Dem seinerzeitigen Berliner Innensenator Peter Ulrich (SPD) halfen Ende der 70er Jahre auch alle Beteuerungen, daß es sich „immer nur um Einzelfälle handeln“ werde, nichts. Die ‚Gewerk-schaft der Polizei‘ (GdP), die ‚Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund‘ (PDB) ebenso wie die CDU hielten gegen sein Projekt, AusländernInnen den Zugang zum Polizeiberuf zu ermöglichen. Gemeinsamer Bezugspunkt der Ablehnungsfront war die Vorschrift des deutschen Beamtenrechts, wonach nur Deutsche im Sinne des Art. 116 GG Beamte werden können. In allen entsprechenden Landesbeamtengesetzen gibt es jedoch Ausnahmerege-lun-gen für den Fall „dringender dienstlicher Be-dürfnisse“.
Beide Seiten verschwiegen damals allerdings konsequent die quantitative Seite des ‚Problems‘. Die Berliner Polizei hatte zu diesem Zeitpunkt sog. Doppelstaatler schon seit Jahren in ihren Diensten – wenn auch äußerst wenige: zwei Engländer, ein Grieche sowie ein Türke und ein Australier. Für den Polizeidienst interessiert hatten sich zum damaligen Zeitpunkt allerdings auch nur wenig „mehr als ein Dutzend“ junger Türken.
Integration oder dienstliche Bedürfnisse?
Der Streit um die „Integrationspolitik“ galt in Wahrheit „dienstliche Bedürf-nisse“ genannten Problemen. Senator Ulrich beschrieb sie so: „Wir müssen ganz spezifische Sicherheitsprobleme bewältigen. Sicherheitsprobleme entstehen ja durchweg aus sozialen Konflikten. Um die richtig in den Griff zu bekommen, muß man ja auch die kulturellen Hintergründe, die Sprache kennen und alles, was damit zusammenhängt.“
Unterhalb der Ebene der Verbeamtung gab es in den Folgejahren dann ver-schiedentlich Modellversuche. Hamburg beispielsweise stellte 1983 zwei Türken als Angestellte ein. Ihre Aufgaben bestanden darin, auf den Polizei-dienststellen zu dolmetschen, ihren Landsleuten polizeiliche Maßnahmen zu erläutern und ihnen beim Umgang mit der Polizei Hilfestellung zu leisten. Ferner sollten sie PolizeibeamtInnen mit türkischen Gebräuchen und Rechts-normen vertraut machen, in der Verkehrserziehung mitwirken sowie allgemein Kontakt zum türkischen Bevölkerungsteil halten. Ihre Zahl wuchs bis 1993 auf vier an.
Berlin, ständig geplagt von Nachwuchssorgen, begann 1988 ein „bislang ein-zigartiges Experiment“. Auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft können dort seither junge Ausländerinnen und Ausländer einen Ausbildungsvertrag bei der Polizei abschließen. Während der Ausbildung gelten sie nicht als „Beamte auf Widerruf“, sondern lediglich als „Polizeischüler“. Der entscheidende Haken: zu Beginn der Ausbildung müssen sie sich verpflichten, bei Abschluß derselben die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. 1989 befanden sich vier türkische Staatsangehörige in dieser Ausbildung. Im Mai 1990 waren es dann fünf.
Hinzu kamen bei der Berliner Polizei nach Aussagen des damaligen Innensenators Kewenig ein griechischer Polizeimeister und ein österreichischer Hauptkommissar.
