Gesetzentwürfe der GRÜNEN zu einem allgemeinen Akteneinsichtsrecht – Datenschutz kontra Informationszugang?

von Lena Schraut

Unter dieser Fragestellung diskutierten die Grünen/ Alternativen Anfang der 80er Jahre ein allgemeines Akteneinsichtsrecht, als (ausgelöst durch den ‚Volkszählungsboykott‘ und das im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 postulierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung) Datenschutzfragen die bundesrepublikanische Öffentlichkeit stark beschäftigten.

Während in den angelsächsischen Ländern die BürgerInnen bereits seit längerem ein Recht auf Einsicht in Verwaltungsunterlagen besitzen, entwickelte sich in der Bundesrepublik der Datenschutz als reines Abwehrrecht gegen informationelle Zumutungen des Staates. Dies gilt auch für die Auskunfts- und Akteneinsichtsregelungen der Datenschutz- und Spezialgesetze, da sie als reine Betroffenenrechte nur den Zugang zu Informationssammlungen über die eigene Person eröffnen.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Bestandteil des in Art. 2 Grundgesetz (GG) garantierten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Als Herr der Informationen über seine Lebenssachverhalte entscheidet jeder Einzelne grundsätzlich selbst über deren Preisgabe. In dieser Verfügungsgewalt wird er/sie erst eingeschränkt, wenn ein überwiegendes Allgemeininteresse an ’seinen/ ihren Daten‘ besteht. Dazu bedarf es jedoch eines Gesetzes. Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Verwaltung ist somit nur dann zulässig, wenn entweder die Betroffenen eingewilligt haben oder eine entsprechende Rechtsvorschrift dies erlaubt. Daraus folgt, daß jeder, der von einer Verwaltung Informationen über einen Dritten begehrt, an dessen Recht auf informationeller Selbstbestimmung scheitert, wenn letzterer der Informationsübermittlung nicht vorher zugestimmt hat, oder wenn ein Gesetz sie nicht ausdrücklich gestattet.

Das Grundgesetz stellt den einzelnen jedoch nicht nur als schützenswertes ‚Informationsobjekt‘ dar, sondern auch als ein mit Rechten ausgestattetes ‚Informationssubjekt‘. Art. 2 GG garantiert ihm/ihr das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und Art. 5 GG stattet die BürgerInnen mit dem Recht aus, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten sowie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Zu der aus Art. 2 GG abzuleitenden allgemeinen Handlungsfreiheit gehört es auch, den Bereich, in dem man sich als Persönlichkeit entfalten möchte, selbst zu bestimmen. Grundsätzlich muß leider festgestellt werden, daß im Zuge der Entwicklung des Datenschutzrechts das Recht des einzelnen auf Informationsbeschaffung und -verarbeitung ins Hintertreffen geraten ist. Mit dem berechtigten oder vorgeschobenen Verweis auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz personenbezogener Daten Dritter, wird den BürgerInnen, die sich bei Behörden über öffentliche Belange informieren wollen, regelmäßig der Informationszugang verwehrt. Der gern zitierte ‚mündige Bürger‘, der sich an der Gestaltung der Gesellschaft und seiner Umwelt beteiligen will, scheitert so häufig schon im Ansatz.

Art. 2 und Art. 5 GG begründen indes keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf nicht allgemein zugängliche Informationen. Damit das Recht auf Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung wahrgenommen werden kann, bedarf es eines Gesetzes. Bei der Ausarbeitung eines solchen Gesetzes kann es nicht darum gehen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zugunsten eines Informationszugangsrecht aufzuhebeln, sondern die Bereiche des öffentlichen Lebens zu bestimmen, in denen ein überwiegendes Allgemeininteresse es gebietet, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des einzelnen einzuschränken und festzulegen, welche personenbezogenen Angaben offenbart werden können, um ein funktionierendes allgemeines Akteneinsichtsrecht zu schaffen. Dies ist der Partei der GRÜNEN in ihren unterdessen vorgelegten Entwürfen zur Informationsfreiheit gelungen.

