Lechts und Rinks – Der Verfassungsschutz und die „linke Gewalt in Berlin“

von Fabian Kunow und Oliver Schneider

Eine Studie des Berliner Verfassungsschutzes zeigt die Fokusverschiebung der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den „Extremismus“.

Der Berliner Innensenat ließ sich nicht lumpen, als er am 11. November 2009 die Verfassungsschutz-Broschüre „Linke Gewalt in Berlin (2003-2008)“ vorstellte.[1] Anders als sonst bei Neuveröffentlichungen üblich fand die Veranstaltung, ein Fachsymposium, nicht in den eigenen Räumen, sondern im Kinosaal des „Deutschen Historischen Museums Unter den Linden“ statt. Gäste waren PolizistInnen, VerfassungsschützerInnen, PolitikerInnen und behördentreue JournalistInnen. Vorangegangen war eine wochenlange Berichterstattung über eine angeblich ausufernde Gewalt von Links sowie eine Kampagne der Opposition, die im Feuerschein brennender Autos ein Thema erblickte, um gegen den Rot-Roten Senat punkten zu können.

Vorbild für die Studie über „linke Gewalt“ ist eine über „rechte Gewalt in Berlin“, deren zwei Teile 2005 und 2007 in der gleichen Reihe des Berliner Verfassungsschutzes erschienen sind. Die Fragestellung ist bei beiden identisch: Welches Ausmaß und welchen Charakter hat linke bzw. rechte Gewalt in der Hauptstadt? Welcher Zusammenhang besteht zwischen linker bzw. rechter Gewalt und Links- bzw. Rechtsextremismus? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten weisen die Phänomenologie linker und rechter Gewalt auf?

Die Parallelisierung von „links“ und „rechts“ geschieht hier nicht zufällig, sondern ist gewolltes Ergebnis. So sind nicht nur Aufbau und Verwendung von Begriffen in den Studien gleich. Dem „Vergleich politisch links motivierter Gewalt mit politisch rechts motivierter Gewalt“ ist in der neuen Publikation auch ein eigenständiges vierseitiges Kapitel gewidmet, das zwar relativ nüchtern und sachlich daher kommt, aber dennoch mit Tricks arbeitet, um die gewünschte Gleichsetzung zu erreichen. So wird unter der Überschrift „weniger Gewalt gegen Menschen“ eine „gravierende“ Tat vom 1. Mai 2009 in Berlin-Kreuzberg eingearbeitet. Untersuchungszeitraum für die Studie sind aber die Jahre von 2003 bis 2008, die so etwas scheinbar nicht hergaben.

Theoretische Grundlage der Publikation „Linke Gewalt in Berlin“ ist die vom Bundesamt sowie den Landesämtern für Verfassungsschutz favorisierte Extremismusthese. Diese feiert spätestens seit dem Regierungswechsel im Bund eine fröhliche Renaissance – auch jenseits der Inlandsgeheimdienste.

Der Extremismusbegriff und seine Folgen

„Man kann unter dem Oberbegriff ‚Krankheiten‘ auch Hautkrebs und Hühneraugen miteinander vergleichen; dies wird aber kein seriöser Mediziner tun.“ Mit diesen Worten kommentiert der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge die der Extremismusthese zu Grunde liegende Totalitarismustheorie.[2] Das Konstrukt des Extremismus basiert auf der Idee einer demokratischen, grundgesetztreuen Mitte. Diese werde von den äußeren Rändern des politischen Spektrums her durch extremistische GegnerInnen der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (fdGO) angegriffen. Was genau die (gemeinsamen) Ziele der ExtremistInnen jenseits der Feindschaft zur Verfassung sein sollen, wird in dieser negativen Definition erst gar nicht benannt. So erspart sich die Broschüre auch einen genaueren Linksextremismusbegriff, die über die allgemeine Negativdefinition des Extremismus hinausgeht. In der Studie „Rechte Gewalt in Berlin“ hatte man hingegen noch eine Rechtsextremismusdefinition des Politologen Armin Pfahl-Traughber vorgestellt. Der ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz definiert Rechtsextremismus als Ablehnung des Gleichheitsprinzips, Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, Antipluralismus und Autoritarismus. Ähnliche explizite Definitionsversuche für „Linksextremismus“ sucht man in der Studie über „linke Gewalt“ vergeblich. Da man im Sinne der Extremismustheorie mit den gleichen Kategorien und Begriffen bei „links“ und „rechts“ arbeitet, wird auch der Begriff des „Hassverbrechens“ („hate crime“) in der Broschüre verwendet. Er soll die besondere Niederträchtigkeit einer Straftat gegen bestimmte – sozial benachteiligte – Gruppen herausstellen. Linke „Hassverbrechen“ sind laut Verfassungsschutz (und Bundeskriminalamt) Gewalttaten gegen Personen wegen ihres „gesellschaftlichen Status“ – Wohlhabende nämlich. Das Zusammenschlagen eines Obdachlosen durch Neonazis und das Anzünden eines teuren Autos durch „Autonome“ werden so auf die gleiche Stufe gestellt.

