Archiv der Kategorie: CILIP 066

(2/2000) Bürger – Nachbarn – Kontrolleure

Literatur

Zum Schwerpunkt

Dass Sicherheit eine Angelegenheit der BürgerInnen sein könnte, ist eine den deutschen Sicherheitsexekutiven fremde Vorstellung. Zu tief sitzt das Misstrauen der Bürokratie gegen den Souverän. Deshalb galten die BürgerInnen herkömmlicherweise sicherheitspolitisch nur etwas als Informanten oder Denunzianten. Allein für den Notfall, sollte das Vaterland gegen äußere und innere Feinde mit Waffengewalt verteidigt werden müssen, sollte es angelernten FreizeitpolizistInnen erlaubt sein, Sicherheit und Ordnung im Alltag zu gewährleisten. Unter den gewandelten Voraussetzungen haben sich in den 90er Jahren auch die Einstellungen gegenüber den BürgerInnen geändert. Sie wurden als eine zusätzliche Ressource entdeckt, mit der zugleich Haushaltsengpässe gemildert, uniformierte Präsenz verstärkt und kleinräumige soziale Kontrolle intensiviert werden kann. Kennzeichnend bleibt jedoch auch für die jüngere Entwicklung, dass die BürgerInnen nur als Zuträger und verlängerter Arm der Polizeien in Erscheinung treten.

Die neuen bzw. modernisierten Laien- und Quasipolizeien sind in der Literatur bisher kaum gewürdigt worden. Im Folgenden geben wir nur kurze Hinweise auf die wichtigsten Beiträge. Literatur weiterlesen

Chronologie

von Andrea Böhm

März 2000

03.03.: Rekordsicherstellung von Haschisch: In einem türkischen Lastzug findet der Zoll am deutsch-polnischen Grenzübergang Frankfurt (Oder) 4,5 Tonnen Haschisch. Bezogen auf den Schmuggel auf dem Landwege ist dies die bisher größte Beschlagnahme dieser Droge.
Grenzschützer wegen Drogenhandel verurteilt: Das Landgericht Frankfurt a.M. verhängt Haftstrafen von sechs Jahren und drei Monaten bzw. vier Jahren und drei Monaten gegen zwei am Flughafen eingesetzte Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS). Sie hatten einen Mann mit 200 Gramm Kokain aus dem Flughafen herausgeschleust. Bei einem größeren Scheingeschäft waren sie gefasst worden.
Abschiebung von „Mehmet“ in die Türkei bestätigt: Laut Urteil des Münchner Verwaltungsgerichts haben die Münchner Behörden dem heute 15-jährigen Muhlis A. (alias „Mehmet“) 1998 zu Recht eine neue Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Der in der BRD geborene und damals strafunmündige Türke war mehrmals durch Schlägereien aufgefallen. Chronologie weiterlesen

§ 129b StGB – Steilvorlage aus Europa – Mit EU-Druck zur Ausweitung des politischen Strafrechts

von Mark Holzberger

Ein neues Jahrtausend und eine rot-grüne Bundesregierung – Anlass genug, um auf eine Entrümpelung der unseligen deutschen Anti-Terror-Gesetze zu hoffen? Wohl kaum. Über die Schiene der EU gerät die BRD, nicht ohne selbst dabei eifrig mitgewirkt zu haben, unter einen entgegengesetzten, repressiven Handlungsdruck: Sie muss die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verfolgung im Ausland operierender „krimineller“ und „terroristischer“ Vereinigungen schaffen.

Der 1976 ins Strafgesetzbuch (StGB) eingefügte § 129a, der Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung sowie Werbung für eine „terroristische Vereinigung“ unter Strafe stellt, bildet das Zentrum des deutschen Staatsschutzstrafrechts. Er ist Anknüpfungsnorm für eine lückenlose polizeiliche Überwachung, für die Aushöhlung der Rechte von Beschuldigten sowie gegebenenfalls deren Isolations-Haftbedingungen. § 129b StGB – Steilvorlage aus Europa – Mit EU-Druck zur Ausweitung des politischen Strafrechts weiterlesen

Krokodilstränen um tote MigrantInnen – Die EU und die Lehren aus Dover

von Mark Holzberger

Der Schock über den Tod von 58 heimlichen GrenzgängerInnen, die in der Nacht zum 19. Juni im Frachtraum eines Lastwagens in Dover gefunden worden waren, war nur kurz. Abgelöst wurde er durch hektische Aktivitäten, die polizeiliche Bekämpfung der sog. Schleuserkriminalität zu verbessern. Ein Irrweg.

