Literatur

Zum Schwerpunkt

Nach Jahrzehnten des Schweigens ist Bewegung in die Beschäftigung mit der jüngeren polizeilichen Vergangenheit in Deutschland gekommen. Die „Verstrickten“ sind tot, ihre Söhne im Amt pensioniert, eine jüngere Generation kann sich frei von diesen Rücksichten der Geschichte zuwenden. Gleichzeitig ist der Kreis derer, die sich aus wissenschaftlichem Interesse und mit wissenschaftlichen Methoden mit der (Vor-)Geschichte der Polizei in der Bundesrepublik beschäftigen in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Gegenwärtig ist das Feld noch vergleichsweise überschaubar. Aber mit der Konjunktur polizeilicher Vergangenheitspolitik wird sich dies in den nächsten Jahren sicher ändern. Auf einzelne Veröffentlichungen haben wir immer wieder hingewiesen; an dieser Stelle müssen Hinweise auf einige bedeutsame Publikationen genügen.

Bundeskriminalamt (Hg.): Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte. Dokumentation einer Kolloquienreihe (Sonderband der Reihe Polizei + Forschung), Köln 2008

Mit den Kolloquien vom Herbst 2007 ergriff das Bundeskriminalamt endgültig die Initiative zur Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte. Die in diesem Band dokumentierten Referate und die Auswahl der (polizei)­öffentlichen Reaktionen spiegeln die Breite der aktuellen vergangenheitspolitischen Debatte: Erstens wird das von Präsident Ziercke glaubwürdig verkörperte Bemühen deutlich, die Geschichte seines Amtes aufzuarbeiten bzw. aufarbeiten zu lassen. Er kann dabei auf die Unterstützung durch Sozialwissenschaftler und Historiker rechnen, die z.T. auf den Kolloquien zu Wort kamen. Zweitens wird das Interesse an der jüngeren Vergangenheit von einer Art Seligsprechung der polizeilichen Gegenwart gekennzeichnet. Dass sich „eine moderne, demokratische und bürgernahe Polizei in Deutschland … erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich“ herausbildete (so im Beitrag von H.-G. Jaschke, S. 38), sie sich „von einem an der preußischen Schutzpolizei der Weimarer Republik angelehnten Modell einer Bürgerkriegspolizei in Richtung einer zivilen Polizei der westdeutschen Zivilgesellschaft entwickelte (so H. Reinke, S. 155), wird als Gegenwartsdiagnose eher beiläufig unterstellt. Als ob die deutsche Polizeipolitik nicht gerade durch die Versuche gekennzeichnet gewesen wäre, zivile zugunsten von militärischen Elementen zurückzudrängen – so lange, bis diese gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen hoffnungslos antiquiert waren. Nur vereinzelt – etwa im Beitrag von P. Wagner über das – vorläufige – Ende der „vorbeugenden Verbrechens­bekämpfung“ taucht die Frage auf, wie Veränderungen möglich wurden und was mit den alten Traditionsbeständen geschah. Drittens ist für die Debatte kennzeichnend, dass namhafte Kritiker einbezogen werden, so R. Giordano aus der Opfergeneration des „3. Reichs“, D. Schenk, dessen Buch – freilich mit langer Verzögerung – zum Interesse des Amtes an seiner Geschichte führte, und R. Rose, als Vertreter der Sinti und Roma, auf die sich polizeiliches Interesse über die Systemgrenzen hinweg richtete. Dem Beitrag von Rose sind auch einige Hinweise auf handfeste Kontinuitäten zu entnehmen; etwa die bis 1983 praktizierte Erfassung in Polizeidateien mit dem Zusatz „ZN“ für „Zigeunername“ (S. 133). Zwar sind aus dem offiziellen Polizeijargon sowohl die Bezeichnung „Zigeuner“ wie die im Nachkriegsdeutschland gebräuchliche „Landfahrer“ ver­schwunden, Rose weist aber auch darauf hin, dass die polizeilichen Diskriminierungen unter Bezeichnungen wie „häufig wechselnder Aufenthaltsort“ oder „mobile ethnische Minderheit“ bis in die Gegenwart anhalten (S. 140 f.). Viertens sind nach wie vor die Widerstände gegen ein aufgeklärtes Geschichts­verständnis innerhalb der Polizei dem Band zu entnehmen. Dazu zählt die Kritik der Gewerkschaft der Polizei, mit den Kolloquien würde gegen die BKA-Mitarbeiter ein Kollektivvorwurf erhoben, einschließlich widersprechender Mitgliederstimmen (S. 223 ff.); dazu zählen auch die Versuche von BKA-Mitarbeitern, die Bedeutung des Am­tes zu verharmlosen. So er­innert J. Kubica an einige politische Kontroversen aus seiner 30-jährigen Dienstzeit im Amt und erwähnt sowohl das ZN-Merkmal in Inpol als auch die bis 1997 im polizeilichen Vordruck zur Personenbeschreibung verwendeten Merkmale wie „negroid“ oder „pom­merisch“ (S. 164). Das BKA sei dabei eher eine Art Buchhalter von Beschlüssen gewesen, die die föderalen Gremien beschlossen hätten: ein Standardargument aus dem Repertoire der Weißwäscher.