Alles Gewalt

Der den Studien zugrunde liegende Ansatz versammelt vom Tötungsdelikt über Brandstiftungen und Körperverletzungen bis hin zum „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ verschiedenste Straftaten vereinheitlichend unter dem Schlagwort „Gewalt“. Dies führt zu widersprüchlichen Bildern, wenn etwa deutlich mehr linke als rechte Gewalttaten in Berlin festgestellt werden, linken Tatverdächtigen aber im selben Atemzug bescheinigt wird, dass sie eine „Schädigung von Menschen … in der Regel zu vermeiden“ suchen. Im Ergebnis muss auch der Verfassungsschutz feststellen, dass sich die linken Gewalttaten prozentual weniger gegen Menschen richten als die rechten. Zudem verzeichnet die Studie deutliche Rückgänge bei Körperverletzungsdelikten von links seit 2007. Die letztgenannten Differenzierungen fanden allerdings keinen Eingang in die Medienberichterstattung. Selbst der Berliner Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid schien die allgegenwärtige Schlagzeile „Mehr linke als rechte Gewalt!“[3], die auf das Produkt aus ihrem Haus zurückgeht, zwischenzeitlich unheimlich zu werden. Gegenüber dem „Tagesspiegel“ führte sie auf die Frage nach den Unterschieden zwischen rechter und linker Gewalt aus, dass bei RechtsextremistInnen „fast alle Gewalttaten Körperverletzungsdelikte“ seien. Mit ihrer Aussage, „einen Bordsteinkick gibt es bei Linken nicht“, bringt sie die höhere Brutalität rechter TäterInnen auf den Punkt.[4]

Den spannenden und nahe liegenden, wenn nicht gar notwendigen Rechts-Links-Vergleich hinsichtlich der Schwere der Verletzungen, die die Opfer der Gewalttaten erlitten, unternimmt die Studie nicht. Tatsächlich kann man sich auch aus einer extremismustheoretischen Perspektive um eine differenziertere Analyse von Gewalthandeln bemühen, als es der Berliner Verfassungsschutz tut. So beschrieb der Politikwissenschaftler Matthias Mletzko 2001 in der Zeitschrift „Kriminalistik“ – einer der Beschönigung des Linksextremismus sicher gänzlich unverdächtigen Fachpublikation für KriminalpolizistInnen – die Unterschiede von rechten und linken Gewaltpraxen und -diskursen in Deutschland und arbeitete signifikante Merkmale heraus. So sei das „Ausmaß heterophober und rechtsextremistischer Gewalt … höher“ als das militanter Linker, vor allem verweise aber „das große Übergewicht von Körperverletzungs- und Tötungsdelikten auf deutlich höhere Brutalitäten“ in der „Neonazi- und Skinheadszene“.[5] Linke Autonome zeigt Mletzko gewiss in keinem rosigen Licht, schreibt ihnen aber „auf Grundüberzeugungen basierende Begrenzungsinteressen“ bei der von ihnen ausgeübten Gewalt und „Handlungsorientierungen mit dem Leitbild eines ‚verantwortlichen Täters‘“ zu.[6]

Wer die undifferenzierte Verwendung des Gewaltbegriffs durch den Verfassungsschutz kritisiert, sieht sich in der gegenwärtigen Debatte schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, Sympathien für linke Taten oder Tatverdächtige zu hegen. Das schlagende Argument gegen die Links-Rechts-Gleichmacherei liegt in empirischen Befunden zu rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt im wiedervereinigten Deutschland: In einer aktuellen Zählung geht der Fonds für die Opfer rechter Gewalt, Cura, von 149 Todesopfern seit dem 3. Oktober 1990 aus, davon elf allein in Berlin.[7]

Grundlage

Über die Studie „Linke Gewalt in Berlin“ schreibt die „Berliner Morgenpost“: „Auf 84 Seiten haben die Berliner Verfassungsschützer die Ergebnisse ihrer wochenlangen Fleißarbeit zusammengetragen.“[8] Die Studie, die SozialwissenschaftsstudentInnen nach den ersten Methodenscheinen erstellen könnten, krankt jedoch vor allem an einem: den verwendeten Daten.

