von Heiner Busch
Die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus zwinge den Staat zur Überprüfung seiner „Sicherheitsarchitektur“, so tönt es aus allen Sprachrohren der etablierten Parteien. Die BauplanerInnen diskutieren über noch mehr Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Polizei sowie eine Zentralisierung der „Sicherheitsbehörden“.
„Schily will Kampf gegen den Terror an sich ziehen“, titelte die „Süddeutsche“ am 18. Juni dieses Jahres. Der Bundesinnenminister habe in einem Brief an seine Kollegin vom Justizressort gefordert, das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit „einem klaren Weisungsrecht gegenüber den bisher autonom arbeitenden Länderbehörden“ auszustatten, um „Überschneidungen, Doppelarbeit, Reibungsverluste und Informationsdefizite“ in der Terrorismusbekämpfung zu vermeiden. Die Übernahme der rund 2.800 Bediensteten der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) würde den Bund jährlich 200 Millionen Euro kosten, ließ der Minister errechnen.
Schilys über die Presse lancierter Vorstoß ist nur eine weitere Drehung des Debattenkarussells, das seit dem 11. März, seit den Anschlägen in Madrid, in ständiger Bewegung ist. Bereits im März hatte der Bundesinnenminister einer Zentralisierung des Verfassungsschutzes und einer Stärkung des BKA im präventiven Bereich das Wort geredet.
Ähnliches kam von der nordrhein-westfälischen CDU und ihrem Vorsitzenden Jürgen Rüttgers: „In Deutschland“, so verkündete er, „besteht ein sicherheitspolitisches Behördenwirrwarr.“ Im Bund und den Ländern seien mehr als 30 Institutionen für die Sicherheit verantwortlich, zu viele also. Das Festhalten an 17 Verfassungsschutzämtern stelle „ein sicherheitspolitisches Risiko“ dar. Deren Aufgaben sollten in einem Bundesamt mit regionalen Niederlassungen „etwa einem Verfassungsschutzamt Süd oder Mitte“ gebündelt werden. Bündelung sei aber kein Synonym für Standortkonzentration, „das wäre kontraproduktiv“. Darüber hinaus sei der Bundesgrenzschutz (BGS) zu einer „wirklichen Bundespolizei“ umzubauen und das BKA mit dem Zoll zu „verklammern“. Nachrichtendienste und Polizei sollten zwar getrennt bleiben, aber auf einer „oberen Netzebene“ kooperieren. Die Sicherheitsbehörden bräuchten dazu eine gemeinsame „Datenbank Terrorismus“.[1]
Die SicherheitsexpertInnen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion errechneten gar eine Zahl von 37 Sicherheitsbehörden bei Bund und Ländern und forderten, die Terrorismusbekämpfung zur Bundesaufgabe zu machen. Anders als ihre KollegInnen aus Nordrhein-Westfalen lehnten sie aber eine Abschaffung der LfV ab. Stattdessen sei ein rund um die Uhr besetztes „Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung“ beim Bundesinnenministerium (BMI) zu schaffen. Das BKA als Zentralstelle, eine neu zu schaffende Bundeskriminalpolizei und der Bundesgrenzschutz (BGS) sollten einem Bundespolizeipräsidium unterstellt werden. Darüber hinaus schwebt den UnionsexpertInnen eine Heimatschutztruppe der Bundeswehr für den Einsatz im Innern vor. „Homeland security“ – aber bitte bei Erhaltung von „Standorten“ in den Ländern.[2]
Die Grünen hatten bereits im vergangenen Jahr eine „tabulose“ Debatte über die Reform der Geheimdienste gefordert. Der Anknüpfungspunkt war damals allerdings noch ein anderer: Das Bundesverfassungsgericht hatte das Parteiverbotsverfahren gegen die NPD eingestellt, nachdem die Bundesregierung Zeugen präsentiert hatte, die sich als doppelte Lottchen entpuppten – zugleich hohe NPD-Funktionäre und V-Leute des Verfassungsschutzes. Zeitweise arbeitete ein Siebtel der Landes- und Bundesvorstandsmitglieder der Partei im Nebenamt für die Schlapphüte. Der Skandal war zum Vorschein gekommen, weil die Verfassungsschutzämter ihre geheimen V-Leute auch untereinander geheim hielten. „Das unkoordinierte Nebeneinander von 16 Landesämtern für Verfassungsschutz und einem Bundesamt muss ein Ende haben“, lautete der etwas kurze Schluss in einem Diskussionspapier der Innen- und RechtspolitikerInnen der grünen Bundestagsfraktion. Die Landesämter seien abzuschaffen, der Militärische Abschirmdienst (MAD) solle dem verbleibenden BfV zugeschlagen werden. „Unter strikter Wahrung der Trennung von Inlands- und Auslandszuständigkeiten sind die Zuständigkeiten und Aktivitäten des Verfassungsschutzes und des MAD auf der einen Seite und des Bundesnachrichtendienstes auf der anderen Seite zu koordinieren und gegebenenfalls zusammenzufassen.“[3] Wie eine strikte Trennung mit einer Zusammenfassung zu vereinbaren wäre, erklärten die Grünen nicht. An diesen „tabulosen“ Überlegungen strickte die grüne Fraktion nach dem Anschlag in Madrid weiter. „Im Interesse der Sicherheit brauchen wir effiziente Strukturen, gerade auch im Bereich der Geheimdienste“, heißt es in einer Presseerklärung vom 16. März. Man müsse prüfen, ob ein Bundesamt nicht ausreichen würde.