Krenkmann, Alfons; Spieker, Christoph (Hg.): Im Auftrag. Polizei, Verwaltung und Verantwortung, Essen 2001

Eine einzigartige Einrichtung unterhält die Stadt Münster seit 1999: aus Mitteln des städtischen Haushaltes wird der „Geschichtsort Villa ten Hompel“ finanziert. Im namensgebenden Gebäude wirkte zwischen 1940 und 1945 die Führung der Ordnungspolizei des Wehrkreises VI. Der Geschichtsort versteht sich als eine „regionale, didaktische Schnittstelle, die sich auf die drei Säulen Erinnern, Forschen und Lernen stützt“. Neben Forschungsprojekten zur Polizei im Nationalsozialismus und aktuellen Veranstaltungen bildet die Dauerausstellung „Im Auftrag. Polizei, Verwaltung und Verantwortung“ den Kern des Bildungsangebots der Villa. Der Begleitband präsentiert nicht nur Bilddokumente der Ausstellung (S. 39-101), die in fünf Abteilungen die Geschichte der Ordnungspolizei von den 20er bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts beleuchtet. Im zweiten Teil versammelt er eine Reihe von Aufsätzen, die verschiedene Aspekte vertiefen: Neben biografischen Annäherungen an das polizeiliche Führungspersonal stehen Beiträge über die „weltanschauliche Schulung“ oder das Mörderhandwerk der Polizeibataillone und ihre spätere gerichtliche „Würdigung“. Ein lesenswerter Band zu einem nachahmenswerten Projekt.

Schloßmacher, Norbert (Hg.): „Kurzerhand die Farbe gewechselt“. Die Bonner Polizei im Nationalsozialismus, Bonn 2006

Der vom Stadtarchiv Bonn herausgegebene Band dokumentiert die Ergebnisse des Projekts des „Bonner Forums BürgerInnen und Polizei e.V.“, das – angestoßen durch die „Wehrmachtsausstellung“ – die Geschichte der Bonner Polizei untersuchte. Im Unterschied zu anderen lokalen Polizeigeschichten wurde die Arbeit nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert, sondern beruhte auf dem ehrenamtlichen Engagement der beteiligten Polizisten und Historiker. Neben Beiträgen zur Organisation der Bonner Polizei, zur Tätigkeit der Gestapo (und deren Nichtbestrafung in der BRD) oder zur Bonner Wasserschutzpolizei sind die beiden Aufsätze des Historikers Thomas Roth, der aus dem Vergleich mit seiner Kölner Untersuchung schöpft, besonders interessant. Roth meldet Skepsis gegenüber der These des „Widerstands in der Provinz“ an und zeigt, wie das Repertoire der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ in den kleinen Bonner Verhältnissen genutzt wurde. Am Ende des Bandes weist Udo Behrendes auf Veränderungen, Kontinuitäten und Gefährdungen „auf dem Weg von der Staats- zur Bürgerpolizei“ hin.

Dams, Carsten; Dönecke, Klaus; Köhler, Thomas (Hg.): „Dienst am Volk“? Düsseldorfer Polizisten zwischen Demokratie und Diktatur, Frankfurt am Main (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2007. 415 S., EUR 19,80 (mit beiliegender DVD)