Ausgewertet wurden 835 Delikte, die aus der polizeilichen Statistik „Politisch motivierte Gewaltkriminalität links“ stammen. Anders als bei der allgemeinen Kriminalstatistik werden dabei auch einfache Körperverletzungen und Widerstandsdelikte als Gewaltdelikte gezählt. Ein großes Problem besteht zudem darin, dass die Studie eine Tatverdächtigen- und keine Täteranalyse ist. Trotzdem werden offenbar neben polizeilichen auch Gerichtsakten nach den sozioökonomischen Verortungen der Tatverdächtigen ausgewertet.

Gerade bei Brandanschlägen und „Gegen-Rechts-Gewalt“ sind Tatverdächtige – so es denn diese überhaupt gibt – nicht mit verurteilten TäterInnen identisch. Es gibt kaum Verurteilungen in diesen Tatkontexten, obwohl Berliner Polizei und Schwerpunktstaatsanwaltschaft sehr bemüht sind, Tatverdächtige zu finden und zu überführen. Dies wird zwar durchaus in der Einleitung problematisiert. Im Forschungsdesign wird es nur erwähnt, schlägt sich aber nicht weiter nieder.

Das Beispiel des „Ostbahnhof-Verfahrens“ verdeutlicht das Problem der Tatverdächtigenanalyse. Am 1. Juni 2005 kam es auf dem im Berliner Bezirk Friedrichshain gelegenen Ostbahnhof zu einer Konfrontation zwischen Neonazis, die von einer Gerichtsverhandlung in Potsdam heimkehrten, und Unbekannten. Auf Videobändern von Überwachungskameras im Bahnhof meinten sowohl „szenekundige Polizeibeamte“ als auch Neonazis acht tatverdächtige Personen erkannt zu haben. Bei allen acht (und bei weiteren Personen aus der linken Szene) führte die Polizei Hausdurchsuchungen mit massivem Aufwand durch. Gegen sieben der Beschuldigten erhob die Staatsanwaltschaft erst gar keine Anklage, sondern stellte das Verfahren ein. Nur gegen den achten kam es zur Hauptverhandlung – und am 28. Januar 2010 zum Freispruch.

Die gesamte Tat passt genau in das Profil, das die Studie bei linker Gewalt in Berlin erkannt haben will: Die Tatverdächtigen stammten fast alle aus Friedrichshain-Kreuzberg, sie befanden sich überwiegend in einer Ausbildung, die Tat wurde in der Gruppe begangen, Tat- und Wohnort der Verdächtigen lagen nicht weit voneinander entfernt. Als einziger „Mangel“ bleibt, dass die Festgenommenen nicht die TäterInnen waren.

Um die besondere Gefährlichkeit des Berliner „Linksextremismus“ hervorzuheben, geht die Studie ausführlicher auf „versuchte Tötungen durch linke Gewalt“ ein. Natürlich hegt niemand Sympathien gegenüber „Totschlägern“, in dem Abschnitt werden jedoch keine neuen Erkenntnisse vermittelt, sondern nur Emotionen geschürt. Im Kapitel „Deliktstruktur“ gibt es einen eigenen Absatz zu zwei Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags (§ 212 StGB). Im Kapitel „Opfer“ und dem dortigen Unterkapitel „Links-Rechts-Auseinandersetzung“ wird ebenfalls auf die beiden Taten eingegangen, um auf „die teilweise enthemmten Angriffe gegen die politischen Feinde“ aufmerksam zu machen.

Eine der beiden aufgeführten „versuchten Totschläge“ ist der Fall des Gewerkschafters und Antifa-Aktivisten Matthias Z. Er saß 101 Tage wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags unschuldig in Untersuchungshaft. Noch vor dem Gerichtsverfahren, am 28. März 2007, erging ein Beschluss des Landgerichts Berlin, welcher die Tat auf „gefährliche Körperverletzung“ (§ 223, 224 Absatz 1 Nr. 2 und 4 StGB) herunterstufte.[9] Im Dezember 2007 wurde Z. freigesprochen. Er war lediglich aufgrund unglaubwürdiger Aussagen zweier Neonazis verdächtigt worden.

