Archiv der Kategorie: CILIP 044

(1/1993) Rechtsextremismus, Rassismus und polizeiliche Reaktionen

Das Polizeidebakel von Rostock – Versuch einer analytischen Würdigung

von Otto Diederichs

Was in der Nacht des 22. August 1992 im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen begann, hat fraglos die innenpolitische Entwicklung der Bundesrepublik nachhaltig verändert: Ohne daß sich die Polizei in der Lage gesehen hätte, ihnen ernsthaft Widerstand entgegen zu setzen, griffen ca. 150-200 zumeist jugendliche Randalierer – beklatscht von Eltern und Nachbarn – die inmitten einer für die frühere DDR typischen Plattenbau-Siedlung liegende ‚Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt)‘ mit Steinen und Molotow-Cocktails an. Am Abend des 23.8. versuchten sie, inzwischen auf ca. 500 angewachsen, erneut, die ZASt zu stürmen. Bis in die frühen Morgenstunden des folgenden Tages dauerten die Auseinandersetzungen. Am Abend des gleichen Tages erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt: die (unterdessen geräumte) ZASt sowie ein danebenliegendes (bewohntes) Wohnheim für Vietnamesen wurden in Brand gesetzt. Erst am Dienstag, den 25.8.1992 gegen 3.00 Uhr morgens ebbten die Kämpfe ab.

Zwar hatte es rund ein Jahr vorher im sächsischen Hoyerswerda eine ähnliche Aktion gegeben. Diese war jedoch bei weitem nicht so spektakulär und dementsprechend weniger beachtet worden. Die Bilder von Rostock indessen gingen um die Welt. Das Polizeidebakel von Rostock – Versuch einer analytischen Würdigung weiterlesen

SPUDOK-„Rostock“ – Kommentar zur Errichtungsanordnung

Nicht erst seit der Welle rechter Gewalt setzen die Staatsschutzabteilungen der Kriminalpolizei sog. Spurendokumentationen (SPUDOK) ein. In den 80er Jahren waren es vor allem die politischen Aktivitäten von links, die mit Hilfe dieses elektronischen Instrumentariums bearbeitet wurden. Am bekanntesten wurden dabei Fälle aus Niedersachsen: 1981 und 1986 versuchte eine Sonderabteilung des Staatsschutzes die Göttinger Besetzerszene auszuleuchten, 1985 ging es um die Erfassung von Aktivitäten und Personen im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Gorlebener Atomfabrik. Auch wenn es nun gegen rechts geht – die Datenschutzprobleme sind weitgehend dieselben.

Üblicherweise werden SPUDOK-Verfahren als kurzfristig einzurichtende Dateien „zur temporären Dokumentation und Recherche“ (2.2) betrachtet, die mit Abschluß des größeren Ermittlungsfalles oder -komplexes wieder aufgelöst werden. Die Daten sollen dabei entweder gelöscht oder – falls sie noch erforderlich, genauer gesagt nützlich sind – in eine polizeiliche Arbeitsdatei überführt werden. Im Staatsschutzbereich ist dies die vom Bundeskriminalamt geführte ‚Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit (APIS)‘. SPUDOK-„Rostock“ – Kommentar zur Errichtungsanordnung weiterlesen

Kriminalpolizeiliche personenbezogene Sammlung (KpS) hier: SPUDOK-Datei „Rostock“ – Dokumentation

Hiermit verfüge ich die Errichtung der SPUDOK-Datei „Rostock“.

1.  Bezeichnung der Datei
Die Datei trägt die Bezeichnung „Rostock“.
Sie wird als automatisierte Datei im SPUDOK-Verfahren bei der Polizeidirektion Rostock geführt.

2.  Rechtsgrundlagen und Zweck der Datei
2.1  Rechtsgrundlage ist § 163 StPO.
2.2  Die Datei dient der temporären Dokumentation und Recherche von:
–  Hinweisen,
–  ermittlungsrelevanten Spuren,
–  polizeilichen Maßnahmen,
–  Ermittlungsergebnissen,
–  Asservatennachweisen
zum Zwecke koordinierter Ermittlungsführung. Kriminalpolizeiliche personenbezogene Sammlung (KpS) hier: SPUDOK-Datei „Rostock“ – Dokumentation weiterlesen