Unterstützt mit Mitteln des Polizeipräsidiums, versehen mit Vorworten des nordrhein-westfälischen Innenministers und des gegenwärtigen Polizeipräsidenten enthält dieser Band Beiträge über die Polizei in Düsseldorf, die vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die ersten Jahre der Bundesrepublik reichen. Der Anlass des von der Fachhochschule für öf­fentliche Verwaltung NRW betreuten Projekts war der Fund von 6.000 Personalakten und -karten im Polizeipräsidium, der eine intensivere Be-schäftigung mit der Polizei in der Stadt erlaubte. Der Band, unterbrochen durch drei Bildbetrachtungen zu den Phasen 1919-1933, 1933-1945 und 1945-1949, liefert neben der Organisationsgeschichte im engeren Sinne eine Reihe von biografischen Beiträgen (etwa zum Kommandeur Franz Jürgens), zur Rekrutierung und zum Sozialprofil, aber auch zur Repression in der Stadt („Verwaltungspolizei und Verfolgung“) oder zum „Judenmord in der Ukraine“. Die Nachkriegszeit wird mit drei Beiträgen zur Schutzpolizei, zu abgelehnten Wiedereinstellungsgesuchen und zur weiblichen Polizei in Düsseldorf berücksichtigt. Bemerkenswert ist die Beobachtung von Volker Zimmermann, zwar hätten die deutschen Behörden schnell die Reformen der britischen Besatzer rückgängig gemacht, aber diese hätten doch zu einem nachhaltigen Mentalitätswandel in der Düsseldorfer Polizei geführt. Dem Band beigefügt ist eine DVD, die einen Werbe(stumm)film von 1930 im Original und einer mit Musik und Kommentar unterlegten rekonstruierten Fassung enthält. Ein interessantes Dokument polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit am Ende der Weimarer Republik.

Klemp, Stefan: „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz – Ein Handbuch, Essen 2005

Der Band gibt einen Überblick über die von den Polizei- und Polizei-Reserve-Bataillonen im ganzen besetzten Europa verübten Mordaktionen und die durchweg und systematisch unzureichenden strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Täter in der Bundesrepublik (im Unterschied zur Ahndung in der DDR). Auf 500 Seiten hat der Autor nicht nur eine erhebliche Fleißarbeit vorgelegt, indem er die verwirrende Organisations- und Einsatzgeschichte detailliert nachzeichnet, sondern er hat auch die Ursachen auf Seiten der Justiz (mangelndes Verfolgungsinteresse) und der Gesetzgebung (Einschränkung der Beihilfe zum Mord 1968) benannt, die dazu führten, dass die Erschießung von mindestens einer halben Million Menschen durch deutsche Schutzpolizisten strafrechtlich ohne nennenswerte Folgen blieb.

(alle: Norbert Pütter)

Der Polizeipräsident in Berlin (Hg.): 200 Jahre Polizeipräsidium Berlin, Berlin (Selbstverlag) 2009, 190 S.

Förderkreis Polizeihistorische Sammlung Berlin e.V. (Hg.): Schmunzeln polizeilich erwünscht, Berlin (Selbstverlag) 2009, 78 S.

Runde Jubiläen sind (fast) immer Anlass für Festschriften und natürlich läuft man dabei stets Gefahr sich den eigenen Laden schön zu reden. Das ist auch bei der Berliner Polizei nicht anders. Dabei hat sich der Haupt­autor Harold Selowski, an der Landespolizeischule für Politische Bildung zuständig, im ersten – dem historischen – Teil erkennbar Mühe gegeben, so objektiv wie möglich zu sein. Das ist nicht einfach, wenn man 200 Jahre Geschichte kursorisch auf 110 Seiten abhandeln muss. Dennoch hätte man sich an einigen Stellen etwas mehr analytische Schärfe gewünscht; etwa da, wo es um die mentale Verfasstheit der Polizei im Vorfeld der faschistischen Machtübernahme geht: Sie ist eben nicht nur aufgrund der damaligen innenpolitischen Turbulenzen und vier Polizistenmorden auf den „Etikettenschwindel“ der Nazis nach Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung „hereingefallen“, sondern größtenteils mit fliegenden Fahnen übergelaufen. Immerhin: In der Laudatio-Broschüre zum 175sten fehlte dieses düstere Kapitel gänzlich.

Schön wäre auch gewesen, er hätte der Erschießung von Benno Ohnesorg (immerhin ein wichtiges Ereignis mit erheblichen Folgen für die Bundesrepublik im Allgemeinen und die Berliner Polizei im Besonderen) mehr Platz eingeräumt als nur magere 43 Zeilen. Und je weiter Selowski in die polizeiliche Jetztzeit vorrückt, umso stärker schlägt Behördenloyalität durch. Aber vielleicht darf man von einem aktiven Beamten hier nicht mehr erwarten. Zumindest legt diesen Schluss der zweite, von verschiedenen AutorInnen, verfasste Teil nahe, der sich mit der aktuellen Situation der Berliner Polizei beschäftigt. Sucht man nicht gerade nach aktuellen Zahlenangaben, kann man ihn sorglos überblättern.

Ganz anders ist das muntere Heftchen aus der Reihe „Erlebte Polizeigeschichte“, das „aus Anlass“ dieses 200. Geburtstages zusammengestellt wurde: Erkenntniswert gleich Null; Humorindex dito.

