Zum Verhältnis zwischen Mitarbeiter-Innen und Vorgesetzten bei der Bereitschaftspolizei – Erfahrungen eines Zugführers

von Manfred Mahr

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern werden in Hamburg nur voll ausgebildete PolizeibeamtInnen in der Bereitschaftspolizei verwendet. Darüber hinaus werden sie – ähnlich wie in Berlin – in bestimmten Abständen zur Unterstützung des Reviereinzeldienstes herangezogen. Diese Bedingungen unterscheiden Hamburg positiv von der Situation in den Bereitschaftspolizeien der meisten anderen Länder. Doch auch sie vermögen die üblichen Spannungsfelder nicht aufzulösen.

Die 18 – 20jährigen PolizeibeamtInnen, die ihren Dienst bei der ‚Bereit-schaftspolizeiabteilung Hamburg'(BPAH) beginnen, haben zunächst ein Rol-lenverständnis, das von ihrem Ausbildungswissen zwar beeinflußt wird, im wesentlichen aber gefühlsbetont (affektiv) bestimmt ist: „Die jungen Leute lernen das berufliche System an konkreten Handlungsfolgen. Gehorsam wird gelernt, indem Ungehorsam nachteilige Folgen hat. Auch die Vermittlung von Rechtskenntnissen geschieht vorwiegend affektiv, weil sie im Gehorsam gegenüber Bezugspersonen … gelernt wird. Die Wirkung ist affektiv, weil sie ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Sicherheit vermittelt. Rollenorientierung verschafft kollektive Geborgenheit in der Berufsgruppe.“

Wechselbeziehungen

Da der Beruf des Polizeibeamten überwiegend ein Erfahrungsberuf ist, 20jährige über diese Erfahrungen aber noch nicht verfügen können, muß dieses Defizit kompensiert werden. In dieser Situation fällt den Vorgesetzten eine herausragende Funktion zu, denn junge BeamtInnen orientieren sich anfangs sehr stark am Verhalten berufserfahrener KollegInnen. Welche Auswirkungen dies haben kann, konnte ich selbst feststellen, als ich 1990 von der Hamburger Polizeiführung zur BPAH umgesetzt wurde. Hier verrichtete ich fünfzehn Monate meinen Dienst als stellvertretender Zugführer.

Der Ruf als Sprecher der ‚BAG Kritischer Polizisten und Polizistinnen‘ war mir – u.a. wegen meiner Kritik an geschlossenen Einsätzen – bereits vorausgeeilt. Dies wurde von den BeamtInnen zunächst mit deutlicher Verunsicherung aufgenommen. Aber sehr schnell faßten sie Vertrauen. Selbst daran, daß während eines Einsatzes gelegentlich auch einmal ein Handschlag mit VertreterInnen der sog. ‚Szene‘ ausgetauscht wurde, gewöhnten sich meine neuen MitarbeiterInnen ungewöhnlich schnell. Die beklemmende Frage kam auf, wie weit mein Einfluß als Vorgesetzter ggf. reichen würde.

Von Anfang an war klar, daß ich mir der BeamtInnen nicht aufgrund tieferer Einsicht sicher sein konnte. Als Vorgesetzter war man jedoch eine Bezugs-person, die Orientierung versprach. Gleichzeitig konnten sie davon ausgehen, daß ich zu ihnen halten würde, solange der Rahmen vorgegebener Regeln nicht verlassen wurde. So gab es kaum nennenswerte Probleme – und das, obwohl mehrere brisante Einsätze (Golfkriegsdemos, Hafenstraße, Premiere ‚Phantom der Oper‘ usw.) unseren Alltag bestimmten. Nicht einmal meine massive öffentliche Kritik an einer Durchsuchungsaktion des Bundeskriminalamtes in den Häusern an der Hamburger Hafenstraße im Frühjahr 1990 führte zum Vertrauensbruch.

Mitunter packte uns alle auch schon einmal der sportliche Ehrgeiz, wenn es bei Einsätzen galt, mit zwanzig BeamtInnen Demonstrierenden den Weg abzuschneiden – eben schneller zu sein. Schweißgebadet verbreitete sich am Ziel dann ein Gefühl der Euphorie, geradeso als habe man einen großen Sieg errungen. Nun kam es darauf an, dieses Gefühl nicht überhand nehmen zu lassen, so daß Gelassenheit und Rollendistanz zurückkehren konnten. In solchen Fällen wurde bald klar, daß ein Vorgesetzter in diesen Situationen alles mögliche von den MitarbeiterInnen hätte verlangen können – sie hätten es wahrscheinlich getan. Dies gilt erst recht für Situationen, die zu eskalieren drohten. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit spielt für PolizeianfängerInnen dabei natürlicherweise eine bestimmende Rolle. Weil sie noch keine eigene Berufssicherheit haben (können), sind die meisten von ihnen auf die Zuwendung ihrer Vorgesetzten angewiesen. Ihrerseits belohnen sie diese Zuwendung wiederum mit der erwarteten Gegenleistung: Sie funktionieren.

