Aussagepflicht von Zeuginnen bei der Polizei

Tom Jennissen

Nahezu unbemerkt hat der Bundestag am 22. Juni 2017, kurz vor Ablauf der Legislaturperiode, eine Änderung des Strafverfahrensrecht zur Ladung von ZeugInnen verabschiedet. Während sich die öffentliche Berichterstattung über StPO-Änderungen an diesem Tag zurecht auf die umfangreichen neuen Befugnisse zu Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung konzentrierte[1] und insbesondere den äußerst fragwürdigen Trick hervorhob, mit dessen Hilfe die Regierungskoalition die Regelung in letzter Minute in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren einschob, präsentierte sich der ursprüngliche Entwurf zum „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Gestaltung des Strafverfahrens“ scheinbar als rein technokratische Anpassung verschiedener Aspekte an die strafprozessuale Praxis und Rechtsprechung. Als eine zentrale Neuregelung wurde unter Änderung des § 163 StPO die Pflicht von ZeugInnen beschlossen, bei der Polizei auszusagen, „wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt“. [2] Bislang bestand eine derartige Pflicht nur bei Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft oder ErmittlungsrichterInnen.

Als besonders problematisch an der Regelung erweist sich zum einen, dass vollkommen unklar bleibt, wann und wie ein „Auftrag der Staats­anwaltschaft“ erteilt werden soll. Die Gesetzesbegründung lässt offen, ob zur verbindlichen Ladung künf­tig ein solcher Auftrag für einen spezifischen Zeugen nötig ist oder ob er sogar für ein gesamtes Strafverfahren pauschal erteilt werden kann. Im letzteren Fall dürfte die Einschränkung wegen zu erwartender formular­hafter Aufträge keinen praktischen Wert haben. Zum anderen sind weder eine besondere Form noch eine Frist für die Ladung vorgesehen. Zu befürchten ist also, dass künftig durch kurzfristige, ggf. sogar nur mündliche Ladungen der Druck auf ZeugInnen deutlich erhöht werden könnte.

Zudem ist zu erwarten, dass die Ermittlungsbehörden künftig in noch größerem Ausmaß als bislang die Grauzone zwischen einer möglichen Beschuldigteneigenschaft und dem Zeugenstatus ausnutzen werden. Zwar soll auch gemäß der neuen Regelung die Staatsanwaltschaft darüber entscheiden, allerdings nur „sofern insoweit Zweifel bestehen“. Insgesamt stärkt die Neuregelung die Position der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft und höhlt damit die Rolle der Justiz im Ermittlungsverfahren weiter aus.

[1]   BT-Drs 18/12785 v. 20.6.2017, vgl. auch das Plenarprotokoll 18/240, S. 24584ff v. 22.6.2017
[2]   BT-Drs 18/11277 v. 22.2.2017

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