Die FDP-Bundestagsfraktion zeigte sich gespalten. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Jörg van Essen befürwortete die Auflösung der LfV, weil die Vielzahl der Ämter bewirke, dass Informationen „nicht zutreffend bewertet“ würden oder „im Behördendickicht“ untergingen.[4] Ihr innen- und rechtspolitischer Sprecher Max Stadler sprach sich zwar für eine zentrale Zuständigkeit des BfV bei der geheimdienstlichen Terrorismusbekämpfung aus, allerdings „ohne dass die Landesämter abgeschafft werden“. Eine gemeinsam von Polizei und Diensten genutzte Datei oder ein gemeinsames Lagezentrum lehnte Stadler jedoch unter Hinweis auf das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst ab.[5]
Die Innenminister und -senatoren der Länder waren sich in der Ablehnung einer Zentralisierung des Verfassungsschutzes weitgehend einig. Standortwahrung lautete die Parole über die Parteigrenzen hinweg. Schon im März erklärten die Minister Nordrhein-Westfalens, Fritz Behrens (SPD), und Bayerns, Günther Beckstein (CSU), ihre Landesämter seien sehr wohl arbeitsfähig und effizient.[6] Am 1. Juli beschlossen die elf der CDU und CSU angehörenden Länderinnenminister in Saarbrücken eine gemeinsame Erklärung.[7] Die Existenz der Landesämter, so heißt es da, stehe einer zentralen Informationsauswertung nicht im Wege. Das Bundesamt müsse vielmehr seine Zentralstellenfunktion wahrnehmen. Ein „gemeinsames Lage- und Analysezentrum“ von BKA, BND, BfV, MAD und Zollkriminalamt müsse her, auf dessen Fundstellen-Datei müssten sowohl die LfV als auch die Landespolizeien zugreifen können.
Unmittelbar vor der Tagung der Innenministerkonferenz (IMK) am 7. und 8. Juli in Kiel zog Schily seine Zentralisierungsforderungen zurück, sie seien derzeit nicht durchsetzbar. Die IMK bekräftigte stattdessen, dass „alle verfügbaren Erkenntnisse … aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus einschließlich des islamistischen Extremismus … unter Beteiligung der Länder zentral“, d.h. beim BfV, auszuwerten seien.[8] Eine Arbeitsgruppe soll nun prüfen, „unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Errichtung gemeinsamer Dateien, insbesondere einer Aktenfundstellendatei, für Vorgänge der Verfassungsschutzbehörden und Polizeien von Bund und Ländern und gegebenenfalls weiteren Sicherheitsbehörden des Bundes“ möglich ist. Berlin und Rheinland-Pfalz warnten, die Datei nicht zu überfrachten und sie auf „tatsächliche oder potenzielle terroristische Gewalttäter und sie inhaltlich unterstützende islamistische Extremisten“ zu begrenzen. Einig war man sich jedoch in der Notwendigkeit eines „ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes im Zusammenwirken von Polizei, Nachrichtendiensten, Justiz, Ausländer-, Einbürgerungs-, Sozial- und anderen Verwaltungsbehörden sowie anderen Stellen wie Wirtschaft, Verbänden, Vereinen u.a.“ Unter den vielen Bewohnern dieses großen Hauses der „Sicherheit“ haben die Geheimdienste einen besonderen Platz.
