„The United Kingdom“ und das Schengener Abkommen

von Tony Bunyan

Das Vereinigte Königreich von Großbritannien ist einer der vier Mitgliedsstaaten der EG, die dem Schengener Abkommen bislang nicht beigetreten sind. Die übrigen sind die Republik Irland, Dänemark und Griechenland, wobei letzteres zunächst einmal einen Beobachterstatus in Vorbereitung eines Beitritts beantragt hat. Die Begründung dafür, daß Großbritannien nicht beigetreten ist, lautet, daß es wegen der Bedrohung durch Terroristen, Drogenhandel, schwere Verbrechen und Einwanderungswillige nicht bereit ist, seine Grenzkontrollen an Häfen und Flughäfen abzubauen.

In Wirklichkeit sind Großbritannien und die anderen 12 EG-Regierungen der TREVI-Gruppe dem Schengener Abkommen aufgrund ihrer Übereinstimmung in vielen erörterten Fragen, neuen Gesetzgebungen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen auf Regierungsebene sowie durch die Kooperation auf der polizeilichen und geheimdienstlichen Ebene viel näher, als es bei oberflächlicher Betrachtung zunächst erscheint.
In Großbritannien glaubt man jedoch nicht daran, daß die anderen Regierungen der EG die „harte Außenschale“ an den Grenzen der Gemeinschaft auf-rechterhalten können. Ein Bericht des Sonderausschusses im Oberhaus des Parlaments brachte den offiziellen Standpunkt des „United Kingdom“ in der Feststellung zum Ausdruck, es bedürfe „eines cordon sanitaire, um Drogen-händler, Terroristen und andere Kriminelle, Flüchtlinge zusammen mit un-gewollten Einwanderungswilligen herauszuhalten“. Beamte des Innenministeriums sowie die Polizei und die übrigen Sicherheitsdienste trauen ihren Partnern in den anderen Staaten der EG nicht zu, das angestrebte Niveau der Grenzabschottung aufrechtzuerhalten. Wie ein schottischer Polizeichef es formulierte, bestehen einige Schwierigkeiten, „einem europäisch Denkenden unsere Auffassung darüber, was wir an dieser Stelle für eine Bedrohung hal-ten“, zu erklären.1
Der Sonderausschuß zur Inneren Sicherheit hob in seinem Bericht zur poli-zeilichen Kooperation in Europa hervor, daß Großbritannien eine „Inselnation“ sei, die erhebliche Mittel dafür aufwendet, „Überprüfungen an ihren nationalen Grenzen als ein unerläßliches Mittel zum Schutz ihrer Bürger durchzuführen…“, oder wie ein anderer Kommentator formulierte: Viele der Drogen- und Terrorismusprobleme sind hausgemacht; es handelt sich um eine Krankheit, die im „weichen Kern“ bereits ausgebrochen ist, so daß die Verhärtung der Schale keinen Beitrag zur Eindämmung der Krankheit im Inneren zu leisten vermag.2

„The United Kingdom“ und TREVI

Die britische Regierung wird also bis auf weiteres die Grenzkontrollen auf-rechterhalten, in allen anderen Aspekten allerdings hat sie eine führende Rolle hinsichtlich der Kooperation der Polizeien und sonstigen Sicherheitsor-gane übernommen. Die Kooperation auf der Ebene der exekutiven Einrichtungen wie etwa der TREVI-Gruppe wurde in Großbritannien stets begrüßt. In seinen Erklärungen vor dem Sonderausschuß zur Inneren Sicherheit betont das Innenministerium, TREVI sei „im Kern ein informelles Gremium“, in dem man „informell, spontan und praktisch“ zusammen arbeite.3 Die Rechenschaft, die die Regierung gegenüber dem Nationalparlament in bezug auf die Arbeit der TREVI-Gruppe (und anderer zwischenstaatlicher Kooperation auf exekutiver Ebene) ablegt, ist geradezu lächerlich, wenn beispielsweise eine Kleine Anfrage gleich von einem Parlamentsmitglied der Regierungspartei gestellt wird, worauf man dann eine kurze schriftliche Antwort liefert – eine Methode, die es erlaubt, eine parlamentarische Debatte zu unterdrücken. Der Innenminister argumentiert, dies sei eine ausreichende Erklärung der Politik, alle weitergehenden Details würden ins „Operationelle“ eingreifen, weshalb sie im Interesse der Sicherheit geheimzuhalten wären. Hinsichtlich der Polizeiarbeit ist die Grenzlinie zwischen Politik und operativen Ebenen noch nie so scharf gezogen worden. Man bevorzugt informelle und geheime Mechanismen.