Der Tod der in einem niederländischen LKW versteckten chinesischen MigrantInnen konnte grausamer kaum sein. Nach einer monatelangen Odyssee über Peking, Russland, die Ukraine, Tschechien, die BRD und die Niederlande waren die ChinesInnen aus der Provinz Fuquing endlich auf britischem Boden angelangt. Dann stand der mit Tomaten beladene LKW aber stundenlang in der an diesem 18. Juni auch in Großbritannien herrschenden Hitze. Die Temperaturen im Frachtraum waren unerträglich und die Atemluft wurde knapp. Alles Schreien und Trommeln half nichts. Nur zwei Menschen überlebten verletzt und traumatisiert. Die anderen 58 starben einen qualvollen Erstickungstod. Krokodilstränen um tote MigrantInnen – Die EU und die Lehren aus Dover weiterlesen

Rechte Spitzel des Verfassungsschutzes – Nicht nur in Thüringen

von Christoph Ellinghaus

„Hinsichtlich der als V-Mann anzuwerbenden Personen gibt es kaum rechtlich verbindliche, die eine oder andere Personengruppe … ausschließende Kategorien.“ So heißt es in einem führenden Kommentar zum Recht der Nachrichtendienste.[1] Dessen Autor, Helmut Roewer, wurde im Juni vom Posten als Chef des Thüringer Verfassungsschutzes suspendiert. Das Amt – so ein Bericht des ZDF-Politmagazins Kennzeichen D vom 7. Juni – hatte über Jahre hinweg den Neo-Nazi Thomas Dienel als V-Mann geführt.

Wie Innenminister Christian Köckert (CDU) am Tage nach der Kennzeichen D-Sendung bestätigte, hat Dienel 1996-97 insgesamt 25.000 DM Honorar für die Informationen erhalten, die er dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) bei rund 80 Kontakten lieferte. Dienel selbst ließ verlauten, das Geld, das er stets als Spende verstanden habe, u.a. für die Herstellung von Propagandamaterial der rechtsextremen Szene verwendet zu haben. Darüber hinaus habe er Informationen über Polizeieinsätze und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erhalten. Man habe ihm auch Unterstützung bei laufenden Gerichtsverfahren zugesichert. Rechte Spitzel des Verfassungsschutzes – Nicht nur in Thüringen weiterlesen

Herbsttagung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom 15.-17. September 2000 in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Arnoldshain

„Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland“ – Polizei und Bürgerrechte in den Städten

Tagungsprogramm

Freitag, den 15.9.2000

Anreise bis 18.30 Uhr
19.30 Uhr: Prof. Dr. Roland Roth, Berlin: Begrüßung
20.00 Uhr: Prof. Dr. Fritz Sack, Hamburg: Prävention als staatliches Sicherheitsversprechen – Wandlungen des Gewaltmonopols in Deutschland

Samstag, den 16.9.2000

Arbeitsgruppen von 9.30 Uhr bis 12.30 Uhr
AG 1: Neue polizeiliche Befugnisse in der Praxis (Prof. Dr. Martin Kutscha, Berlin; Martin Herrnkind, BAG Kritische PolizistInnen)
AG 2: Gemeinde als Ordnungsraum: Kommunale Satzungen und die Verdrängung von Randgruppen (Prof. Dr. Wolfgang Hecker, Wiesbaden; Stephan Lanz, spacelab, Berlin, Frankfurt/M.)
AG 3: Lokale Sicherheitsstrategien zwischen Prävention und Repression (Christine Hohmeyer, Martina Kant, PD Dr. Norbert Pütter, Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit / CILIP, Berlin)