Verfassungsschutz
Die jetzt entstehende „Islamistendatei“ ist keineswegs die erste informationelle Verklammerung von Polizei und Verfassungsschutz. Die Online-Verbindung zwischen dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) und dem Informationsverbund der Polizei (INPOL) wurde erst 1980 gekappt. Die technische Verquickung von polizeilichem Staatsschutz und Verfassungsschutz blieb jedoch noch weitere neun Jahre erhalten: Bis 1989 führte die Staatsschutzabteilung des BKA ihren Personenindex samt den Daten, die sie von den Landeskriminalämtern erhalten hatte, nicht nur im eigenen Datensystem, der seit 1986 betriebenen „Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit“ (APIS), sondern auch in der Personenzentraldatei von NADIS. Die Verfassungsschutzämter verfügten so über einen kompletten Fundstellennachweis der polizeilichen Staatsschutzakten. Die Speicherung der Fundstellen in NADIS, so kritisierte der Bundesdatenschutzbeauftragte damals, führte „in signifikantem Umfang“ dazu, dass die Verfassungsschützer anschließend auf konventionellem Wege den vollen Inhalt der Daten und Akten beim BKA und den Landespolizeien nachfragten.[9] Das Bundesverfassungsschutzgesetz von 1990[10] untersagte zwar in § 6 derartige Online-Verbindungen, verordnete aber beiden Seiten umfassende Zusammenarbeits- und Übermittlungspflichten.
Es brachte gleichzeitig die rechtliche Ausformulierung der verfassungsschützerischen Datenverarbeitung und der Befugnisse zur Anwendung „nachrichtendienstlicher Mittel“, die nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 erforderlich geworden war.
Der eigentliche Ausbau der Ämter war bereits in den 70er Jahren erfolgt. Er vollzog sich parallel zur außenpolitischen Entspannung („Ostpolitik“) und zur innenpolitischen Lockerung der BRD, zu jener durch die Studenten- und die diversen neuen sozialen Bewegungen bewirkten „demokratischen Kulturrevolution“, die die Regierungsübernahme der sozialliberalen Koalition erst ermöglicht hatte. Das Verfassungsschutzgesetz von 1972 hatte nicht nur die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes für die Spionageabwehr bestätigt, sondern formulierte ferner die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen, die Ausländerüberwachung und vor allem die „Beobachtung“ von gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ gerichteten Bestrebungen als Aufgabe sowohl des Bundesamtes als auch der Landesämter. In der Praxis lag dabei der Schwerpunkt der Beschaffung von Informationen bei den LfV, während das BfV vor allem für die Auswertung zu sorgen hatte. Eine wesentliche Rolle für die Regelung der Arbeitsteilung und die Festlegung von Beobachtungsobjekten hatte schon damals die Amtsleiterkonferenz, der Arbeitskreis IV der IMK.
An die Stelle des vergleichsweise klar umrissenen antikommunistischen Feindbildes der Hochphase des Kalten Krieges trat das diffuse Bild vor allem des linksextremistischen „Verfassungsfeindes“. Die Verfassungsschutzberichte jener Jahre belegen eindrücklich, wie schwer es den geheimdienstlichen Staatsschützern fiel, die neuen Formen des Protests zu verstehen. Der Radikalenerlass der Länder-Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers, ebenfalls von 1972, und die sich darauf stützende Praxis der Berufsverbote sorgten dafür, dass die Definition von „Verfassungsfeinden“ nicht ein bloßes politisches Werturteil blieb, sondern einschneidende Konsequenzen für die Betroffenen hatte. Regelanfragen beim Verfassungsschutz gehörten bis in die 80er Jahre zur normalen Einstellungspraxis im öffentlichen Dienst.
Mit der Bildung einer Abteilung „linksextremistischer Terrorismus“ beim BfV ergab sich ein weiterer Arbeitsbereich, bei dem der Geheimdienst in Konkurrenz zum polizeilichen Staatsschutz trat und beide Sphären nur noch schwierig abzugrenzen waren. „Der Verfassungsschutz erfüllt … die Aufgaben des Staatsschutzes im Vorfeld der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung“, schrieb die IMK 1974 in ihrem „Programm für die Innere Sicherheit“.[11] Da bereits die Polizei bei der Verfolgung politischer Delikte wie dem 1976 eingeführten § 129a Strafgesetzbuch das Vorfeld konkreter deliktischer Handlungen ausforscht, ist damit dem Verfassungsschutz ein unbegrenztes Vorfeld des Vorfeldes zugewiesen.