Polizeiliche Veränderungen

Obwohl das Englische Königreich dem Schengener Abkommen noch nicht beigetreten ist und dies allem Anschein nach auch nicht tun wird, möchte es andererseits jedoch eine maximale Kooperation mit den Polizeien und Geheimdienstkräften der Schengener-Mitgliedsstaaten gewährleistet sehen. Auch der neue nationale Polizeicomputer, PNC2, soll mit einer Software ausgerüstet werden, die eine Kompatibilität mit dem Schengener Informationssystem (SIS) ermöglicht. Zuletzt bat das Innenministerium im Juli 1991 um ein Treffen mit den Schengener Staaten, um über den Austausch von Informationen zu beraten.
Die Entwicklung bei der TREVI-Polizeikooperation hat dem Verband der (örtlichen) Polizeipräsidenten (Association of Chief Police Officers) eine wichtige Rolle zugewiesen. Neben dem Polizeiverband nehmen auch die Politische Polizei (Special Branch), der Inlandsgeheimdienst MI 5 und Beamte des Innenministeriums an den TREVI-Treffen teil.
Im Januar 1976 wurde die Europäische Verbindungsabteilung (European Liaison Section/ELS) des Special Branch der städtischen Polizei ins Leben gerufen. Diese Abteilung und das MI 5 (das britische Gegenstück zum deutschen Verfassungsschutz) treffen sich regelmäßig mit ihren Partnern in der EG im Rahmen der TREVI-Arbeitsgruppe I zur Bekämpfung des Terrorismus.
Eine wichtige Neuentwicklung ist die Gründung des Nationalen Informati-onsdienst Verbrechen (National Crime Information Service/NCIS) mit sei-nem Nationalen Computernachrichtensystem (National Intelligence Computer Sy-stem/NICS). Ersterer soll mit 450 MitarbeiterInnen ausgestattet werden und auf der Grundlage von fünf neuorganisierten regionalen Verbrechens-einheiten (Regional Crime Squads) arbeiten. Früher existierten neun dieser Crime Squads. Die Hauptaufgabe des NCIS wird darin bestehen, schwere Verbrechen aufzuklären und direkte Verbindungen zu den anderen euro-päischen Polizeien sowie zu Interpol zu unterhalten. Das Innenministerium strebt für dieses neue nationale Gremium, das alle Operationen leiten und koordinieren soll, nunmehr eine Trennung zwischen „Nachrichten“ und „Operationen“ an, was allerdings eine neue Gesetzgebung erfordert. Das Argument dafür lautet, „Nachrichten“ seien das Produkt der Sammlung, Zusammenführung und Auswertung von Informationen, die Entscheidung je-doch, ob auf dieser Grundlage gehandelt werden solle oder nicht, müsse zu den Befugnissen der örtlichen Polizeichefs gehören. Durch diese Unter-scheidung entzieht man sich der Verpflichtung, über den NCIS öffentlich Re-chenschaft ablegen zu müssen. Special Branch und die Anti-Terror-Einheit (Anti-Terrorist Squad) werden in das neue System nicht integriert werden, sondern ihre bestehenden Netze beibehalten.
Weitere Entwicklungen umfassen die Schaffung spezialisierter Nachrichten-einheiten wie die Nationale Fußballnachrichten-Einheit (National Football Intelligence Unit) und die Nationale Drogennachrichten-Einheit (National Drugs Intelligence Unit), die geschaffen wurden, um entsprechende Verbindungen zu den Polizeien der EG zu unterhalten.