Arbeitsgruppen von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr
AG 4: Privatisierung öffentlicher Räume (Dr. Hubert Beste, Frankfurt)
AG 5: Kontrolltechnologien im öffentlichen Raum, insbes. Videoüberwachung (Dr. Detlef Nogala, Freiburg)
AG 6: Kontrolle der Polizei durch die BürgerInnen (Bonner Forum Bürger und Polizei; Antirassismusbüro Bremen)
ab 17.30 Uhr bis 18.30 Uhr: Plenumsdiskussion: Fragestellungen, bürgerrechtliche Perspektiven
ab 20.00 Uhr: ggf. Fortsetzung Plenumsdiskussion
ab 21.00 Uhr: Themenbezogenes Kabarett

Sonntag, den 17.9.2000

9.00 Uhr: N.N., Lokale Sicherheit im Kontext vielfältiger Entgrenzungen
10.30 Uhr: Aussprache, Plenum und Vorhaben (Erklärung, Arbeitsgruppe)
13.00 Uhr: Mittagessen und Tagungsende Herbsttagung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom 15.-17. September 2000 in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Arnoldshain weiterlesen

Wachsame Nachbarn – Lokale Gemeinschaften im Dienst der Sicherheit

von Christine Hohmeyer

Raschelnde Gardinen, argwöhnisch beäugte Fremde oder der kontrollierende Blick über den Gartenzaun – wachsame Nachbarn sind in Deutschland altbekannt. Relativ neu sind dagegen die Bemühungen der Polizei, deren Kontrollpotentiale in eigene Programme einzubinden. Nachbarschaftsinitiativen stützen vor allem eine symbolische Politik, mit der die Verantwortung für soziale Probleme auf das wiederentdeckte Gemeinwesen abgewälzt werden soll.

„Nachbarn schützen Nachbarn“, so hieß schon eine Schwerpunktaktion im Kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogramm 1984. Plakate und Broschüren verrieten, wie Nachbarn leerstehende Häuser schützen oder auf ältere MitbürgerInnen achten können. Während sich dieses Programm noch vorwiegend auf technische Beratung und Verhaltenstipps beschränkte, rückte gut ein Jahrzehnt später der nachbarschaftliche Gemeinsinn in den Mittelpunkt. „Diesmal sollen interessierte und engagierte Bürger für die Idee der Hausgemeinschaften und Nachbarschaftshilfen gewonnen werden“,[1] hieß es 1996 zum Auftakt der bundesweiten Aktion „Vorsicht! Wachsamer Nachbar“. Daran beteiligt waren die Innenministerkonferenz, der Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag, der Verband der Schadensversicherer und die Polizei. Gesucht wurden „neue Wege in unseren Bemühungen …, nachbarschaftliche Aufmerksamkeit und gegenseitige Verantwortung wieder zu tragenden Elementen der Kriminalitätsverhütung im Gemeinwesen auszubauen.“[2] Wachsame Nachbarn – Lokale Gemeinschaften im Dienst der Sicherheit weiterlesen

Streifen der Ordnungsämter – Zwischen Service, Sauberkeit und Ordnung

von Norbert Pütter

Trotz des Geredes über den „aufgeblähten öffentlichen Dienst“, die hohen Personalkosten und den Zwang zum Sparen gibt es Bereiche, die derzeit einen regelrechten Boom erleben. Die uniformierten Streifen der kommunalen Ordnungsämter zählen zweifellos zu den prosperierenden Verwaltungszweigen. Keine Stadt, die etwas auf sich hält, keinE LokalpolitikerIn, die sich in Szene setzen will, scheint auf die (neuen) Ordnungsamts-Streifen verzichten zu wollen.

