Eurojust – europäischer justizieller Wurmfortsatz?

„Die Einrichtung von Eurojust durch einen Beschluss im Sinne von Art. 34 Abs. 2 Buchst. c  EUV stellt den schnellsten Weg zur Durchführung der Empfehlung 46 des Europäischen Rats (Tampere) und zur Herstellung einer raschen Einsatzbereitschaft von Eurojust dar“, so heißt es in einem gemeinsamen Vermerk Portugals, Frankreichs, Schwedens und Belgiens an den Artikel 36-Ausschuss des Rates.[1] Dies schließe nicht aus, dass parallel über eine Konvention verhandelt würde.

Eile ist wieder einmal angesagt. Der Europäische Rat (ER) hatte in Tampere den Aufbau der „Einheit Eurojust“ beschlossen, in dem StaatsanwältInnen, RichterInnen und PolizeibeamtInnen vertreten sein sollen. Bis Ende 2001 soll das nicht näher benannte „Rechtsinstrument“ für das Funktionieren dieser Einheit fertig sein. Vertragsverhandlungen sind in dieser kurzen Frist nicht möglich, bleibt also nur ein bloßer ministerieller Beschluss, ein Ukas, der die Sache ohne viel Federlesen ins Laufen bringt. Für eine justizielle Institution, gar für die Vorläuferin einer EU-Staatsanwaltschaft, ist ein solcher ausschließlich auf die Exekutive abgestützter Entstehungsprozess fatal. Bisher liegen neben „ersten Überlegungen“ der Präsidentschaft, der oben zitierte Vermerk der vier Staaten sowie ein Papier des deutschen Bundesjustizministeriums (BMJ) vor.[2]

Gemäß dem gemeinsamen Vermerk sollen die Mitgliedstaaten (MS) mindestens eine VertreterIn zu Eurojust entsenden. Jeder Staat soll durch ein „nationales Mitglied“ im „Kollegium“ vertreten sein. Eurojusts Zuständigkeitsbereich würde die Delikte, für die Europol zuständig ist, umfassen sowie zusätzlich die Computerkriminalität, den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, Geldwäsche und Bestechung. Wenn die Zuständigkeiten von Europol ausgedehnt werden, sollen auch die von Eurojust „automatisch“ erweitert werden.

Der Vermerk unterscheidet zwischen den gemeinsamen Aufgaben von Eurojust und denen der nationalen Mitglieder. Zu den gemeinsamen Aufgaben zählt u.a. die Rolle als Clearing house, d.h. die Unterrichtung der nationalen Behörden über zusammenhängende Ermittlungen, sowie das Stellen von Ersuchen an einen MS, sich an einem gemeinsamen Ermittlungsteam zu beteiligen, Ermittlungen in einem bestimmten Fall aufzunehmen bzw. das jeweilige Verfahren einem anderen Staat zu übertragen. Solche Ersuchen sollen keinen rechtlich bindenden Charakter haben. Die MS können nach diesem Vorschlag die Aufgaben ihrer „nationalen Mitglieder“ anhand einer Stufenleiter selbst bestimmen. Die erste Stufe wäre die Unterstützung der Ermittlungsbehörden des eigenen Staates durch eine vermittelnde Rolle. Die zweite Stufe sieht die Beteiligung an einem gemeinsamen Ermittlungsteam nach Art. 13 des neuen EU-Rechtshilfeübereinkommens oder dessen Leitung vor. Die dritte Stufe wäre eine „impulsgebende Rolle“ – sei es durch die Anregung von Zusammenkünften der an einem Fall interessierten nationalen Behörden, sei es dadurch, dass das „nationale Mitglied“ von seinen nationalen Behörden die Aufnahme von Ermittlungen verlangen kann oder schließlich dass der jeweilige MS ihm die Rolle einer Gerichtsbehörde zuordnet. In diesem Fall könnte das Eurojust-Mitglied selbst Rechtshilfeersuchen stellen und beantworten, wäre also eine zentrale Schnittstelle u.a. für die Anordnung grenzüberschreitender verdeckter Polizeiaktionen (bzw. zumindest darauf gerichtete Anträge).

Praktisch würde Eurojust entweder von den nationalen Behörden
oder von Europol mit Arbeit versorgt. „Immer dann“, wenn Europol auf­grund seiner Analysen und Informationen den Moment für die Einleitung förmlicher Ermittlungsverfahren gekommen hält, soll das Haager Amt an Eurojust herantreten und eine entsprechende Koordination verlangen können. Europols Tätigkeit würde nicht von Eurojust kontrolliert, sondern umgekehrt, das Europäische Polizeiamt könnte selbst bestimmen, wann „ihm die vorliegenden Elemente ausreichend zu sein scheinen“, um Eurojust damit zu befassen. Auch auf EU-Ebene bliebe damit die Polizei „Herrin des Verfahrens“.

Im Unterschied zu den vier Staaten hat das BMJ einen bereits ausgearbeiteten Entwurf für einen Ratsbeschluss vorgelegt. Dieser geht zwar in die gleiche Richtung, ist aber inhaltlich erheblich informeller. Nicht ein förmliches Kollegium will das BMJ, sondern einen „Stab Eurojust“, der sich aus Verbindungsbeamten der MS zusammensetzen soll. Jeder Hinweis auf das erst nach der Ratifizierung durch acht MS in Kraft tretende Rechtshilfeübereinkommen fehlt. Eurojust soll „auf Anforderung“ die Analysetätigkeit von Europol „rechtsberatend“ unterstützen, den nationalen Behörden, Europol und der EU-Kommission Auskünfte über den Stand von Ermittlungsverfahren und über Verurteilungen erteilen und Kontakte herstellen sowie „Unterstützung zur Koordinierung und zur Durchführung gemeinsamer Ermittlungen … leisten.“ Konkret wird es nur in Art. 6, der die Vernetzung der nationalen Straf- und Verfahrensregister vorsieht. Die offene Formulierung der Aufgaben gewähr-
leistet, dass der neue „Stab“ rasch installiert werden kann.

Der Aufbau von Europol begann 1993 mit einer ministeriellen Vereinbarung, die für über fünf Jahre die Tätigkeit eines rechtlichen Provisoriums, der Europol-Drogeneinheit, ermöglichte. In ähnlicher Weise will man offenbar auch im Falle von Eurojust ein fait accompli schaffen.

(Heiner Busch)

[1]      Überlegungsansätze zu Eurojust, Dok. 7384/00 Eurojust 1 CATS 21 v. 28.3.2000
[2]     Exploratory Thoughts concerning Eurojust, Dok. 5700/99 CATS 7 v. 4.2.2000; Initiative der Bundesrepublik Deutschland für einen Beschluss zur Errichtung eines Stabes Eurojust, Dok. 8700/00 Eurojust 2 CATS 40 v. 22.5.2000