Die Studie erwähnt den Freispruch zwar, zählt die Tat aber trotzdem als versuchten Totschlag. Um den Effekt der Skandalisierung linker Gewalt erreichen zu können, muss sie nicht nur den Freispruch herunterspielen, sondern auch andere gerichtliche Feststellungen ignorieren. Der Kernsatz dazu lautet: „In einem Fall wurde der Tatverdächtige zwar freigesprochen – eines der Opfer wurde aber durch eine Kopfplatzwunde schwer verletzt“ (Hervorhebung durch d. Verf.). Nachdem der ursprüngliche falsche Vorwurf des versuchten Totschlags vom Tisch war, ist die Tat aber gerade nicht als „schwere Körperverletzung“ (§ 226 StGB) verfolgt worden. Ganz im Gegenteil: Zu der Platzwunde schreibt das Landgericht in seinem Beschluss vom März 2007: „Von schweren oder gar lebensgefährlichen Verletzungen der Geschädigten kann daher nicht die Rede sein.“ Auch der Verfassungsschutz müsste das zur Kenntnis nehmen. Zudem ist in diesem Fall der Verdacht der linken Gewalt gegen rechts nach dem Freispruch von Z. nur noch eine unbewiesene Hypothese.

Hellfeld: Demonstrationen

Die Verfassungsschutz-Studie über „linke Gewalt“ arbeitet drei „Tatkontexte“ heraus, die im Untersuchungszeitraum (2003-2008) quantitativ von herausragender Bedeutung seien. Das sind erstens „Gewalttaten mit Demonstrationsbezug“ (371 Taten, davon etwa 50 Prozent Landfriedensbruchdelikte), gefolgt von – zweitens – Brandstiftungen (268 Taten) und drittens der „‚gegen rechts‘ gerichteten Gewalt“ (232 Taten). Bei diesen Bereichen – und dies wird in der Studie auch eingeräumt – ist im Gegensatz zu Untersuchungen von „rechter Gewalt“, von einem großen „Hellfeld“ auszugehen. Insgesamt erklärt sich daraus die – im Vergleich zur „rechten Gewalt“ – sehr hohe Zahl „linker Gewalttaten“.

Bei Demonstrationen ist die Polizei nämlich in der Regel vor Ort, weshalb mögliche Straftaten mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch sie selbst zur Anzeige gebracht werden. Dass sie im „Tatkontext Demonstration“ nicht nur das „Dunkelfeld“ ausleuchtet und Straftaten registriert, die ansonsten unerkannt geblieben wären, thematisiert die Studie jedoch nicht. Bestimmte Delikte sind ohne das Eingreifen der Polizei gar nicht denkbar. So banal es klingt: Ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist ohne diese nicht möglich. Aber auch darüber hinaus produziert die Polizei durch ihre Einsatzstrategie Straftaten und Tatverdächtige (mit). Beschlagnahmeaktionen von Seitentransparenten, die die Länge von 1,50 m überschreiten, oder eine sehr enge Auslegung des Vermummungsverbots gehören z.B. in Berlin seit Jahren zum ständigen polizeilichen Handlungsrepertoire gegen linke Demonstrationen. Das jeweilige Auftreten der Polizei kann die Zahl der Gewalttaten mit dem „Tatkontext Demonstration“ deutlich nach oben oder unten beeinflussen. Dadurch dass Polizeieinsätze gewalttätiges Handeln und Solidaritätsakte von DemonstrantInnen gegen in deren Augen unverhältnismäßige Polizeieinsätze hervorrufen.

Brennende Autos

Richtig in Fahrt kommt die Anti-Linksextremismus-Stimmung im Bund, aber vor allem in Berlin, wenn am Diskurs über vermeintlich von „Autonomen“ angezündete Fahrzeuge gesponnen wird. In den Jahren zwischen 2003 und 2008 gab es in Berlin 268 Autobrandstiftungen, die das Landeskriminalamt als politisch motiviert einschätzte. Dem stehen im übrigen 5.256 geklaute Autos allein im Jahr 2008 gegenüber,[10] die im medialen Diskurs keine Erwähnung finden.

