von Frauke Postel
Nach den Rostocker Pogrom-Nächten führte eine Überprüfung der Asylbewerberheime in Brandenburg zu der erschreckenden Erkenntnis, daß die Sicherheitsmaßnahmen hier bei weitem nicht ausreichend waren. In der Folge entstand in Potsdam, einem der fünf Polizeipräsidien Brandenburgs, ein unerwartetes Konzept: Mit den Asylbewerbern sollte eine Zusammenarbeit zustande kommen, die es diesen erlaubte, Vertrauen in die Polizei zu entwickeln. Deshalb wurden Sicherheitsberater gebraucht, die – und das läßt aufmerken – als Ansprechpartner auch für die gefährdeten Asylbewerber Beratung anboten. Zudem sollte der Versuch unternommen werden, Asylbewerber über Verhaltensweisen aufzuklären, die gegen die Normen und Ordnungsvorstellungen ihrer deutschen Umgebung verstoßen, um damit zu einer besseren Akzeptanz beizutragen.
Entwickelt wurde das Konzept vor ungefähr einem halben Jahr von dem Potsdamer Polizeipräsidenten Detlef von Schwerin und seinem Leiter ‚Einsatz (E)‘, dem Leitenden Polizeidirektor Peter Schultheiß.
Sieben Beamte aus dem normalen Polizeivollzugsdienst – sechs Männer und eine Frau – wurden für die sechs Schutzbereiche ausgewählt. Wichtigste Voraussetzung: keine ausländerfeindliche Einstellung. Konsequent wurden diese BeamtInnen von repressiven polizeilichen Aufgaben entbunden. Festnahmen, Verhöre und Durchsuchungen gehören nicht mehr zu ihrem Arbeitsalltag: Irgendwo da, wo sich der Schutzauftrag der Polizei dem Fürsorgeauftrag der Sozialarbeit annähert, sind die Ausländerbeauftragten der Potsdamer Polizei nun angesiedelt. Ob Asylbewerber unter mehreren Identitäten an verschiedenen Stellen Sozialhilfe beziehen, ob evtl. mal ‚krumme Dinger‘ gedreht werden, all das hat die polizeilichen Ausländerbeauftragten nicht zu interessieren. Nur in besonders gravierenden Fällen, z.B. bei Fällen von Körperverletzung oder Sexualdelikten sollen Erkenntnisse an Dienststellen der Polizei weitergegeben werden.
Möglicherweise liegt es daran, daß die Potsdamer Polizeiführung in ihrem Präsidenten einen ungewöhnlichen Mann hat, der schon bei anderen Gelegenheiten seine demokratische und antirassistische Überzeugung glaubwürdig und engagiert vertrat – jedenfalls überrascht, daß in einer Situation, in der Handeln gefordert war, nicht technokratischer Repressionsfetischismus regierte, sondern hier Mut zur ‚Entpolizeilichung‘ entstand. So ist z.B. bekannt, daß die Eskalation der Gewalt gegen Asylbewerber und deren mangelhafte Verteidigung durch die Polizei in vielen Asylbewerberheimen zu einem hohen Grad an Selbstverteidigungsbereitschaft und damit an Bewaffnung geführt hat. Polizisten, die mit dem üblichen Auftrag der Erforschung von Straftaten dort aufträten, hätten lediglich zu einer weiteren Verhärtung der Situation beigetragen.
Vertrauensbildung und Beratung
Im Herbst letzten Jahres wurden die Ausländerbeauftragten der Potsdamer Polizei, die zunächst ‚Asylbewerberpolizisten‘ hießen, während eines einwöchigen Seminars auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Nicht ohne Stolz wird darauf verwiesen, daß es vor allem polizeiexterne Fachkräfte waren, die den neuen Ausländerbeauftragten das notwendige Grundwissen vermittelten.
Nach dieser ‚Crash-Ausbildung‘ wurden die Ausländerbeauftragten auf die Schutzbereiche der Potsdamer Polizei in Potsdam-Stadt, in Potsdam-Land, Nauen/Rathenow, Brandenburg/Belzig, Jüterbog/Luckenwalde und Zossen/Königs-Wusterhausen verteilt. Dort stellten sie sich zunächst den Heimleitungen und Betreuern der Asylbewerberheimen vor, um darüber den Kontakt zu den Asylbewerbern aufzubauen. „Vertrauensbildende Maßnahmen“ hieß der Auftrag dieser ersten Arbeitsphase. Darunter ist das Aufgreifen der Probleme der Asylbewerber mit Behörden oder in Konflikten mit der Nachbarschaft zu verstehen, aber auch die Aufklärung und Beratung über die Gesetzeslage und die in Deutschland geltenden gesellschaftlichen Regeln.
