von Jürg Lüdi und Heiner Busch
Wie schon 1993 hat der Schengener Exekutivausschuß auch im vergangenen Jahr Besuchsteams an die Außengrenzen der Vertragsgemeinschaft entsandt. Das Fazit ihres Berichtes: „Trotz aller Anstrengungen“ werde es nicht gelingen, „die absolute Undurchdringlichkeit der Außengrenzen zu gewährleisten“. [1]
Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) gibt den Vertragsstaaten in Art. 6 einen Kontrollstandard für die Außengrenzen vor. Alle Personen seien an den zugelassenen Grenzübergängen zumindest einer Paßkontrolle und einer Fahndungsabfrage im SIS und im jeweiligen nationalen Fahndungscomputer zu unterziehen. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten müssen zusätzlich eine „eingehende Kontrolle“, inkl. Durchsuchung mitgeführter Sachen, über sich ergehen lassen. Darüber hinaus sollen auch die „grüne“ bzw. die „blaue“ Grenze überwacht werden. Dazu müssen „Kräfte in ausreichender Zahl für die Durchführung der Kontrollen und die Überwachung der Außengrenzen zur Verfügung“ gestellt werden (Art. 6 Abs. 4).
Der Schengener Standard
Die Umsetzung dieses „gleichmäßigen Überwachungsstandards“ war seit der Unterzeichnung des SDÜ im Juni 1990 ein ständiges Thema. Schon 1991 verabschiedete der Exekutivausschuß ein Handbuch für die Kontrolle der Außengrenzen. Die Inkraftsetzung des SDÜ wurde mehrfach verschoben, u.a. mit der Begründung, einzelne Staaten würden ihre Grenzen nicht ausreichend sichern. Mit demselben Argument wurden auch die Aspiranten für die Aufnahme in den erlauchten Kreis der Anwender des SDÜ konfrontiert.
Die ständige Debatte hat ihre Wirkung gezeigt: die Grenzen des Wohlstands-europas wurden in den vergangenen Jahren sowohl personell als auch technisch massiv aufgerüstet. Die Besuchsteams bestätigen den Vertragsstaaten und den Aspiranten denn auch, sie hätten „beträchtliche Anstrengungen zur Anwendung des Schengener Durchführungsabkommens unternommen“.
Wirklich zufrieden scheint man dennoch allenfalls mit den Kontrollen auf den Flughäfen: Diese befänden sich „in der Regel auf sehr hohem Niveau“. Der „Intra-Schengen-Verkehr“, der keiner Kontrolle unterliegen soll, sei räumlich von dem „Extra-Schengen-Verkehr“ getrennt. Am Amsterdamer Flughafen Schiphol stellt das Besuchsteam gar ein „bahnbrechendes System“ fest. Hier erfolgt die Trennung von Binnen- und Außengrenze „durch die wechselseitige Öffnung und Schließung von Türen und die Verwendung von Aufzügen auf zwei Ebenen“. Allerdings bedürfe dieses System „besonderer Aufmerksamkeit“ des für die Automatik zuständigen Personals.
An allen internationalen Flughäfen der Schengener Staaten erfolge die Außengrenzkontrolle in zwei „Linien“ – einerseits einer normalen Schalterkontrolle, andererseits bei Verdacht auf gefälschte Reisedokumente zusätzlich durch „Beamte mit Spezialausbildung“ und „hochentwickeltem“ technischen Gerät. Bei „einwanderungssensiblen Flügen aus Risikostaaten“ werde meist direkt an den Flugzeugtüren kontrolliert.
An Land- und Seegrenzen sei eine „absolute Undurchdringbarkeit nur schwer“ zu gewährleisten. Bei hohem Verkehrsaufkommen an Land-Grenzübergängen sei an eine Fahndungsabfrage bei allen Reisenden nicht zu denken. In Seehäfen werfe die Kontrolle von Vergnügungs- und Kreuzfahrtschiffen Probleme auf, die systematische Kontrolle von Containern sei „aus materieller Sicht“ ganz unmöglich.