Dieser Mechanismus kann somit zur einen wie zur anderen Seite ausschlagen. Die negative Seite hat ‚die tageszeitung‘ in ihrem Lokalteil dokumentiert, als sie im vorigen Jahr einen ‚Erlebnisbericht‘ der 5. Hundertschaft der Hamburger Bereitschaftspolizei nachdruckte. Unter dem Titel „Mit Bepo-Tours unterwegs“ wurde der Einsatz der 5. Hu-BPHA während des Weltwirtschaftsgipfels im Sommer 1992 in München beschrieben. Völlig losgelöst von jeglicher Rollendistanz und bar jeder politischen Sensibilität ist dort über die „Traumdienstreise“ zu lesen: „Die 5. Hundertschaft erhielt den Zuschlag. … Man wollte es den Bayern schon zeigen, was es bedeutet, eine Hamburger Einsatzhundertschaft bei sich zu haben.“ (Kurz nach der Ankunft in München traf man sich in einem Biergarten.) „Hoch geht es dort, im Wald versteckt, her. Norddeutsche Gesänge hallen durch den Wald.“ (So eingestimmt war man am 4.7.92 bei der ersten Demo dabei): „Die Prognosen scheinen sich zu bestätigen. Ca. 10.000 Teilnehmer, darunter eine große Zahl gewaltbereiter Personen aus dem autonomen Spektrum. Unser Hufü bietet sich als Reserve an, blitzschnell sind die Mannen behelmt und mit Lederjacke versehen, Motoren werden angeworfen, Sekunden des Wartens werden zu Minuten, man will endlich zum Einsatz kommen, dafür sind wir nun mal hier, eine gut ausgebildete, intakte Einsatzhundertschaft.“ (Man beteiligte sich beim berühmt gewordenen Pfeifkonzert ohne Bedenken am ‚Münchener Kessel‘ und trat schließlich zufrieden die Heimreise an). „Blaulichter zucken, der Torposten grüßt ein letztes Mal … Servus München, servus Bayern.“ Dieser Bericht wurde nicht etwa von einem der Jungpolizisten geschrieben. Der Hunder-schaftsführer und sein Stellvertreter hatten ihre Eindrücke persönlich nieder-geschrieben. In Geist und Diktion entspricht er haargenau den Eindrücken, die ich als Berufsanfänger bei der BPAH bereits im Jahr 1977 gewinnen konnte. Besonders nachdenklich muß es jedoch stimmen, daß dieser Artikel drei Monate nach dem ‚Münchener Kessel‘, als der Einsatz „bayerischer Art“ bereits weltweit kritisiert worden war, in der Hauspostille der Hamburger Polizei erscheinen durfte.

Lebenswelt Bereitschaftspolizei

„Die (…) Bediensteten sind verpflichtet, unmittelbaren Zwang anzuordnen, der von ihren Vorgesetzten oder einer sonst dazu befugten Person angeordnet oder befohlen wird. Dies gilt nicht, wenn die Anordnung die Menschenwürde verletzt oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist“, heißt es in 20 des Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (HmbSOG). Hier spiegelt sich in knappen Worten eine Lebenswirklichkeit wider, die es jungen BeamtInnen ermöglicht, ihre gesamten Unsicherheiten zu kompensieren. Die Verantwortung für einen Einsatz weiß man (dankbar) bei den Vorgesetzten aufgehoben. Tatsächlich trägt jedoch jede BeamtIn letztlich für die Ausführung einer Anordnung selbst die Verantwortung. Das aber wird verdrängt in der Erwartung, der Vorgesetzte werde es schon richten.

Eine Untersuchung zur „Lebenswelt Bereitschaftspolizei“ kommt zu dem Ergebnis, „daß 85 % der B.i.A. (BeamtInnen in Ausbildung, Anm.) ihre Freizeit am Dienstort verbringen und nur sehr wenig Kontakte außerhalb gesucht werden.“ Ein Ergebnis, das die These der ‚Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen‘ bestätigt, wonach der größte Teil der Po-lizeibeamtInnen nach Beginn ihrer Berufsausbildung die bisherigen sozialen Kontakte vernachlässigt und so Gefahr läuft, sich der Außenwahrnehmung zu verschließen: „Mit dem Eintritt in die Polizei betreten die Jugendlichen eine eigene Welt, in die sie einsozialisiert werden sollen. Die finanzielle Unab-hängigkeit wird eingetauscht gegen eine Beschränkung der Freiheit der Le-bensgestaltung. (…) Gerade der häufige Ortswechsel mit ‚amtlicher Unter-bringung und Verpflegung‘ führt zur Notwendigkeit, die Polizei zu etwas ähnlichem wie ‚Heimat‘ zu erklären. Wer nicht zum Polizeiapparat gehört, ist ‚Externer‘, d.h. er gehört zur ‚Außenwelt‘.“ Die Bereitschaftspolizeien mit ihren Gruppenzwängen wirken hier verstärkend. Rollendistanz ist im Zweifel nicht gefragt. Die mit Recht geforderte, für eine demokratische Polizei schlichtweg notwendige Rollendistanz, wird sich unter diesen Umständen kaum vermitteln lassen. Hier kann nur die Abschaffung von vorgehaltenen geschlossenen Einheiten Abhilfe schaffen.

Manfred Mahr ist Mitbegründer der ‚Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen‘; bis Sept. 1993 war er einer ihrer drei Sprecher und ist heute innenpolitischer Sprecher der GAL-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.