(Otto Diederichs)

Aus dem Netz

http://www.polizeigeschichte.de

Auch wenn die Adresse programmatisch scheint, das Portal zur deutschen Polizeigeschichte findet sich auch hier nicht. Die Seite wird von der 1989 in der damaligen Polizei-Führungsakademie in Münster gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte e.V.“ betrieben. Die fünf historischen Dienstmützen auf der Startseite deuten bereits den inhaltlichen Schwerpunkt der Vereinigung an, die gegenwärtig 370 Mitglieder zählt. Auch wenn das Spektrum der Beiträge, etwa in der vom Verein herausgegebenen Zeitschrift „Archiv für Polizeigeschichte“ oder in der Schriftenreihe durchaus weiter reicht, so bleiben die Aktivitäten doch stark auf herkömmliche polizeiliche Traditionspflege ausgerichtet. Darauf deuten auch die vier Arbeitskreise hin, die den Themen „Bahnpolizei“, „Wasserschutzpolizei“, „Polizeiwaffen“ und „Polizeihistorische Sammlungen“ gewidmet sind.

Die auf der Seite gebotene Link-Sammlung hilft kritisch Interessierten nur bedingt weiter: Einige der Verweise führen ins Leere (etwa zu den Dienstmarken der Gestapo), andere führen zu Abbildungen von Polizeiuniformen oder -fahrzeugen oder Rang- und Hoheitszeichen. Nicht viel besser sieht es mit den Links zu den polizeihistorischen Sammlungen aus. Manche sind nicht mehr aktuell (etwa Berlin, Anhalt, Niedersachsen, Dortmund), funktionierende führen zum 1. Polizei-Oldtimer-Museum. Die wenigen interessanten Angebote auf dieser Seite muss man lange suchen – etwa einen Text über die Polizeigewerkschaften bis 1933 oder die Seite des ehemaligen Polizeihauptkommissars Siegfried Paul, der die Geschichte der Polizei in Hamm (Westfalen) dokumentiert. Selbst die Verweise auf die Geschichtsbemühungen einzelner deutscher Polizeien sind zum Teil veraltet.

Wer sich deshalb im Netz über deutsche Polizeigeschichte informieren will, der oder die ist besser beraten, einer der bekannten Suchmaschinen den Vorzug zu geben.

(Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Schenk, Dieter: BKA – Polizeihilfe für Folterregime, Bonn (Verlag J.H.W. Dietz) 2008, 400 S., EUR 28,–

Folgt man dem Bekenntnis eines führenden Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA), so sind „die Grundrechte und die Wertentscheidungen des Grundgesetzes … Leitlinien für jedes polizeiliche Handeln“. Demnach wäre polizeiliches Handeln daran zu messen, inwieweit es die Würde des Menschen, die Grund- und Menschenrechte achtet, schützt und verwirklicht. Dabei folgt aus der Universalität der Menschenrechte, dass dieser Maßstab weltweit gelten muss. Dieter Schenk fragt in seinem neuesten Buch, inwieweit das Bundeskriminalamt, in dem er einst als Kriminaldirektor arbeitete, diesen Ansprüchen gerecht wird.

Schenk richtet das Scheinwerferlicht vor allem auf die Auslandsaktivitäten der Behörde – Aspekte deutscher Polizeiarbeit, die allgemein wenig beleuchtet oder wenn, dann oft in einem einseitig positiven Licht dargestellt werden. Laut BKA-Gesetz gehört es zu den Aufgaben des Amtes, die Verbindungen zu ausländischen Polizeibehörden und internationalen Polizeiorganisationen herzustellen und zu pflegen. Hinzu tritt in zunehmendem Maße die Initiierung von oder Beteiligung an Aus- und Fortbildungsaktivitäten für ausländische Polizeikräfte. All dies wären gute Gelegenheiten, dem oben formulierten Maßstab für polizeiliches Handeln Taten folgen zu lassen. Die im Ausland tätigen BKA-Beamten könnten ihren nicht unerheblichen Einfluss für die Beseitigung von Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen in den Zielländern geltend machen. Das BKA könnte als größter Geldgeber von Interpol versuchen, diese Organisation dazu zu bringen, gegen Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedsländern Position zu beziehen. Menschenrechtsbildung schließlich könnte ein Schwerpunkt- und Querschnittsthema bei der Aus- und Fortbildung ausländischer Polizeikräfte sein. Erfolgt dies? Weitgehend Fehlanzeige, wie Dieter Schenk kenntnis- und faktenreich nachweist. Dabei stellt er nicht die Notwendigkeit dieser Behörde und ihrer Auslandsaktivitäten an sich in Frage und er anerkennt die Verdienste und Kompetenzen vieler ihrer MitarbeiterInnen. Damit unterscheidet er sich wohltuend von jenen KritikerInnen, die der Polizei mit meist ideologisch geprägtem, pauschalem Misstrauen begegnen. Zu Schenks Stärken zählt es weiterhin, dass er sich nicht mit purer Kritik begnügt, sondern immer wieder sofort umsetzbare, konkrete Änderungsvorschläge unterbreitet.

