Literatur

Zum Schwerpunkt

Die „Verpolizeilichung“ des Straf- und Ermittlungsverfahrens ist ein Topos liberaler und bürgerrechtlich orientierter Kritik an der Entwicklung des Strafprozessrechts, aber auch des Polizeirechts, des Strafrechts und – in den letzten Jahren mit wachsender Bedeutung – des Rechts der Nachrichtendienste. „Verpolizeilichung“ steht deshalb im engen Kontext mit den Prozessen der Verrechtlichung, der „Aufwertung“ der Geheimdienste und der Durchsetzung von (polizeilicher) Effizienz im Bereich der Strafrechtspflege. Die langfristigen Veränderungen werden angetrieben von den gewandelten polizeilichen Strategien, Methoden und Ressourcen, die – mit gerichtlicher Nachhilfe daran erinnert – nach „sauberen“ rechtsstaatlichen Grundlagen verlangen. So entstehen neue gesetzliche Normen, die die Gesetzgeber nur allzu gerne liefern, weil Weniges so haushaltsneutral und gleichzeitig so symbolpolitisch wertvoll ist wie eine neue Strafnorm, ein erhöhtes Strafmaß, eine erweiterte Ermittlungszuständigkeit oder eine (neue) legalisierte Ermittlungsmethode.

Die Konsequenzen der exekutivisch dominierten inneren Sicherheitspolitik für das Strafverfahren lassen sich mit wenigen Begriffen überschreiben: Herstellung eines Verbundsystems Innerer Sicherheit, in dem die Grenzen zwischen unterschiedlichen Aufgaben, Handlungslogiken und Befugnissen verschwinden; Ausdehnung des Kreises potentiell von der Strafverfolgung „betroffenen“ BürgerInnen; Schwächung der Bürgerrechte auf allen Stufen des Verfahrens; Schwächung der leitenden und kontrollierenden Instanzen (Staatsanwaltschaft, Gericht) gegenüber der Polizei. Begleitet sind diese Veränderungen durch eine Zunahme rechtlicher Bestimmungen (was kein Ausdruck besonders hoher demokratisch-rechtsstaatlicher Standards ist) und durch ständige Versuche, der „Überlastung“ des Strafverfolgungssystems durch „Verschlankungen“ zu begegnen, die wiederum auf Kosten der Beschuldigtenrechte realisiert werden sollen. Im Folgenden kann nur auf einige wenige Veröffentlichungen hingewiesen werden, die einige Elemente dieses langfristigen Wandlungsprozesses beleuchten.

König, Olaf: Die Entwicklung der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren seit 1877, Frankfurt am Main u. a. 1993

Diese juristische Dissertation stellt die Entwicklung der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen bis zum „OrgKG“ von 1992 dar, mit dem bekanntlich u. a. Rasterfahndung, Verdeckte Ermittler, polizeiliche Beob­achtung und die Überwachung mit technischen Mitteln in die Strafprozessordnung (StPO) aufgenommen wurden. König legt seiner Untersuchung vier zentrale Kriterien des liberal-rechtsstaatlichen Strafverfahrensrechts zugrunde: Hinsichtlich der Anwendungsvoraussetzungen stellt er fest, dass sie ausgeweitet werden von einem auf Tatsachen gestützten Verdacht hin zu einem abstrakt-generellen Verdacht (etwa bei der polizeilichen Beobachtung, oder – kombiniert mit Effektivitätsgesichtspunkten – beim Verdeckten Ermittler). Aus dem Zusammenspiel von neuen Ermittlungsmethoden und abstrakt-generellem Verdacht wird der erfasste Personenkreis systematisch auf unbeteiligte Personen ausgedehnt (Kontrollstellen, Rasterfahndung, Telefonüberwachung …). Anordnungsbefugnisse und Rechtsschutzmöglichkeiten würden zum einen durch die Anordnungsbefugnisse der Polizei (etwa beim Einsatz technischer Mittel und einigen VE-Einsätzen), zum anderen durch beschränkte Benachrichtigungspflichten eingeschränkt. (Wobei selbst die von König als „ideal“ bezeichnete „alleinige Anordnungsbefugnis des Richters“ mit einem zunehmend deutlicheren Fragezeichen versehen werden müsste.) Schließlich seien durch die Aufnahme präventiver Elemente (etwa bei der erkennungsdienstlichen Behandlung) die Funktionen der StPO unzulässig ausgedehnt worden.