Brandstiftungen ziehen Feuerwehr- und Polizeieinsätze nach sich. Da die Geschädigten ihre Versicherung kontaktieren müssen, bleiben in diesem Bereich nur ausnahmsweise Delikte unerkannt. Tatverdächtige mit politischem Hintergrund werden hingegen so gut wie nie ermittelt. Überführt wurde in den aufwendig geführten Verfahren keine/r. Zugespitzt formuliert muss die Tatverdächtigen-Studie hier ohne Tatverdächtige auskommen und verbleibt notwendigerweise im Spekulativen. Die Aussage, dass in Berlin etwa 50 Prozent aller Autobrandstiftungen „politisch links motiviert“ seien, kann lediglich auf Vermutungen gestützt werden. Der Rest der Fahrzeuge wird laut Polizei von PyromanInnen, AutodiebInnen (zur Verschleierung) und von VersicherungsbetrügerInnen angesteckt. Politische Tatbekenntnisse in Form von Selbstbezichtigungen liegen nur in weniger als 20 Prozent der Fälle vor. In Hamburg ist es im Gegensatz zu Berlin gängige Praxis, auch nur diese Taten als „politisch links motiviert“ zu werten. Der Berliner Verfassungsschutz scheint mehr zu wissen oder gibt dies zumindest vor. Ihm gelten Brandstiftungen ab 2007 als das häufigste Delikt „politisch links motivierter Gewalt“. Um diese Wertung vornehmen zu können, bringt er seine Konstruktion der „verdichteten Räume linker Gewalt“ zum Einsatz.

„Verdichtete Räume“

Die aus der Presse als „No-go-areas“ bekannten und von Opferberatungsstellen als „Angsträume“ bezeichneten Phänomene erscheinen in den Studien des Berliner Verfassungsschutzes zu „rechter Gewalt“ als „verdichtete Räume rechter Gewalt“. Dort fallen Wohn- und Aktionsräume rechter GewaltstraftäterInnen zusammen, weshalb mögliche Opfer rechter Gewalt hier potentiell stärker gefährdet sind als anderswo. Der Verfassungsschutz belegt dies schlüssig mit Zahlen.

In der Nachfolgestudie zu „linker Gewalt“ ist analog von „verdichteten Räumen linker Gewalt“ die Rede. Zu diesen zählt der Verfassungsschutz bestimmte Straßenzüge in alternativen Szene-Kiezen in Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg, in denen linke Tatverdächtige wohnen und linke Gewaltstraftaten gehäuft vorkommen.

Qualitativ – im Sinne einer relativ größeren Brutalität der Taten – kann hier nicht von einer „Verdichtung“ gesprochen werden. Tatsächlich lässt sich an der Studie ablesen, dass es im Alltag (für Nicht-Rechtsextreme) in solchen Gebieten wie z.B. dem Friedrichshainer „Nordkiez“ sehr unwahrscheinlich ist, Opfer einer links motivierten Körperverletzung zu werden. Auch Verfassungsschutz-Chefin Schmid musste auf die entsprechende Frage des „Tagesspiegels“ einräumen, dass es keine „No-go-areas“ für Reiche gebe.[11] Vor diesem Hintergrund kann aber eben kein „Angstraum“ entstehen, der der Bedrohlichkeit jener von rechter Gewalt geprägten Zonen auch nur entfernt entspräche.

In Anlehnung an die Studie könnte man allenfalls sagen, dass eine relative qualitative Verdichtung linker Gewalt in Gestalt von Körperverletzungsdelikten „gegen rechts“ da stattfindet, wo rechte GewalttäterInnen wohnen und rechte Gewalttaten stattfinden – z.B. im Lichtenberger „Weitlingkiez“, einem „verdichteten Raum rechter Gewalt“. Dort wohnen allerdings wenige linke Tatverdächtige – eine Komponente, die für eine Klassifizierung als „verdichteter Raum linker Gewalt“ benötigt wird, weil das begrifflich in der Studie zu „rechter Gewalt“ so entwickelt wurde. Den Lesenden beschleicht nicht nur an dieser Stelle unwillkürlich der Verdacht, dass Ergebnisse und begriffliches Instrumentarium der Vorläuferstudien zu „rechter Gewalt“ mühsam auf die „linke Gewalt“ aufgestülpt werden, um eine vergleichbare Gefährlichkeit der beiden „Extremismen“ behaupten zu können. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Auch eine quantitative Häufung von Gewaltdelikten ergibt sich laut der Studie im Wohnumfeld von linken Verdächtigen genau genommen nicht unbedingt, weil diese dort wohnen, sondern wenn dort Demonstrationen stattfinden oder wenn auch rechte GewalttäterInnen dort wohnen oder verkehren (z.B. Friedrichshain). Allein das (vermutete) verstärkte Vorkommen von politisch motivierten Auto-Brandstiftungen kann die These von im eigenen Wohnumfeld aktiven TäterInnen stützen. Über die Urheberschaft dieser Delikte wird wie erwähnt reichlich spekuliert. Dabei treibt die Konstruktion von „Brandstifterkiezen“ mittlerweile etliche Blüten bei Polizei, Politik und Medien. Insofern dort festgestellte Autobrände pauschal der linken Szene zugeschrieben werden, scheint uneingestanden angenommen zu werden, dass VersicherungsbetrügerInnen, PyromanInnen und AutodiebInnen ausgerechnet in diesen Kiezen unterrepräsentiert seien und ihnen diese vergleichsweise ungeeignet erscheinen, ihr Unwesen zu treiben.