Aus der Fülle seines Buches seien zwei Beispiele herausgegriffen. Während die Bundesregierung immer wieder behauptet, die Auslandshilfe des BKA diene dem Aufbau demokratischer Polizeistrukturen in den Zielländern, findet sich in den konkreten Richtlinien und Vorgehensweisen des BKA hierzu wenig bis nichts. So tauchen die Begriffe Menschen- und Grundrechte weder in der Profilbeschreibung für BKA-Beamte, die ins Ausland gehen auf, noch finden sie sich (von einer Ausnahme abgesehen) in den Aus- und Fortbildungsprogrammen für die ausländischen Polizeiangehörigen. An anderen Stellen weist Schenk immer wieder darauf hin, dass BKA-Beamte im Auslandseinsatz kritik- und oft auch bedenkenlos mit Folterpolizeien zusammenarbeiten, dass sie mit deren Angehörigen einen kollegialen Umgang pflegen und sich nicht schämen, sich etwa einen indonesischen Polizeiknüppel, mit dem vielleicht kürzlich noch Unschuldige traktiert worden sind, an die Wand zu hängen.

Der Autor stellt auch eine Verbindung her zu den „braunen Wurzeln“ des BKA, zu den Tatsachen also, dass das Amt in der jungen Bundesrepublik durch frühere SS- und Gestapo-Angehörige aufgebaut wurde. Aber kann es Einflüsse von jenen längst verstorbenen Führungskräften auf die heutige Organisationskultur geben? Aus systemischer Sicht muss diese Frage klar bejaht werden. Die Wurzeln einer Organisation prägen auf oft unbewussten Ebenen die Atmosphäre, die Kultur in der Gegenwart. Und so erscheint die von menschenrechtlichen Verpflichtungen losgelöste Einstellung, in der Auslandsaktivitäten auf „allgemeine Polizeiarbeit“ reduziert werden, jenen Haltungen der Ex-Nazis und BKA-Führer nicht unähnlich, die für sich (wahrheitswidrig) reklamierten, im Dritten Reich lediglich „sachliche Polizeiarbeit“ geleistet zu haben – Verdrängung und Verantwortungsflucht hier wie da. Besonders nachdenklich stimmen in dieser Hinsicht in dem Buch die so genannten Flash-backs. Hier zeigt Schenk Parallelen zwischen der polizeilichen Realität des 21. Jahrhunderts und Vorgängen während der Nazizeit auf, so etwa zwischen dem FRONTEX-Umgang mit Flüchtlingen und dem so genannten Madagaskar-Plan zur zwangsweisen Ansiedlung von Juden (S. 194-199).

Schenks Buch ist durch seine Fakten- und Detailfülle in vielerlei Hinsicht mit Gewinn zu lesen. Durch die ausführliche Darstellung menschenrechtlicher Hintergründe in unterschiedlichen Staaten der Welt bietet das Buch weiteren Gewinn, der durch gute Register noch gesteigert wird. Wer Dieter Schenk bereits persönlich erlebt hat, wird im Buch jedoch mitunter die Stringenz und Klarheit vermissen, die seine mündlichen Ausführungen auszeichnen. Ein wenig zu sehr erlag er wohl der Versuchung, sein faktenreiches und besonders historisch verwurzeltes Wissen zum Gegenstand in seiner Fülle auszubreiten. Trotz dieser Einschränkung sei „BKA – Polizeihilfe für Folterregime“ dem Fachpublikum genauso empfohlen wie auch jenen Laien, die ein differenziertes Bild von den Auslandsaktivitäten des BKA erhalten wollen.

