Der Verein ‚Bürger beobachten die Polizei‘ e. V.

Im Rückblick mag die Berliner Arbeitsgruppe Bürger beobachten die Polizei nur als eines der vielen Strohfeuer linker Auseinandersetzung mit staatlicher Gewalt erscheinen. 1979 gegründet, erzeugte sie in den beiden folgenden Jahren einen heftigen Medienrummel und ging Mitte der 80er Jahre so sang- und klanglos ein, daß einige (auch bei der Polizei) dies bis heute nicht bemerkt haben. Dennoch, gerade angesichts der sich häufenden polizeilichen Übergriffe auf AusländerInnen sind die Ziele der Arbeitsgruppe aktueller denn je. So wollte der Verein „1. als Anlaufstelle für von Polizeiübergriffen Betroffene (…) dienen und Unterstützung (…) leisten, 2. polizeiliche Maßnahmen.(…) beobachten und polizeiliche Übergriffe der Öffentlichkeit zur Kenntnis (…) bringen, 3. Fälle von polizeilichen Übergriffen (…) sammeln und in geeigneter Weise (…) publizieren, 4. über Reaktionsmöglichkeiten gegenüber Polizeimaßnahmen (…) informieren.“

Vorbild war das Amsterdamer ‚Klachtenburo Politie Optreden‘, dessen Er-fahrungen 1978 in einem Artikel in der Nullnummer von ‚Bürgerrechte & Polizei/CILIP‘ (damals noch: Bürgerrechte & Polizeientwicklung) dargestellt worden waren. Im Amsterdamer Viertel Nieuwmarkt, in dem sich Mitte der 70er Jahre nach den Auseinandersetzungen mit den dortigen Hausbesetzern die Beschwerden wegen Übergriffen der Polizei häuften, hatten Jura- und KriminologiestudentInnen ab 1977 ein täglich für mehrere Stunden besetztes Büro eingerichtet, das als Anlaufstelle für Beschwerden dienen sollte. Die MitarbeiterInnen des Büros unterstützten die Betroffenen, begleiteten sie bei Gängen zur Polizei, sammelten und publizierten die Klagen.

Der genannte Artikel wurde Anfang 1979 im Rundbrief der ‚Initiative gegen das einheitliche Polizeigesetz‘ nachgedruckt, auf deren Einladung ab Frühjahr des Jahres ca. 20 Personen zusammenkamen, um dem niederländischen Vorbild zu folgen. Was der kleinen Gruppe besonders in der Anfangszeit ihre Dynamik gab, war die praktische Ausrichtung der Arbeit: Der Ausbau von Polizei und Geheimdiensten sollte nicht mehr länger nur abstrakt kritisiert werden. Die Konsequenzen dieses Ausbaus sollten der Öffentlichkeit auch an konkreten Beispielen polizeilicher Gewalt vorgeführt und die Betroffenen unterstützt werden. Im Unterschied zu früheren Beispielen – etwa den diversen Ermittlungsausschüssen – bezog man sich dabei nicht nur auf den eigenen politischen Umkreis. Zwar wurde auch die polizeiliche Vorgehensweise bei Demonstrationen beobachtet und bei diversen Gelegenheiten Handzettel über das Verhalten bei Festnahmen und Kontrollstellen etc. verteilt, im Vordergrund aber standen gerade die alltäglichen, scheinbar unpolitischen Übergriffe.

Beratung

Ähnlich wie das ‚Klachtenburo‘ wollte man eine regelmäßig besetzte Anlauf-stelle einrichten, an die sich Betroffene wenden konnten. Das erste Hindernis für eine solche Tätigkeit war ein juristisches. Gemäß dem Rechtsberatungs-gesetz von 1935 war eine Rechtsberatung durch Nicht-Juristen nur im Rahmen eines Vereins und nur an dessen Mitglieder möglich. Die Gruppe konstituierte sich deshalb im Dezember 1979 formell als Verein. Wer sich beraten lassen wollte, mußte diesem Verein formell beitreten und einen Jahresbeitrag von einer Mark entrichten. Im Unterschied zur Amsterdamer Gruppe konnte Bürger beobachten die Polizei aber nicht täglich, sondern nur einmal pro Woche an zwei Stunden eine Beratung anbieten. Mehr wäre aufgrund der sonstigen beruflichen (und politischen) Verpflichtungen der Mitglieder nicht möglich gewesen, hätte sich allerdings auch nicht gerechtfertigt. Zu den Terminen kamen jeweils höchstens ein bis zwei Personen.

