Interpol gerichtet, so kann dieses entweder als Funkfahndungsersuchen an al-le Mitgliedspolizeien verbreitet oder auch bestimmte „Fahndungszonen“ be-schränkt werden. Zusätzlich zur Funkfahndung kann die Verbreitung eines internationalen Fahndungszirkulars mit Lichtbild und Fingerabdrücken beantragt werden – soweit diese bereits vorhanden sind. Aufgrund der Erfahrungen während der Nazi-Diktatur wurde in den Statuten der Interpol ausdrücklich festgeschrieben, das ihr „jede Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters“ strikt untersagt ist. Die Einhaltung dieses zunächst einleuchtenden und vernünftigen Artikels dürfte – unabhängig von der entsprechenden Prüfung durch das Generalsekretariat – im wesentlichen allerdings eine Auslegungsfrage der nationalen Mitglieder sein. Geradezu absurd mutet es an, daß lateinamerikanische Länder Anfang der 80er Jahre eine Fahndungsbeteiligung nach Nazi-Verbrechern unter Hinweis auf die Interpol-Statuten ablehnten, was in der Folge dazu führte, daß derartige Fahndungen überhaupt nicht mehr durchgeführt wurden. „Ob es Kriegsverbrecher waren oder SS-Leute, Interpol lehnte die Suche ab, weil die Morde rassisch motiviert gewesen sind“, wußte 1982 Oberstaatsanwalt Alfred Streim von der „Zentralstelle zur Verfolgung Nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ zu berichten. Berücksichtigt man ferner, daß es sich bei einigen der inzwischen 155 Mitgliedsstaaten um Militärdiktaturen handelt, bei denen auch die Folter zum kriminalistischen Handwerk gehört, und das für gegenseitige polizeiliche Unterstützung in den Interpol-Mitgliedstaaten einzig und allein die nationalen Gesetze maßgebend sind, läßt sich leicht ermessen, welcher Interpretationsspielraum hier im einzelnen gegeben ist.

Die Ausstattung

Bis zum Beginn der 80er Jahre war die technische Ausstattung der IKPO-Interpol hoffnungslos überaltert. An das Fernschreibsystem war nicht einmal die Hälfte der Mitgliedsstaaten angeschlossen, die meisten mußten per Post erreicht werden. Erst im Jahre 1987 wurde mit dem „Automatic Message Switching System (AMSS)“ eine nennenswerte Veränderung dieser Situation geschaffen. In den Interpol-Karteien schlummerten damals rund dreieinhalb Millionen handgeschriebener Karteikarten, etwa 180.000 Fingerabdrücke und circa 7.100 Lichtbilder. Zum Vergleich: das BKA verfügte zu diesem Zeit-punkt bereits über die Daten von mehr als sechs Millionen Bundesbürgern und über drei Millionen Fingerabdrücke. Die Erfolgsquote lag Schätzungen zufolge dementsprechend auch bei unter einem Prozent. 1978 beschloß das Exekutiv-Kommitee daher die Umstellung auf den Computerbetrieb. Seit dem Umzug der Interpol-Zentrale von Paris nach Lyon 1989 verfügt die Organisation nun mit einer rund fünfeinhalb Millionen DM teuren Anlage, dem sog. Commutator über hochwertige Technik. Der Commutator verar-beitet alle Botschaften, gleichgültig ob sie per Funk, Telex, Telefon, Telefax oder Computer eingehen. Er kann darüber hinaus verschlüsselte Meldungen lesen und auch selbst chiffrieren. Damit sind die technischen Möglich-keiten gewaltig gewachsen, rund eine Million Botschaften werden nun jähr-lich eingespeist, die im Bedarfsfalle in Minutenfrist abrufbar sind. Auf der Grundlage des Namens, des Geburtsdatums, einer Tatbeschreibung o.ä. kann nun ein Steckbrief unmittelbar auf dem Bildschirm erstellt und übermittelt werden. Gleichwohl muß der Eigenbestand der Interpol eher als bescheiden angesehen werden: Die Fingerabdruckdatei ist lediglich auf ca. 350.000 angewachsen, die der Personenbeschreibungen auf etwa 200.000.