Grüne Gesetzentwürfe

Am 23.11.85 fand in Bonn eine öffentliche Anhörung zu einem Entwurf für ein ‚Gesetz über das Einsichtsrecht in Umweltakten‘ (AERG) statt. Der AERG wurde von der Fraktion der GRÜNEN im Bundestag vorgelegt. (1) Im Juni 1990 hat dann die ALTERNATIVE LISTE in Berlin das erste ‚Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit‘ (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) (2) in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Es fiel in zweiter Lesung allerdings dem abrupten rot-grünen Koalitionsende zum Opfer. (3) Ebenso erging es einem im April 1994 von der Brandenburgischen Fraktion BÜNDNIS 90 in den dortigen Landtag eingebrachten ‚Gesetzentwurf zur Regelung des Rechts auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen der öffentlichen Verwaltung im Land Brandenburg‘ (Brandenburgisches Akteneinsichtsgesetz) (4). Im selben Jahr hat auch die GRÜN-ALTERNATIVE-LISTE (GAL) in der Hamburgischen Bürgerschaft einen ‚Gesetzentwurf zur Gewährleistung des freien Zugangs zu Informationen‘ (Hamburgisches Informationsgesetz – HmbIFG) (5) eingebracht, der ebenfalls von der Regierungsmehrheit abgelehnt wurde. Seither ruhen die gesetzgeberischen Aktivitäten von grünen Landtagsfraktionen hinsichtlich eines allgemeinen Akteneinsichtsrechtes, obwohl überall auf die jeweiligen Landesgegenbenheiten abgestimmte Entwürfe in den Schubladen liegen. Sie ähneln sich im großen und ganzen. Allen merkt man an, daß sie ihren Ursprung im Streit um Zugangsregelungen zu Umweltakten haben und die einzelnen Regelungen erst im Zuge eines langen Diskussionsprozesses auf Akten der gesamten öffentlichen Verwaltung ausgeweitet wurden.

Allgemeine Konzeption und Verfahren

In allen Gesetzen ist der Anwendungsbereich der Informationsfreiheit umfassend gestaltet. Er umfaßt alle Behörden, Einrichtungen und sonstigen öffentlichen Stellen des Landes und der Kommunen. Die Definition des Begriffes ‚Akte‘ ist so weit gefaßt, daß unabhängig von der Speicherungsform alle amtlichen Unterlagen darunter fallen. In diese sollen die BürgerInnen dann grundsätzlich selbst Einsicht nehmen können. Die Entwürfe sehen einen allgemeinen Rechtsanspruch vor, der an keine näheren Voraussetzungen gebunden ist. AntragstellerInnen sollen keine Rechenschaft über die Motive ihres Informationsbegehrens ablegen müssen. Der Zugang zu Unterlagen der öffentlichen Verwaltung soll deshalb nicht länger in das Ermessen der öffentlichen Stellen gestellt bleiben. Die Entwürfe wollen zudem ein ggf. einklagbares Akteneinsichtsrecht garantieren. Alle Entwürfe enthalten weiterhin detaillierte Festlegungen für die Durchführung der Akteneinsicht oder Aktenauskunft. So ist u.a. vorgesehen, eine ‚unzuständige‘ öffentliche Stelle, die einen Auskunfts- oder Einsichtsantrag erhält, zu verpflichten, den Antrag unverzüglich an die ‚zuständige‘ Verwaltung weiterzuleiten und den Antragsteller davon zu unterrichten. Ebenfalls vorgesehen ist, daß die Verwaltung dem von einem Auskunfts- oder Einsichtsbegehren Betroffenen mitteilt, daß in Unterlagen, die personenbezogene Daten zu seiner Person enthalten, Einsicht genommen werden soll und der Betroffene nunmehr zwei Wochen Zeit habe, sich dazu zu äußern. Daß Akteneinsicht oder -auskunft gebührenfrei sein soll, ist dabei selbstverständlich. Die Verwaltung soll lediglich ihr entstehende Kosten einfordern dürfen.