Der weggetauchte Staat – Staatliche (Nicht-)Reaktionen auf rassistische Gewalttaten

von Wolfgang Wieland

Vor dem Anschlag in Mölln hatte sich die Öffentlichkeit an Anschläge von Rechtsaußen gewöhnt wie an die tägliche Wasserstandsmeldung: 1992 1.600 Gewalttaten von Rechts, darunter 500 Brand- und Sprengstoffanschläge. 800 Verletzte und 13 Tote. Noch nach Rostock geschahen in diesem Zusammenhang 10 Straftaten täglich. Ca. 40.000 Neo-Nazis führten den Rechtsstaat offenbar nach Belieben vor. Politiker verharmlosten, gaben Stichworte oder sympathisierten offen mit dem Terror. Angefangen mit dem Kanzlerwort vom „Staatsnotstand“ angesichts von 420.000 Flüchtlingen im Jahr 1992 – was nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung ausmacht – war man eifrig bemüht, eine Stimmung des ‚Not kennt kein Gebot‘ aufkommen zu lassen. Die nächtlichen Brandleger mußten sich geradezu anerkannt fühlen, in einer Art ‚Amtshilfe‘ für den überforderten Staat zu handeln. „Es ist, als würde man die Leute ermuntern, mehr Brandsätze zu werfen: Täglich können sie ihre Erfolge an immer verrückteren Vorschlägen zur Asylpolitik ablesen“,[1] so Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Es waren die Politikerworte von Asylantenfluten, Schmarotzern und Betrügern, die da zu Steinen und Brandsätzen wurden. Der Asyl- und Schutzbegehrende als Vogelfreier in der öffentlichen Wahrnehmung, dies war das verheerende Resultat einer politischen Kampagne, ohne die das Phänomen des explosionsartigen Terrors von Rechts nicht zu verstehen ist.

Nun hört indes nach Mölln die Asyldebatte nicht auf. Auch mit der Grundgesetzänderung und der Abschottung der Bundesrepublik gegen Flüchtlinge wird sie wohl nicht verschwunden sein, sondern als Debatte über dann illegal hier Aufhältliche fortgesetzt werden. Wenn dennoch seit Mölln die Welle rechtsradikaler Gewalt spürbar und zählbar zurückgegangen ist, muß dies andere Gründe haben. Zuerst ist dabei die gesellschaftliche Gegenbewegung zu nennen, die Lichterketten, Demonstrationen, Rockkonzerte. Sie kam allerdings mit unfaßbarer Verspätung. Daneben spielte auch repressives staatliches Eingreifen eine Rolle, aber nur subsidiär und an zweiter Stelle. Dies soll nicht vergessen werden. Der weggetauchte Staat – Staatliche (Nicht-)Reaktionen auf rassistische Gewalttaten weiterlesen

Symbolische Politik gegen Rechts – Alibi für generelle Strafrechtsverschärfungen

von Wolfgang Gast

Nach dem Brandanschlag in Mölln am 23. November 1992, bei dem eine türkische Frau und zwei türkische Mädchen ums Leben kamen, überboten sich in Bonn die Politiker, Gesetzesverschärfungen zu fordern: Unter dem Eindruck der Vielzahl rechtsradikaler Überfälle auf AusländerInnen und Asylsuchende beantragte das Bundeskabinett beim Bundesverfassungsgericht, zwei führenden Neonazis die bürgerlichen Rechte abzuerkennen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wollte Nazi-Rockgruppen wegen Aufrufs zum Mord verfolgen lassen. Und für die Sozialdemokraten schlug deren Wehrexperte Erwin Horn vor, 70.000 Soldaten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus an den Bundesgrenzschutz abzukommandieren. Parteiübergreifend wurde ein weiteres, vermeintlich probates Mittel zur Radikaleneindämmung aus der Tasche gezogen. Ob der FDP-Abgeordnete Jürgen Starnick, der SPD-Innenexperte Günther Graf oder der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Erwin Marschewski – alle erkannten: „Der Radikalenerlaß, wie er in den 70er Jahren für die Linksradikalen galt, könnte ein geeignetes Mittel sein, Neonazis aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten“.