Beispiel Kfz-Versicherung: Keine Bürgerversammlung, auf der nicht mit großer Empörung darauf hingewiesen würde, daß Asylbewerber mit unversicherten Autos fahren. Herausgestellt hat sich indes, daß die PKWs in der Regel zwar versichert sind, die Asylbewerber oft aber nicht den Zahlungsaufforderungen der Versicherungsträger nachkommen können. Stichwort Ordnung und Sauberkeit: Wie schnell hier manchmal aufgepeitschte Stimmungen in der Nachbarschaft von Asylbewerberheimen abklingen können, zeigen Initiativen von Heimleitern, die Putztrupps von Asylbewerbern deutlich sichtbar auf die Straße schickten.
Die polizeilichen Ausländerbeauftragten arbeiten in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen allein. Nur einmal im Monat kommen sie zu einer Arbeitsbesprechung zusammen. Auch sitzen sie nicht in einer Polizeidienststelle, sondern halten sich in den Asylbewerberheimen auf, wo sie regelmäßig Sprechstunden anbieten. So stehen sie in ständiger Verbindung mit den 65 Heimen im Zuständigkeitsbereich des Potsdamer Polizeipräsidiums.
Schutzauftrag
Als im Herbst 1992 die mangelhafte Sicherung der Asylbewerberheime festgestellt wurde, veranlaßte die Potsdamer Polizei ein Rundschreiben an alle Kreise und kreisfreien Städte, indem sie entsprechende Maßnahmen einforderte. Eine neue Regelung sieht nur vor, daß Heimbetreiber nur noch unter der Voraussetzung Zuschüsse vom Land Brandenburg erhalten, wenn sie eine polizeiliche Unbedenklichkeitserklärung vorweisen können.
Die Kontrolle und Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen wird dabei von den Ausländerbeauftragten der Polizei durchgeführt. Als Mindestkriterien gelten: Anwesenheit eines Wachschutzes während der Abwesenheit des Heimpersonals, ausreichende Beleuchtung des Heimes, wurfhemmende Folien vor Fenstern, die von Molotow-Cocktails getroffen werden könnten und überall griffbereite Feuerlöscher. Den Schutzauftrag für die Asylbewerber und ihre Wohnheime legt die Polizei in Potsdam überhaupt sehr unkonventionell aus. So ist sie auch bereit, mit Gruppen zu kooperieren, die sich ebenfalls den Schutz der Asylbewerber zur Aufgabe gemacht haben. Nachdem sich bspw. in der Umgebung des Asylbewerberheims Rangsdorf Schutzgruppen von ‚SOS-Rassismus‘ und Zivilstreifen der Polizei ins Gehege kamen, weil sie sich gegenseitig für rechte Aktivisten hielten, bot das Polizeipräsidium ‚SOS-Rassismus‘ in einem Schreiben Kontaktaufnahme und Absprache an. Aus Kreisen von ‚SOS-Rassismus‘ ist jedoch zu hören, daß auf dieses Schreiben nicht eingegangen wurde, weil eine Zusammenarbeit mit der Polizei prinzipiell abgelehnt wird. Von der Polizei in Potsdam wird betont, daß ihr Angebot auf Kooperation nach wie vor gültig ist – auch die polizeilichen Ausländerbeauftragten vor Ort seien bereit, im Sinne eines effektiveren Schutzes für die Asylbewerberheime mit freien Gruppen zu kooperieren.