Mit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges, dessen Kinder die Geheimdienste in Ost und West waren, geriet auch der Verfassungsschutz erstmals in seiner Geschichte in größere Schwierigkeiten, seine Existenz zu legitimieren. Zweifel am Sinn oder zumindest an der Größe der Ämter kamen plötzlich nicht mehr nur aus den Kreisen der üblichen Verdächtigen, sondern auch aus den etablierten Parteien.
Tatsächlich kamen die Verfassungsschutzämter nach 1990 nicht umhin, Personal abzubauen. Von 2.435 Bediensteten 1990 sank der Personalbestand des BfV langsam aber stetig auf 2.097 im Jahre 2001. Ähnliches geschah auf der Länderebene: Während die neuen Länder ab 1990 eigene Ämter aufbauten, sank der Personalbestand in den meisten alten Bundesländern: Niedersachsen reduzierte von 378 im Jahre 1990 auf 220 im Jahre 2001, Baden-Württemberg im selben Zeitraum von 410 auf 337, Bayern von 460 auf 400. Nordrhein-Westfalen dagegen steigerte den Personalbestand von 285 auf 303 Bedienstete.
Der 11. September 2001 erwies sich – zynisch gesprochen – als Glücksfall für den Verfassungsschutz, der – zunächst aufgrund von Sonderprogrammen – seine Personaleinbußen aus dem davor liegenden Jahrzehnt fast wieder wettgemacht hat (siehe Tabelle).
Tab.: Personal der Dienste
1970 | 1990 | 2003/4 | |
Baden-Württemberg | 185 | 400 | 333 |
Bayern | 193 | 460 | 450 |
Berlin | 220 | 300 | 184 |
Bremen | 43 | 82 | 50 |
Hamburg | 140 | 200 | 140 |
Hessen | 93 | 258 | 200 |
Niedersachsen | 123 | 378 | 227 |
Nordrhein-Westfalen | 212 | 279 | 374 |
Rheinland-Pfalz | Ca. 70 | ca. 160 | 150 |
Saarland | 70 | 92 | 77 |
Schleswig-Holstein | 110 | 107 | 83 |
Total alte Länder | ca. 1.470 | ca. 2.700 | 2.268 |
Brandenburg | 125 | ||
Mecklenburg-Vorpommern | 78 | ||
Sachsen | 205 | ||
Sachsen-Anhalt | 96 | ||
Thüringen | 100 | ||
Total inkl. neue Länder | 2.872 | ||
BfV | 1.016 | 2.435 | 2.401 |
MAD | 1.948 | 1.249 | |
BND | 7.500-8.500 | 5.800-6.000 |
Quellen: Die Angaben für die Jahre 1970 und 1990 wurden übernommen aus Werkentin, F.: Gesamtdeutscher Verfassungsschutz, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 36 (2/1990), S. 22-32 (23). Rheinland-Pfalz machte bis 1990 keine Angaben über sein Verfassungsschutzpersonal. Mit drei Ausnahmen entstammen die heutigen Personalzahlen der Verfassungsschutzbehörden aus den Verfassungsschutzberichten oder von den Websites der Ämter. Die Angaben aus Bremen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wurden bei den Pressesprechern der Innenministerien bzw. des Innensenats erfragt. Personalzahlen für den BND gibt es nur in der Presse, die Angaben schwanken sehr stark.
Die krampfhafte Suche nach neuen Themen, die die frühen 90er Jahre kennzeichnete, war dagegen bereits vorher erledigt. Einige Bundesländer, allen voran Bayern, haben ihre Verfassungsschützer in eine neue Konkurrenz mit der Polizei geschickt, indem sie sie mit der Beobachtung der organisierten Kriminalität beauftragten. Dies hatte der damalige BfV-Chef schon im März 1990 in einem internen Arbeitspapier mit dem Titel „Auswirkungen der politischen Veränderungen in der DDR und den osteuropäischen Staaten“ empfohlen.
Auch bei der Ausländerüberwachung sah Boeden 1990 Chancen einer „effizienten Personalaufstockung“. Schon in den 70er Jahren hatten die Ämter einen Online-Zugriff auf das Ausländerzentralregister, der mit dem im Januar 2002 verabschiedeten Anti-Terror-Gesetz erheblich erweitert wurde.[12] Unabhängig von der Terrorismus-Bekämpfung hatten die Ämter mit dem neuen Einbürgerungsrecht neue Aufgaben erhalten. Aufgrund von Regelanfragen überprüfte das Hamburger LfV im vergangenen Jahr 8.302 Einbürgerungswillige (2002: 11.030).[13] Mit dem gerade beschlossenen Zuwanderungsgesetz wird die Praxis der Regelanfrage auf sämtliche Personen ausgedehnt, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis beantragen.
