Polizei, private Sicherheitsdienste und staatliches Gewaltmonopol

von Burkhard von Walsleben

Auf der Grundlage angeblicher Sparzwänge schaffen die Regierungen in den Bundesländern verstärkt Möglichkeiten des Einsatzes privater Sicherheitsdienste. An der Spitze derartiger Initiativen, mit denen sich der Staat immer weiter aus dem Politikfeld innere Sicherheit zurückzieht, liegt der Senat von Berlin. Diese Politik ist die Kapitulation vor dem Verbrechen, weil das staatliche Gewaltmonopol ein Eckpfeiler unserer Demokratie ist. Alle Bürgerinnen und Bürger haben auf der Grundlage unserer Verfassung einen Anspruch auf gleiche Sicherheit. Auf gleiche Sicherheit überall dort, wo sie ihr Leben gestalten, in ihrem Wohnumfeld, in ihrer Freizeit, von und zum Arbeitsplatz und in den Betrieben und Verwaltungen.

Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß der Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten als Werkschutz natürlich gerechtfertigt ist. Gerechtfertigt ist auch, daß in Einkaufszentren und anderen privaten Einrichtungen die Eigentümer baulich und personell für die Sicherheit ihrer Kunden und Mitarbeiter/innen mit verantwortlich sind. Es gibt durchaus private Schutzinteressen, für die der Staat und damit die Polizei nicht eintreten kann. Genau dies ist das Feld privater Sicherheits-dienste, aber nicht mehr. Der Einsatz privater Sicherheitsdienste vermittelt der Bevölkerung den Eindruck, daß der Staat sein Gewaltmonopol aufgibt, mit der fatalen Folge, daß die Menschen glauben könnten, sie wären für ihre Sicherheit, auch wenn es sich nur um ein vermeintliches Sicherheitsgefühl handelt, bis hin zur Bildung einer Bürgerwehr selbst verantwortlich. Das ist eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerung. Sie führt dazu, daß sich die Reichen ihre Sicherheit kaufen und für den Rest der Bevölkerung das übrig bleibt, was der Staat bereit ist, zu leisten. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit darf nicht zu einer Ware verkommen. Wenn nämlich der individuelle Schutz Privatsache ist, setzt sich verständlicherweise derjenige durch, der der Stärkere ist. Das ist nichts anderes als Faustrecht.

Auch FPR bedenken

Noch weiter als anderen Landesregierungen, ich erwähnte das eingangs schon, geht der Berliner Senat. Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Freiwillige Polizei-Reserve (FRPG)1 hat er deutlich werden lassen, daß er in dem so sensiblen Sicherheitsbereich bereit ist, jetzt selbst neben den Wachschutzunternehmen eine eigene amtliche Einrichtung, die ‚FPR‘, einzu-setzen. Die Aufgaben der ‚FPR‘ sind in diesem Gesetz so gefaßt, daß damit eine erhebliche Palette der polizeilichen Alltagsarbeit erfaßt wird. In Anbetracht der Tatsache, daß die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei polizeilichen Amtshandlungen eine immer stärkere Bedeutung gewinnt, ist es deshalb unverantwortlich, in diesem Bereich Reservisten mit unzulänglicher Waffen- und Rechtsausbildung einzusetzen und ihnen polizeiliche Befugnisse zu übertragen. Und das in der Bundesrepublik Deutschland, in der nach 1945 zu Recht ständig sehr intensiv über die Ausbildung der Polizei diskutiert wurde. Ein Schwerpunkt der Arbeit der Gewerkschaft der Polizei (GdP) war und ist die Aus- und Fortbildung der Polizei ständig zu qualifizieren, weil sie im ersten Zugriff in die Grundrechte der Menschen eingreifen kann. Nur mit einer qualifizierten Aus- und Fortbildung ist sichergestellt, daß die Polizei-angehörigen, ausgestattet mit umfassenden Rechtskenntnissen, in unserem demokratisch verfaßten Gemeinwesen streng nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in Freiheitsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger einschränken. Mit privaten Sicherheitsdiensten ist das nicht mehr gewährleistet. Es wird zu Eingriffen in diese Freiheitsrechte durch die Angehörigen privater Sicherheitsdienste kommen, und es wird bald zu spät sein, wenn dieser Entwicklung, das staatliche Gewaltmonopol aufzuweichen, nicht schnell Einhalt geboten wird. Die Polizei unterliegt der Kontrolle der Verwaltungsgerichte und der Parlamente. Diese Kontrolle ist notwendig, weil es eben konkret um die Beachtung der Bürgerrechte bei der Ausübung polizeilicher Tätigkeiten geht. Der Innenminister/-senator als politisch verantwortlicher für die Polizei ist dem jeweiligen Landesparlament verantwortlich, und es hat schon eine Reihe von Fällen gegeben, bei denen ein Minister/Senator seinen Hut nehmen mußte, so zuletzt noch vor rund einem Jahr, als der damalige hessische Innenminister wegen rechtlich zweifelhafter Maßnahmen im Umgang mit Telefonaufzeichnungen zurücktreten mußte. Die privaten Sicherheitsdienste agieren frei und unkontrolliert. Der Senat nimmt mit dem Einsatz privater Sicherheitsdienste vorhersehbare Rechtsverletzungen billigend in Kauf. Er sanktioniert im Rahmen polizeilicher Tätigkeit den Waffengebrauch von nicht ausreichend ausgebildeteten Männern und Frauen in der ‚FPR‘, die nicht Polizeiangehörige sind.