Roggan, Fredrik: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Bonn 2003

Eine Fortsetzung der von König begonnenen Wandlungsbilanz, die den Blick erweitern müsste auf die Entwicklung anderer Rechtsbereiche, die aber auch den politisch-gesellschaftlichen Kontext einbeziehen müsste, steht aus. Seit dem OrgKG haben die bundesdeutschen Gesetzgeber kräftig an der weiteren Veränderung des Strafverfahrens gearbeitet. Die wichtigsten Aspekte werden in Roggans „Handbuch“ detailliert dargestellt. Der realen Verflechtung unterschiedlicher Regelungsbereiche und Zuständigkeiten entsprechend, ist seine Darstellung nicht auf das Strafprozessrecht beschränkt, sondern bezieht das Recht der Geheimdienste und vor allem das Polizeirecht mit ein. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den verdeckten Methoden, der Beteiligung der Geheimdienste an der Strafrechtspflege und dem Ausbau solcher „Standardmaßnahmen“, die ihrer Natur nach alle BürgerInnen zum Objekt polizeilicher Datenerhebung machen (Videoüberwachung, Schleierfahndung). Andere Entwicklungen werden in dem Band nur kurz benannt: etwa die polizeiliche Aufwertung anderer Behörden (Zoll mit präventivpolizeilichen Kompetenzen) oder die Ausdehnung von Informations- und Anzeigepflichten (durch die Geldinstitute oder die Ausländerbehörden). Eine Darstellung auch dieser Neuerungen würde Roggans Fazit des gesamten Prozesses nur unterstreichen können: „… der Rechtsstaat wird abgeschafft mit dem Segen des Rechtsstaates. Eben: ganz legal.“

Schneider, Hartmut: Die Umwandlung des Strafrechts in ein Sicherheitsrecht, in: Strafverteidigervereinigungen (Hg.): Aktuelles Verfassungsrecht und Strafverteidigung (20. Strafverteidigertag 1996 in Essen), Köln 1996, S. 249-259

Auf den Zusammenhang zwischen Verrechtlichungspolitik und Strafverfahrensrecht weist dieser Beitrag hin, der in der Diskussion um die „Justizentlastungsgesetze“ der 1990er Jahre entstand. „Am Anfang“, so Schneider, „steht das materielle Strafrecht und hier die ausgeprägte Neigung des Gesetzgebers, für jedes neue oder auch alte gesellschafts- und sozialpolitische Problem das Strafrecht als Instrument der Konfliktlösung einzusetzen.“ Die Legalisierung neuer Methoden, ihre Anwendbarkeit auf nicht begrenzte Sachverhalte, die Ausdehnung auf Nichttatverdächtige, die Heranziehung neuer verdachtschöpfender Einrichtungen sind Folgen einer solchen Strategie. Sie geraten nicht nur in Konflikt mit den Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, sondern führen auch zu einer quantitativen Überlastung des Strafverfahrens. Diese wiederum verlangt nach entlastenden und „verschlankenden“ Maßnahmen (etwa der Ausbau des Opportunitätsprinzips), die ihrerseits wieder die liberal-rechtsstaatlichen Standards herabsetzen.

Hefendehl, Roland: Die neue Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO: Segen oder Fluch, in: Strafverteidiger 21. Jg., 2001, H. 12, S. 700-706

Hantschel, Michael: Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 – Abschied vom Zweckbindungsgebot für die polizeiliche Informationsverarbeitung, in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 2001, H. 1, S. 33-99