Noch im November und Dezember 1992 verbot das Innenministerium die ‚Nationalistische Front (NF)‘, die ‚Deutsche Alternative (DA)‘ und die ‚Nationale Offensive (NO)‘. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft reagierte ähnlich. Hatte der oberste Ankläger der Republik, Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, im Vorfeld des Möllner Brandanschlages stets dementiert, daß im rechtsextremen Lager bereits die konstituierenden Bedingungen für kriminelle oder terroristische Vereinigungen gegeben seien – nach dem Anschlag ermittelte er gegen die Attentäter wegen der Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 129a des Strafgesetzbuches. Symbolische Politik gegen Rechts – Alibi für generelle Strafrechtsverschärfungen weiterlesen

Rassismus: Kein Thema für die deutsche Polizei? Gedanken zu einem Tabu

von Albrecht Funk

Wenn leitende Polizei- oder Ministerialbeamte der Innenministerien zur Ausländerfeindlichkeit in der Polizei öffentlich Stellung nehmen, ist allenfalls von einigen „faulen Äpfeln“ die Rede, die es in jeder Sparte gäbe. Angesprochen auf das Thema Rassismus in der Polizei fallen allenfalls Begriffe wie Rodney King und Los Angeles. Vorkommnisse auf deutschen Polizeirevieren scheint es – zumindest offiziell – nicht zu geben. Die Indikatoren eines gesetzestreuen Vollzugsdienstes „ohne Ansehen der Person“ geben den Verwaltern der offiziellen Polizeiwirklichkeit zunächst recht. Die ohnehin schon geringe Zahl an Strafanzeigen aufgrund polizeilicher Übergriffe verschwindet da, wo es um verbale Übergriffe auf ‚Ausländer‘ geht, nahezu völlig.

Auch in der überregionalen Presse tauchten in den 70er und 80er Jahren nur sporadisch einige Fälle auf, wie der dreier Bonner Polizisten, die nach einem Kneipenbummel zwei Türken beschimpft und krankenhausreif geschlagen hatten – immerhin außerhalb der Dienstzeit.[1] Erst seit einem Jahr finden sich im Redaktionsarchiv vermehrt Meldungen über polizeiliche Diskriminierungen und Übergriffe auf ausländische Mitbürger: Rassismus: Kein Thema für die deutsche Polizei? Gedanken zu einem Tabu weiterlesen

Berliner Polizei und Rechtsextremismus – Versuch einer Situationsbeschreibung

von Eckhardt Lazai

Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Diskussion um eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus und damit einhergehender Gewalttaten kommt der Frage nach der Rolle, welche die Polizei dabei wahrnehmen kann und soll, von Anfang an eine zentrale Bedeutung zu. Es ist festzustellen, daß diese hierbei oftmals stark überschätzt wird. Rufe nach dem starken Staat, nach mehr Befugnissen und besserer Ausrüstung für die Polizei sowie nach schärferen Gesetzen lassen außer acht, daß polizeiliches Handeln nur die Symptome, nicht aber die Ursachen für den Rechtsextremismus bekämpfen kann.

Natürlich muß in der gegenwärtigen Situation diskutiert werden, welche Funktion dem Instrument des ‚Strafens‘ in unserer Gesellschaft zukommt. Auch muß die Polizei organisatorisch, personell, materiell und rechtlich in der Lage sein bzw. versetzt werden, ihrem gesetzlichen Auftrag – hier dem Schutz der Menschenrechte ausländischer Mitbürger sowie der Strafverfolgung – nachzukommen. Berliner Polizei und Rechtsextremismus – Versuch einer Situationsbeschreibung weiterlesen

Die Erfassung rechtsextremistischer Straftaten – Wirrwarr auf ganzer Linie

von Kea Tielemann

In den zurückliegenden Wochen und Monaten wurden von Verfassungsschutz und Polizei diverse Abhandlungen und Statistiken veröffentlicht, die die reale Zunahme rechtsextremer Gewalttaten für die Jahre 1991 und 1992 dokumentieren sollen. Vergleicht man diese Statistiken miteinander, so ergeben sich trotz einer unterdessen eingeführten bundeseinheitlichen Definition z.T. erhebliche Widersprüche, da die erfaßten Delikte unterschiedlich zugeordnet werden.[1]

Seit dem März 1992 werden unter „fremdenfeindlichen Straftaten“ bundesweit einheitlich jene Tatbestände verstanden, „die in der Zielrichtung gegen Personen begangen werden, denen der Täter (aus intoleranter Haltung heraus) aufgrund ihrer

  • Nationalität, Volkszugehörigkeit,
  • Rasse, Hautfarbe,
  • Religion, Weltanschauung,
  • Herkunft oder
  • aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ein Bleibe- oder Aufenthaltsrecht in seiner Wohnumgebung oder in der gesamten Bundesrepublik Deutschland bestreitet.

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