Auch das angestammte Arbeitsfeld der „Extremismusbeobachtung“ ging nicht verloren. Nach wie vor überwacht der Verfassungsschutz sowohl linke Kleinstparteien als auch die PDS bzw. angeblich nur ihre „Kommunistische Plattform“ und rubriziert soziale Bewegungen als linksextremistisch infiltriert. V-Leute werden keineswegs nur auf der äußersten Rechten eingesetzt, sondern auch gegen Linke.
Die Zahl der wegen „extremistischer“ oder sicherheitsgefährdender“ Bestrebungen in NADIS erfassten Personen ist zwar seit Anfang der 90er Jahre kontinuierlich zurückgegangen – von 592.148 im Jahre 1993, dem ersten Jahr der Veröffentlichung dieser Daten im Verfassungsschutzbericht, auf 415.600 im Jahr 2003.[14] Auch die Zahl der im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen Gespeicherten war bis Mitte der 90er rückläufig (1993: 515.530, 1996: 441.022), nahm danach aber ständig wieder zu und lag 2003 mit 569.700 Überprüften über dem Wert von vor zehn Jahren. Die Zahl der Sicherheitsüberprüfungen und damit die Aktivität des Verfassungsschutzes auf diesem Gebiet ist also bereits vor dem Stichtag des 11.9.2001 und der danach erfolgten Verschärfung der gesetzlichen Grundlagen durch das Anti-Terror-Gesetz gestiegen.
Der engste Nachbar der Verfassungsschutzämter auf den langen Gängen des ständig erweiterten Hochhauses der Inneren Sicherheit bleibt jedoch die Polizei: Schon bei der Abwicklung der RAF Anfang der 90er Jahre und danach bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und der „Schleuserkriminalität“ probierten Polizei und Inlandsgeheimdienst neue Formen der Koordination und des Informationsaustausches aus. Die jetzt im Zusammenhang der Bekämpfung des „islamistischen Extremismus und Terrorismus“ praktizierten Methoden der Zusammenarbeit erscheinen da nur als der vorläufige Höhepunkt.
Bundesnachrichtendienst (BND) – Partner und Ratgeber
„Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus.“ So heißt es lapidar in § 1 Abs. 2 des BND-Gesetzes von 1990, der ersten gesetzlichen Grundlage des Dienstes überhaupt. Das Ende des Kalten Krieges traf den Auslandsgeheimdienst besonders hart, da die Blockkonfrontation auch nach der außenpolitischen Entspannung der 70er Jahre sein Koordinatensystem gebildet hatte. Dass der damalige BND-Präsident Konrad Porzner Ende 1991 verkündete, rund 1.000 der damals über 8.000 Stellen würden „in den nächsten Jahren“ eingespart, erscheint deshalb nur konsequent. In dem Maße wie Aufgaben des Dienstes wegfielen, so Porzner damals, „sind Personalreduzierungen selbstverständlich“.[15] Derartige Meldungen tauchten in den 90er Jahren immer wieder auf, ohne dass aber klar würde, wie viele Leute tatsächlich noch beim BND arbeiteten. Im April 1992 plante der damalige Kanzleramtsminister Friedrich Bohl bis 1998 eine Kürzung von 750 Stellen. 1996 forderte der damalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) bis zum Jahre 2000 ein weiteres Fünftel der Stellen – angeblich rund 500 – zu streichen. Bei der Amtseinführung des von der rot-grünen Koalition ernannten neuen BND-Chefs August Hanning im Dezember 1998 schätzte die Neue Zürcher Zeitung 5.800 BND-Mitarbeiter, bis 2005, so hieß es, sollten es nur noch 5.200 sein.[16]