Unter den jüngeren StPO-Novellen ist besonders das „StVÄG 1999“ erwähnenswert. Das Gesetz setzte die durch das Volkszählungsurteil von 1983 (!) geforderte Verrechtlichung der Polizeimethoden fort (etwa durch die Aufnahme der „längerfristigen Observation“). Hefendehl weist darauf hin, dass die neu formulierte Generalklausel in § 163 keine Grundlage für andere verdeckte Polizeimethoden wie die V-Personen oder polizeiliche Scheinkäufer u. ä. darstellen kann. Hier bestehen „Verrechtlichungslücken“, zu deren Schließung der Gesetzgeber wohl erst durch Gerichtsurteile gezwungen werden muss. Freilich zeigt die Verrechtlichungsgeschichte, dass aus bürgerrechtlicher Sicht mit einer Befugnisnorm kaum etwas gewonnen ist. Wegweisend ist das „StVÄG 1999“ im Hinblick auf die faktische Entwertung des Zweckbindungsgrundsatzes. In der Kombination der §§ 161 und 481 wird die Nutzung von präventiv (auf polizeirechtlicher Grundlage) gewonnenen Daten zu Zwecken des Strafverfahrens und umgekehrt repressiv gewonnener Daten für Zwecke des Polizeirechts ermöglicht. Hefendehl resümiert, der Gesetzgeber habe es versäumt, „klare, sich am Zweckbindungsgebot orientierte Verwertungsregeln zu schaffen“. Weil entsprechende Regelungen fehlten, seien präventiv-polizeiliche Daten im Strafverfahren – entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – „grundsätzlich nicht verwertbar“. Zum selben Fazit gelangt Hantschel im Schwerpunktheft der PFA-Schriftenreihe. Untersucht werden drei Konstellationen: Die Verwertung von Zufallsfunden für die Zwecke der Strafverfolgung, die Nutzung repressiver Daten für präventive und die Nutzung präventiv gewonnener Daten für repressive Zwecke. Der Gesetzgeber, so Hantschel, habe „der Effizienz polizeilicher Aufgabenerfüllung unzulässig Vorrang vor dem Grundsatz der Zweckbindung eingeräumt“; die Regelungen zu den Zufallsfunden und zur präventiv-repressiv-präven­tiven Zweckumwidmung seien „verfassungswidrig“. Der Autor hält es für unwahrscheinlich, dass sich die Politik seiner Sichtweise anschließt. Die Regelungen würden so lange praktiziert werden, bis das Bundesverfassungsgericht in der Sache entscheiden wird – ein bekanntes Muster.

Paeffgen, Hans-Ulrich: Strafprozessrecht im Umbruch oder: Vom unmöglichen Zustand des Strafprozessrechts, in: Strafverteidiger 19. Jg., 1999, H. 11, S. 625-628

Ders.: „Vernachrichtendienstlichung“ von Strafprozeß- (und Polizei-)recht im Jahr 2001, in: Strafverteidiger 22. Jg., 2002, H. 6, S. 226-341

Im Kurzvortrag auf dem 50. Deutschen Anwaltstag von 1999 ist die Verpolizeilichung ein Aspekt jenes „unmöglichen Zustandes“. Neben der Kronzeugen-Regelung, die – eine der wenigen erfreulichen Entwicklungen – mittlerweile ausgelaufen ist, weil sie nicht mehr verlängert wurde, verweist Paeffgen auf die Erweiterung polizeilicher Eingriffskompetenzen (Abhörbefugnisse, verdachtsunabhängige Kontrollen), auf die mittelbare Aufnahme präventiver Zwecke in die Strafprozessordnung (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und BKA-Gesetz) und auf die Entwertung des Zweckbindungsgrundsatzes durch legalisierte Zweckumwidmungen. Die Entwicklung sei durch ein „allgemeines hypertrophes Effizienzstreben“ gekennzeichnet, „bei dem die Kriterien der Effektivität weder wirklich problematisiert, noch ihre Kosten wirklich bilanziert werden“. In welchem Geiste der Gesetzgeber seit den 1990er Jahren agierte, werde daran deutlich, dass das Gesetz schon in der Phase des Ermittlungsverfahrens vom „Täter“ spreche: „Der Richter weiß es noch nicht – aber der Gesetzgeber weiß es schon.“ Bereits in den Titeln der Gesetze wird deutlich, in welchen politischen Sog das Straf(verfah­rens)recht im vergangenen Jahrzehnt geriet; aus der „Strafrechtspflege“, aus der Straftatenverfolgung sollten „Bekämpfungs“-Instrumente geschmiedet werden: gegen Organisierte Kriminalität (1992), gegen die Geldwäsche (1993), gegen das „Verbrechen“ (1994), und wiederum zur „Verbesserung“ gegen OK (1998).