(Günter Schicht)

Stöckemann, Tina: Big Brother is watching you. Videoüberwachung und Medien, Saarbrücken (Verlag Dr. Müller) 2008, 112 S., EUR 49,

Dass Einschätzungen der Bevölkerung zur Videoüberwachung sozial konstruiert und medial vermittelt sind, liegt auf der Hand. Tina Stöckemann untersucht in ihrer Diplomarbeit eine solche „Wirklichkeitskonstruktion durch Massenmedien“ (S. 49) am Beispiel der Berichterstattung der Leipziger Lokalpresse. In Leipzig, daran sei erinnert, startete 1996 das erste deutsche Pilotprojekt zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze, das, als „Erfolg“ deklariert, Signalwirkung für den Rest der Republik hatte. Stöckemann seziert mehr als 80 Beiträge aus der einflussreichen „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ). Insgesamt dominiert, wie gezeigt wird, eine affirmative und parteiliche Berichterstattung, in der O-Töne von BefürworterInnen der Überwachung (unter ihnen selbst der sächsische Datenschützer) überwiegen und sogar in Berichten über Proteste den Kritikern der Kritik das Schlusswort überlassen wird. Die mediale Begleitmusik zum Auftakt der Überwachungsjahre bildet das Motiv von der „Hauptstadt der Diebe“, in der einzig Videoüberwachung Heil verspricht. Im Stile des „Verlautbarungsjournalismus“ (S. 88) wird der Leipziger Polizeichef mit seiner Interpretation der lokalen Kriminalstatistik zum Kronzeugen der Wirksamkeit der Maßnahme gemacht. Der Gewöhnung an die polizeiliche Videoüberwachung folgen nach 2000 polemische Berichte über die Videographie „blinder Zerstörungswut“ in Straßenbahnen. Damit leistet die LVZ, so das Fazit, einen medialen Beitrag zur „Herstellung einer positiven Bevölkerungsmeinung zu Videoüberwachung als Beitrag zu einem Konzept Innerer Sicherheit, das darauf ausgelegt ist, die Grenzen zwischen scheinbar antagonistischen StadtbewohnerInnen zu verstärken“ (S. 90). Die Studie liest sich als instruktives Beispiel dafür, wie der „politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs“ (Sebastian Scheerer) nicht nur Kriminalitätshysterie schürt, sondern auch die erwünschten Gegenmittel preist. Zwei deutliche Schwächen allerdings hat der Band: Zum einen beschränkt er sich aus Bequemlichkeit im Wesentlichen auf Beiträge der LVZ zwischen 1999 und 2005 und erfasst die Berichterstattung während der entscheidenden Phase der Durchsetzung der Überwachung 1996/1997 nur selektiv. Zum anderen ist der stolze Preis angesichts des schmalen Umfangs kaum gerechtfertigt.

(Eric Töpfer)

Kammerer, Dietmar: Bilder der Überwachung, Frankfurt (Suhrkamp) 2008 , 284 S., EUR 13,–

Die Videoüberwachungs-Kritik hat mit dem Problem zu kämpfen, dass ihr rationalistischer Einwand gegen die Überwacher und deren Scheinargumente meist machtlos bleibt. Man kann Kammerers Buch als Versuch verstehen, der Frage, warum es trotz allem so viel Videoüberwachung (VÜ) gibt, auf den Grund zu gehen. Um dies beantworten zu können, un­tersucht er nicht nur die Überwachungsinfrastukturen und -technik, die (oft ausbleibenden) Wirkungen und die Umgangsweisen mit den „Überwachungsbildern“, die in den Kontrollräumen von Sicherheitspersonal betrachtet werden, sondern als Gegenstück dazu auch die „Bilder der Über­wachung“. Darunter versteht er die kulturellen „Repräsentationen systema­tischer und technikgestützter Beobachtung, die in massenmedialer Zirkulation das kollektive Bewußtsein dessen prägen, was Überwachung ist und was sie kann.“ (S. 9). Gerade in diesen Vereinnahmungen, De- und Rekontextualisierungen, wo es bereichsspezifische Aneignungs­weisen und von den konkreten, kriminalpräventiv gemeinten Kameras losgelöste Repräsentationsdynamiken gibt, liegt ein Schlüssel zum Verständnis der Akzeptanz von VÜ. Diese Bilder der Überwachung begreift Kammerer als eigenständige Einflussfaktoren für die Auf­recht­erhaltung der Überwachungsgesellschaft.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste, welcher sich klassisch den Überwachungsbildern widmet, liest sich wie ein Kompendium zur VÜ. Er bietet einen guten Überblick über die meisten wichtigen Facetten des Themas und gewährt v.a. einen Einblick in die Widersprüche und Brüche im Diskurs. Im kürzeren zweiten Teil geht es um die eigentlichen „Bilder der Überwachung“. Zu denen gehören mediale Schemata wie das symbolische Auge (Gottes), aber auch die Kamerabeschilderungen. Im VII. Kapitel, welches den Spuren der VÜ in der Populärkultur folgt, findet sich möglicherweise die Kernaussage des Buches: „Was sie tatsächlich zu leisten vermag, deckt sich weder mit dem, was ihre Propagandisten erwarten, noch mit dem, was Kritiker an ihr fürchten.“ (S. 253). VÜ, so Kammerer mit Bezug auf Barthes, sei ein Mythos und als solcher abgelöst von rationalen Begründungen. Die Macht des Mythos ist nicht zu brechen. Dies liegt möglicherweise daran, dass sie als Alltagspraxis, Alltagswissen und Symbol viele Lebensbereiche durchdringt. Sie findet sich – kritisch oder affirmativ verwendet – in Werbung, Pop, Film und TV. Die lose und unsystematische Aufzählung vieler Beispiele an dieser Stelle, die nach beliebig erscheinenden Methoden mal mehr, mal weniger ausführlich interpretiert werden, lässt aber viele Fragen offen.