Die bearbeiteten Fälle waren tatsächlich meistens alltäglicher Art: Ein Kon-taktbereichsbeamter, der einen Spandauer Ponyhofbesitzer drangsalierte; Punks, die aus einem Steglitzer Einkaufszentrum herausgeworfen und zur Wache gebracht wurden; auch schon damals: AusländerInnen, die beschimpft und/oder geschlagen wurden. Die meisten der Betroffenen kamen denn auch nicht zur Beratung, weil sie eine Anzeige gegen Polizeibeamte stellen wollten, sondern weil die Beamten, die sie zunächst malträtiert hatten, im Nachhinein noch Anzeige wegen Körperverletzung, Beleidigung oder Widerstand erstattet hatten. Der eigentliche Vorfall lag meist schon mehrere Wochen zurück und mußte im Gespräch erst mühevoll rekonstruiert werden. Die Suche nach ZeugInnen war daher meist aussichtslos. Neben der Vermittlung eines Rechtsanwalts und der Begleitung zum Prozeß bestand der Erfolg der Beratung in vielen Fällen vor allem darin, daß die Betroffenen jemanden fanden, der ihnen zuhörte und das Geschilderte ernst nahm. Vor Gericht konnten sie froh sein, wenn es zu einer Einstellung der Verfahren kam, auf eine Verurteilung der BeamtInnen konnte (und kann) man selten hoffen.

Negativwerbung von Senat und Polizei

Beflügelnd wirkte nicht nur die praktische Arbeit an den Fällen, sondern auch die unerwartete öffentliche Resonanz. Blättert man heute die Presseaus-schnitte über Büpo, wie die Gruppe schnell genannt wurde, aus den Jahren 1979-81 durch, so wird man sich erstaunt fragen, wie es möglich war, daß eine Gruppe, die nie mehr als 20 Personen umfaßte, einen derartigen Wirbel erzeugen konnte. Die Protokolle der zweiwöchigen Sitzungen vermerken re-gelmäßige Interviewtermine, die teilweise nur mit großer Mühe abgedeckt werden konnten.
Grund für den Medienrummel war vor allem die hysterische offizielle Reaktion. Der Verein war noch nicht konstituiert, da war er bereits Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage des CDU-Abgeordneten Ulrich Brinsa. Der Senat – so Innensenator Peter Ulrich (SPD) in seiner Antwort – „betrachtet die Bildung der genannten Arbeitsgruppe mit Gelassenheit. Er ist indes der Auffassung, daß die Mitglieder der Arbeitsgruppe ein Mißtrauen offenbaren, das von mangelndem Demokratieverständnis zeugt. Denn es richtet sich nicht nur gegen die Polizei, sondern auch und besonders gegen das Berliner Abgeordnetenhaus und seine Ausschüsse als die verfassungsmäßig zuständigen parlamentarischen Kontrollinstanzen.“ Die Existenzberechtigung einer außerparlamentarischen Gruppe sei vor dem Hintergrund der parlamentarischen Kontrolle „kaum zu begründen. Verhalten und Leistung der Berliner Polizei in der Vergangenheit verdienen Anerkennung und Vertrauen der Bürger unserer Stadt.“

Bei dieser demonstrativen Gelassenheit blieb es nicht. Die Polizeigewerk-schaften und -standesorganisationen schäumten vor Wut. Der seinerzeitige Polizeipräsident Klaus Hübner sah die Kritik an der Polizei „auch aus dem Grenzbereich zum Terrorismus“ kommen . Die Presse berichtete, und je mehr sie die Büpo selbst zu Wort kommen ließ, desto mehr Kohlen wurden von Polizei, Senat und den etablierten Parteien ins Feuer geworfen. Der Jugendzeitung ‚Blickpunkt‘ wurde mit einem Stop der Subventionen gedroht, das Rundfunk-Jugendmagazin ‚SFBeat‘ mußte eine geplante Sendung absetzen, und selbst das reichlich behäbige TV-Regionalmagazin ‚Abendschau‘ des ‚Senders Freies Berlin‘ wurde im Rundfunkrat und in der Presse vorgeführt. Allein die Erklärung, die Polizei bei ihrer Arbeit beobachten zu wollen, war schon ein Skandal.

Die Negativreklame verhalf der Gruppe zwar zu einer unerwarteten Publizität, das Interesse an den dokumentierten Fällen aber blieb gering. Der alltägliche Polizeiübergriff hatte keinen Nachrichtenwert. Daran vermochten auch die Fallsammlungen, die Büpo in seiner Anfangszeit monatlich zusammenstellte und an die Mitglieder des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus verschickte, nichts zu ändern. Raum für längere Falldarstellungen erhielt Büpo erst in einer regelmäßigen Kolumne, die ihr die Stadtzeitung ‚zitty‘ einräumte. Als dann schließlich das öffentliche Interesse nachließ und die Publizität der Gruppe schwand, fanden auch immer weniger Betroffene den Weg in die Sprechstunde. Die Berliner Büpo-Gruppe entschlief langsam. Andere Gruppen, die sich im Bundesgebiet gegründet hatten, überlebten häufig genug kaum die eigene Gründungsversammlung. Eine Ausnahme hiervon bildete allenfalls die Bremer Gruppe Bürger kontrollieren die Polizei um den Rechtsanwalt und Publizisten Rolf Gössner, deren Arbeit aber weniger an der konkreten Beratungstätigkeit orientiert und damit auch weniger vom Zulauf von Betroffenen abhängig war.

