von Rainer Endriß
Die Genehmigung von Einsätzen Verdeckter Ermittler (VE) der Polizei, deren Befugnisse und die Verwertung der von VE zusammengetragenen Informationen zu Beweiszwecken sind in den §§ 110b ff. der Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22.2.95, (1) wonach die §§ 110b ff. StPO auf Vertrauenspersonen (VP) der Polizei keine entsprechende Anwendung finden, hat sich dieses Instrument polizei-operativer Maßnahmen als schärfste Waffe zur Bekämpfung mittlerer (Drogen-) Kriminalität herausgebildet.
Insbesondere gilt dies für den Geltungsbereich des baden-württembergischen Polizeigesetzes, in dem keine Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Vertrauenspersonen normiert ist; (2) insoweit bleibt es bei der Rechtsgrundlage der §§ 161, 163 StPO, welche die Ermittlungen und den Zugriff der Polizei allgemein regeln sowie bei der Definition der Richtlinie von 1986, wonach es sich bei der Vertrauensperson um „eine Person handelt, die ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheimgehalten wird.“ (3)
Vorrangiges Ziel des Einsatzes von Vertrauenspersonen war ursprünglich die rein polizeioperative Maßnahme, in ausländische Tätergruppen einzudringen und Sprachprobleme und Geschlossenheit der Gruppen zu durchbrechen. Dabei kamen Personen zum Einsatz, die insbesondere dem Drogenmilieu bzw. einem Randbereich des jeweiligen kriminellen Milieus zuzurechnen waren. (4)
Aus Sicht der Verteidigung dient diese Methode der Polizei zunehmend zur Vereinfachung und Beschleunigung eines Ermittlungsverfahrens und zur Gewinnung gerichtsverwertbarer Beweismittel. Dabei werden die Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen im Ermittlungsverfahren eingeschränkt. Dies ergibt sich bereits daraus, daß allein die Polizei die Anordnungsbefugnis zum Einsatz einer bzw. mehrerer Vertrauenspersonen behält. Die Staatsanwaltschaft ‚genehmigt‘ nur deren Einsatz.
Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Polizeipraxis ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, insbesondere die berufstypische Motivation von Polizeibeamten, zur Überführung des Betroffenen beitragen zu müssen. Beinahe zwangsläufig entsteht dabei in den Köpfen ein ‚Feindbild‘ von den Gerichten und den Strafverteidigern. (5)
Geschehensabläufe
Der Normalfall des Einsatzes einer VP im Drogenmilieu stellt sich für den Betroffenen meist so dar: Über einen längeren Zeitraum hinweg sucht die V-Person das Gespräch und das Vertrauen eines geeigneten ‚Bekannten‘. Sie wird dabei nicht in das Milieu eingeschleust, sondern ist selbst Teil davon. Eher ‚zufällig‘ wird dann das Gespräch auf Drogen und Drogenkonsum gelenkt. Nachdem eine ‚Vertrauensbasis‘ geschaffen wurde (nicht selten wird von Betroffenen berichtet, daß kleine BtM-Geschäfte im Wege des Tausches von Heroin gegen Kokain abgewickelt wurden bzw. man sich mit kleineren ‚Hits‘ gegenseitig ausgeholfen oder gemeinsam konsumiert hat), werden die Gespräche zunehmend konkreter. In der Folge wird ein größeres Geschäft angebahnt, d.h. es wird eine Größenordnung angestrebt die den Verbrechenstatbestand der §§ 29, 29a BtMG erfüllt, insbesondere die sog. „nicht geringe Menge“ von Drogen erreicht. Dies liegt sowohl im Interesse der Ermittlungsbehörden, die möglichst große Mengen vom Markt ziehen wollen und diese Sicherstellungen dann in der Öffentlichkeit als Erfolg der Polizeiarbeit darstellen, wie auch im Interesse der V-Person, die im Erfolgsfalle nicht unerheblich honoriert wird. Einen weiteren Eckpunkt stellt die Abwicklung eines ‚Vertrauenskaufes‘ dar, bei dem kleinere Mengen auf Qualität und Lieferfähigkeit des Betroffenen überprüft werden. Das ‚Hauptgeschäft‘ wird in der Regel dann direkt an einen Verdeckten Ermittler (VE) der Polizei vermittelt. Kennzeichnend über den gesamten Zeitraum hinweg sind die Bemühungen der VP, den Kontakt nicht abreißen zu lassen und auf die ‚gute‘ Gelegenheit der schnellen Mark hinzuweisen.