Der 11.9.2001 hat diesen Abbau gebremst: Das Anti-Terror-Programm des Bundes bescherte dem Dienst einen Sonderzuschuss von 50 Mio. DM, mit dem Terrorismusexperten eingestellt aber auch moderne Technik angeschafft werden sollte.[17] Wenigstens wird der Haushalt des Dienstes heute nicht mehr versteckt: Im Einzelplan 04 des Bundeshaushalts ist für 2004 ein nicht näher aufgeschlüsselter Zuschuss von 422,6 Mio. Euro ausgewiesen (2003: 435,7 Mio; 2002: 395,8 Mio).[18]
Trotz seiner Größe hatte der BND bis weit in die 90er Jahre bei den Bundesregierungen, die er eigentlich mit seinen Erkenntnissen beraten und unterstützen sollte, einen miserablen Ruf. Bei seinem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss zur Plutonium-Affäre 1997 erinnerte sich Kanzler Helmut Kohl, dass der BND 1990, als er selbst mit Micail Gorbatschow verhandelte, die Meldung aussäte, Deutschland werde im Zuge der Vereinigung aus der NATO austreten. Gorbatschow hat bekanntlich die NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands akzeptiert. Der BND sei „einer der teuersten Geheimdienste der Welt“, den es nach den Wahlen im darauf folgenden Jahr zu reformieren gelte.[19]
Erst unter der aus diesen Wahlen hervorgegangenen Regierung Schröder wurde der Dienst hoffähig. Die Gründe dafür liegen zum einen in einer gewandelten Außen- und Militärpolitik der Regierung und zum andern in einer ebenso veränderten Aufgabenwahrnehmung des BND, die dessen Präsident im Mai 2001 auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung präsentierte: „Die direkte Bedrohung im Sinne eines klassischen, symmetrischen Konfliktes von Territorialarmeen“, m.a.W. die Frontstellung des Kalten Krieges, so Hanning, „spielt aktuell keine Rolle mehr.“[20] An deren Stelle trat die gewachsene „sicherheitspolitische Verantwortung“ der BRD vor allem im Kontext der europäischen Union: „Mit diesem neuen politischen und militärischen Engagement haben sich zwangsläufig auch die Anforderungen, auch die Bedeutung von Information, von Intelligence, nicht nur quantitativ, sondern auch inhaltlich nachdrücklich verändert.“ Wie seine Partnerdienste auch lieferte der BND schon im Jahr 2000 Nachrichten über angebliche Raketenfabriken im Irak, warnte aber hinterher vor den Folgen eines möglichen Krieges.[21] Wie die Analysen des BND ausgesehen hätten, wenn die Bundesregierung eine andere Position eingenommen hätte, ist fraglich. Seine Orientierung auf die militarisierte Außenpolitik ist jedenfalls nach dem Ende des Kalten Krieges keineswegs verschwunden.
Darüber hinaus präsentierte der BND-Chef in seinem Berliner Referat das Aufgabenspektrum des Dienstes als eine allumfassende „Mixtur“ von Instabilitäten und Bedrohungen der Sicherheit „bestehend aus ethnisch-religiösen Spannungen, aus ökonomischen und ökologischen Problemen, aus sozialen Verwerfungen, aus medizinisch-gesundheitlichen Defiziten, aber auch aus neuen technologischen Verwundbarkeiten, aus terroristischen Bedrohungen, aus Bedrohungen der Organisierten Kriminalität und aus den Gefahren der Proliferation …“ Weil Terrorismus oder organisierte Kriminalität „zur Entwicklung ihres Angriffspotenzials (nicht) auf die Präsenz in unserem Lande oder auf die Präsenz in unmittelbarer Nachbarschaft angewiesen“ seien, brauche es ein „globales sicherheitspolitisches Denken“ und die „Einbindung des BND in die sicherheitspolitische Community“.