Was bleibt

Neben den direkten Folgen für „links“ aussehende PassantInnen in Friedrichshain, die nach einem Autobrand in der Nähe ihres Wohnorts Bekanntschaft mit einer Justizvollzugsanstalt machen durften, ändert sich das gesellschaftliche Klima in der Stadt.

Innensenator Ehrhart Körting formuliert die Intention der Studie im Vorwort: „Wir haben in unserer Gesellschaft einen Konsens erreicht, dass politisch rechts motivierte Gewalt ein nicht hinzunehmender Angriff auf die Grundwerte unseres Gemeinwesens ist. Es gilt, einen ähnlichen demokratischen Konsens auch in der Ausgrenzung links motivierter Gewalttäter zu erzielen.“ Die Effekte der Broschüre erschöpfen sich aber nicht in der Ächtung von Gewalt als politischem Instrument. Beispielhaft hierfür ist eine Debatte in der Bezirksverordnetenversammlung des Stadtteils Charlottenburg-Wilmersdorf vom 19. November 2009, die zeigt, wohin diskursiv die Reise geht. Anlass für den Streit zwischen CDU und FDP auf der einen Seite und der SPD sowie den Grünen auf der anderen waren jahrelange Veranstaltungen von „diskursorientierten Rechtsextremisten“ in den bezirkseigenen Räumen im Ratskeller Schmargendorf.[12] Um in der Zukunft besser gewappnet zu sein, wurde ein „Lokaler Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus – Für Demokratie und Toleranz“ beschlossen. Die örtliche CDU wollte hingegen mit Verweis auf die Verfassungsschutz-Studie einen Lokalen Aktionsplan „gegen Rechtsextremismus und Linksextremismus“ installieren.

Anstatt vom rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Denken und Handeln in der Bevölkerung zu sprechen, wird – auch dank solcher Studien – nur von „extremistischer“ Gewalt geschwatzt.

Fabian Kunow ist freier Journalist und Master-Student der Sozialwissenschaften an der HU Berlin.
Oliver Schneider ist freier Journalist und Wissenschaftler mit Schwerpunkt Polizei und Geheimdienste.
[1] vgl. Verfassungsschutz Berlin: Linke Gewalt in Berlin, Berlin 2009, www.berlin.de/imperia/
md/content/seninn/verfassungsschutz/fokus_linke_gewalt_2009.pdf. Sofern nicht anders vermerkt, stammen alle folgenden Zitate aus dieser Quelle.
[2] Butterwegge, C.: Fatale Gleichsetzung, in: Junge Welt v. 19.11.2009
[3] Berliner Morgenpost v. 12.11.2009
[4] Der Tagesspiegel v. 11.11.2009
[5] Mletzko, M.: Gewaltdiskurse und Gewalthandeln militanter Szenen. Der Bereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus, in: Kriminalistik 2001, H. 10, S. 639-644 (643); Mletzko war Referent beim Veldensteiner Kreis „zur Erforschung von Extremismus und Demokratie“. Er publiziert regelmäßig in dem von Uwe Backes und Eckard Jesse, den Initiatoren des Kreises, herausgegebenen „Jahrbuch Extremismus & Demokratie“.
[6] ebd.
[7] www.opferfonds-cura.de/index.php?option=com_content&task=view&id=49&Itemid=5
[8] Berliner Morgenpost v. 12.11.2009
[9] Landgericht Berlin: Beschluss v. 28.3.2007, Az.: 535 – 3/07 1. Kap Js 292/07
[10] vgl. PKS Berlin 2008: www.berlin.de/imperia/md/content/polizei/kriminalitaet/pks/jah
resbericht_pks_berlin_2008.pdf, S. 58
[11] Der Tagesspiegel v. 11.11.2009
[12] Der Tagesspiegel v. 21.11.2009

Bibliographische Angaben: Kunow, Fabian; Schneider, Oliver: Lechts und rinks. Der Verfassungsschutz und die „linke Gewalt in Berlin“, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 95 (1/2010), S. 45-54

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