Im April vergangenen Jahres präsentierte die EU-Kommission eine Mitteilung über „über solidere und intelligentere Informationssysteme für das Grenzmanagement und mehr Sicherheit“, in der sie eine umfassende Neuordnung des Dateienwesens der EU in diesem Bereich propagierte. Die bereits bestehenden von der Agentur für IT-Großsysteme (eu-LISA) geführten Datenbanken (Eurodac, Visa-Infomationssystem – VIS, Schengener Informationssystem – SIS) sollten ausgebaut werden. Neue sollten entstehen (Ein- und Ausreisekontrollsystem EES, Reiseinformations- und Genehmigungssystem ETIAS, Strafregister für Drittstaatsangehörige ECRIS-TCN). DrittausländerInnen sollten nicht mehr unerfasst in die EU einreisen können, Lücken seien zu schließen, lautete die Parole.[1] Zwei Monate später berief die Kommission eine „Hochrangige Expertengruppe Interoperabilität und Informationssysteme“ (HLEG), an der u.a. VertreterInnen der Mitgliedstaaten sowie der EU-Anti-Terror-Koordinator und der EU-Datenschutzbeauftragte beteiligt waren.[2] Am 11. Mai 2017 legte die HLEG ihren Abschlussbericht vor.[3] Sie begrüßt nicht nur die Vorschläge der Kommission zu den einzelnen Datenbanken. Sie hält sich im Wesentlichen auch an die Ideen zur Verbesserung der „Interoperabilität“, die die Kommission in ihrer Mitteilung vom April 2016 präsentiert hatte. Angestrebt wird zunächst eine gemeinsame Schnittstelle, die es erlaubt, sämtliche Systeme mit einem Klick abzufragen. Ähnliches gibt es bereits in diversen Schengen-Staaten auf nationaler Ebene. Um die geplante zentrale schengenweite Schnittstelle von den bestehenden nationalen abzuheben, spricht die Expertengruppe nun von einem „europäischen Suchportal“.
Von einer gemeinsamen Schnittstelle aller Systeme sollen schließlich auch Kriminalpolizeien und – je nach nationalem Recht – ebenso die Geheimdienste profitieren. Über ihren Zugriff auf Visa- und Asyldaten wird in der EU seit Jahren gestritten. Informationen aus dem VIS und aus Eurodac können sie bisher nur im begründeten Einzelfall abrufen. Nach dem Willen der ExpertInnen soll diese Einschränkung künftig entfallen, solange es bei den Anfragen „nur“ um die Identität einer Person geht. Mit einer Anfrage erführen sie, ob und in welchem der Systeme Daten zu finden sind. Erst für weitere Ermittlungen (wie zum Beispiel zu Reisewegen) wären eine Begründung und eine Genehmigung erforderlich.
Schnittstellen und Suchportale sind aber nur der erste Schritt zur „Interoperabilität“. Statt für jedes Datensystem ein eigenes Fingerabdruckidentifizierungs- oder Gesichtserkennungssystem zu entwickeln, empfehlen die ExpertInnen einen „gemeinsamen Dienst für den Abgleich biometrischer Daten“, der den einzelnen Informationssystemen – vom SIS bis hin zum EES – vorgeschaltet wäre. Würde ein Polizist beispielsweise das SIS anhand eines Fingerabdrucks abfragen, könnte dieser „Dienst“ zudem anzeigen, ob Daten zu dieser Person auch im VIS oder in Eurodac vorhanden sind. Am Ende der Entwicklung stünde ein „gemeinsamer Speicher für Identitätsdaten“, in dem neben den Fingerabdrücken und Bildern auch „die von einer Person behaupteten biographischen Identitäten“ (Name, Geschlecht und Geburtsdatum) verzeichnet wären. Dem „Identitätsbetrug“ soll damit ein Riegel vorgeschoben werden.
Darüber hinaus will die HLEG weitere Lücken schließen. Sie fordert, auch die Ein- und Ausreisen von Drittstaatsangehörigen mit längerfristigen Aufenthaltstiteln, die von den Mitgliedstaaten ausgegeben werden, sowie von BürgerInnen der EU- und der assoziierten Schengen-Staaten zu erfassen – am besten in einem neuen Informationssystem. Während die Kommission diesen Vorschlag zunächst „prüfen“ wollte, signalisierte der Rat umgehend seine Zustimmung.[4]