Synergieeffekte versprach sich Hanning vor allem durch eine „noch engere Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden“. Die Aufklärung von Einzeldelikten und die Festnahme von Tätern sei zwar „ohne Frage“ Sache von Polizei und Strafverfolgung. Angesichts der Rolle des BND bei der Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität, Geldwäsche, Korruption, illegaler Migration etc. war es dem BND-Chef „unverständlich, warum eine intensivere Kooperation zwischen dem BND und den nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht möglich sein sollte.“
Nach dem BND-Gesetz von 1990 hatte der Dienst bereits weitgehende Befugnisse zur Übermittlung an die Polizei. Seit Anfang der 90er Jahre hat er sich auch Stück für Stück an polizeiliche Arbeitsfelder herangetastet. Seit 1992 sollen seine Residenturen in Staaten, wo das BKA nicht selbst präsent ist, die Rolle von polizeilichen VerbindungsbeamtInnen mit übernehmen und Informationen über den Drogenhandel liefern. 1993 präsentierte der Dienst seine Erkenntnisse in einem Bericht mit vielen Banalitäten und massiv aufgeblähten Zahlen. 1996 folgte ein weiterer Bericht über „Sonderformen der Organisierten Kriminalität“, der vor allem die Fähigkeit des Dienstes zur Handhabung des Microsoft-Power-Point-Programms belegte.[22]
1994 organisierte er gemeinsam mit dem Bayerischen Landeskriminalamt eine „kontrollierte Lieferung“ von 560 Gramm Plutonium aus Russland. Der von V-Leuten provozierte und organisierte Kauf der Ware und ihr Transport nach München war als Pilotprojekt gedacht, bescherte dem Dienst aber seinen wohl größten Skandal in den 90er Jahren.[23]
Ab 1996 oder 1997 befasste sich der BND auch mit „illegaler Migration“ und Schleuserkriminalität. Dem Thema widmete er am 28. Oktober 1999 seine erste öffentliche Veranstaltung überhaupt. „Der BND recherchiere z.B. die Herkunft deutscher Visa-Dokumente, die in Pakistan frei verkauft würden. Er prüfe auch, auf welchem Weg Chinesen und Afghanen nach ihrer Ausweisung aus der Ukraine näher an Westeuropa, nach Montenegro gebracht würden“, vermeldete die „Frankfurter Allgemeine“ am Tag darauf. Der BND unterrichte nicht nur die Bundesregierung, sondern leite Erkenntnisse direkt an die Strafverfolgungsbehörden weiter. BMI-Staatssekretärin Cornelia Sonntag-Wolgast, die ebenfalls bei der Veranstaltung auftrat, hoffte, dass wechselseitige Hospitationen und Besprechungen auf Arbeitsebene die Berührungsängste zwischen BND und BKA abbauen würden.[24] Im Jahr davor hatte der BND einen ersten Bericht zu seinem neuen Arbeitsfeld abgeliefert, im Mai 2001 folgte ein weiterer. Auf 100 Seiten, die die illegale Migration in den Schengenraum aufklären sollten, ließ sich der Auslandsgeheimdienst über skrupellose Schlepperorganisationen aus, die die Notsituation fluchtwilliger Menschen ausnützten – „ein Galopp durch die vom BND ‚aufgeklärte‘ Situation in 23 Ländern … Überall entdecken sie ‚Sprungbretter‘, ‚Sammelbecken‘ oder gar ‚Drehscheiben‘ illegaler Migration.“[25] Mit dem Anti-Terror-Gesetz vom Januar 2002 wurden einerseits die Übermittlungsbefugnisse der Ausländer- und Asylbehörden an den BND, andererseits die Zugriffsmöglichkeiten des Dienstes auf das Ausländerzentralregister erweitert. Bereits davor mischte auch der BND beim „Informationboard“ über Schleuserkriminalität mit.
Im April 1999 brillierte der Dienst mit einem Bericht über die „Geldwäsche Community in Lichtenstein“, in dem der fürstliche Kleinststaat als „ideales Geldwäscheparadies“ dargestellt wurde. Die Bundesregierung musste sich im Oktober 2000 von dem Bericht und den darin enthaltenen Behauptungen über einzelne Personen distanzieren.[26]
Seine Organisationsgliederung, die der BND auf seiner Homepage in großen Worten erläutert, spiegelt das gewandelte Aufgabenbild wider. Bis 2001 verfügte er neben Zentralen Diensten, Verwaltungsabteilung und BND-Schule über drei eigentliche Arbeitsabteilungen: Die Abteilung „Operative Aufklärung“, die für die Informationsbeschaffung auch durch V-Leute im Ausland zuständig ist, die „technische Beschaffung“, die sich um die strategische Telekommunikationsüberwachung des Dienstes kümmert, und schließlich die „Auswertung“. Nach dem 11. September entstand eine neue Abteilung 5 für „operative Aufklärung/Auswertung“ im Bereich „Internationaler Terrorismus und organisierte Kriminalität“ einschließlich Drogenhandel, Geldwäsche sowie illegale Migration.