Im Beitrag von 2002 wird das „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ gewürdigt. Gemessen an den Verschiebungen der 90er Jahre und an dem, was nach dem 11.9.2001 gefordert worden war, seien die Regelungen „in manchen Bereichen eher zurückhaltend oder banal“. Die größte Bedeutung habe in der inszenierten Entschlossenheit des Gesetzgebers gelegen. Allerdings könne der nächste Anschlag den Anlass für weitere Verschiebungen bilden. „Das Bedenkliche ist, dass sich schon seit geraumer Zeit in wiederkehrenden Wellen mal kleinerer, mal größerer Novellierungen die Statik im Polizei- und Strafprozessrecht verschiebt und im Bereich der Nachrichtendienste zunehmend eine – vor allem auf Informationsverfügung beruhende – Machtfülle entsteht. Diese (Eingriffs‑) Kompetenz-Agglomeration“ trage „zur Marginalisierung der Justiz“ bei.

Wolter, Jürgen; Schenke, Wolf-Rüdiger; Rieß, Peter; Zöller, Mark Alexander (Hg.): Datenübermittlungen und Vorermittlungen. Festgabe für Hans Hilger, Heidelberg 2003

In diesem Band sind die Beiträge einer Tagung an der Universität Mannheim wiedergebeben. Das Spektrum reicht von der wachsenden Bedeutung von „Vorfeld-“ bzw. „Initiativermittlungen“ über den Datenaustausch (zwischen Polizei- und Strafprozessrecht, national und europäisch) bis zur Fernmeldeüberwachung, der Postkontrolle und verdeckten Ermittlungen.

Neuerscheinungen

Schilling, Akatshi; Dollata, Uwe (Hg.): Korruption im Wirtschaftssystem Deutschland. Jeder Mensch hat seinen Preis, Murnau (Mankau Verlag) 2004, 182 S., EUR 16,90

Der Band dokumentiert die Beiträge einer Tagung, die im Frühjahr 2004 in Würzburg stattfand. Den Hauptteil (S. 15-102) bestreitet die (betriebswirtschaftliche) Diplomarbeit von Schilling. Sie stellt die Rechtslage in Deutschland, Ausmaß und Erklärungen von Korruption, Strategien ihrer Bekämpfung und Prävention sowie die ethische Dimension von (Anti-)Korruption vor. Aus der Literaturanalyse (BKA-Untersuchungen, Bannenberg, Schaupensteiner, Transparency) erfährt man nichts wirklich Neues. Die Diplomarbeit teilt mit den anderen Beiträgen des Bandes die doppelt verkürzte Wahrnehmung des Gegenstandes: Auf der einen Seite wird Korruption zur zentralen Bedrohung moderner Gesellschaften stilisiert. Sie reicht bei Schaupensteiner „von der Aushöhlung des freien und fairen Preis- und Leistungswettbewerbs bis zum Verlust des Vertrauens der Bürger in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaats“ (S. 136), über die Einschätzung des „investigativen“ Journalisten Jürgen Roth, derzufolge „kriminelles Handeln integrierter Teil unseres politischen und wirtschaftlichen Systems geworden ist“ (S. 163), bis zur Behauptung von Hans See, dass „der demokratische Kampf gegen die Kriminalität der Privilegierten“ – dazu zählt vor allem die Korruption – „genau die zentrale Aufgabe einer sozialstaatlich verstandenen Demokratie“ sei (S. 10). Schillings ethische Orientierung an einem „fairen, transparenten Wettbewerb“ (S. 92) legt die normative Folie der hier versammelten KorruptionsbekämpferInnen offen: der Glaube an einen fairen Kapitalismus – sie tun damit gerade so, als ob Hunger, Verelendung, Kriege, Massenarbeitslosigkeit, Verwertungsprobleme des Kapitals etc. Folgen von Korruption seien. Auf der anderen Seite wird in der anti-korruptiven Moral der BürgerInnen der entscheidende Ansatzpunkt für eine Besserung gesehen: es komme auf den „Wertewandel“ an (Dolata, S. 174); „letztlich“ seien „das Rechts- und Verantwortungsbewusstsein und der moralische Anspruch der handelnden Akteure der entscheidende Faktor zur Minimierung von Korruption in jedweder Herrschaftsform“ (Kreitel, S. 156). Das bekannte Repertoire von Anti-Korruptionsforderungen – innerbehördliche Veränderungen, Register, Transparenz, strafrechtlicher und eingriffsrechtlicher Ausbau – muss bei dieser Ausgangslage gleichermaßen als beschränkt wirksam und bürgerrechtlich gefährlich erscheinen.