Zwischenbilanz und Reaktionen
Nach nunmehr einem halben Jahr zeigt sich, daß die Ausländerbeauftragten der Potsdamer Polizei tatsächlich nicht nur durch eine ordnungspolitische Brille blicken. Folgende Problembereiche werden von ihnen benannt: die hohe Fluktuation in den Asylbewerberheimen, was insbesondere als Kritik an der Belegungspraxis des Innenministeriums verstanden werden kann; die Hierarchie der Nationalitätenzugehörigkeiten in den Heimen, die zu Konflikten führt; das Problem der Verschuldung bei Versicherungsträgern; die häufige Abwesenheit von Asylbewerbern (Afrikaner leben nach ihren Recherchen zu 90% und Vietnamesen zu 70% nicht in den ihnen zugewiesenen Heimen); Betreuer ohne ausreichende Qualifikation, die zudem meist in reiner Verwaltungstätigkeit ersticken; fehlende Informationsblätter in den Muttersprachen der Asylbewerber, die notwendige Kenntnisse über das Leben in Deutschland vermitteln könnten, sowie das Auseinanderreißen von Familien bei der Verteilung von Asylbewerbern und die deutlichen Hinweise darauf, daß Asylbewerber mit mehreren Identitäten an verschiedenen Stellen Sozialhilfe beziehen.
Die Resonanz auf die Arbeit der polizeilichen Ausländerbeauftragten sei bisher positiv, heißt es im Potsdamer Präsidium. In keinem Fall sei bisher von Seiten der Asylbewerber der Kontakt abgelehnt worden. Auch die PolizistInnen, die als Ausländerbeauftragte arbeiten, zeigen sich zufrieden und begrüßen, von den Strafverfolgungsaufgaben entbunden zu sein. An der Frage, wie die polizeilichen Ausländerbeauftragten besser qualifiziert und koordiniert werden können, gibt es allerdings noch einen großen Haken. Eine Soziologin, die diese Aufgabe übernehmen sollte, wurde zwar ausgesucht, kann aber nicht eingestellt werden, da der Personalrat unter Verweis auf die anhaltende Abwicklung in der Polizeibehörde seine Zustimmung verweigert. So liegt die Koordination vorerst beim Einsatzleiter ‚E‘., der seinen Ausländerbeauftragten demnächst einwöchige Seminare über die Situation in den Herkunftsländern der Asylbewerber anbieten will.
Von den übrigen Polizeipräsidien Brandenburgs in Oranienburg, Eberswalde, Frankfurt und Cottbus sind bisher keine Initiativen ausgegangen, das Experiment in Potsdam nachzuahmen. Möglicherweise liegt das ablehnende Verhalten an der schnellen Entscheidung der Potsdamer, die das Projekt in aller Eile und ohne die Einbeziehung der anderen Polizeipräsidenten gestartet haben. Bei Einhaltung solcher ‚Anstandsregeln‘ hätte es allerdings wohl kaum Aussichten auf eine zügige Realisierung gehabt. Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD) steht dem Projekt positiv gegenüber. Unter seinem Vorsitz beschloß die Innenministerkonferenz kürzlich, die bundesweite Einführung dieser polizeilichen Einrichtung zu empfehlen. Baden-Württemberg und Bayern haben bereits entsprechende Anfragen an das Polizeipräsidium in Potsdam gerichtet.
Im Büro der Ausländerbeauftragten für das Land Brandenburg und in der ‚Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA)‘ stößt das Projekt der polizeilichen Ausländerbeauftragten prinzipiell auf Sympathie. Allein der vorstehend zitierte Mängelkatalog der polizeilichen Ausländerbeauftragten zeigt an mehreren Punkten Möglichkeiten der Kooperation auf. Begrüßt wird von allen Seiten, daß Polizeibeamte nicht als ‚Schnüffler‘, sondern als Berater, insbesondere bei der Absicherung gegen Übergriffe, in den Asylbewerberheimen tätig werden. Auch von regionalen Ausländerbeauftragten der Kreise ist zu hören, daß sie mit offenem Interesse eine Kontaktaufnahme erwarten. Eine zumindest punktuelle Zusammenarbeit könnte sich mit vielen Stellen ergeben, die für die Betreuung der Asylbewerber zuständig sind – vielleicht sogar mit freien Gruppen, wie z.B. Telefonketten, die es auf lokaler Ebene auch in Brandenburg gibt.
Zu wünschen ist allerdings, daß Ausländerbeauftragte bei der Polizei letztlich nicht zu einem Alibi geraten, sondern so (z.B. über ihre Funktion) die Gefährdungssituationen von Asylbewerbern im Polizeiapparat insgesamt stärker wahrgenommen werden.