Daß die ausgewählte Tätergruppe oftmals keiner größeren Überredungs- bzw. Anstiftungsgespräche bedarf, soll dabei nicht verschwiegen werden. Der meist lange Zeitablauf bei der Anbahnung solcher Geschäfte spricht jedoch gegen die Annahme eines gewerbsmäßigen Handeltreibens des Betroffenen, sondern eher dafür, daß es sich eben um Randfiguren des Milieus handelt, die zur Abwicklung des vermeintlich ‚guten Geschäftes‘ zunächst erst einmal entsprechende Kontakte suchen und aufbauen müssen. Dies wird von den Gerichten aufgrund der beschlagnahmten Mengen aber oft allzu schnell übersehen.
Erfolglose Einsätze von V-Personen werden erfahrungsgemäß in keinem Ermittlungsverfahren dokumentiert; es darf sogar bezweifelt werden, daß die Staatsanwaltschaft immer davon Kenntnis erlangt.
Die Arbeit des Strafverteidigers beginnt bei einem Ermittlungsverfahren unter Einsatz einer VP dann, wenn der Betroffene von der Tatsache eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens erfährt; dies ist meist erst bei seiner Verhaftung der Fall. Zu diesem Zeitpunkt ist der operative Polizeieinsatz abgeschlossen und der Sachverhalt ausermittelt; es fehlen die Aufarbeitung im Schlußvermerk und die Vorlage bei der Staatsanwaltschaft. Hierbei ist von Bedeutung, ob und in welchem Umfang der Betroffene bereits Angaben gemacht hat; danach richtet sich der Akteninhalt! Die Akte eines geständigen Betroffenen fällt in Hinblick auf die Dokumentation einzelner Ermittlungsabschnitte äußerst dürftig aus. So besteht die Ermittlungsakte oftmals nur aus der sogenannten ‚A1-Meldung‘, die dem Geständnis und dem Haftbefehl vorgeheftet ist. Der Einsatz einer VP liest sich dann etwa so: Von einer im Bezirk der Polizeidirektion A geführten VP wurde ein Scheingeschäft abgewickelt. Am … um … verkaufte der Betroffene die Menge XY an den als ’nicht offen ermittelnden Polizeibeamten‘ (NoeP) Z zum Preis von x DM/Gramm; anläßlich der Übergabe kam es zur vorläufigen Festnahme, es wurden … Gramm BtM-artige oder – farbige Substanzen beschlagnahmt, der Vortest verlief positiv; Festnahmevermerk ist dem Vorgang angeschlossen.
Eine Verteidigung des Beschuldigten beschränkt sich in solch einem (nicht seltenen) Fall allein auf die Betreuung in der Haftanstalt und eine reine Strafmaßverteidigung. Hintergründe und Einzelheiten der operativen Polizeimaßnahme treten zurück.
VP als Beweismittel
Anders liegen die Fälle, in denen die ermittelnden Beamten kein Geständnis erlangen konnten. Hier wird der Akteninhalt für Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung aufbereitet und einzelne Kontakte einer oder mehrerer VP mit dem Beschuldigten dokumentiert, dies allerdings sehr eng am Tatbestand. Detailkenntnisse und Informationen über die An- bzw. Vielzahl von Gesprächen zwischen dem Betroffenem und der V-Person, selbst die Anzahl der in einem Sachverhalt eingesetzten VP werden nicht mitgeteilt. Erkenntnisse mehrerer VP verschmelzen somit zu einer einheitlichen Vernehmung. Aufgrund der dürftigen Mitteilungen werden Teileinstellungen (6) in Kauf genommen, um die ‚polizeitaktischen Ermittlungsansätze‘ nicht bekannt werden zu lassen und/oder die Vertrauensperson zu schützen.