Stober, Rolf; Olschok, Harald (Hg.): Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, München (Verlag C.H. Beck) 2004, 886 S., EUR 138,–

Die 35 AuorInnen geben in den zehn Beiträgen des Handbuchs einen Überblick über das Recht und die Entwicklung des privaten Sicherheitsgewerbes in Deutschland. In ihren einleitenden Beiträgen markieren die beiden Herausgeber die Ausrichtung des Bandes: Olschok, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen, zeichnet ein aktuelles Bild des Umfangs und der Tätigkeitsbereiche des privaten Sicherheitsgewerbes auf nationaler und westeuropäischer Ebene. In der europäischen Entwicklung werden neue Chancen für weitere Privatisierungsfelder entdeckt, die zu einer neuen Sicherheitsarchitektur führen soll, in der die Privaten auf Augenhöhe mit staatlichen Behörden kooperieren. Eine solche Zukunft wird auch in Stobers Beitrag über „Moderne Dimensionen des Sicherheitsgewerberechts“ ausgemalt. Der Einsatz der privaten Sicherheitsdienste werde „als wichtiger Beitrag zur inneren Sicherheit und zur Kriminalprävention identifiziert“. Polizei und Private seien beide „Sicherheitsdienstleister“, die beide „das Rechtsgut Sicherheit im Visier“ hätten. Die Mischung aus Beschreibung, kühner Behauptung und Wunschbild, die die Protagonisten der privaten Sicherheitsbranche seit Jahren betreiben, kann man hier in Reinform nachlesen. Sie wird auch dadurch nicht überzeugender, dass als Zeugen die Innenministerkonferenz, der Rat der EU oder die mittlerweile auf vielen Ebenen bestehenden Kooperationsformen ins Feld geführt werden.

Die Darstellungen in den weiteren Beiträgen sind zunächst einzelnen Rechtsbereichen gewidmet: EU-Recht, Verfassungs- und Gewerberecht, spezialrechtliche Grundlagen (vom Arbeitszeit- bis zum Waffenrecht), Tarif- und Ausbildungsrecht, Haftungs- und Vertragsrecht, zur Reichweite von Selbsthilferechten etc. Die Beiträge der letzten 200 Seiten beschäftigen sich mit der Zusammenarbeit zwischen Privaten und Staat, mit der Entwicklung von „Police-Private-Partnership“. Wie sehr die anfängliche Skepsis von den deutschen Polizeiführern gewichen ist, ist im Artikel des BKA-Präsidenten nachzulesen. Was staatlich bleiben soll, ist die „Gewährleistungsverantwortung“; über alles andere müsse man nach finanziellen und pragmatischen Gesichtspunkten entscheiden. Sein „Gesamtkonzept für die Zukunft“ beschreibt Zierke so: „Sicherheitspartnerschaften werden zukünftig vorrangig als informelle Netzwerkbeziehungen gestaltet sein. Dazu gehören gemeinsame Sicherheitsbesprechungen, Präventionskonzepte und Sicherheitsanalysen sowie die klassischen Mitfahndungshilfen wie Sehen und Melden. Die horizontale und vertikale Informationskooperation mit dem Sicherheitsgewerbe erfordert eine konzeptionelle kooperative Kriminalitätsbekämpfung durch Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft. Ein funktionaler Verantwortungsverbund ist anzustreben.“ Vermisst hier jemand Bürgerrechte, Parlamente, öffentliche Kontrollierbarkeit, Transparenz und Zurechenbarkeit von Entscheidungen? In diesem Band von Mitarbeitern und Freunden des privaten Sicherheitsgewerbes ist kein Platz für derartiges Nachdenken. Die eher vorsichtigen Erwägungen von Michael Walter über das kriminalpräventive Engagement Privater aus kriminologischer Sicht ist eingebettet in Berichte über erfolgreiche und/oder verbesserungs- und ausbaufähige Zusammenarbeitsformen: vom Düsseldorfer Modell über die Berliner City-Streifen bis zum Sicherheitskonzept für die Bochumer Innenstadt oder die Münchener U-Bahn-Bestreifung. Man kann in diesem Band sehr viel über das Recht, die Praxis und das Ausmaß privater Sicherheitsdienstleistungen in Deutschland erfahren. Gleichzeitig erhält man Aufschluss über das Selbstbild von Sicherheitsstrategen, die Sicherheit für ein marktfähiges Gut halten. Dass unter dieser Perspektive weder „Bürgerrechte“ oder „Gewalt“ oder „Übergriffe“ im ansonsten umfänglichen Stichwortverzeichnis auftauchen, verwundert nicht.