In der Antwort auf eine Anfrage der Fraktion der Alternativen Liste machte der Senat noch einmal deutlich, worum es ihm ging: „Ziel ist, die polizeiliche Arbeit auf Dauer nachhaltig zu verbessern (…) Das Angebot richtet sich an jugendliche Ausländer, die in der Regel in Berlin geboren und die allein schon dadurch, daß sie Polizeibeamter werden wollen und sich entsprechend ausbilden lassen, zu erkennen geben, daß sie gewillt sind, die deutsche Staatsangehörigkeit noch während der Polizeiausbildung zu erwerben (…) dabei ist davon auszugehen, daß sich für sie aufgrund ihrer besonderen Eignung Schwerpunkte der dienstlichen Verwendung in Gebieten ergeben, in denen der ausländische Bevölkerungsanteil besonders hoch ist.“
In anderen Bundesländern – v.a. Hessen und Bayern – wurde das Berliner Modell ebenfalls diskutiert. Auflage blieb die Einbürgerung. Unter dieser Voraussetzung äußerten sich der ‚Bund Deutscher Kriminalbeamter'(BDK) und die GdP positiv; die rechtslastige PDB blieb ihrer Linie treu und lehnte die Einstellung von AusländerInnen weiter mit der Begründung ab, damit werde Ausländerfeindlichkeit geschürt.
1994 – Durchbruch für eine multinationale Polizei?
Seit dem 14.5.93 ist es amtlich: „Die IMK hält es für einen sinnvollen Ansatz, bei Erfüllung gewisser persönlicher Voraussetzungen Ausländer in den Polizeien des Bundes und der Länder zu verwenden“, heißt es im Beschluß zum Tagesordnungspunkt 27a der ‚Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren‘. Selbst im CDU-Parteitags-Leitantrag ist diese Forderung enthalten.
Auch die neueste Runde der ‚Modellpolitik‘ ist durchsichtigen Zwecken der Sicherheitspolitik untergeordnet. Auslöser waren zum einen die Debatten um die ‚Organisierte Kriminalität‘, zum anderen befürchtete ethnische Konflikte als Folge rassistischer Pogrome und alltäglicher Gewalt gegen AusländerInnen.
Nach dem Beschluß der IMK spielen diesmal Baden-Württemberg und Bayern die Vorreiterrolle, alle anderen wollen nachziehen. Soweit bekannt, sieht die Situation ggw. folgendermaßen aus:
Baden-Württemberg: Zum 1. September 1993 sollen etwa „zwanzig Aus-länder“ zur Ausbildung angenommen worden sein und im Frühjahr 1995 im Rahmen des Ausbildungspraktikums im Streifendienst, später auch im Bezirksdienst eingesetzt werden. Verlangt wird die perfekte Beherrschung der deutschen und der Heimatsprache, mindestens zehn Jahre Aufenthalt in der Bundesrepublik und der Nachweis einer Aufenthaltsberechtigung oder einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Zudem müssen die BewerberInnen darlegen, daß sie sich ihrer heimischen Kultur noch verbunden fühlen – gemeinhin eigentlich ein Grund, die Einbürgerung hierzulande zu verweigern.
Eingestellt werden sollen v.a. Türken und „junge Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien“. Einsatzgebiete sollen „insbesondere Stadtteile in Bal-lungsräumen mit hohem Anteil ausländischer Bevölkerung“ sein. Profitieren soll aber auch die Kripo. Sie soll im Bereich international operierender organisierter Kriminalität unterstützt werden, v.a. durch den Einsatz auslän-discher Beamter als Verdeckte Ermittler.
Bayern: Hier begann die Ausbildung der ersten ausländischen MitbürgerInnen ebenfalls im September. Die Einstellung soll allerdings auf Einzelfälle und Ausnahmen begrenzt bleiben. Von den insgesamt 608 Nach-wuchspolizistInnen, die im September die Ausbildung begannen, besaßen denn auch nur zwei keinen deutschen Paß; 38 ausländische Bewerber/Innen waren überhaupt nur in die engere Wahl gekommen. Den Planungen zufolge sollen ausländische Beamte in ihrem späteren Dienst in Gegenden mit hohem Ausländeranteil konfliktdämpfend wirken. Vorrangiges Ziel jedoch ist der Einsatz als Verdeckte Ermittler zur Bekämpfung ausländischer Banden und der organisierten Kriminalität. Besondere Zielgruppe ist die italienische Mafia.
Berlin: Hier erhalten Italiener und Spanier ihre Bewerbungen umgehend zurück, sofern sie nicht bereits einen deutschen Paß besitzen. Für Türken, Polen und Jugoslawen besteht die bereits genannte Regelung des Staatsangehö-rigkeitswechsels mit Beendigung der Ausbildung. Zum 1.9.93 traten 15 ausländische PolizeischülerInnen ihre Ausbildung an; insgesamt sind damit derzeit 26 im Dienst der Berliner Polizei.