In der Bundesrepulbik wurde nach 1945 immer sehr streng an der Verfassung orientiert auf die Einhaltung der Gewaltenteilung geachtet. Es ist deshalb bemerkenswert, daß der Senat und die Mehrheitsfraktionen von CDU und SPD im Abgeordnetenhaus mit der Verabschiedung des FPRG sich auch über verfassungsrechtliche Bedenken hinwegsetzen. Diese Bedenken bestehen, weil auch Mitglieder des Abgeordnetenhauses der ‚FPR‘ angehören und sie durch den im Gesetz enthaltenen Quasi-Beamtenstatus Mitarbeiter einer Hauptverwaltung (Polizei) werden, was durch 27 LAbgG i.V.m. 26 LWahlG ausgeschlossen ist. Hier entsteht eine verfassungswidrige Interessenkollision. Gleiches gilt für Angehörige der Rechtsprechung, denn gemäß Artikel 1 III, 20 II und I GG besteht in der Bundesrepublik Deutschland die klassische Gewaltenteilung nach Montesquieu. Bei der Betrachtung privater Sicherheitsdienste und die Auswirkungen auf die innere Sicherheit ist es sehr wichtig, die Rolle der ‚FPR‘ in Berlin mit zu beleuchten. Die Verquickung in diesem Artikel ist gewollt, weil bundesweit die Gefahr besteht, daß Landesregierungen über Sondergesetze wie in Berlin polizeiliche Aufgaben ähnlichen Einrichtungen übertragen, um auf dem Feld der inneren Sicherheit ohne Rücksicht auf die Auswirkungen „Einsparungen“ vorzunehmen. Es ist eigentlich ein ungeheuerlicher Vorgang, daß die Politik von dem Grundsatz abrückt, daß sich die Gewährlei-stung der inneren Sicherheit als staatliche Aufgabe, wie viele öffentliche Dienstleistungen, überhaupt einer reinen Kosten-/Nutzenrechnung entzieht.

Anspruch auf einen allgemeinen Schutz hat auch derjenige, der in den entle-gendsten Winkeln der Bundesrepublik wohnt. Unter dem Gesichtspunkt Kosten-Nutzen gibt es seit einiger Zeit eine gewisse Lust bei den Kommunen, angesichts unabweisbarer Defizite bei der Verkehrsüberwachung Geschwin-digkeitskontrollen in eigener Regie vorzunehmen. In Hessen wurde diese Aufgabe Privatfirmen übertragen. Auch dies ist ein Beispiel, daß als sehr bedenklich bezeichnet werden muß. Allein die Polizei verfügt über das Know-how, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der Verkehrssicherheit durchzuführen. Die Versuchung für die Kommunen und eventuell in Anspruch genommener Privatfirmen, bei der Überwachung eher das Geschäft im Auge zu haben als die Sicherheit, wird zwar immer bestritten, doch läßt sich dies anhand der ausgewählten Kontrollstellen von Fall zu Fall widerlegen.

Forderungen

Die GdP wird deshalb weiter darauf dringen, daß die Politik zur Frage des Einsatzes privater Sicherheitsdienste umdenkt. Es kann nicht sein, daß be-waffnete ‚Privat-Sheriffs‘ ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Es ist eine gefährliche Entwicklung, daß uns schon Ende des Jahres mehr Privat-Polizisten als Beamte ‚beschützen‘ werden. Diesem Personenkreis steht obendrein eine Fülle sensibler Daten offen. „Kontrolliert wird nur bei Be-schwerden. Wo kein Richter, da kein Henker“, so der bayerische Datenschutz-Beauftragte Sebastian Oberhauser. Das ist ihm, aber auch uns, zu wenig. Man kann nicht das hohe Gut der inneren Sicherheit dem freien Spiel der Kräfte am Markt überlassen. In diesem Zusammenhang ist an eine Aussage von Willy Brandt vor 16 Jahren während eines Kongresses der Gewerkschaft der Polizei, der das Motto hatte, „Sicherheitspolitik ist Ge-sellschaftspolitik“ zu erinnern: „Die innere Sicherheit wird auch nur dann Bestand haben, wenn sie geschützt wird durch eine Politik, die den sozialen Frieden garantiert.“ Daran sollten sich auch die heute politisch Ver-antwortlichen bei der Gestaltung der öffentlichen Haushalte konsequent halten und sie sollten ihre Polizei personell und materiell so ausstatten, daß sie ihre Aufgaben effektiv wahrnehmen kann, weil wir dann bei der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung wesentlich weniger Probleme hätten. Mit privaten Sicherheitsdiensten wird die Politik sie allerdings nicht lösen.

Burkhard von Walsleben ist Landes-bezirksvorsitzender der ‚Gewerkschaft der Polizei‘ (GdP) in Berlin.
1 Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 48. Jg. Nr. 28, v. 27.6.92