Franke, Siegfried: Polizeiethik. Handbuch für Diskurs und Praxis, Stuttgart u. a. (Richard Boorberg Verlag) 2004, 320 S., EUR 28,–

In 44 Kapiteln stellt der Autor – langjähriger Dozent an der Polizei-Führungsakademie – das Verhältnis von Polizei und Ethik dar. Die einzelnen Beiträge beginnen regelmäßig mit einer allgemeinen Darstellung des Gegenstandes (die ein weites Spektrum polizeilicher Tätigkeiten abdecken: von der Ausbildung bis zu Nebentätigkeiten, vom Schusswaffengebrauch bis zum Verhältnis zu privaten Sicherheitsdiensten, von polizeilichem Fehlverhalten bis zu den Beziehungen zwischen Polizei und Politik); daran anschließend werden jeweils die ethischen Aspekte diskutiert. Jeder Beitrag ist mit – teilweise ausführlichen – Literaturhinweisen versehen. So wichtig der Versuch sein dürfte, gerade polizeiliches Handeln unter den Kriterien eines guten, gerechten, richtigen, vernünftigen Handelns zu betrachten, so wenig überzeugen die Antworten Frankes. Vielfach scheint die ethische Perspektive nicht mehr zu liefern, als eine konsequente Anwendung des geltenden Verfassungsrechts. An anderen Stellen sind die Schlussfolgerungen zwar auf der Höhe der offiziellen Polizeilehre (ein Verdeckter Ermittler müsse möglichst effektiv arbeiten, dürfe sich aber weder gefährden, noch Straftaten begehen, S. 232), verlieren dann aber an ethischer Überzeugung. Das gilt auch für die in den Raum gestellte Aufhebung des Trennungsgebots von Polizei und Nachrichtendiensten (S. 230), für die unklare Positionierung zum gezielten polizeilichen Todesschuss (S. 142), für die Verwendung des Begriffs „Asylschwindler“ (S. 247) oder die Befürwortung der „taktischen Schleusung“ (S. 103). Da, wo Menschen zum Instrument degradiert werden, kann eine ethisch fundierte Antwort nur nein sagen – und sei die zugrunde liegende Kriminalstrategie noch so wohlfeil.