Bremen: Der Senat beschloß die Einstellung von Ausländern als Beamte zur Kriminalitätsvorbeugung und – bekämpfung in Gebieten mit hohem Aus-län-deranteil.
Hessen: In Frankfurt will die Landesregierung vier, in Offenbach zwei zu-sätzliche Stellen im Angestelltenverhältnis schaffen. Die Inhaber dieser Stel-len sollen keine hoheitlichen Aufgaben erhalten. Nach Angaben des Innen-ministeriums in Wiesbaden sollen sie v.a. Vermittlungstätigkeiten ausüben.
Wenn die Bundesregierung nicht „im nächsten halben Jahr mit der doppelten Staatsangehörigkeit über die Bühne kommt“, will Hessen AusländerInnen als Polizisten einstellen.
Nordrhein-Westfalen: Dort gibt es kein Bedürfnis, nicht-deutsche Staatsan-gehörige auch nur in die Debatte einzubeziehen. Die Polizei des Landes verfüge über ausreichend Beamte ausländischer Herkunft, so daß das Problem nicht existiere.
Schleswig-Holstein: Ab August 1994 sollen auf Grundlage der Ausnahme-regelung des Beamtengesetzes AusländerInnen in den Polizeidienst aufgenommen werden. Auf die erstmals erfolgten Ausschreibungen gingen bis Ende August diesen Jahres vier Bewerbungen ein.
Rheinland-Pfalz: Bewerbungen von AusländerInnen liegen vor. Im Sep-tember sollen acht Ausländer die Ausbildung aufgenommen haben.
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sollen derzeit die Angelegenheit prüfen. Wie in allen neuen Ländern ist das Bedürfnis nach innovativen Schritten angesichts des geringen Ausländeranteils nicht groß.
Der Beschluß der IMK vom Mai ’93 hat zwar eine Medienkampagne bewirkt. Der unvollständige Überblick zeigt aber bereits, wieweit die Länder und der Bund von tatsächlich effektiven Schritten noch entfernt sind. Die Diskussion und v.a. die praktischen Folgen bewegen sich 1993 auf einem nur unwesentlich höheren Niveau als 1979. Rein zahlenmäßig gehen die AusländerInnen, die – soweit bekannt – im „Durchbruchsjahr 93“ bei den Polizeien der Länder zur Ausbildung antraten, immer noch in einen Reisebus.
„Das Ziel, Ausländer in dem Umfang bei der Polizei zu beschäftigen, wie es ihrem regionalen Bevölkerungsanteil entspricht, läßt sich mittelfristig nur verwirklichen, wenn wir in den nächsten Jahren zwanzig bis dreißig Prozent aller Ausbildungsplätze der Polizei an geeignete Bewerber ausländischer Herkunft vergeben“ , lautet denn auch das Fazit von Christian Pfeiffer, Di-rektor am ‚Kriminologischen Forschungsinstitut‘ in Niedersachsen. Unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen weitestgehenden Integration ausländischer MitbürgerInnen in allen Lebensbereichen, ist dies sicherlich richtig. Er verkennt jedoch dabei, daß es weder Polizei noch den politischen Strategen der Inneren Sicherheit um eine tatsächliche Integration und einer Teilhabe von AusländerInnen am gesamten öffentlichen Leben geht. Vorrangiges Interesse war stets überwiegend, den jahrelangen Mangel an geeigneten BewerberInnen auf diese Weise auszugleichen. Angesichts der ggw. wirtschaft-lichen Lage bestehen derartige Personalsorgen jedoch nicht mehr. Damit gibt es keinen – zumindest keinen akuten – Bedarf an ausländischen PolizistInnen. Was bleibt sind somit Lösungen für spezifische Sicherheitsprobleme, z.B. in Ballungsräumen mit einem hohem Anteil ausländischer Bevölkerung oder im OK-Bereich. Man darf daher gespannt sein, inwieweit der Beschluß der IMK letztendlich nennenswert umgesetzt wird.