Auch die Befugnisse zur strategischen Fernmeldeüberwachung durch den BND wurden um die neuen Aufgabengebiete erweitert. Bis 1994 durfte er diese Befugnis nach dem G 10-Gesetz nur zur frühzeitigen Erkennung eines bewaffneten Angriffs auf die BRD nutzen. Typisch hierfür war die Kontrolle von Briefen und die Überwachung von Telefongesprächen in die DDR und Staaten des Warschauer Paktes. Mit dem „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ wurden die so genannten Gefahrenbereiche ausgeweitet auf den internationalen Terrorismus, die internationale Verbreitung von Kriegswaffen, den internationalen Drogenhandel, die Geldfälschung sowie die damit zusammenhängende Geldwäsche.[27]
Seit der Neufassung des G 10-Gesetzes im Jahre 2001 richten sich die großen Ohren des BND nicht mehr nur auf die satellitengestützte Telekommunikation mit dem Ausland, sondern auch auf die leitungsgebundene.[28] Insgesamt überwacht er dabei 20 Prozent des internationalen Fernmeldeverkehrs von und nach Deutschland. Im Jahre 2003 sind rund 42.000 als verdächtig qualifizierte Kommunikationsfälle im „Staubsauger“ hängen geblieben. Davon galten 534 Meldungen als nachrichtendienstlich relevant. 18 Meldungen reichte der Dienst an die Strafverfolgungsbehörden weiter.[29]
Sicherheitspolitische Wiedervereinigung
„Aus sicherheitspolitischen Gründen“, so der Bundesinnenminister am 1. Juni dieses Jahres bei der Vorstellung der nun definitiven Umzugspläne für das BKA, sei dessen „räumliche Nähe zu den wesentlichen Akteuren“ erforderlich – zu den diversen Bundesministerien wie dem BMI und dem Auswärtigen Amt, zum Bundeskanzleramt und natürlich auch zum BND und zum BfV.[30] Schily hat damit den Kern der „sicherheitspolitischen Community“ auf Bundesebene umrissen, den er bis spätestens 2008 am Regierungssitz haben will. Zwar wird nicht wie anfangs geplant das gesamte BKA in Berlin angesiedelt, wohl aber ein Teil der Staatsschutzabteilung, nämlich die Gruppe Internationaler Terrorismus, sowie die Abteilung „internationale Koordinierung“ und die Amtsleitung.
Das BfV ist seit 1991 in der Hauptstadt präsent, der Umzug des BND ist im Gange. Die räumliche Nähe des BKA zu Regierung und Geheimdiensten hat vor allem symbolischen Charakter. Zu glauben, dass die VertreterInnen der „Sicherheitsbehörden“ einander tief in die Augen sehen müssten, um zusammenzuarbeiten, ist kindisch. Die Symbolik spricht jedoch für sich: Erstens demonstriert die Bundesregierung selbst, dass sie sich um die Sicherheit und die dafür zuständigen Behörden kümmert. Diese Regierungsnähe ist für die Geheimdienste selbstverständlich. Sie sind die Schnüffelapparate der Exekutive. Für die Polizei ist diese Nähe und Verfügbarkeit für die Exekutive – zumal bei der Strafverfolgung – gefährlich.
Die Annäherung und Angleichung von Polizei und Geheimdiensten ist – zweitens – seit langem unverkennbar. Unter dem verharmlosenden Stichwort „verdeckte Ermittlungen“ haben sowohl das BKA als auch die Landeskriminalämter in den vergangenen zwei Jahrzehnten Befugnisse erhalten, die bei den Geheimdiensten als „nachrichtendienstliche Mittel“ bezeichnet werden. Der „Vergeheimdienstlichung“ der Polizei korrespondiert andererseits die „Verpolizeilichung“ der Dienste, sowohl hinsichtlich ihrer neuen Arbeitsgebiete als auch in Bezug auf ihre Befugnisse. Dass die Geheimdienste ihre Befugnisse zu Überwachungseingriffen aus dem G 10-Gesetz und dem neuen Anti-Terror-Gesetz vergleichsweise selten nutzen, kann dabei nur wenig beruhigen.
Die Geheimdienstgesetze von 1990 haben die enge Zusammenarbeit und den Informationsaustausch von Polizei und Geheimdiensten in „Staatsschutzangelegenheiten“ weitgehend abgesegnet. Gegen das Eindringen der Geheimdienste in andere polizeiliche Arbeitsgebiete haben sich jedoch noch Anfang der 90er Jahre führende Polizeibeamte vor allem mit dem Argument gewehrt, geheimdienstliche „Erkenntnisse“ seien gerichtlich nicht verwertbar. Diese Skrupel scheinen mittlerweile überwunden: Das Trennungsgebot für Polizei und Geheimdienste, so der Leiter des kriminalistischen Instituts des BKA, Jürgen Stock, sei nur ein organisatorisches: „Aus der organisatorischen Trennung folgt die Pflicht zur informationellen Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Aufgaben und Befugnisse.“[31] Getrennt marschieren, vereint schnüffeln.