Mehr Personal, mehr Technik
Die Grenzen können nicht abgedichtet werden – und das trotz des hohen personellen Einsatzes der Grenzpolizeien, Zollbehörden oder gar des Militärs.
• Im Juni 1996 taten 4.685 Bundesgrenzschutz-Beamte Dienst an der deutschen Ostgrenze. Durch die BGS-Neuorganisation kommen weitere 1.500 hinzu. Die Zahl der Hilfspolizisten der „grenzpolizeilichen Unterstützungskräfte“ soll bei rund 1.000 bleiben. [2]
• Für seinen Schengen-Beitritt hat Österreich das Grenz-Personal massiv erhöht. Im Juli 1997 waren an Grenzübergängen zu Lande 2.141 Zollbeamte und Grenzwächter eingesetzt. Die „grüne Grenze“ wird ferner von 1.265 Grenzwächtern und 1.950 Soldaten des Bundesheeres überwacht.[3]
• In Frankreich ist in erster Linie die „Direction du contrôle de l’immigration et de la lutte contre l’emploi des clandestins“ (DICCILEC), die frühere „Police de l’air et des frontières“ (PAF) für die Überwachung der Grenzen zuständig. Sie wird saisonal verstärkt durch Beamte der Nationalpolizei, insbesondere der geschlossenen Einheiten (CRS).
• Italien verfügte 1997 über 5.000 Grenzpolizisten, inkl. Zoll und Carabinieri. Die Küsten überwachen Marine und Guardia di Finanza.
Enorm ist auch der technische Aufwand. Kaum ein Schengener Grenzübergang, der nicht an ein nationales Fahndungssystem und an das SIS angeschlossen ist. Über das neue EISICS (Europäisches Informationssystem für Einreisekontrollen in Seehäfen), das bereits von Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und Spanien eingesetzt wird, liegen derzeit keine weiteren Informationen vor. Daneben bedient man sich diverser anderer informationstechnischer Hilfsmittel wie Photophon („ein rechnergesteuertes Video- und Telefonsystem, das den Polizekräften ermöglicht, international über gewöhnliche Telefonverbindung verschiedene Festbilddokumente auszutauschen“) oder Datenbanken „zur Aufnahme von amtlichen Dokumenten“ (in den Niederlanden – EDISON, in Frankreich – SINDBAD).
Hinzu kommen Gerätschaften an den Grenzübergängen und an der „grünen“ Grenze, die die Überwachung der früheren Grenze zwischen den feindlichen deutschen Brüdern im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen lassen. Wegen ihrer „sehr fortschrittlichen“ technischen Ausrüstung loben die Besuchsteams insbesondere die BRD, die an den Ostgrenzen „ein umfassendes Entwicklungsprojekt vorweisen konnte“, mit dem allenfalls der Schengen-Neuling Österreich konkurrieren kann. Das Grenz-Arsenal beider Länder umfaßt u.a. Wärmebildgeräte, Infrarot- und Nachtsichtgeräte, CO2-Sonden, mit denen überprüft werden kann, ob sich in einem Container oder in einem geschlossenen Lastwagen auch menschliche Last verbirgt, Wandschichtdickenmeßgeräte, Leucht- und Stereolupen, Retroviewer, UV-Lampen und Detektionsgeräte für gefälschte Papiere etc. Die Kontrolle der Grenzen mit Helikoptern, mit Schnellbooten sowie mit motorisierten mobilen Streifen erscheint heute an allen Schengener Land- oder See-Außengrenzen selbstverständlich.
