Ohne Geheimnisse kein richtiger Staat? Geheimhaltung auf europäisch

Hätten unsere britischen Kollegen von Statewatch nicht im Sommer Alarm geschlagen , wäre der Verordnungsvorschlag der EG-Kommission womöglich kaum aufgefallen, denn selbst die offizielle EG-Politik vollzieht sich in einem der Öffentlichkeit wenig zugänglichen Raum. Ein großer Teil der EG-Innenpolitik obliegt zudem nicht einmal den EG-Institutionen, sondern wird in diversen multilateralen Gremien der einzelnen nationalen Bürokratien – wie TREVI oder Ad-hoc-Gruppe Einwanderung – ausgekocht, an denen die EG-Kommission zwar am Rande beteiligt ist, die von ihr jedoch nicht bestimmt werden und daher nicht in den offiziellen Veröffentlichungen auftauchen.

Wer schon einmal etwas über EG-Innenpolitik erfahren wollte, weiß, wie schwierig es ist, Vorentwürfe oder Entwürfe von Richtlinien oder Abkommen aufzutreiben. Nun geht die EG-Kommission daran, die bereits existierende Undurchsichtigkeit auch noch mit Geheimhaltungsvorschriften zu überziehen, und entspricht damit der Tendenz, aus der EG einen ‚richtigen‘ europäischen Staat zu machen: einen Staat, der, wie die sich in ihm zusammenschließenden Nationalstaaten, von Öffentlichkeit und Demokratie nicht viel hält.

Bisher betrieben die EG-Institutionen ihre Verschlußsachenpolitik jeweils einzeln. Jetzt wird vereinheitlicht und institutionalisiert. Davon betroffen sind alle Organe der Gemeinschaft: Kommission, (Minister-)Rat, Parlament, Gerichtshof, aber auch Rechnungshof, Wirtschafts- und Sozialausschuß und Europäische Investitionsbank. Zur Geheimhaltung verpflichtet werden ferner Privatunternehmen, die mit EG-Verschlußsachen in Kontakt kommen.

Eine ernsthafte Begründung wird hierfür nicht geliefert. Vielmehr verfährt die Kommission dabei nach einem Automatismus, der bereits in der Präambel (Nrn. 1-3) festgelegt wird: Es werden mehr Informationen unter den EG-Organen und Mitgliedsstaaten ausgetauscht, und dabei sind eben auch mehr sensitive Informationen, die zu schützen sind.
Sensitiv sollen nicht nur die Informationen der Euratom sein. Hier gibt es be-reits seit langem einen (u.U. sinnvollen) Geheimschutz und er wird auch nicht angetastet (Verordnung Nr. 3 Euratom).

Leere Terminologie

Welches die bei der EG neu auftretenden „sicherheitsrelevanten Bereiche“, so die bundesdeutsche Diktion, bzw. die nach europäischer Sprachregelung „sensitiven Informationen“ sein könnten, wird an keiner Stelle erklärt. Als sensitiv und damit als Verschlußsache sollen nach Art. 3 I „alle Arten von In-formationen (gelten), deren unbefugte Verbreitung den wesentlichen In-teressen der Gemeinschaft und der Mitgliedsstaaten schaden würde“. Diesel-be leere Terminologie taucht in den Abstufungen der Geheimschutzgrade auf (Art. 5). Was etwa sind „wesentliche Interessen“ im Bereich der Landwirt-schaft? Es bleibt damit den EG-Bürokratien und nationalen Regierungsstellen vorbehalten, nach eigener Gefühlslage zu bestimmen, was sensitiv sein soll (Art. 7 – Einstufungsbefugnis). Da hilft es nicht viel, wenn der Art. 4 II die Geheimschutzgrade „nur“ auf das „unbedingt notwendige Maß“ und die „er-forderliche Dauer“ beschränken will.

Geregelt wird aber nicht nur die Klassifizierung von Informationen nach den bekannten Graden – vertraulich, geheim, streng geheim -, impliziert ist auch die Überprüfung von Personen, die mit solchen Informationen in Kontakt kommen (Art. 12). Dabei wird nach dem mittlerweile üblichen Verfahren der „Harmonisierung“ gearbeitet: es gilt das jeweils nationale Recht (Art. 12 II). Das bedeutet, daß für die BRD nach den geltenden Richtlinien zur Sicher-heitsüberprüfung der Verfassungsschutz zu Werke geht. Die Koordination der Geheimniskrämerei auf EG-Ebene wird ein Sicherheitsausschuß der EG-Kommission übernehmen (Art. 15 III).

Bleibt anzumerken, daß es sich hier um eine Verordnung und nicht um eine Richtlinie handelt. D.h., dieses Machwerk muß nur durch die Mühlen der EG-Gesetzgebung gehen. Wichtigste Stationen dabei sind die Kommission, die den Vorschlag eingereicht hat, und der Rat, in dem die nationalen Regie-rungen präsent sind. Widerspruch könnte allenfalls vom Europa-Parlament kommen. Eine nationale Gesetzgebungsdiskussion wird es nicht geben.

Heiner Busch ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.

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