Das Aufgabengebiet

Zu den traditionellen Aufgabenfeldern der Interpol gehören zunächst einmal die originären Deliktsbereiche wie Mord und andere Gewalttaten, Großbetrügereien und Schiebungen, Falschgeldherstellung, Drogenkriminalität und internationaler Frauen- und Menschenhandel. Auf ihrer Generalversammlung im Oktober 1985 in Washington beschlossen die Delegierten darüber hinaus, sich künftig stärker an der Bekämpfung des Terrorismus zu beteiligen, da dieser nicht mehr als politisch motiviert eingestuft wurde. Der erste, nach dem daraufhin weltweit gefahndet wurde, war der Palästinenser Abu Nidal. Ihm wurde von Italien zur Last gelegt, für die Entführung des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ am 7.10.1985 und einen Überfall auf den römischen Flughafen am 27.12.85 verantwortlich zu sein. Pikanterie am Rande: Auch Libyen und Syrien, die im Verdacht standen, die Gruppe um Abu Nidal zu unterstützen, sind Interpol-Mitglieder und waren dementsprechend in den Informationsverbund integriert.

Ausbau und Veränderungen

1981 schlug die Bundesrepublik den Interpol-Mitgliedsstaaten vor, innerhalb der Zentrale von IKPO-Interpol ein „Europäisches Regionalbüro“ einzurichten, das sich mit den spezifisch europäischen Angelegenheiten befassen sollte, die mit rund 80% den Löwenanteil des gesamten Interpol-Nachrichtenverkehrs ausmachten. Darüber hinaus sollte das Regionalbüro Vorschläge für neue verbesserte Methoden der Zusammenarbeit entwickeln. Der Gedanke wurde aufgegriffen und eine entsprechende Arbeitsgruppe eingerichtet. Wie schwerfällig die Strukturen von Interpol dennoch waren, läßt sich daraus ersehen, daß es drei weiterer Jahre bedurfte, bis die Gründung dieses Regionalbüros im August 1986 auch formell beschlossen wurde. Zum Leiter der dreiköpfigen Gruppe wurde ein Beamter des BKA ernannt. 1989 schließlich wurde die personelle Aufstockung und eine Aufgabenerweiterung dieser Gruppe beschlossen. Bis 1990 sollte sie um acht weitere Beamte aufgestockt werden, die fortan „nicht nur in länderübergreifenden Operationen aktiv eingeschaltet werden, sondern auch eine europäische Nachrichtenbörse über Straftaten und Straftäter entwickeln“. Unterdessen unterhält Interpol nicht nur in Europa ein Regionalbüro, sondern verfügt auf allen Kontinenten über entsprechende Einrichtungen. Über ihren Commutator steht die Lyoner Zentrale, in der 80 Polizeibeamte aus 30 verschiedenen Staaten gemeinsam mit ca. 200 Informatikern, Technikern und Verwaltungsfachleuten ihren Dienst verrichten in Verbindung mit Regionalstationen in Tokio, Buenos Aires, Nairobi, Delhi, Abidjan und Puerto Rico. Seit dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ schließen sich nun vermehrt auch die Staaten des früheren Ostblocks der IKPO-Interpol an, als 155. und damit derzeit letztes Land im November 1991 die Mongolei.

Wie weiter ?

Welche Bedeutung die Interpol trotz dieser weltumspannenden Organisation in den kommenden Jahren angesichts der europäischen Bestrebungen zum Aufbau einer eigenen länderübergreifenden Exekutivbehörde wie „Europol“ erhalten wird, ist derzeit noch unklar. Denkbar ist allerdings, daß den westeuropäischen Staaten ein solches Europa-FBI allemal interessanter erscheint als ein ausgedehntes Engagement an einer eher zahnlosen Einrichtung wie Interpol; zumal sie sich der weiteren Kooperation US-amerikanischer Behörden sicher sein dürfen. Da die EG-Staaten den Hauptanteil der Unterhaltungskosten der IKPO-Interpol tragen, die Dritte-Welt-Staaten hingegen derzeit schon regelmäßig in einen Beitragsrückstand geraten, würde eine Kürzung des europäischen Budgets eine erhebliche Schwächung der Organisation bedeuten. Um Überleben zu können, wäre Interpol wohl zu jeglichem Zugeständnis gezwungen. Der Charakter der Behörde der „Briefträger“, wie sich die Interpol-Beamten sarkastisch selbst bezeichnen, könnte sich in der Folge drastisch verändern.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert