Koordinieren und informieren – Neue Formen der Kooperation von Polizei und Diensten

von Stephan Stolle und Albrecht Maurer

Seit Anfang der 90er Jahre haben Geheimdienste, Polizei und Strafverfolgungsbehörden neuartige Kooperationsformen entwickelt. Das Ziel: Konkrete Zusammenarbeit und Abstimmung von Maßnahmen in bestimmten Bereichen von gemeinsamem Interesse. Aus der verfassungsrechtlich vorgegebenen Trennung von Polizei und Geheimdiensten wird so eine systematische Zusammenführung.

Am 1. April 1991 wird der Chef der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder in seinem Haus in Düsseldorf erschossen. Es ist das letzte Attentat der RAF auf einen führenden Repräsentanten des Staates oder der Wirtschaft. Einen Monat danach, am 3. Mai, tritt in Bonn die Innenministerkonferenz zusammen und beschließt ein ganzes Paket von Maßnahmen: Verfassungsschutz und Polizei sollen ihren Informationsaustausch auf Bundes- und Landesebene „unter voller Ausnutzung des rechtlich zulässigen“ intensivieren. Die „Erkenntnisse sämtlicher Sicherheitsbehörden und des Justizbereichs“ seien in Bundes- und Landeslagebildern zu verwerten. Die Überwachung der RAF-Gefangenen sei zu verschärfen und Erkenntnisse „zügig … an alle zuständigen Sicherheitsbehörden“ weiterzuleiten. Voll ausgeschöpft werden soll der rechtliche Rahmen auch beim Personenschutz – durch verdeckte Maßnahmen der Polizei und den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel des Verfassungsschutzes.

Unter Punkt 4 der Beschlussniederschrift heißt es dann lapidar: „Die Innenminister/-senatoren der Länder nehmen zur Kenntnis, dass beim Bundeskriminalamt (BKA) eine Koordinierungsgruppe eingerichtet wird, der als weitere ständige Mitglieder Vertreter der Länder, des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Generalbundesanwalts (GBA) angehören.“ Die beiden Sätze sind die Geburtsurkunde der „Koordinierungsgruppe Terrorismus“ (KGT). Was die Gruppe genau tun soll und welche Rolle sie für die zuvor genannten Elemente des ministeriellen Maßnahmepakets hat, geht aus dem Protokoll nicht hervor.

Einen Informationsaustausch in Sachen Terrorismus zwischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden einerseits und Geheimdiensten andererseits hatte es bereits vorher gegeben. Vertreter des BKA, des GBA sowie von BfV und BND hatten sich seit 1982 vierteljährlich zusammengesetzt. Schon von der Anzahl der Sitzungen her repräsentierte die KGT dagegen eine erheblich intensivere Zusammenarbeit. Bis Ende 1991, also in etwas über einem Jahr, hatte sie 29-mal getagt.[1] Nach der Anlaufphase traf man sich alle 14 Tage in großer Runde, d.h. mit Beteiligung der Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder. Vertreter der beteiligten Bundesstellen – der Abteilungen für Terrorismusbekämpfung des BKA und des BfV sowie des Referats Fahndung des GBA – kamen dagegen wöchentlich zusammen.

Dass die KGT „einen über die bisher praktizierten Formen der Zusammenarbeit hinausgehenden Ansatz“ darstellte, war auch dem Bundesinnenministerium (BMI) bewusst. In einem als „Verschlusssache“ klassifizierten Bericht vom 18. Juni 1991 hielt es fest, dass die Kooperation „zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Justiz … verdichtet“ würde. Dies könne „natürlich nur auf der Grundlage geltenden Rechts“ geschehen. Da aber die KGT „auf der Grundlage gemeinsamer, einstimmiger Beschlussfassung“ der IMK tätig würde, „wird ihren Vorschlägen ungeachtet der bestehenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen eine gewisse Verbindlichkeit zukommen.“[2] Damit war die Trennung von Polizei und Geheimdiensten bis auf eine dünne Membran reduziert, die nicht nur einen umfassenden Informationsaustausch, sondern darüber hinaus ein enge organisatorische Abstimmung zwischen beiden Seiten ermöglichte. Während das BMI in seinem internen Papier konsequenterweise die erwartete „gewisse Verbindlichkeit“ herausstreicht, betont es in der Öffentlichkeit des Bundestages die getrennte Zuständigkeit der KGT-Mitglieder. In der reichlich zugeknöpften Antwort auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke heißt es, die Gruppe sei keine neue Behörde und habe auch keine „eigenständigen Befugnisse oder Weisungsrechte gegenüber anderen Stellen“. Zwar hätten die Beteiligten „innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches“ Zugang zu ihren je eigenen Informationssystemen, die KGT führe jedoch keine eigenen Dateien.[3]

Nach dem zitierten Bericht vom Juni 1991 stand „im Vordergrund der Arbeitsplanung“ die Arbeit an dem Fahndungskonzept „POS (= Personen- und Objektschutz) 106“. Dieses sollte den Schutz bedrohter Wirtschaftsführer vor Anschlägen der RAF auch durch das Ausleuchten ihres Umfeldes mit verdeckten polizeilichen resp. nachrichtendienstlichen Mitteln gewährleisten. Die erste Aufgabe der KGT bestand wohl darin, die Zahl der zu schützenden Personen zu reduzieren und damit die aufwändige verdeckte Fahndung überhaupt erst zu ermöglichen.

Wie eng die Kooperation gerade im Bereich der Fahndung war, zeigt die allerdings missratene Festnahmeaktion auf dem Bahnhof Bad Kleinen am 27. Juni 1993, die nur aufgrund der Tätigkeit des vom rheinland-pfälzischen Landesamt für Verfassungsschutz geführten V-Mannes Klaus Steinmetz möglich wurde. Die KGT hatte hierbei zunächst in der Planung eine bedeutende Rolle und gab Empfehlungen u.a. zum Schutz des V-Mannes ab.[4] Auch die öffentliche Demontage zweier Augenzeugen der Aktion, bei der das RAF-Mitglied Wolfgang Grams und der GSG 9-Beamte Michael Newrzella erschossen wurden, wird in Kommentaren und Berichten der KGT zugeschrieben.[5]

Ob die KGT neben ihren operativen und informationellen Aufgaben auch eine Rolle als Beratungsgremium für die Ministerebene wahrnahm, ist umstritten. Anfang 1992 bezeichneten diverse Medien die Initiative des damaligen Bundesjustizministers Klaus Kinkel, die den zusammenarbeitungswilligen RAF-AussteigerInnen Strafnachlässe in Aussicht stellte, als originäres Produkt der Debatten in der KGT.[6]

Koordination gegen Rechts

Das Rezept der KGT blieb aber nicht auf den Kampf gegen die RAF und ihr Umfeld beschränkt. Im Dezember 1992 konstituierte sich – zunächst als Untergruppe der KGT – die „Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/-terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte“ (IGR), an der derselbe Kranz von Bundes- und Landesbehörden beteiligt ist. Die Geschäftsführung liegt dieses Mal aber nicht beim BKA, sondern beim BfV – aus „sachlichen Gründen“, die die Bundesregierung auf eine Anfrage von Ulla Jelpke aber nicht näher erläutert.[7]

Die Antworten, die Jelpke 1995 zur IGR erhielt, sind an vielen Punkten wortgleich mit denen zur KGT von 1992: Die IGR habe keine eigenen Befugnisse oder Weisungsrechte und führe auch keine eigenen Dateien. Auch die IGR soll „alle rechtlichen Möglichkeiten“ ausschöpfen, die bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz vorhandenen Erkenntnisse zusammenführen und damit gegebenenfalls „koordinierte landes- und bundesweite Exekutivmaßnahmen“ vorbereiten. Im Unterschied zur KGT darf sich die IGR Erfolge an die eigene Brust heften. Sie habe mitgewirkt bei der Durchführung von Vereinsverboten (Wiking Jugend 1994, FAP 1995), bei Razzien gegen „Bezieher und Verteiler rechtsextremistischen Schriftguts“ und wirke auch bei der Verhinderung von Neonazi-Treffen mit.

Bis März 1995 hat die IGR insgesamt 29 Sitzungen absolviert. „In der Regel werden im Jahr jeweils vier IGR Bund/Ländersitzungen sowie entsprechende Vorbereitungssitzungen der IGR-Bund durchgeführt.“ Hinzu kamen Unterarbeitsgruppen zu „Nachfolgeaktivitäten“ nach dem Verbot von Organisationen, zu den Erfassungskriterien rechter Straftaten sowie zum Internet. An Letzterer waren nur BKA, BfV und GBA beteiligt, sie sollte „durchführbare“ Maßnahmen gegen die rechte Internet-Propaganda entwickeln.[8]

Einige Länder haben mit eigenen Koordinierungsgruppen nachgezogen. So dehnte Baden-Württemberg den Arbeitsbereich seiner „Koordinierungsgruppe Terrorismus/Extremismus“ auf „rechtsextremistische/ fremdenfeindliche Straftaten“ aus. Im Oktober 1998 richtete Thüringen im Landeskriminalamt (LKA) eine „Zentralstelle zur Bekämpfung des Extremismus“ ein, an der auch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beteiligt ist.[9]

Vor und nach dem 11. September

Seine dritte Auflage erlebte das Koordinierungsgruppen-Konzept nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Bereits am 28. September trat eine „Koordinierungsgruppe Internationaler Terrorismus“ (KGIntTE) zusammen, die in ihrer Breite erheblich über die beiden Vorläuferinnen hinausgeht: Vorsitz und Geschäftsführung liegen auch hier wieder beim BKA. Beteiligt sind erstens der Generalbundesanwalt, zweitens sämtliche Geheimdienste – vom BfV und den LfV über den Bundesnachrichtendienst (BND) bis zum Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr –, drittens Vertreter der AG Kripo (Leiter des BKA und der Landeskriminalämter) und viertens Vertreter der Unterarbeitsgruppe „Führung, Einsatz, Kriminalitätsbekämpfung“ des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz. Die Arbeitsgruppe dient vor allem der ständigen Fortschreibung von Lagebildern. Sie erstellte vor Beginn des Irak-Krieges „alternative Lageszenarien“.[10] Sie erarbeitete auch die Kriterien der Rasterfahndung, die republikweit ab Ende September 2001 anlief, und befasste sich mit einem „Gefährderprogramm“, das abgestufte Maßnahmen von der „Abklärung“ über die (verdeckte) Observation bis hin zur (direkten) „Ansprache“ vorsieht.[11] Das Konzept, so der BKA-Oberstaatsschützer Manfred Klink, sei „unter Einbeziehung der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden des Bundes arbeitsteilig von den Landeskriminalämtern und den Landesämtern für Verfassungsschutz“ umgesetzt worden.[12]

Lange vor dem 11. September hatten sich BKA, BND und BfV auf das Konzept des beim BKA angesiedelten Informationboards geeinigt. In seinem Bericht vom 30. Juli 2001 stellt das BMI zwei Pilotprojekte vor:[13] Jenes über das „Netzwerk arabischer Mudjahedin“ war schon im April angelaufen und sollte „alle relevanten verfügbaren Informationen und Hintergrundinformationen“ zu diesem Bereich in die entsprechende Arbeitsgruppe der drei beteiligten Behörden einbringen. An der zweiten Arbeitsgruppe – „Schleusungen über die Tschechische Republik“ –, dessen Beginn für Mitte September geplant war, sollten sich zusätzlich die Grenzschutzdirektion, das Zollkriminalamt, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das Bundesverwaltungsamt, das das Ausländerzentralregister betreibt, sowie die Landeskriminalämter und LfV Bayerns und Sachsens beteiligen. Als Ziele nennt das BMI u.a. die „Identifizierung von Tätern und Hinterleuten, die Initiierung von Ermittlungsverfahren (und) die Einziehung von Gewinnen“. Nach dem 11. September wurde der Arbeitsauftrag für die Gruppe ausgeweitet: Sie sollte nun vor allem nach 18-40-jährigen Asylsuchenden und Einwanderern arabischer Herkunft Ausschau halten.[14] Die Gruppe bedient zudem eine „Auswertedatei“, in der die Informationen der verschiedenen Stellen zusammengetragen werden.[15] Ein drittes Projekt startete bei der Finanzermittlungseinheit (FIU) des BKA und widmete sich der „Finanzierung des Terrorismus“.[16] Ein Informationboard, so erklärt die FIU in ihrem Jahresbericht 2002, sei nicht auf Einzelfälle bezogen, sondern „auf Permanenz und Institutionalisierung angelegt.“

Damit benennt sie eines der wesentlichen Kennzeichen der neuen Formen der Kooperation zwischen Polizei und Geheimdiensten. Spätestens seitdem die IMK auf ihrer Tagung am 7. und 8. Juli dieses Jahres die Einrichtung einer gemeinsam von Verfassungsschutz und Polizei betriebenen „Islamisten“-Fundstellendatei und eines gemeinsamen Lagezentrums beschlossen hat, kann von einem auf Einzelfall- oder anlassbezogenen Informationsaustausch nicht mehr die Rede sein. Dass von offizieller Seite immer noch betont wird, das Trennungsgebot werde nicht angetastet, ist vor diesem Hintergrund einfach grotesk.

Stephan Stolle ist Mitarbeiter bei Bürgerrechte & Polizei/CILIP. Albrecht Maurer publiziert zu Themen aus dem Bereich „Innere Sicherheit“, er lebt in Göttingen.

[1] Woche im Bundestag v. 29.1.1992

[2] BMI: Bericht über die Einrichtung einer Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung beim BKA, dokumentiert in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 42 (2/1992), S. 30-32 (32)

[3] BT-Drs. 12/1033 v. 6.8.1991

[4] Bundesregierung: Zwischenbericht zu der Polizeiaktion am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen v. 12.7.1993, S. 23 f.

[5] analyse & kritik Nr. 357 v. 25.8.1993

[6] mit weiteren Nachweisen, Diederichs, O.: Die Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 42 (2/1992), S. 24-28 (26 f.)

[7] BT-Drs. 13/854 v. 10.4.1995 und 13/5795 v. 5.10.1995

[8] BT-Drs. 13/6042 v. 7.11.1996

[9] Süddeutsche Zeitung v. 9.12.1993; die tageszeitung v. 7.7.1998

[10] BT-Plenarprotokoll 15/104 v. 28.4.2004, S. 9395 f.

[11] Ziercke, J.: Neue Sicherheitsarchitektur für Deutschland, in: Kriminalistik 2002, H. 6, S. 342-351 (350)

[12] Klink, M.: Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: Die Kriminalpolizei 2002, H. 3, S. 84-89 (88)

[13] Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit zwischen BKA, BND und BfV im Rahmen des Informationboards, BT-Innenausschuss, Ausschussdrucksache 14/532 v. 15.8.2001

[14] Ziercke a.a.O. (Fn. 11), S. 350

[15] Bundesbeauftragter für den Datenschutz: Tätigkeitsbericht 2001-2002, Abschnitt 13.2.1.

[16] BKA, Financial Intelligence Unit: Jahresbericht 2002, Wiesbaden 2003, S. 18