Wie eingangs dargestellt, besteht das wesentliche Regelungsproblem bei der Ausgestaltung der Informationsfreiheit darin, das Verhältnis von allgemeinem Rechtsanspruch und notwendigen Ausnahmen so zu gestalten, daß einerseits die von der Akteneinsicht berührten Belange Dritter und die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Verwaltung nicht beeinträchtigt werden, andererseits aber die Ausnahmebestimmungen nicht so weit und unbestimmt gefaßt sind, daß das Informationszugangsrecht ins Leere läuft.

Einschränkungen des Informationszugangs

Vorrangig regeln die Entwürfe die Ausnahmetatbestände für die Offenlegung personenbezogener Daten, die ansonsten grundsätzlich ausgeschlossen sind. Hier erfolgt die verfassungsmäßig gebotene Abstimmung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, über die Angaben in Verwaltungsunterlagen gespeichert sind, und dem Informationszugangsrecht der Antragssteller, die auch in solche Akten Einblick nehmen wollen. Als Ausnahmetatbestände, von dem ansonsten grundsätzlichen Schutz personenbezogener Daten, sollen z.B. die personenbezogenen Daten eines Amtsträgers gelten, soweit sie seine Mitwirkung an einem Verwaltungsverfahren betreffen und amtsbezogen sind. Weiterhin sollen Name, Titel, akademischer Grad, Beruf, Branchen- oder Geschäftsbezeichnung, dienstliche Anschrift u.ä. über diejenigen Personen offengelegt werden können, die als Beteiligte in einem Verwaltungsverfahren oder als Anzeigende, Anmelder, Eigentümer, Pächter, Mieter, Gutachter, Sachverständige usw. in den Akten registriert sind. Für diesen Personenkreis ist jedoch stets eine Einzelfallprüfung vorgesehen.

Am besten löst wohl ein für die GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen erarbeiteter (bislang unveröffentlichter) Entwurf das Problem: Darin soll die Verwaltung verpflichtet werden zu prüfen, ob überhaupt personenbezogene Daten offenbart werden und daher einer Akteneinsicht evtl. schutzwürdige Belange von Betroffenen entgegenstehen und ob das Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Im weiteren zählt dieser Entwurf dann abschließend bestimmte Angaben auf, bei denen in der Regel keine schutzwürdigen Belange des Betroffenen vorliegen, so daß sie offenbart werden können.

Eine allgemeine Informationsfreiheit wird nicht nur durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt, sondern auch durch gesetzlich geregelte Geheimhaltungspflichten. So enthalten alle Entwürfe eine Klausel hinsichtlich eines Bundes- oder Landeswohls, bei dessen Vorliegen ein Akteneinsichtsrecht ausgeschlossen wird. Der erwähnte Entwurf der nordrhein-westfälischen GRÜNEN stellt darüber hinaus in einem gesonderten Paragraphen klar, daß immer dann kein Informationsrecht bestehen soll, wenn durch bereits bestehende gesetzliche Regelungen die Geheimhaltung bestimmter Akten oder Angaben vorgeschrieben ist. Dies trifft vor allem immer dann zu, wenn das Steuer- oder das Sozialgeheimnis berührt werden.

Alle Entwürfe enthalten zudem Regelungen, die den dienstlichen Entscheidungsprozeß schützen sollen, in dem sie Vorentwürfe zu solchen Entscheidungen vom Informationszugang ausnehmen. Dem Einsichtsrecht offenstehen sollen allerdings die Ergebnisse von Beweiserhebungen, Tatsachenfeststellungen, Aktenvermerke u.ä. soweit diese entscheidungserhebliche Tatsachen und Vorgänge betreffen. Entscheidend für den Informationszugang ist dabei, daß alle Unterlagen, die nach einer Beschlußfassung anfallen und diejenigen Unterlagen, die Tatsachenfeststellungen u.ä. enthalten, zur Einsichtnahme offenstehen sollen.

