Polizeidienst nach Feierabend – ein europäisches Hobby

von Torsten Mandalka

Seit 1961 gibt es in Berlin die „Freiwillige Polizeireserve“, die damals als Gegenpol zu den DDR-Betriebskampfgruppen ins Leben gerufen wurde. 1963 zog Baden-Württemberg nach: auf Initiative des Innenministers Filbinger wurde interessierten Bürgern die Möglichkeit eröffnet, einen „Freiwilligen Polizeidienst“ zu absolvieren. Bei zwei europäischen Nachbarn können Amateur-polizisten auf eine noch längere Tradition zurückblicken: in den Niederlanden gibt es sie seit Ende der vierziger Jahre und schon seit 1831 besteht die Truppe der „Special Constables“ in Großbritannien.

Großbritannien

Das Mutterland der Freizeit-Polizisten rief seine Bürger anfangs auch gegen deren Willen zum Polizeidienst. Erklärtermaßen sollten sie zur Aufstandsbe-kämpfung eingesetzt werden, wenn reguläre Polizeikräfte nicht ausreichten. Heute absolvieren die landesweit 15.000 „Specials“ ihren Dienst nicht nur in Krisensituationen, sondern werden für die polizeiliche Alltagsarbeit ebenso eingesetzt wie die hauptberuflichen Kollegen. London beschäftigt rund 1.350 freiwillige Ordnungshüter, das entspricht knapp 5% der polizeilichen Ge-samtstärke. Die Freiwilligen arbeiten ohne Entgelt. Da sie in der Regel nur nach Feierabend oder am Wochenende eingesetzt werden, halten sich die Aufwendungen für ihren Verdienstausfall in Grenzen.

Im Laufe der Jahre wurden die Befugnisse der Freiwilligen zunehmend erweitert. Die Zeiten, in denen sie lediglich Hilfsdienste leisten durften, sind vorbei. Die Aufgaben des Hobby-Bobby unterscheiden sich heute kaum von denen seines professionellen Kollegen. Streifen- und Revierdienst gehört ebenso dazu wie die Verkehrsüberwachung. Er hat alle polizeilichen Hoheitsrechte – darf Ausweise kontrollieren und sogar Festnahmen vornehmen. Nur Spezialaufgaben bleiben ihm vorenthalten. Seit Anfang des Jahres betreibt die Polizei eine Werbekampagne, um wieder mehr Bürger für den freiwilligen Polizeidienst zu gewinnen. 6.000 Kandidaten haben sich gemeldet. Voraussetzung für die Aufnahme ist die britische Staatsangehörigkeit, ein Alter zwischen 18 1/2 und 50 Jahren und das positive Votum des Polizeiarztes. Seit 1950 werden auch Frauen rekrutiert. Die „Specials“ werden an 18 Wochenenden ausgebildet. Nach 10 Unterrichtseinheiten Rechtskunde sowie Selbstverteidigungstraining geht es auf die Straße, zunächst begleitet von Berufspolizisten. Stellen diese ein positives Zeugnis aus, dürfen die Amateure beim Streifendienst unter sich bleiben. Die Rechtsgrundlage bildet der „Police Act“ von 1964, der allerdings nur auf Verordnungen der zuständigen Behörden verweist.

Die Polizeigewerkschaft steht den „Specials“ offiziell positiv gegenüber, in-tern allerdings ist man über die billige Konkurrenz nicht erfreut.

Auch wenn der Mythos vom unbewaffneten Bobby nicht mehr ausnahmslos der Realität entspricht, von Feuerwaffen werden die „Specials“ ferngehalten, sondern lediglich mit Schlagstöcken ausgestattet.
Das unterscheidet sie von den Gleichgesinnten in Rest-Europa.

Niederlande

In Amsterdam fristeten die rund 200 Freiwilligen bisher eher ein Schattenda-sein, waren aber bewaffnet. Das wird sich in Zukunft ändern: die Truppe soll personell zwar aufgestockt, aber nach englischem Vorbild nicht mehr mit Schußwaffen ausgerüstet werden.

Bei der Amsterdamer Sicherheitsbehörde ist man sehr zufrieden mit den Hobby-Kollegen: 800 neue Freiwillige werden gesucht, um Sicherheitsdefizite abzubauen und durch mehr Polizeipräsenz eine „Atmosphäre von Recht und Gesetz“ zu schaffen. 400 Anwärter gibt es schon. Erstmals werden sich auch Frauen bewerben können.
Honoriert werden die Reservisten mit symbolischen 2 Gulden pro Stunde. Mehr soll es nicht sein, damit sie sich nicht allein des Geldes wegen melden. Auch in Amsterdam fällt Verdienstausfall in der Regel nicht an, da zumeist abends und am Wochenende Dienst getan wird, mindestens 100 Stunden pro Jahr.

In Amsterdam wird die Laien-Polizei hauptsächlich zu Großeinsätzen heran-gezogen, wie z.B. bei Fußballspielen oder großflächigen Verkehrskontrollen. Die brisanteren Aufgaben bleiben Berufsbeamten vorbehalten. Voraussetzung für den freiwilligen Polizeidienst ist, daß der Kandidat niederländischer Staatsangehöriger und nicht älter als 40 Jahre ist. Die Ausbildung dauert zwei Jahre. Während dieser Zeit dürfen die Anwärter nicht eingesetzt werden. Ein oder zwei mal pro Woche müssen sie für eine halbe Stunde die Schulbank drücken. Inhalte der Ausbildung sind: Rechtskunde, Erste Hilfe und praktische Ausbildung.