Ergeben sich aus den Akten Hinweise auf die Identität einer eingesetzten VP, so hat das Gericht in eigener Verantwortung alle Bemühungen anzustellen, um den Namen dieser Person festzustellen und seine Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ermöglichen. (7) Regelmäßig werden die Angaben der VP in der Hauptverhandlung jedoch durch das Zeugnis der Vernehmungsbeamten eingeführt, um damit den Grundsätzen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (8) und Mündlichkeit im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Schranken genüge zu tun, da eine Zeugenvernehmung der VP selbst unter Wahrung ihrer Anonymität nicht möglich ist. Handelt es sich bei dem Zeugen zugleich um den Führungsbeamten der VP, so ist zu beachten, daß die Darstellung der durch die verdeckte Ermittlungstätigkeit erlangten Erkenntnisse im Hinblick auf das angestrebte Ergebnis einseitig ist und ‚unangenehme‘ Tatsachen, die dem Führungs- und Vernehmungsbeamten u.U. auch bekannt sein können, nicht zum Gegenstand der Vernehmung gemacht werden. In diesem Sinne unangenehm sind z.B. sämtliche Wahrnehmungen des Zeugen, die Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit der Angaben und auf die Glaubwürdigkeit der VP selbst zulassen. Der Bundesgerichtshof hebt hierzu hervor, daß der Tatrichter den Beweiswert des nicht unmittelbar benutzten Beweismittels besonders kritisch zu prüfen hat, soweit damit Angaben einer im Hintergrund bleibenden anonymen Person eingeführt werden. (9) Das Gericht muß sich der Grenzen seiner Überzeugungsbildung stets bewußt sein, sie wahren und dies in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringen, (10) sowie andere wichtige Anhaltspunkte mitheranziehen. (11) Eine Verurteilung darf auf solche, nur in mittelbarer Weise erhobenen Erkenntnisse nur dann gestützt werden, wenn sie nach Überzeugung des Richters durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden. (12) In jedem Falle sind nicht nur die Angaben der VP, sondern auch die Angaben des VP-Führers auf ihre Glaubwürdigkeit hin sorgfältig zu überprüfen. Auch die Rechtsprechung hebt hervor, daß der Beweiswert eines, nur anonyme Bekundungen enthaltenen Beweismittels in der Regel gering sein wird. (13) Die gerichtliche Praxis zeigt aber, daß diese Einschätzung ein Lippenbekenntnis ist. Zumeist wird als bare Münze hingenommen, was über den VP-Führer an ‚Wissen‘ wiedergegeben wird.
In den Fällen, in denen die Betroffenen aus der Grauzone des Milieus, von gemeinsamem Konsum bzw. Dealgeschäften berichten, darf zwar unterstellt werden, daß die Ermittlungsbehörden von dieser Vorgehensweise ihrer VP Kenntnis haben, es kann jedoch nicht erwartet werden, daß sie erfolgreich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden können. Verteidigungsansätze ergeben sich allenfalls aus Beobachtungen des Beschuldigten. Kenntnisse von Einzelheiten der Begegnungen zwischen VP und Betroffenen können dann über einen Beweisantrag in Form eines Fragenkatalogs, welcher der V-Person zur weiteren Vernehmung vorgelegt werden muß, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Die Verweigerung dieses Rechts kann die Revision begründen. (14) Erfolgreich kann an der Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen stets dann gerüttelt werden, wenn sich markante Begegnungen rekonstruieren lassen. Der Zeuge ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO gehalten, im Zusammenhang von dem Gegenstand der Vernehmung zu berichten. Läßt sich im Wege des Beweisantragsrechtes ‚ermitteln‘, daß herausragende ‚Nebensächlichkeiten‘ in den Angaben der VP fehlen, wie z.B. ein markantes Treffen in der Wohnung des VP, bei dem der Betroffene auch noch übernachtet hat, wird für jedes Gericht deutlich, daß die Angaben und Bekundungen der VP unvollständig sind, so daß Zugeständnisse zumindest bei der Strafzumessung erreicht werden können.