(sämtlich: Norbert Pütter)

Gesemann, Frank: Öffentliche Sicherheit durch private Dienste. Rechtsgrundlagen – Aufgabenfelder – Qualifikationsbedarf, Berlin (Berliner WissenschaftsVerlag), 2004, 190 S., EUR 28,50

In der privaten Sicherheitsbranche liegt der Anteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss mit 0,7 bis 1,5 Prozent deutlich niedriger als bei allen anderen Berufen, die im Durchschnitt auf 8,5 Prozent kommen. Nun ist es für einen Kaufhausdetektiv sicher nicht wichtig, mit einem Abiturzeugnis zu wedeln. Ebenso wenig braucht der Wachmann, der für seinen Dumpinglohn von 4,50 Euro pro Stunde vor dem Berliner Reichstagsgebäude umherwandert, eine akademische Vorbildung. Dennoch: Der private Sicherheitsmarkt boomt seit Jahren. Angesichts leerer Staatskassen kommen zudem immer mehr Aufgaben im öffentlichen Bereich hinzu, die bisher von der Polizei wahrgenommen werden/
wurden. Daraus resultiert zwangsläufig eine Qualifizierung des Personals. Im Auftrag der Berliner Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (FHVR) hat der Autor die Frage gegenwärtiger Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie das öffentliche Interesse und das der Branche hieran untersucht. Das Resultat ist mehr als ernüchternd (s. o.). Zudem enthält die Studie aktuelle Daten zur Entwicklung und Struktur der privaten Sicherheitsbranche, den rechtlichen Grundlagen und zur wissenschaftlichen Diskussion.

Auf der Grundlage seiner Erhebung macht Gesemann eigene weiterführende Vorschläge für einen Ausbildungsgang „Sicherheitsmanagement“, der in den Grundsemestern gemeinsam mit künftigen PolizeibeamtInnen durchgeführt werden sollte, bevor sie sich ausdifferenzieren. Ein solcher Gedankengang ist grundsätzlich richtig; wenn Gesemann den Studiengang bei den Polizeifachhochschulen angesiedelt
sehen möchte, statt ihn vernünftigerweise komplett zu externalisieren, so hat dies vermutlich mit den Interessen des Auftraggebers zu tun. Dennoch unterm Strich: Ein brauchbares Nachschlagewerk.

Juretzko, Norbert; Dietl, Wilhelm: Bedingt einsatzbereit. Im Herzen des BND – die Abrechnung eines Aussteigers, Berlin (Ullstein) 2004, 383 S.,
EUR 24,–

Mal wieder so ein Aussteigerbuch. Man kennt das Schema: Ein frustrierter Geheimdienstler fühlt sich von seinen Dienstvorgesetzten schlecht behandelt, schmeißt die Brocken hin und schreibt sich seinen Ärger von der Seele. Damit daraus ein lesbares Buch wird, stellt man ihm einen Journalisten zur Seite. Wirklich besser ist es dadurch nicht geworden, und wie zumeist bei solchen Werken üblich erfährt man auch inhaltlich wenig Erhellendes. Über die wechselseitigen Intrigen im Bundesnachrichtendienst (BND), die teilweise bis zur Unfähigkeit reichende Trägheit bei der Aufklärungsarbeit usw. haben sich auch vor Juretzko schon andere Luft gemacht.

In die so genannte „Rübezahl“-Affäre um den ehemaligen BND-Abteilungsleiter Volker Foertsch, der in den Verdacht geraten war, ein russischer Doppelagent zu sein, bringt auch Juretzkos Abrechnung kein neues Licht. Dabei laufen nahezu alle Handlungsfäden des Buches auf diese Affäre hin, die der Autor 1998 maßgeblich losgetreten hatte. Der Vorwurf war letztlich nicht zu beweisen, nach Darstellung Juretzkos wurde er aus politischen Gründen vertuscht. Dass er zu dieser Sichtweise allen Grund hat, ergibt sich bereits daraus, dass auch dem Autor im Verlauf der Affäre der Prozess gemacht wurde, weil er Akten manipuliert haben sollte. Ende 2002 wurde er zu einer 11-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Just an dieser Stelle, 15 Zeilen vor dem Ende des
Buches, findet Juretzko dann doch noch einen Maulkorb. Über seinen eigenen Prozess darf er plötzlich nicht berichten, da die Verhandlung „bis heute der Geheimhaltung“ unterliegt. Dass neben der Generalbundesanwaltschaft auch der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes­tages meinten, sich mit den Inhalten des Buches befassen zu müssen, macht Juretzkos „Abrechnung“ nicht interessanter.

(beide: Otto Diederichs)