Schutz der Rechtsdurchsetzung und von Geschäftsgeheimnissen

Diese Normen in den IFG-Entwürfen stellen sicher, daß Akteninhalte soweit und so lange nicht dem Informationszugangsrecht unterliegen, wie dadurch bevorstehende behördliche Strafverfolgungsmaßnahmen oder Überwachungstätigkeiten allgemeiner Art vereitelt würden. Jedoch sehen alle Entwürfe hier eine Befristung auf höchstens drei Monate vor.

In allen Gesetzentwürfen ist weiterhin die Regelung zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an die Voraussetzung geknüpft, daß dem jeweiligen Betrieb durch die Offenbarung der betreffenden Unterlagen ein nicht unwesentlicher wirtschaftlicher Schaden entstehen könnte. Auch hier soll die einsichtgewährende Verwaltung verpflichtet werden, die gegensätzlichen Interessen abzuwägen. Soweit tatsächliche Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen, soll ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis allerdings nicht geltend gemacht werden können.

‚Informationszugangsbeauftragter‘

Die Einrichtung einer solchen Funktion sieht nur der nordrhein- westfälische Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz vor. Hier soll neben einer beim ‚Landesbeauftragten für den Datenschutz‘ angesiedelten Kommission für den Schutz der Informationsfreiheit in jeder öffentlichen Verwaltung ein ‚Informationszugangsbeauftragter‘ benannt werden, dem neben der Unterstützung der auskunftbegehrenden BürgerInnen auch Aufgaben des behördlichen Datenschutzbeauftragten wie die Führung von Aktenverzeichnissen und die Erstellung von Jahresberichten übertragen werden sollen. Die beim ‚Landesbeauftragten für den Datenschutz‘ angesiedelte, in der Ausübung ihres Amtes unabhängige Kommission soll auf Landesebene ähnliche Aufgaben erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, daß allen BürgerInnen der Rechtsweg offensteht, wenn eine Verwaltung ihren Antrag auf Akteneinsicht oder -auskunft abschlägig bescheidet, soll die Kommission des weiteren als Schiedsstelle zwischen der Verwaltung und den AntragstellerInnen fungieren.

Schlußbemerkung

Es ist bezeichnend, daß alle jene Entwürfe, die bereits einmal ein Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben, solche ‚Informationszugangsbeauftragten‘ nicht (mehr) vorsehen. Erfahrungsgemäß ist eine solche Stelle die erste Hürde, an der Informationsfreiheitsgesetze zu scheitern drohen. Deshalb nehmen die einbringenden Fraktionen die einschlägigen Regelungen zumeist schon in der Vorverhandlungsphase aus ihren Gesetzesentwürfen wieder heraus. Warum die bündnisgrünen Fraktionen in den Landtagen jedoch insgesamt nicht aktiver werden und mit ihren Entwürfen nicht sehr viel offensiver umgehen, ist eines der Geheimnisse grüner Politikgestaltung. Wenn sie schon nicht (mehr) in die Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden (sollen), so wäre doch zu erwarten, daß sie zumindest öffentlich gemacht würden, um die notwendige Diskussion um eine allgemeine Informationsfreiheit der BürgerInnen wieder zu intensivieren und weiter voran zu bringen.

Lena Schraut ist Mitarbeiterin beim ‚Landesbeauftragten für den Datenschutz‘ in Brandenburg
(1) Bürgerrechte & Polizei/CILIP 22 (3/85), S. 27ff.
(2) Abgh.-Drs. 11/958 v. 28.6.90
(3) Vgl. die tageszeitung v. 26.10.90
(4) LT.-Drs. 1/2915 v. 20.4.94
(5) Drs. 15/1355 v. 15.6.94

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