Bewegungsorgan oder Bürgerinitiative?

Verglichen mit dem ‚Ermittlungsausschuß‘ (EA), der sich 1980 in Berlin konstituierte und bis heute besteht (siehe S. 42ff.), hatte Büpo nur eine kurze Lebensdauer. Dem EA gingen schon alleine aufgrund der polizeilichen Tä-tigkeit bei Demonstrationen die Fälle nicht aus. Hinzu aber kam vor allem die Nähe zur ‚Bewegung‘ und der ‚Stallgeruch‘ der oft genug verbalradikalen Sprache, demgegenüber der Dokumentationsstil von Büpo als ‚bürgerlich‘ er-schien. Bereits in ihrem Namen Bürger beobachten die Polizei offenbarte die Gruppe eine für die damalige Zeit unübliche Bescheidenheit.

Daß Büpo dennoch ein linkes Kind war, daran konnte zu keinem Zeitpunkt gezweifelt werden. Die meisten Mitglieder entstammten der ‚Initiative gegen das einheitliche Polizeigesetz‘ (siehe S. 33ff.) und damit dem Umfeld der ‚Roten Hilfe‘, vertreten waren ferner die ‚Humanistische Union‘, die ‚Liga für Menschenrechte‘ (siehe S. 17ff.), die Redaktion ‚Bürgerrechte & Polizei/CILIP‘, die ‚Alternative Liste‘, das ‚Sozialistische Büro‘ und die ‚Jung-demokraten‘. Daß aus der Gruppe nicht eines der vielen ‚Breilibüs‘ wurde, jener meist gar nicht so ‚breiten linken Bündnisse‘ zum Protest gegen ‚Polizeiterror‘ und ‚Überwachungsstaat‘, lag vor allem an ihrer praktischen Ausrichtung. Wollte man die Betroffenen außerhalb der Szene erreichen, so mußte der stereotype Sprachgebrauch der linken Sekten der 70er Jahre aufge-geben werden, und auch in politischen Fällen konnte ein öffentliches Inter-esse jenseits der Szene nur dann erwartet werden, wenn Polizeiübergriffe sauber dokumentiert, statt einfach und falsch als ‚chilenische Verhältnisse‘ gewertet wurden.

Angesichts des harten polizeilichen Vorgehens gegen die Hausbesetzerbewegung seit dem Herbst 1980 zeigten sich aber auch bei den beobachtenden Bürgern die Schwierigkeiten mit der eigenen Rolle. Dabei war es immer selbstverständlich, daß Büpo Demonstrationen beobachten, auch bei Räumungen präsent sein sollte. Einem Teil der Mitglieder aber war die bloße Beobachtung und Dokumentation als Beitrag der Solidarität zu wenig. Sie verließen die Gruppe und arbeiteten fortan beim ‚Ermittlungsausschuß‘ mit. Mitte 1982 veröffentlichte Büpo dann eine Dokumentation über eine großangelegte, sich über mehrere Tage erstreckende Räumungsaktion. Der EA, der eigentlich das unbestrittene ‚Monopol‘ für Demonstrationsfälle besaß, versagte bei deren öffentlicher Dokumentation meist aber kläglich.

Nachbemerkung

Als der Verfasser 1990 Gelegenheit hatte, seine Akten beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) einzusehen, konnte er amüsiert feststellen, daß seine politischen Aktivitäten erst mit seiner Tätigkeit bei Bürger beobachten die Polizei zur Kenntnis genommen wurden. Die Tatsache, daß in den Akten ein Zitat aus einer Sitzung der Arbeitsgruppe enthalten war, legt den Verdacht nahe, daß das LfV zumindest zeitweise eine V-Person bei Büpo eingeschleust hatte. Die verfassungsschützerische Gefahrenwahrnehmung be-legt damit zwar nicht die Wichtigkeit der Gruppe, sondern in erster Linie die Idiotie eines Geheimdienstes. Deshalb sollte sich hiervon auch niemand von politischem Engagement abhalten lassen. Im Gegenteil: Eine Neuauflage von Bürger beobachten die Polizei ist im Grunde überfällig.

Heiner Busch ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP und war u.a. Mitglied von Bürger beobachten die Polizei
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.

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