Bundesrepublik Deutschland

In Deutschland absolvieren die Freiwilligen die Ausbildung wesentlich schneller. 92 Ausbildungsstunden müssen die Rekruten in Baden-Württemberg hinter sich bringen – entweder im 14tägigen Blockunterricht oder in Abendschulungen über einen Zeitraum von zwei Monaten. Jeder erwachsene Deutsche unter 51 Jahren mit „gutem Leumund“ kann sich bewerben. Seit 1990 gilt dies auch für Frauen. Eingesetzt werden erfolgreiche Bewerber dann, wie es im Gesetz über den freiwilligen Polizeidienst (FPolDG) heißt, „zur Sicherung von Gebäuden und Anlagen, zur Sicherung und Überwachung des Straßenverkehrs, zum Streifendienst, zum Kraftfahrdienst, Fernmeldedienst und zu ähnlichen technischen Diensten.“ Bei diesen Einsätzen werden sie von regulären Beamten begleitet. 1.679 freiwillige Polizeibedienstete gibt es im Ländle, wobei die Zahl in den letzten Jahren konstant gesunken ist. Die meisten absolvieren in Mannheim (187), Karlsruhe (158) und Stuttgart (83) ihren Dienst, aber auch in kleineren Orten wie Heidenheim (14) oder Schwä-bisch-Hall (19) sind sie präsent. Durchschnittlich ist jeder Freizeit-Polizist 18,4 Stunden pro Monat im Einsatz. Im Etat sind dafür 4,1 Mio. DM pro Jahr veranschlagt. Neben Verpflegung und Unkostenausgleich (nebst Verdienstausfall) erhalten Baden-Württembergs Polizeidienstler 6,85 DM/ Std. als Anerkennung ihrer Dienste.

Seit Gründung des freiwilligen Polizeidienstes hat es nach Angaben der Stuttgarter Polizeipressestelle nur 2 negative Zwischenfälle gegeben: den Selbstmord eines Reservisten mit der Dienstpistole und einen tödlichen Ver-kehrsunfall im Dienst. Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Stuttgart berichtet dagegen von mehreren Fällen, in denen Freiwillige ohne ausreichenden Anlaß zur Waffe griffen. Er kritisiert jedoch nicht nur die die mangelnde Waffenausbildung, sondern auch die Kosten der Truppe, mit deren Etat man 150 Vollbeamte finanzieren könnte, was sicherheitspolitisch sinnvoller sei. Den freiwilligen Polizeidienst hält er für „staatlich sanktionierte Schwarzarbeit“. Eine Kritik, der sich auch der Landesrechnungshof und der Hauptausschuß des Landtages nicht völlig verschließen.

In Berlin wollte die rot-grüne Koalition die Freiwillige Polizeireserve ab-schaffen und strich ihr für 1991 den Etat. Die 1961 als Gegenpol zu den DDR-Betriebskampfgruppen gegründete Truppe sei ein „Relikt des Kalten Krieges“, wurde argumentiert. Da sie laut Gesetz lediglich für mobilen Objektschutz herangezogen werden kann und keine Zugriffsrechte hat, im „Ernstfall“ also die „richtige“ Polizei zu Hilfe rufen muß, hielt man die 3,4 Mio. DM teure und 2.700 Mann und Frau starke Einheit für überflüssig. Mit dem Regierungswechsel im Dezember 1990 änderten sich die Ansichten: die CDU/SPD-Koalition plant nun, die Aufgaben der FPR zu erweitern und sie so „rentabel“ zu machen. Aus Koalitionsräson zieht die SPD mit, wenn demnächst ein neues FPR-Gesetz vorgelegt wird. Dann dürfen die Hobby-Polizisten auch Friedhöfe und Schulwege sichern und den Straßenverkehr überwachen. Für ihre Dienste sollen sie mit neun Mark pro Einsatzstunde bezahlt werden. Bei Einsätzen während der Arbeitszeit gibt es Verdienstausfall. Auch in Berlin bezieht die GdP eindeutig Stellung. Sie hält es für unverantwortlich, die mit einer Ausbildungszeit von 14 Tagen unzulänglich ge-schulte, aber bewaffnete Amateur-Truppe für Aufgaben heranzuziehen, die aus-gebildeten Beamten vorbehalten sein sollten. Zudem befürchtet die Gewerk-schaft, die Freiwilligen könnten bei der angespannten Haushaltslage zu Job-Killern werden und etwaige Arbeitskampfmaßnahmen der Polizei unterlaufen.

Resümee

Die Befürworter des Einsatzes von Freizeit-Polizisten weisen diese Kritik zu-rück; die Argumentation der Interessenvertreter versuche, die Pfründe ihrer Klientel zu sichern. Die Vertreter dieser Position können jedoch nicht ver-hehlen, daß europaweit ein Trend zur Privatisierung von Sicherheitsdienstlei-stungen festzustellen ist. Die Hobby-Polizisten – ob aus purem Idealismus re-krutiert oder um einmal polizeiliche Machtgefühle zu erleben – sind ein Be-standteil dieser Tendenz, Wachdienste in den öffentlichen Verkehrsmitteln ein weiteres Element.
Je mehr (europaweit) das staatliche Gewaltmonopol auf solche Weise aufgeweicht wird, umso größer wird das Risiko, daß sich schleichend eine Form halblegaler Selbstjustiz entwickelt, die dann nur schwer wieder in den Griff zu bekommen wäre. So gesehen birgt der freiwillige Polizeidienst ein für die Gesellschaft nicht ungefährliches Risiko.

Torsten Mandalka ist Diplom-Politologe und arbeitet als Hörfunk-Journalist in Berlin.

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