Die Spannweite der praktizierten Modelle ist erheblich. Die lokalen Steifen unterscheiden sich sowohl in der Finanzierung als auch in Aufgabenstellung und Kompetenzen. Am unteren Ende des ordnungsamtlichen Engagements stehen jene „ABM-Streifen“, in denen Langzeitarbeitslose befristet mit Geldern der Arbeitsverwaltung angestellt werden.[1] In der Regel sind die Aufgaben dieser Trupps auf einen allgemeinen Service- und Ordnungsdienst beschränkt. Unter Bezeichnungen wie „Stadtwacht“ (Oer-Erkenschwieck), „Park Ranger“ (Hannover) oder „City Service“ (Dorsten) sollen sie durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum „Fehlverhalten vermeiden helfen, Personen auf Fehlverhalten ansprechen sowie Beschädigungen und Verunreinigungen öffentlicher Einrichtungen melden. Außerdem dienen sie Besuchern der Stadt als Ansprechpartner.“[2] In der Regel verfügen diese Streifen, die an Uniformjacken mit der Aufschrift „Ordnungsamt“ oder „Stadtwache“ etc. erkennbar sind, über keine Sanktionsmöglichkeiten. Sie sollen – so der Anspruch – durch ihre Anwesenheit das Sicherheitsgefühl steigern und Auffälligkeiten den Verwaltungen melden. Streifen der Ordnungsämter – Zwischen Service, Sauberkeit und Ordnung weiterlesen

Arbeit, Angst und Attraktionen – Arme gegen Arme und das Bernauer „Modell Bürgerhelfer“

von Volker Eick

1998 lieferte die brandenburgische Stadt Bernau eine neue Variante unter den vielen informellen Kontrollagenturen, die seit den 90er Jahren vor allem auf kommunaler Ebene entstanden sind: Sie ließ sich ihre „Bürgerhelfer“ als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) vom Arbeitsamt finanzieren. Auch andernorts erobert die „Innere Sicherheit“ einen neuen Exerzierplatz: den sog. Zweiten Arbeitsmarkt.

Nach Jahrzehnten der Zentralisierung hat die Politik Innerer Sicherheit in den 90er Jahren die „Gemeinde“ neu entdeckt. Präventionsräte und allerlei Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften schießen wie die Pilze aus dem Boden. Von politischer wie polizeilicher Seite werden gerade die fehlende Formalisierung und die Heterogenität dieser Modelle und Pilotprojekte als besonders wünschenswert herausgestellt, auch von Wissenschaftlern wird gelegentlich einer solchen „Orientierung“ das Wort geredet.[1] Arbeit, Angst und Attraktionen – Arme gegen Arme und das Bernauer „Modell Bürgerhelfer“ weiterlesen

Reserve hat niemals Ruh – Die unendliche Geschichte der Freiwilligen Polizei-Reserve Berlin

von Wolfgang Wieland

Dass die Freiwillige Polizei-Reserve den Kalten Krieg und etliche Skandale überstand, ist ein Wunder. Nach jedem Läuten des Totenglöckleins kam ein Wiedererstarken und ein Kompetenzzuwachs. Heute hat die in Freiwilliger Polizeidienst (FPD) umbenannte Reserve die Rolle eines allgegenwärtigen Hilfssheriffs. Nach einem zweiwöchigen Grundlehrgang stellt der Staat Uniform und Schusswaffe. Attraktiv ist die Reserve deshalb auch für die Halbwelt, für Law-and-order-Typen, für die rechtsradikale Szene.

Die Freiwillige Polizei-Reserve Berlin (FPR) ist ein Kind des Kalten Krieges. Erste Pläne für ihren Aufbau schmiedete schon der legendäre Nachkriegsbürgermeister Ernst Reuter, der von den Pfingsttreffen der FDJ und den bis zum Schusswaffengebrauch gehenden Auseinandersetzungen beim Eisenbahnerstreik der vom Osten betriebenen Reichsbahn beunruhigt war. Mit der Einrichtung wurde 1960, also noch vor dem Bau der Mauer, unter dem SPD-Innensenator Joachim Lipschitz begonnen. Zwei Drittel der Rekrutierten, so stellte die Presse damals fest, hatten schon in der großdeutschen Wehrmacht Waffenerfahrungen an Karabinern und Maschinenpistolen gesammelt. Die Polizeireservisten kamen von Beginn an großenteils aus dem öffentlichen Dienst der Frontstadt, auf dessen Angehörige man „sanften Druck“ ausübte. Allgemein galt die FPR als notwendiges Gegengewicht zu den Betriebskampfgruppen im Ostteil der Stadt. Man erwartete buchstäblich, dass die „Insurgenten aus dem Osten“ durch die U- und S-Bahnschächte eindringen würden. Reserve hat niemals Ruh – Die unendliche Geschichte der Freiwilligen Polizei-Reserve Berlin weiterlesen