(Peter Ullrich)

Lüdtke, Alf; Wildt, Michael (Hg.): Staats-Gewalt: Ausnahmezustand und Sicherheitsregimes. Historische Perspektiven. Göttingen (Wallstein Verlag), 2008, 352 S., EUR 20,–

„Der gerade Weg führt in die Irre, wie meistens“, so beginnt der Sammelband „Ausnahmezustand und Sicherheitsregimes“, der sich der gegenwärtig zentralen Legitimationsfigur eben jenes Ausnahmezustandes – der „Sicherheit“ – in historischer Perspektive nähert und verdeutlicht, dass der Ausnahmezustand keine rein konstitutionelle Kategorie ist, sondern auch in den polizeilichen Alltag „eingelassen“ ist: „,Kurzer Prozess‘ kann auch im Kleinen gemacht werden“ (S. 21). Elf Beiträge, von der „guten Polizey“ der Frühen Neuzeit (Achim Landwehr), über den 17. Juni 1953 in Erfurt (Alf Lüdtke), bis hin zur Präsidialdemokratie in den USA nach 9/11 (William E. Scheuermann), verdeutlichen dies anschaulich. Die Betrachtung der kolonialen Herrschaftspraxis in Afrika (Andreas Eckert), der Blick auf die israelische machtpolitische Logik in der Westbank, die für Gadi Algazi „Containment, nicht Regierung“ heißt (S. 337), sowie die Betrachtung des Handelns von Polizei und Gerichten im ländlichen Russland zwischen 1905 und 1917 (Jane Burbank) erweitern auch geographisch den Horizont. Stefan Plaggenborg (S. 120-144) nimmt die russischen Revolutionsmonate vom Februar bis zum Oktober 1917 in den Blick, um sich mit den Thesen Carl Schmitts und Giorgio Agambens auseinander- und von deren Apodiktik abzusetzen: Soweit Schmitt den Ausnahmezustand als Suspendierung des Rechts, nicht aber des Staates deutete, sei es in Russland zum genannten Zeitraum umgekehrt gewesen: „Der Staat war suspendiert, nicht aber das Recht“ (S. 124). Während für Agamben der Ausnahmezustand ein „rechtsfreier Raum, eine Zone der Anomie“ ist, „in der alle rechtlichen Bestimmungen … deaktiviert sind“ (S. 138), zeigt Plaggenborg, dass Agamben „irgendwann im Verlauf der Diskussionen … die zentrale Instanz des Staates verloren gegangen“ sein müsse, jedenfalls insoweit, als dass ein Raum solange nicht rechtsfrei ist, „solange es sanktionierende Instanzen gibt, die wir unter dem Begriff Staat fassen“ (ebd.). Es gilt jedenfalls, was die Herausgeber des Bandes, im Vorwort (S. 25) schreiben, „Staatsgewalt hat, ungeachtet aller Rationalisierung und Verrechtlichung, keineswegs ihren Gewaltcharakter verloren; das bleibt in der Debatte um ‚Zivilgesellschaft’ weithin außer Acht.“

Braun, Sören: Private Sicherheitsdienste in Präventionsgremien. Eine kriminologische Untersuchung, Hamburg (Verlag Dr. Kovač) 2007, 525 S., EUR 128,–