Die falschen Folgerungen
Aus der Unerreichbarkeit wirklich dichter Grenzen ziehen die Besuchsteams allerdings nicht den Schluß, die absurde Aufrüstung zu beenden. Im Gegenteil: „Die Anstrengungen, die sowohl auf eine höhere Kontrollebene als auch auf Verbesserungen im Bereich des Materialaufwandes, der Techniken und des Personalaufgebots zielen, müssen fortgesetzt werden.“ Dringend erforderlich seien Personalaufstockungen „an den Landgrenzen Spaniens und Frankreichs, den internationalen Flughäfen Belgiens, Luxemburgs und in geringerem Maße Spaniens sowie an den Seegrenzen Belgiens, Spaniens, Frankreichs und der Niederlande.“ Halbjährlich solle der Bedarf analysiert werden.
Die Standards des SDÜ und die ständigen Warnungen vor „unkontrollierbaren Wanderungsströmen“ zwingen die Schengen-Mitglieder und die Beitrittskandidaten zu permanenten Anpassungen. Statt dem repressiven politischen Ziel wird vor allem eines erreicht: Wer es schafft, die neuen Mauern und Festungsgräben zu überwinden, findet sich im Innern der Festung ohne rechtlichen Status wieder. Die steigende Zahl der „Sans-Papiers“, der Illegalisierten, dient wiederum als Rechtfertigung für mehr Kontrolle an den Grenzen und im Inland. Die Spirale dreht sich weiter.
Eine Insel in den AlpenDie Grenzen der Schweiz sind zugleich Schengener Außengrenzen. Dennoch werden Menschen mit dem roten Schweizer Paß nicht nach dem „Außengrenzenstandard“ kontrolliert. Nur Italien hat kurzfristig nach dem vollen Schengen-Beitritt im Oktober 1997 die Kontrollen verschärft. Mittlerweile ist auch hier die Normalität wieder eingekehrt. Kontrolliert wird von beiden Seiten selektiv – gemäß den beidseitigen Bedrohungsbildern. Und die beziehen sich auf AusländerInnen aus Ost- und Südost-Europa sowie aus der Dritten Welt. Auch in Sachen Kontrolltechnik gibt sich die „Insel“ Schweiz sehr europäisch. Wärmebild-, Infrarot- und Nachtsichtgeräte, Bewegungsmelder u.a. sind im Einsatz, CO2-Sonden werden getestet. Die Grenzstellen werden mit Videokameras überwacht, damit auch in der Nacht und bei dünner personeller Besetzung niemand unkontrolliert die Grenze passieren kann. Zuständig für die Kontrollen sind die Polizeien der Grenzkantone und das dem Finanzministerium unterstehende Grenzwachtkorps (GWK). Seit dem erneuten Massenexodus von AlbanerInnen im Sommer 1997 wurde das GWK im Tessin verstärkt durch 20 Bedienstete des Festungswachtkorps, einer Einheit von Berufssoldaten. 80 weitere sollen hinzukommen. J.L./ H.B.
Einreiseverweigerung, Festnahme, Zurückschiebung – Die „Lage an den Schengener Außengrenzen“
D |
SP |
F |
BE |
LUX |
NL |
P |
||
Einreiseverweigerung |
1995 1996 |
94.719 41.437 |
173.498 144.056 |
35.307 23.497 |
1.975 2.530 |
104 71 |
9.696 11.427 |
1.837 1.710 |
Festnahme in Grenznähe |
1995 1996 |
26.360 24.415 |
5.582 7.722> |
5.228 4.781 |
0 377 |
|||
Zurückschiebung in einen Drittstaat |
1995 1996 |
21.437 21.906 |
10.602 15.889 |
6.597 4.466 |
0 0 |
|||
Festhaltung wg. ge-/verfälschter Dokumente |
1995 1996 |
5.428 5.386 |
161 1.201 |
1.222 3.424 |
0 1.710 |
67 66 |
2.712 2.181 |
649 626 |
Festnahme von Schleusern |
1995 1996 |
2.092 2.114 |
285 |
0 108 |
5 2 |
Quelle: Jahresbericht zur Lage an den Außengrenzen der Staaten, in denen das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft gesetzt wurde, 1.1.1996-31.12.1996, Sch/I-Front (97) 42, 2. Rev., Brüssel, 20.3.1997