Gesetzesänderungen

Einige Gesetzesänderungen sind aufgrund der EG- Kooperation auf Regie-rungsebene inzwischen zustande gekommen. Am 14. Mai 1991 bspw. ist die Europäische Auslieferungskonvention in Großbritannien in Kraft getreten, die schnellere und vereinfachte Auslieferungen ermöglicht. Sowohl das Ein-wanderungsgesetz als auch das Gesetz zur Verhinderung des Terrorismus sind geändert worden, um auch den Tunnel unter dem Ärmelkanal mit einzuschließen. Ebenso ist mit Frankreich eine Vereinbarung über Polizeikooperation in Fragen des Terrorismus, des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens unterzeichnet worden.
Im August 1991 ratifizierte Großbritannien die Europäische Konvention über Internationale Verbrechen, um ein Rechtshilfegesetz (International Criminal Justice Act) in Kraft treten zu lassen, das bereits 1990 verabschiedet worden ist. Dieses Gesetz erlaubt der Polizei, aufgrund eines Ersuchens durch einen anderen EG-Staat Durchsuchungen vorzunehmen, Beweismaterialien zu sichern, Verhaftungen vorzunehmen und Verdächtige vorläufig festzunehmen sowie „Gefangene auszuliefern, um europäische Verhandlungen zu unterstützen“ – und umgekehrt.
Anfang November 1991 brachte die Regierung ein neues Asyl-Gesetz ins Parlament ein, um die Zahl der Asylsuchenden zu reduzieren und die Wiederausreise abgelehnter Asylsuchender zu beschleunigen. Zu den vorgesehenen Maßnahmen gehört u.a. die Abnahme von Fingerabdrücken bei der Einreise.

Einwanderung und Rassismus

War ursprüngliche der Terrorismus die Triebkraft für die Gründung der TREVI-Gruppe, so sind Fragen der Einwanderung und des Asyls von Flüchtlingen innerhalb der EG an die erste Stelle getreten. Die TREVI- wie auch die Schengen-Gruppe verfügen über eine Liste von Staaten der Dritten Welt, deren Staatsangehörige eines Visums bedürfen, um einreisen zu können. Darüberhinaus existiert zudem eine Liste „unerwünschter Personen“ aus Nicht-EG-Staaten. In dieser Frage herrscht zwischen der TREVI- und der Schengen-Gruppe weitgehende Übereinstimmung. Das Problem für ein Europa ohne Binnengrenzen besteht dementsprechend darin, „wie ist es gegen Einwanderer und Flüchtlinge aus der Dritten Welt abzuschließen.“4 Durch die vorgenommene Verbindung von farbigen Menschen mit Verbrechen und Terrorismus wird Einwanderung zu einem „law-und-order“-Thema hochstilisiert. Generalmajor Clutterbuck hat es folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Bei sovielen Einwanderern innerhalb der EG können sich ausländische Terroristen ebenso leicht verstecken wie die Einheimischen.“5
Der europäische Rassismus hat offenkundig eine gemeinsame Kultur: „die alle Menschen der Dritten Welt zu Einwanderern und Flüchtlingen erklärt und alle Einwanderer und Flüchtlinge zu Terroristen und Drogenhändlern, und [die] nicht in der Lage sein wird, einen Bürger von einem Einwanderer oder einen Einwanderer von einem Flüchtling geschweige denn einen Schwarzen von einem anderen zu unterscheiden. Sie alle tragen ja ihren Paß im Gesicht“.6
Die Regierungen der EG haben mit ihren Bemühungen, Migranten und Flüchtlinge herauszuhalten, genau den Nährboden für den Rassismus geliefert, wie wir ihn gegenwärtig in den Städten des neuen Europa beobachten können.

Tony Bunyan ist Redakteur des britischen Informationsdienstes STATEWATCH
1 vgl. House of Lords, Select Committee on the European Communities, „1992: border controls of people“, S. 31.
2 vgl. K.G. Robertson, Institute for European Defence und Strategic Studies, „1992: The Security Implications“, S. 6.
3 Home Affairs Committee, „Practical police cooperation in the European Com-munity,“ 1990
4 vgl. A. Sivanandan: „The new racism“, in: New Statesman vom 4.11.1988.
5 vgl. Richard Clutterbuck, „Terrorism, drugs and crime in Europe after 1992“, 1990, S. 153.
6 vgl. „Europe: variations on a theme of racism“, in: Race and Class, Sonderheft, 1991