In seiner 500-seitigen Dissertation zu privaten Sicherheitsdiensten in deutschen Präventionsgremien vertritt Braun die richtige These, es gebe einen Trend zu einer „zunehmenden Privatisierung von Prävention“ (S. 1), kommt aber zugleich zu dem weiteren Ergebnis, dass private Sicherheitsdienste „bisher selten an den kommunalen Präventionsgremien beteiligt“ sind (S. 374). Schriftlich befragt hat Braun die 14 Landesgruppen des Bundesverbands der Deutschen Wach- und Sicherheitsunternehmen und dessen 424 Mitglieds­unternehmen mit Rücklaufquoten von jeweils 50 bzw. 20 Prozent bzw. sieben und 86 Antworten; befragt wurden weiter alle 185 Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern (Rücklaufquote 85,6 Prozent). Demnach ist das Gewerbe in sechs von acht Landespräventionsgremien eingebunden und zudem in acht Städten (S. 155). Bestätigen kann Braun auch den Befund anderer Untersuchungen, dass die Polizei in den meisten Fällen die Arbeitsschwerpunkte der Präventionsgremien bestimmt (S. 169). Braun lehnt die weitere Integration des Gewerbes in die Kriminalprävention insbesondere wegen dessen selektiver Wahrnehmung von Problemen und damit zwingend einhergehenden „schichtspezifische[n] Probleme[n]“, der „erheblichen Definitionsmacht von Problemlagen“ und nicht zuletzt wegen der schlechten Ausbildung des Personals ab (S. 374 f.). Schließlich sei ein strukturelles „Dilemma … vorgezeichnet“: Wenn „Polizei und private Sicherheitsdienste in Wettbewerb miteinander treten, kann die Polizei nur verlieren“ (S. 375). Die Orientierung der kommerziellen Sicherheitsdienste an subjektiven Bedürfnissen und Kriterien mache sie für ihre jeweiligen Auftraggeber immer attraktiver als die Polizei. Eine Optimierung von Sicherheitslagen sei durch verstärkte Einbindung des kommerziellen Sicherheitsgewerbes nicht zu erwarten: „sie würde sogar das Gegenteil bewirken“ (S. 376).

Braun hat eine verdienstvolle Arbeit vorgelegt, die am Rande auch berücksichtigt, dass kriminalpräventive Gremien nur einen kleinen Ausschnitt kommunaler Kriminalprävention durch kommerzielle Sicherheitsdienste darstellen (S. 201, 375) und daher der Anteil des Gewerbes an der Kriminalprävention wohl höher anzusetzen ist; eine Befragung von Wohnungsbaugesellschaften etwa würde ein deutlich anderes Bild ergeben. Zudem malt Braun das staatliche Gewaltmonopol allzu rosenrot bis himmelblau, wenn er annimmt, seine Existenz sei bereits Garant für nicht diskriminierendes Handeln (S. 335 ff.). Vielleicht ist das aber auch der insgesamt etwas ungeschliffenen Schriftsprache des Autors geschuldet, dem im genannten Abschnitt auch noch dieser Lapsus unterlief (S. 339): „Wenn der Staat kein Sicherheitsmonopol inne hat, ist die Einbeziehung des Sicherheitsgewerbes in die Gremienarbeit unproblematisch.“

(beide: Volker Eick)

Selders, Beate: Keine Bewegung! Die ‚Residenzpflicht‘ für Flüchtlinge – Bestandsaufnahme und Kritik, Berlin (Eigenverlag) 2009, 140 S., EUR 5,–

Unterstützt vom Flüchtlingsrat Brandenburg und der Humanistischen Union hat die Journalistin Beate Selders diese Dokumentation zur „Residenzpflicht“ erstellt. Dass AsylbewerberInnen und Geduldete den Zuständigkeitsbereich „ihrer“ Ausländerbehörde nicht verlassen dürfen, dass sie mitunter über Jahre gezwungen sind in Sammelunterkünften oder abgelegenen Hotels zu wohnen, ihnen nicht nur das Arbeiten, sondern das Verlassen ihrer „Heimatkreise“ unter Strafe verboten ist, das ist und bleibt ein menschenrechtlicher Skandal. Dessen Ausmaß sucht die Autorin auf verschiedenen Wegen auszuleuchten: Am eindrucksvollsten sind die vielen geschilderten Fälle Asylsuchender, deren Leben durch die hanebüchenen Auswirkungen der „Residenzpflicht“ massiv beschnitten wird. Selders zeigt mit dem Blick auf die gesetzlichen Grundlagen und deren Billigung durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass es sich um die beabsichtigten Folgen der europäischen Abschirmungspolitik handelt, die sich von der miserablen Lage der Asylsuchenden eine abschreckende Wirkung auf die Flüchtlinge vor den Toren der Festung verspricht. Diese Lage ist gekennzeichnet durch Isolation, durch die Abhängigkeit von der Willkür der Ausländerbehörde und permanenter Kriminalisierungsgefahr. In Interviews mit Experten werden einzelne Folgen der „Residenzpflicht“ genauer betrachtet und in Zusammenhang – etwa mit polizeilichen Strategien oder mit der Abschottungspolitik – gestellt. Nähme die herrschende Politik Art. 1 des Grundgesetzes Ernst, sie müsste diese Broschüre zum Anlasse nehmen, die „Residenzpflicht“ umgehend abzuschaffen.

(Norbert Pütter)

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